30 June 2016

Keine Ratifikation des CETA ohne den Deutschen Bundestag – so oder so …

Die Ankündigung Jean-Claude Junckers, das Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive and Economic Trade Agreement) als Abkommen in alleiniger Kompetenz der EU und nicht als so genanntes gemischtes Abkommen in den EU-Ministerrat einzubringen ist – wie zu erwarten war – auf teils heftige Kritik gestoßen („unverantwortlich“, „töricht“, „frivol“, oder auch hier). Die EU-Kommission verfolgt mit diesem Vorgehen konsequent ihren bereits im Hinblick auf das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Singapur (EUSFTA) vertretenen Ansatz, beim Abschluss völkerrechtlicher Handelsabkommen handele es sich – auch bei kleineren „Restkompetenzen“ der EU-Mitgliedstaaten – in der Gesamtheit um eine alleinige Kompetenz der EU.

Unabhängig von den tatsächlichen politischen Erfolgsaussichten CETA im EU-Ministerrat als Abkommen in alleiniger EU-Kompetenz durchzusetzen, entflammt die zuvor bereits schwelende Debatte um die Frage der kompetenziellen Einordnung des CETA an der Schnittstelle von europäischem Verfassungs-/Außenhandelsrecht und deutschem Verfassungsrecht nun in voller Kraft. Befürchtet wird vor allem von deutscher Seite, dass CETA damit einer legitimationsstiftenden Kontrolle des Bundestages entzogen würde. Doch wie steht es tatsächlich um den Einfluss des Bundestages? Nach meinem Dafürhalten ergeben sich für CETA nicht nur im Falle der Behandlung als gemischtes Abkommen, sondern auch im Falle der Behandlung als Abkommen in alleiniger EU-Kompetenz entscheidende Einwirkungsmöglichkeit des Bundestages.

Abschluss völkerrechtlicher Handelsverträge im Recht der EU

Aus der Völkerrechtssubjektivität der EU folgt gem. Art. 47 EUV die Möglichkeit des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge. Dies gilt jedoch nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nur, soweit der EU – wie etwa in Art. 207 Abs. 1 AEUV für den Bereich des Außenhandels – eine entsprechende explizite oder implizite Kompetenz zukommt. Fallen alle Regelungsbereiche eines völkerrechtlichen Vertrages in die Kompetenz der EU, so kann die EU diesen ohne Beteiligung der EU-Mitgliedstaaten schließen (Abkommen in alleiniger EU-Kompetenz). Fallen hingegen einige Regelungsbereiche weiterhin in die Kompetenz der EU-Mitgliedstaaten, so sind diese am Abschluss zu beteiligen und werden gleichberechtigte Vertragsparteien (sog. gemischte Abkommen).

Die Verhandlung und der Abschluss völkerrechtlicher Handelsabkommen durch die EU sind in den Art. 207, 218 AEUV geregelt. Am Anfang steht eine Mandatierung der EU-Kommission durch den EU-Ministerrat. Verhandlung, Rechtsförmlichkeitsprüfung („legal scrubbing“) und Paraphierung des Vertragstextes obliegen sodann der EU-Kommission. Im Anschluss beschließt der EU-Ministerrat über die Unterzeichnung des ausgehandelten Vertragstextes sowie (in der Praxis gemeinsam mit dem EU-Parlament) unter Umständen über dessen vorläufige Anwendbarkeit. Im Regelfall wird das Handelsabkommen nun dem EU-Parlament zur Zustimmung vorgelegt. Soweit es sich um einen gemischten Vertrag handelt, also auch die Mitgliedstaaten Vertragsparteien werden, führen diese nun gleichsam die nach ihrem jeweiligen Verfassungsrecht zur Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages vorgesehenen Verfahrensschritte durch. Nach Zustimmung des EU-Parlamentes sowie der Ratifikation aller Mitgliedstaaten, beschließt der EU-Ministerrat über den endgültigen Abschluss des Handelsvertrages.

