10 December 2009

BVerfG: Musik ist kein Lärm, und der Geschmack eines Polizisten kein taugliches Kriterium

GR000001.JPGJuristen pflegen gern der bildungsbürgerlichen Tradition der Amateurmusik, und Professoren noch viel mehr. In der 3. Kammer des 2. Senats sitzen drei Juristen, zwei davon Professoren, und das könnte ein Anhaltspunkt zur Erklärung der heutigen  Entscheidung aus dem Ressort “Vermischtes” sein: Klavierspielen kann man nicht einfach als Lärm abqualifizieren, entrüstet sich die Kammer. Bachs Französische Suiten mit den Mitteln des Immissionsschutzrechts zu Leibe rücken zu wollen, das geht gar nicht.

Ein Nachbar hatte gegen die Klavierübungen eines sechzehnjährigen und offenbar sehr musikalischen Mädchens die Polizei gerufen. Die fand ebenfalls, dass das Geklimpere ein Ende haben müsse, und als das Mädchen trotzdem weiterspielte, verhängte das Bezirksamt ein Bußgeld wegen Lärmbelästigung an Sonn- und Feiertagen in Höhe von 75 Euro. Das empörte den Vater des Mädchens so sehr, dass er klagte, verlor und daraufhin die Sache bis nach Karlsruhe trieb.

Und zwar mit Erfolg. Anders als bei “Reiten im Walde” und anderen Karlsruher Scharmützeln zur Verteidigung der kleinen Freuden des Lebens ist diesmal der verfassungsrechtliche Maßstab nicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit, sondern das Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 II GG: Genau genommen ist es weniger die Qualifikation von Musik als Lärm, an der sich die Kammer stört, als vielmehr die pauschale und schlecht begründete Art dieser Qualifikation: Dass der Nachbar und der von diesem zu Hilfe gerufene Polizist aussagten, die Musik sei störend gewesen, ließ der Amtsrichter als Erfüllung des Tatbestandsmerkmals “objektiv störend” genügen. Wenn es vom Geschmack der Polizei abhänge, ob ein Bußgeldtatbestand erfüllt ist oder nicht, dann sei für den Adressaten der Norm nicht mehr erkennbar, wie er sich verhalten muss, um der Norm zu genügen. Und das verletze das Bestimmtheitsgebot.

Und jetzt bin ich gespannt, wie oft morgen in den Medien das Wilhelm-Busch-Zitat “Musik wird oft nicht schön gefunden, dieweil sie mit Geräusch verbunden” zur heiteren Heranführung ans Thema herangezogen werden wird…


3 Comments

  1. Dietrich Herrmann Thu 10 Dec 2009 at 22:32 - Reply

    Hermann Unterstöger, bekannt nicht zuletzt als einer der besseren Autoren des SZ-Streiflichts, hat in der SZ vom 11.12. zwar nicht Wilhelm Busch, dafür Kurt Tucholsky aus dessen Glosse “Musiklärm” (erschienen Juni 1912 im “Vorwärts”) zitiert:
    „Wenn einer zu stumpf ist, je ein ordentliches Buch zu lesen, zu dumpf, sich um Politik zu kümmern: Musik wird in seinem Haus gemacht.“

    Zum Beschluss selbst: Auch wenn ich selbst mich in der Sache für die musikpraktizierende Familie freue, halte ich den Fall eigentlich für ungeeignet fürs BVerfG. Ich kann dabei die Grundrechtsrelevanz nicht so recht erkennen. Und nicht jede Fehlentscheidung bzw. Fehlbegründung der Instanzgerichte muss das BVerfG ausgleichen. Da hat es gewichtigere Fälle übersehen.

    Als einer der Halbexperten, die die Richter zwar den Senaten, jedoch nicht immer den Kammern zuordnen können, hatte ich beim Lesen der PM zunächst den Konzertpianisten Masing im Verdacht, den Fall aufgegriffen zu haben, aber das wäre ja auch zu peinlich gewesen. Es wird wohl doch eher ein namentlich nicht bekanntes Mitglied des Dritten Senats gewesen sein, das die Bresche für die bildungsbürgerliche Musikkultur geschlagen hat.

    Sollten sich weiter spießbürgerliche Nachbarn, Polizisten und Amtsrichter als Horte der Nachbarschaftsruhe und Kulturbanausen in Personalunion gerieren, könnten die Pianisten im BVerfG vielleicht auf Hoffnung auf die Erste Gewalt setzen: Im Bundestag sitzt seit September mit Agnes Krumwiede ebenfalls eine Konzertpianistin.

    Apropos Pianisten II: Gibt es eigentlich Neues im Streit über Günter Hirschs (Ex-BGH-Präsident) heftig kritisierten (u.a. von Rüthers u. Ch. Möllers) Vergleich (ZRP 2006, 131) von den Richtern als Pianisten?

  2. Max Steinbeis Thu 10 Dec 2009 at 22:43 - Reply

    na, wenn man genauer hinschaut, zeigt sich, dass das mit der Musik eigentlich gar nicht im Fokus der Entscheidung liegt: Es geht darum, dass ein Ordnungswidrigkeitstatbestand als erfüllt angesehen wurde, weil ein Polizist sagt, er habe das Verhalten als störend empfunden. Das ist so, wie wenn man einen Steuertatbestand einführt, der davon abhängt, ob der Fiskus Geld braucht (schiefer Vergleich, ich weiß). Dass das mit 103 II nicht geht, scheint mir schon ein Aufhebungsbeschlüsschen wert zu sein.
    Die Richter der 3. Kammer sind übrigens Papier, Bryde und Schluckebier. Keine Ahnung, ob einer von denen ein Instrument spielt.
    Moment, da fällt mir auf, dass ich einen Fehler gemacht habe: Erster Senat, nicht Zweiter. (schon wieder! das nervt allmählich)
    Hirschs Pianistenvergleich? Ist mir entgangen. Pianist as opposed to Komponist, so wie Richter as opposed to Gesetzgeber?

  3. Ronnie Pferde Thu 5 Aug 2010 at 20:48 - Reply

    Danke für diesen interessanten Beitrag.

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