Cool bleiben
Ich habe eine Weile nichts von mir hören lassen. Mein Buch ist raus, und das hat mich ziemlich in Beschlag genommen. Bei meiner gestrigen Lesung in der Buchhandlung Zauberberg waren allerdings zu meiner größten Beglückung drei Leser des Verfassungsblogs im Publikum. Das hat mich an meine Pflichten erinnert.
Was Verfassungsrecht im engeren Sinn betrifft, war auch nicht viel los. Europapolitisch dafür um so mehr (was sich allerdings in der sonst zu Recht vielgerühmten Euroblogger-Szene bemerkenswert wenig niederschlägt, das nur am Rande).
Deutschland, regiert von der Thatcher-Bismarck-Reinkarnation Angela Merkel, will in der EU nicht mehr den Mr. Nice Guy machen, und alle ringen die Hände über die Wiederkehr nationaler Interessenpolitik und den damit implizierten Niedergang des europäischen Gedankens. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström will Netzsperren errichten und nährt so den alten Vorwurf, dass die EU zu nichts anderem da ist, als alle möglichen auf nationaler Ebene gescheiterten Grundrechtsvernichtungsprojekte über die supranationale Hintertür ins Rechtsgebäude hineinzuschmuggeln.
Eine schlimme Woche also für alle Freunde Europas? Abwarten.
Was die Griechenland-Nummer betrifft: Ich bin ja sonst gerne bei den Ersten, die schreien, wenn der nationale Egoismus sein hässliches Haupt erhebt und die europäische Idee anknabbern will. Aber hier?
Von wegen Bleierne Lady
Wenn ich das mit meinem begrenzten ökonomischen Horizont richtig verstanden habe, läuft der “Bleierne-Lady“-Vorwurf gegen Merkel so: Deutschland hält die Löhne und die Schulden niedrig und exportiert dafür wie ein Weltmeister. Die Mittelmeerstaaten genehmigen sich Lohnerhöhungen und machen Schulden und kaufen mit dem Geld, was die Deutschen herstellen. Die Deutschen haben keinen vernünftigen Konsum, aber eine tolle Wirtschaft, die Mittelmeerstaaten umgekehrt. So hat das jahrelang wunderbar funktioniert. Und jetzt, wo es eng wird, will Deutschland von diesem Wechselspiel mit einem Mal nichts mehr wissen und besteht engherzig wie ein Schrottimmobilienfinanzierer auf pünktliche Begleichung der Rechnungen, stellt sich taub gegenüber dem Appell an die “europäische Solidarität” und will – mon dieu! – die armen Griechen dem IWF und damit den bösen, bösen Amerikanern ausliefern.
Wenn Deutschland als Integrationsmotor ausfällt, dann war es das mit der europäischen Integration,
schreibt Joschka Fischer. Da hat er Recht. Aber wenn es den Euro zerlegt, dann ist es so oder so und auf jeden Fall vorbei mit der europäischen Integration.
Ist die EU wirklich ein so zartes Pflänzchen, dass sie eingehen muss, wenn man sie nicht stündlich mit dem lauen Wasser der deutsch-französischen Aussöhnungslyrik begießt? Ihre Grundlage ist und bleibt die gemeinsame Erkenntnis von Deutschen und Franzosen, dass der jeweilige Weg zu politischer Selbstbestimmung und ökonomischem Wohlstand zwingend nach Europa führt. Inzwischen steht dort, wo Schuman und Adenauer die Grundsteine legten, eine mächtige supranationale Verfassungsordnung. An dem Fundamentalalgorithmus des europäischen Interessenkalküls hat sich nichts geändert.
Die Griechenlandkrise war und ist eine akute und existenzbedrohende Gefahr für Europa, die abgewendet werden muss. Über den richtigen Weg, sie abzuwenden, gibt es Meinungsverschiedenheiten, die mit großer Härte ausgetragen werden. Der Vorwurf, Deutschland drohe den Pfad der europäischen Tugend zu verlassen und zu seinen wicked Sonderways zurückzukehren, gehört zu den taktischen und strategischen Waffen, die dabei zum Einsatz kommen.
Wenn die Gefahr abgewendet und der Euro gerettet sein wird, dann werden wir sehen, ob an der Gleichung Merkel=Bismarck wirklich etwas dran ist. Ich sehe dafür überhaupt keinen Anhaltspunkt. (Ausgerechnet Merkel als “Frau Germania” zu bezeichnen, my ass….)
Nur zu, Madame Malmström
Und jetzt zu “Censilia”, wie die Netzaktivisten die Malmström-Pläne zur EU-weiten Sperrung von Kinderporno-Seiten sinnigerweise getauft haben.
Auf den ersten Blick scheint das auch europapolitisch eine unheilvolle Sache: Wie schon bei der Vorratsdatenspeicherung, so scheint es, werden in Brüssel von eisigen Ängsteschürern in den verschlungenen Gängen der EU-Bürookratie finstere Pläne geschmiedet, um die eigene Macht zu mehren und die Bürger zu entrechten. Auf nationaler Ebene, in unserer schönen bundesrepublikanischen Demokratie, scheiterte die Verschwörung am Widerstand der Aufrechten, aber dazu gibt es schließlich Brüssel, nicht wahr? Da ist ja keine Demokratie, da kann sich keiner wehren. Und nachher muss das Bundesverfassungsgericht es wieder richten, das als einziges den Mut aufbringt, den Brüsseler Dikatoren die Stirn zu bieten.
So das Vorurteil. Wer die Parallele zur Vorratsdatenspeicherung zieht, übersieht allerdings, dass in der Zwischenzeit der Lissabon-Vertrag in Kraft getreten ist, der dem Zweiten Senat in Karlsruhe so arge Bauchschmerzen bereitet hatte. Seither ist die Innen- und Justizpolitik ein ganz regulärer Strang der Gemeinschaft, unterliegt der Kontrolle des Europäischen Parlaments und der Jurisdiktion des Europäischen Gerichtshofs.
Das Europäische Parlament hat bei SWIFT gezeigt, dass es durchaus Spaß daran findet, die Bürgerrechte gegen die Interessen der gouvernementalen Sicherheitspolitik zu verteidigen und sein Profil als eigenständiger politischer Faktor zu schärfen. Da wird es den “Censilia”-Aktivisten nicht an Ansprechpartnern fehlen – und an Gelegenheiten, die eigene europäische Kampagnenfähigkeit unter Beweis zu stellen, auch nicht.
Europa kann das nur nützen. Hier tut sich eine Chance auf, nicht nur das im Entstehen begriffene Checks-and-Balances-System in Europa zu stärken, sondern eine europaweite Bürgerbewegung für ein freies Internet zu etablieren. Das ist doch super!
Also nur zu, Madame Malmström.
So, und jetzt tauche ich wieder ab. Über Ostern bin ich nicht da und werde wohl auch nichts schreiben. Aber keine Sorge, danach wird wieder munter weitergebloggt. Frohe Feiertage.
[…] Der/das Verfassungsblog hat auch noch etwas dazu zu sagen […]
Sehen Sie auch http://www.FreeEurope.info …