Als gemischtes Abkommen würde CETA folglich mit dreißig Vertragsparteien geschlossen (EU, Kanada, 28 Mitgliedstaaten, vsl. abzgl. Großbritannien). Damit CETA als gemischtes Abkommen völkerrechtlich wirksam werden kann, müssen alle Vertragsparteien CETA ratifiziert haben, also neben der EU und Kanada auch alle EU-Mitgliedsstaaten inkl. Deutschland.

Einfluss des Bundestages bei gemischten Abkommen

Für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch Deutschland ist im Grundgesetz unter den Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 2 GG die Zustimmung der für die Gesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines sog. Vertragsgesetzes vorgesehen.

Zwar ist das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 59 Abs. 2 GG, also die Frage ob ein völkerrechtlicher Vertrag tatsächlich die politischen Beziehungen des Bundes regelt oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht, auch im Bereich gemischter Abkommen der EU mitunter durchaus Gegenstand unterschiedlicher Rechtsauffassungen zwischen Bundesregierung und Bundestag (wie etwa jüngst der Streit um die Zustimmungsbedürftigkeit des Bundestages zum Wirtschaftspartnerschaftsabkommen Westafrika (WPA-Westafrika) zeigt, welches als gemischter Vertrag zwischen den westafrikanischen Staaten, der ECOWAS und der UEMOA einerseits und der EU und ihren Mitgliedstaaten andererseits geschlossen wurde, ausführlich dazu Tietje hier auf dem Verfassungsblog ). Jedenfalls in Bezug auf CETA hat die Bundesregierung jedoch bereit ausdrücklich betont, dass an einer sich aus Art. 59 Abs. 2 GG ergebenden Zustimmungsbedürftigkeit keinerlei Zweifel bestehen.

Die Ratifikation des CETA hinge nach deutschem Verfassungsrecht somit von der Zustimmung des Bundestages (unter etwaiger Beteiligung des Bundesrates) ab. Sollte es sich bei CETA um ein gemischtes Abkommen handeln, könnte es also ohne die Zustimmung des Bundestages in dieser Form nicht in Kraft treten.

Einfluss des Bundestages bei Abkommen in alleiniger EU-Kompetenz

Würde CETA jedoch nicht als gemischtes Abkommen, sondern wie nun in Aussicht gestellt, als Abkommen in alleiniger EU-Kompetenz und damit ohne die EU-Mitgliedsstaaten geschlossen, so entfiele die Möglichkeit der Einwirkung des Bundestages im Rahmen des Art. 59 Abs. 2 GG.

Auch beim Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages in alleiniger EU-Kompetenz kommt es allerdings nach dem oben beschriebenen Verfahren auf die deutsche Stimme im EU-Ministerrat an. Ob einer ablehnenden deutschen Stimme dabei eine alleinige Blockadeposition zukommt, hängt wiederum davon ab, ob dem Abschluss des CETA im EU-Ministerrat mit qualifizierter Mehrheit oder einstimmig zugestimmt werden muss (für die Notwendigkeit von Einstimmigkeit unlängst etwa Schiffbauer, EuZW 2016, 252 ff.).

Die Einflussmöglichkeiten des Bundestages hängen folglich entscheidend davon ab, inwiefern das Stimmverhalten der deutschen Vertretung im EU-Ministerrat durch einen vorausgehenden Beschluss des Bundestages gebunden werden kann.

Verfassungsrechtliche und einfach-gesetzliche Regelungen

Eine Beteiligung des Bundestages in den die Bundesregierung betreffenden Angelegenheiten der EU ist verfassungsrechtlich zwar vorgesehen (Art. 23 Abs. 1, 3 GG) und hat darüber hinaus auch einfach-gesetzliche Ausprägung erfahren (IntVG und EUZBBG). Eine ausdrückliche Bindung des Stimmverhaltens des deutschen Vertreters im EU-Ministerrat beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch die EU ist jedoch nicht geregelt. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben erschöpfen sich in der Pflicht zur Unterrichtung des Bundestages sowie zur Berücksichtigung seiner Stellungnahmen. Auch IntVG – welches in anderen Bereichen durchaus Zustimmungserfordernisse formuliert – und EUZBBG sehen im Bereich des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge durch die EU grundsätzlich keine Möglichkeit der Bindung des deutschen Vertreters durch einen Beschluss des Bundestages vor. Einzige Ausnahme bildet ein etwaiger Beschluss über den Beitritt der EU zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

