05 March 2010

BVerfG stärkt Meinungsfreiheit von Ausländerfeinden

Keine vier Monate ist es her, dass das Bundesverfassungsgericht den § 130 IV StGB mit dem Argument gerechtfertigt hatte, dass die Verherrlichung des Nationalsozialismus durch die Meinungsfreiheit nicht geschützt sei, weil der Nationalsozialismus für die Anti-Nazi-Verfassung Grundgesetz eben keine schützenswerte Meinung unter vielen sei, sondern das Gegenteil einer schützenswerten Meinung.

Jetzt schiebt die 2. Kammer des Ersten Senats eine Entscheidung hinterher, die auf den ersten Blick in die entgegengesetzte Richtung zu weisen scheint:

Die bayerische Justiz hatte ein Trüppchen Augsburger Rechtsextreme wegen Volksverhetzung verurteilt, weil sie 2002 Plakate mit der Aufschrift “Aktion Ausländer-Rück-Führung – für ein lebenswertes deutsches Augsburg” geklebt hatten. Die Plakate, so das LG Augsburg, suggerierten, dass eine Stadt, in der Ausländer leben, nicht lebenswert sei. Dies verletze die Menschenwürde.

Meinungsfreiheit

Den Verfassungsrichtern gingen die bayerischen Richter dabei aber allzu flüchtig über das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinweg. Die Richter hätten in den Plakatslogan einen Sinn hineingelesen, den er objektiv nicht habe. Immerhin könne man ihn auch so verstehen, dass damit für ein liebes, freundliches Ausländer-Rückführ-Programm plädiert wird, nach dem Motto: Wenn ihr freiwillig abzieht, kriegt ihr eine Mark.

Entschuldigung, jetzt bin ich sarkastisch geworden.

Der Text, so die Kammer weiter, sei zwar ohne Zweifel ausländerfeindlich. Aber Ausländerfeindlichkeit allein sei nicht strafbar. Ausländerfeindliche Meinungen verstießen zwar gegen die Werte des Grundgesetzes und das Toleranzgebot. Aber das sei noch kein Grund, ihnen den Schutz der Meinungsfreiheit zu entziehen:

Die Bürger sind rechtlich nicht gehalten, die Wertsetzungen der Verfassung persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung tragender Prinzipien zu fordern. Die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und sie dadurch abzuwehren (…).

Das ist ja alles gut und richtig. Aber die Typen haben mit ihrem Plakat die Deportation aller Leute gefordert, die keine Volksdeutschen sind. Das sieht doch jeder.

Das Amtsgericht hat das so gesehen, das Landgericht und das Bayerische Oberste. Drei Instanzen. Ist diese Auslegung wirklich so krumm, dass das BVerfG dagegen einschreiten muss?


8 Comments

  1. egal Fri 5 Mar 2010 at 12:57 - Reply

    Wenn man nicht zwischen § 130 IV StGB mit seiner Sonderstellung (Festschreibung der geschichtlichen Meinung) und § 130 II StGB unterscheiden kann, wirds halt schwierig mit der Subsumtion ;)

    “Aber die Typen haben mit ihrem Plakat die Deportation aller Leute gefordert, die keine Volksdeutschen sind. Das sieht doch jeder.”

    Die Verfassungsbeschwerde führt ja nicht zum Freispruch der Angeklagten. Sie kam nur durch weil die vorherigen Instanzen geschlampt haben hinsichtlich der Nichtbeachtung der Meinungsfreiheit.

    – Das AG nicht mal auf die Meinungsfreiheit eingegangen ist. (Rn. 31).

    – “Es ist bereits zweifelhaft, ob das Landgericht das Grundrecht der Meinungsfreiheit als eigenständig zu berücksichtigenden Maßstab der Deutung erkannt hat. ” (Rn. 32)

    – das bayrische Oberste Landesgericht: “Die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Grundsätze für die Auslegung der die Meinungsfreiheit beschränkenden Strafnormen, die im Tatbestand eine Verletzung der Menschenwürde voraussetzen, hat es im Folgenden weder erwähnt noch der Sache nach geprüft.Das Bayerische Oberste Landesgericht hat auf eine Abwägung der widerstreitenden Belange verzichtet, ohne die Entbehrlichkeit einer solchen Abwägung aufzuzeigen.” (Rn. 35)

    Wenn man schon eine für die Meinungsfreiheit so problematische Strafnorm einführt, dann bitte auch keine Kurzprüfung. Kurze Prozesse solls nach 1945 auch nicht geben, selbst für Neonazis nicht.

    Hier sieht man mal wieder, dass das Anfang allen Übels die schlechte juristische Prüfung und Bewertung des Sachverhalts beim Amtsgericht rsp. Strafrichter anfängt.

    Ob die drei Herren nicht doch noch wg. Volksverhetzung verurteilt werden, ist nicht ausgeschlossen. Es ist sogar höchst wahrscheinlich. Aber wenn man schon verurteilt, dann sollte man gut begründet verurteilen und das fehlte hier in dem ganzen Verfahren.

  2. Max Steinbeis Fri 5 Mar 2010 at 15:13 - Reply

    Dass die Rieger-Entscheidung einen anderen Tatbestand betrifft als dieser Fall, weiß ich auch. Duh! Im einen Fall geht es um die Meinung, dass der Nationalsozialismus prima ist (verboten), im anderen um die Meinung, dass Ausländer von Übel sind (erlaubt). Nun sind halt beide Meinungen nicht wirklich messerscharf voneinander zu trennen. Deshalb erscheinen beide Entscheidungen – auf den ersten Blick, wohlgemerkt – diametral.

