Caudillo-Konstitutionalismus
Kein Kontinent ist freudiger am Werk, wenn es ans Verfassunggeben geht, als Lateinamerika. Unerreichter Spitzenreiter ist die Dominikanische Republik: 32 Verfassungen seit der Staatsgründung 1821. Dann kommt Venezuela mit 26, Haiti mit 24 und Ecuador mit 20 – die letzte davon 2008, stolze 444 Artikel lang und voller wunderbarer Grundrechte wie zum Beispiel dem in Art. 383 niedergelegten Grundrecht auf
la ampliación de las condiciones físicas, sociales y ambientales para su disfrute.
Das heißt, wenn ich mein Küchenspanisch zusammenkratze, in etwa: auf Vermehrung der physischen, sozialen und umweltmäßigen Bedingungen des Genusses.
Bin ich sehr dafür.
Ich entnehme diese Zahlen einem äußerst spannenden Artikel in der New Republic, der der Frage nach geht, was die südamerikanischen Caudillos sich davon überhaupt versprechen, ihre Macht permanent mit brandneuem Verfassungsrecht auszukleiden. Sein Fazit: Die permanente Verfassungsgebung reproduziert sich selbst.
When the perfect country outlined by their constitution invariably fails to materialize, the impulse will be there to blame the design. There will be calls to change the system, and the precedent set by this constitution (and all the others) will make adopting yet another one feasible. Yet doing so will only extend a dynamic that has undermined stability in the region for generations.
Der Kommentarthread ist auch nicht zu verachten: Dort wird u.a. diskutiert, was die knappe und dunkle US-Verfassung mit Lyrik von John Keats und die überquellend ausführlichen südamerikanischen Verfassungen mit magischem Realismus zu tun haben.
(via)