Zustimmungserfordernis aus Integrationsverantwortung

Zu erwägen wäre gleichwohl, ob im Bereich besonders ambitionierter und weitreichender völkerrechtlicher Handelsabkommen wie CETA nicht ausnahmsweise doch eine (ungeschriebene) verfassungsrechtliche Bindung der deutschen Vertretung im EU-Ministerrat an einen vorausgehenden Beschluss des Bundestages bestehen könnte.

Dabei gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass CETA nicht mehr nur klassisch handelsrechtliche Inhalte, wie etwa Inländerbehandlung und Marktzugang von Waren und Dienstleistungen, sondern umfassende Regelungen zur regulatorischen Kooperation (Kap. 21 CETA), zum Investitionsschutz (Kap. 8 CETA), zur nachhaltigen Entwicklung (Kap. 22 CETA), zum Umweltschutz (Kap. 24 CETA) und zu Arbeitsstandards (Kap. 23 CETA) enthält. Flankiert werden diese Regelungsinhalte von einem institutionellen Überbau, in dessen Organstrukturen mitunter völkerrechtlich verbindliche Entscheidungen getroffen werden können.

Eine Bindung der deutschen Vertretung im EU-Ministerrat an einen vorausgehenden Beschluss des Bundestages lässt sich daher möglicherweise aus der durch das BVerfG im Maastricht-Urteil begründeten und im Lissabon-Urteil weiterentwickelten Figur der „Integrationsverantwortung“ ableiten (so bereits auch kurz angeschnitten von Von Arnauld und Möllers/Bethge). Nicht nur bei der Übertragung von Hoheitsrechten, sondern auch bei der Ausgestaltung der europäischen Entscheidungsverfahren ist demnach dafür Sorge zu tragen, dass in einer Gesamtbetrachtung sowohl das politische System Deutschlands als auch das der EU demokratischen Grundsätzen des Art. 20 Abs. 1 und 2 iVm Art. 79 Abs. 3 GG entspricht. Die Wahl des Bundestages kann dabei nur dann ihre legitimierende Funktion im System supranationaler Herrschaftsverflechtung erfüllen, wenn der das deutsche Volk repräsentierende Bundestag und die von ihm getragene Bundesregierung einen gestaltenden Einfluss auf die politische Entwicklung in Deutschland behalten. Das ist wiederum nur dann der Fall, wenn eigene Aufgaben und Befugnisse von substantiellem politischem Gewicht beim Deutschen Bundestag verbleiben oder die ihm politisch verantwortliche Bundesregierung maßgeblichen Einfluss auf europäische Entscheidungsverfahren auszuüben vermag. Diese Notwendigkeit der Rückkopplung europäischer Entscheidungsmechanismen in den Bundestag hat das BVerfG in seiner jüngeren Rechtsprechung – etwa zum Euro-Rettungsschirm, zum Stabilisierungsmechanismusgesetz, zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und jüngst zum OMT-Programm – konsequent vorangetrieben.

Die erfolgreiche Argumentation einer Bindung des deutschen Vertreters im EU-Ministerrat hängt im Lichte der obigen Ausführungen also davon ab, ob die auf europäischer Ebene zu treffende Entscheidung von derartig wesentlicher Bedeutung ist, dass sie auch nach einer vollständigen Kompetenzverlagerung auf die EU an eine legitimierende Sachentscheidung des Deutschen Bundestages im Einzelnen zurückgekoppelt werden muss.