    Den Punkt mit den kurzen Prozessen und der schlampigen Subsumption akzeptiere ich, ebenso wie den Hinweis darauf, dass die Frage der Verurteilung damit noch nicht entschieden ist. Aber die Passage, wo die Kammer den Sinn, den die Instanzrichter dem Plakatslogan entnommen haben, auseinandernimmt: Dass doch keineswegs der objektive Sinn dieses Plakates sei, dass nur eine ausländerfreie Stadt lebenswert ist usw. – das scheint mir, nun ja, naiv.

  3. Gut Fried Fri 5 Mar 2010 at 15:29 - Reply

    immer wieder interessant, wie die ach so toleranten Gutmenschein, Toleranz auf die Fahnen schreiben und völlig intollerant gegenüber den Intolleranten sind.
    Plötzlich werden Denkverbote ausgesprochen, die es eigentlich – in einem demokratischen
    Staat nach 1945, nicht mehr geben sollte bzw. darf(?)

  4. […] Kritiker der Entscheidung übersehen meines Erachtens, dass die Fachgerichte die Bedeutung der […]

  5. Poldi Wed 10 Mar 2010 at 16:48 - Reply

    Lieber Herr Steinbeis,

    das Bundesverfassungsgericht hat den von den Strafgerichten beanstandeten Text keineswegs abschließend ausgelegt, sondern lediglich unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art.5 GG für eine Auslegung aufgezeigt, dass die für die Bf. nachteilige Auslegung ihrer Meinungsäußerungen nach der gegebenen Begründung nicht hinreichend zwingend ist. Selbstverständlich steht es den Strafgerichten deshalb frei, mit einer anderen Begründung und aufgrund einer weiterreichenden Tatsachenfeststellung zum gleichen Ergebnis zu gelangen. Die vorhandene Begründung und die festgestellten Tatsachen haben die Verurteilung jedoch vor dem Hintergrund des Art.5 GG nicht zu tragen vermocht.

    Mit Naivität hat dieses Prüfung des Bundesverfassungsgerichts und hat sein Ergebnis nichts zu tun. Vielmehr sieht sich das Gericht gehalten, die aus Art.5 GG folgenden und vom Gericht selbst entwickelten Anforderungen an strafgerichtliche Entscheidungen und an ihre Begründung im Schutzbereich der Meinungsfreiheit möglichst unterschiedslos zur Anwendung zu bringen.

    Feststellungen zu den tatsächlich hinter den beanstandeten Äußerungen stehenden Anschauungen der Bf. hat das Bundesverfassungsgericht nicht getroffen und weder treffen müssen, noch treffen dürfen. Vielmehr hat sich das Gericht nur mit den angegriffenen Entscheidungen auseinandergesetzt. Diese und die als verletzt gerügten Grundrechte sind Streitgegenstand des Verfahrens. Dementsprechend kann das Bundesverfassungsgericht eine von den Fachgerichten gegebene, verfassungswidrige Begründung auch nur ausnahmsweise und in sehr engen Grenzen durch die nach dem einfachen Recht richtige Begründung ersetzen (vgl. BVerfGE 90, 22 ). Insofern tragen die zur Entscheidung berufenen Richter den spezifischen Beschränkungen des Verfassungsgerichts Rechnung.

    MfG,

    Poldi.

  6. hanfstaat Fri 12 Mar 2010 at 07:56 - Reply

    Es müssen alle schnell abeschoben werden.
    Und ich meine alle… und schnell!
    Weg damit – raus mit dem Pack!!!

  7. Anonymous Wed 6 Oct 2010 at 17:46 - Reply

    […] […]

  8. Istdochschnuppe Sun 14 Jun 2015 at 14:50 - Reply

    Ich wurde im vergangenen Jahr wegen Volksverhetzung sowie Verunglimpfung des Andenkens einer Toten verurteilt. Mein Verbrechen, ich glaube herausgefunden zu haben wer z. B. Mengele oder Anne Frank in Wirklichkeit waren und hatte dies im Internet veröffentlicht (für ein zahlenmäßig sehr begrenztes Klientel). Anhand meiner Aussage wurde nicht für mich ermittelt, Zeugen (gleichzeitig Anzeigeerstatter gegen mich) auch auf meinen Antrag hin nicht geladen. Begründet wurde mit Standardsätzen wie “historisch belegt” usw. und gleichwohl damit der angeblichen Meinungsfreiheit noch einen Tritt in den Hintern verpasst. Ich bin parteilos, weder Rechts noch Links. Das brachte die Richterin der 1. Instanz – die offenbar gar nicht wusste warum es eigentlich ging – dazu mich im Tone eines Filbinger usw. brüllend zu fragen ob ich Rassist sei. Übrigens wurde das Urteil gegen mich inzwischen vom OLG bestätigt und zeigt mir erst einmal subjektiv dass sich alle Instanzen in Fragen der “Meinungsfreiheit” einig sein müssen. Anne Frank soll übrigens seit 70 Jahren nicht mehr leben. Übrigens hatte ich nicht privat sondern als Redakteur einer Onlinezeitung darüber geschrieben. Und was nun ? Meinungsfreiheit ja, aber nur so weit wie keine “Obrigkeiten” in die Pfanne gehauen werden ? Pressefreiheit nur so weit wie veröffentlichende Medien bestimmten Familien gehören oder Autor/en entsprechender Artikel gar Angehörige solcher sind ?

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