Für eine dahingehende Beurteilung des CETA ist es gut zu wissen, dass das BVerfG in seinem Lissabon-Urteil insbesondere für die Ausübung der europäischen Kompetenzen im Bereich der Außenhandelsbeziehungen ein besonders hohes Bedürfnis demokratischer Legitimation angenommen hat (mit deutlicher Kritik hierzu Herrmann, EuR Beiheft (1) 2010, 193 ff.). Das BVerfG verdeutlichte diesen hohen Legitimationsanspruch am Beispiel des (auch nach der Übertragung der Außenhandels-Kompetenz auf die EU) zwingend notwendigen Bestehenbleibens der deutschen Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation. Dabei spricht das BVerfG im Zusammenhang mit einer etwaigen Beendigung der unmittelbaren deutschen Einflussmöglichkeiten innerhalb der Welthandelsorganisation sogar von „einer unzulässigen Einschränkung der vom Grundgesetz vorausgesetzten und geschützten Staatlichkeit und des Prinzips der Volkssouveränität durch einen Verlust der Handlungsfähigkeit in nicht unwesentlichen Teilbereichen des internationalen Staatenverkehrs“.

Verknüpft man nun die Integrationsverantwortung mit dem durch das BVerfG formulierten Legitimationsbedürfnis supranationaler Entscheidungen im Bereich der auswärtigen Handelspolitik und der Tiefe der völkerrechtlichen Handelsintegration durch CETA, so scheint es nicht fernliegend, daraus eine Bindung des Stimmverhaltens der deutschen Vertretung im EU-Ministerrat an einen vorausgehenden Beschluss des Deutschen Bundestages abzuleiten. Soweit von einem solchen, aus der Integrationsverantwortung folgenden Zustimmungsbedürfnis ausgegangen wird, wäre der deutsche Vertreter bei der Abstimmung über CETA im EU-Ministerrat an einen ablehnenden Beschluss des Bundestages also verfassungsrechtlich gebunden und nicht zur Abweichung berechtigt. Gegen ein solches Abweichen des deutschen Vertreters könnte der Bundestag (oder eine (Oppositions-)Fraktion im Wege der Prozessstandschaft) auch verfassungsprozessual über das Organstreitverfahren vorgehen.

Gesetzgeberische Gestaltungsmöglichkeiten

Unabhängig von der Frage eines bereits bestehenden Zustimmungserfordernisses im Verhältnis von Bundestag und deutschem Vertreter im EU-Ministerrat ist abschließend darauf hinzuweisen, dass es dem Bundestag als gesetzgebendem Organ natürlich außerdem jederzeit freistünde, die einfach-gesetzlichen Regelungen zu seiner Beteiligung im Rahmen der verfassungsrechtlichen Schranken (insb. Art. 23 GG) zu ändern. So könnte der Bundestag erwägen das IntVG, bspw. für den besonderen Bereich weitgehender Handels- und Investitionsabkommen der EU, dahingehend zu ändern, dass eine parlamentarische Bindung des deutschen Stimmverhaltens im EU-Ministerrat ausdrücklich vorgesehen würde.


3 Comments

  1. Philipp Löschner Thu 30 Jun 2016 at 21:31 - Reply

    *Kommentar auf Verlangen des Kommentators gelöscht, d.Red.*

  2. Goldmann Fri 1 Jul 2016 at 10:07 - Reply

    Es wird mehr und mehr offensichtlich,… unilaterale Entscheidungen an den Ländern vorbei…und unter Auschluss aller Einwende und Bedenken, erdreisten sich die degenerierten EU-Politkommissare noch das Wort “völkerrechtlich” in den Mund zu nehmen… ekelhafte Missachtung,…. nein,….Verachtung der Bevölkerungen Europas,… dazu fällt dem Unterzeichner nur ein: “Ja zu Europa, nein zur EU!!!”

    Beste Grüße

    Chris Goldmann

  3. schorsch Fri 1 Jul 2016 at 20:04 - Reply

    @Goldmann: Unilateral? Machen Sie sich nicht lächerlich! Nicht nur ist die Kompetenzordnung von allen Mitgliedstaaten vertraglich vereinbart, es müssen auch der mit Mitgliedstaatsvertretern besetzte Rat (womöglich einstimmig, siehe oben) und das Europäische Parlament, das die Völker Europas repräsentiert, zustimmen.

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