Corona Constitutional #5: Schrumpfparlamente
Muss in Zeiten der Pandemie der Deutsche Bundestag auf ein Notparlament zusammenschrumpfen können? Bundestagspräsident Schäuble fordert das. Dabei gibt es bessere und weniger demokratieschädlichere Möglichkeiten, etwa die der Zuschaltmöglichkeit für Abgeordnete in Quarantäne zur Plenardebatte, die das Problem genauso lösen. Darüber diskutiert Max Steinbeis mit ANNA VON NOTZ in der heutigen Folge unseres Krisen-Podcasts.
Vielen Dank für die Ausführungen!
Zum Notausschuss/virtuellen Parlament:
Das Ziel muss sein, auch in Zeiten von Corona die Handlungsfähigkeit des Bundestags und damit die parlamentarische Kontrolle der Regierung sicherzustellen. Soweit sind sich alle Stimmen einig.
Die letzte Sitzung des Bundestages hat m.E. aber gerade NICHT gezeigt, dass das derzeit funktioniert. Allein, dass nicht die Bundesregierung, sondern der Bundestag die “Epidemische Lage von nationaler Tragweite” ausgerufen hat, genügt nicht. Die Formulierungshilfe zur Änderung des IfSG, die das BMG erarbeitet hat und die sich die Koalitionsfraktionen dann zu eigen gemacht haben, beinhaltet massive Kompetenzverschiebungen zugunsten des BMG (§ 5 IfSG). Die von der Regierung erarbeiteten Lösungen wurden vor der Verabschiedung kaum – bzw. in der Unionsfraktion nahezu gar nicht (“Schweigen gilt als Zustimmung”..) – debattiert. Diese wurden auch in den Medien und der Fachöffentlichkeit (einschließlich Verfblog) erst parallel zum Verfahren im BT näher ausgeleuchtet. Auch wenn die Situation keine Verzögerungen von sinnvollen Maßnahmen duldete und duldet, darf das Gesetzgebungsverfahren in Bundestag und Bundesrat und die Prüfung durch den Bundespräsidenten nicht nur als eine Verzögerung wahrgenommen werden. Es ist gerade deren Aufgabe die Sinnhaftigkeit der von der Regierung anvisierten Maßnahmen und Regelungen nicht nur unter Infektionsschutzaspekten, sondern mit Blick auf Grundrechte, Rechtsstaats- und Demokratieprinzip zu prüfen.
Auch ohne Verfassungsänderung wäre eine Auseinandersetzung in den Fraktionen mittels Telekommunikationstechnik möglich gewesen; dies gilt nun nach der GO-Änderung auch für die Ausschüsse. Wie kann also sichergestellt werden, dass diese Art von Auseinandersetzung tatsächlich stattfindet?
Anders als die bloße Änderung der Beschlussfähigkeit in der GO-BT würde ein Notausschuss jedenfalls die körperliche Präsenz von Abgeordneten, der auch das BVerfG für die Art der Debatte im Parlament großes Gewicht beimisst, unter Einhaltung von Infektionsschutzstandards unter Wahrung der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag sowie im GG vorgesehener besonderer Quoren ermöglichen. Die Zahl der Abgeordneten würde dabei jedoch sehr stark verringert; gleichzeitig wären für den Fall steigender Infektionsrisiken mehrere Stellvertreter pro Mitglied des Notausschusses erforderlich. Der Bundestag könnte den Notausschuss selbst einsetzen; ist dieser nicht mehr beschlussfähig, könnte dies auch der Notausschuss. Der Bundestag kann aber die Wahrnehmung seiner Rechte jederzeit wieder an sich ziehen, sobald er wieder beschlussfähig ist, ohne dass der Notausschuss dies blockieren könnte.
Sitzungen mit einer geringeren Anzahl körperlich präsenter Abgeordneter und der Möglichkeit für abwensende Abgeordnete, sich virtuell zu beteiligen und abzustimmen, dürften rechtlich auf Grundlage einer Änderung der Verfassung und der GO-BT ebenfalls zulässig sein. Aber kann die erforderliche Infrastruktur technisch in ausreichender Zeit und mit hinreichender Sicherheit der Datenübertragung bei Abstimmungen und Wahlen eingerichtet werden? Und können sich die Fraktionen und Ausschüsse inhaltlich schnell auf solche Verfahren umstellen, ohne ihre Auseinandersetzung und mithin die Rechte des gesamten Parlaments zu verkürzen?
Und generell stellt sich die Frage,ob in den nächsten Sitzungen des Bundestages überhaupt genügend MdB für eine Verfassungsänderung teilnehmen können werden?
Unabhängig von der rechtlich-technischen Art neuer Handlungsoptionen für das parlamentarische Verfahren, bedarf es auch einer Selbstvergewisserung der Parlamentierer bezüglich der Wichtigkeit der Funktion und Rechte der Parlamente – auf Bundes- wie auf Landesebene. Die letzte Sitzungswoche vor Ostern kann und sollte keine Blaupause für das parlamentarische Verfahren für die weiter andauernde Coronazeit darstellen. Allein die GO-Änderung hinsichtlich der Beschlussfähigkeit genügt nicht. Und auch wenn die derzeitige Osterpause wichtig ist, um auch Infektionsketten, die durch Arbeit und Sitzungen im Parlament entstehen, zu unterbrechen und die Kurve vorerst abzuflachen, darf weiteres Zuwarten ebenfalls keine Lösung der dringenden Fragen vereiteln.
Ihren Appell an die Selbstvergewisserung der Parlamentarier kann ich nur unterstützen! Gerade weil der Bundestag die Kerninstitution unserer Demokratie ist und die Abgeordneten ihre Elementarteilchen sind, muss der Bundestag selbstbewusst auftreten und darf sich nicht selbst kleiner machen, als er ist.
Das würde aber passieren, wenn es zu einem Notparlament käme. Noch dazu ohne Not, denn es ist momentan bei aller Drastik und Dynamik der Situation nicht zu erwarten, dass weniger als 178 Abgeordnete tatsächlich im Plenum zusammenkommen könnten. Und wegen der Bedeutung der Institution finde ich es auch verfehlt zu argumentieren, wie es z.T. geschieht, dass die Abgeordneten mit gutem Beispiel vorangehen und daher zu Hause bleiben müssten.
Ich wage einmal die These, dass die Zuschaltung einzelnen Abgeordneter bei gleichzeitig präsentem Plenum sogar ohne GG-Änderung ginge, da sie das Leitbild der Präsenzversammlung nicht generell aufgibt. Zu klären wäre dann aber natürlich etwa, wie das Verhältnis von physisch anwesenden und zugeschalteten Abgeordneten sein muss.
In Sachen Technik bin ich zuversichtlich, v.a. weil es sich in aller Regel um öffentliche Abstimmungen handelt, bei denen eine Überprüfbarkeit möglich ist. Und weil es bei dem Vorschlag der Zuschaltung ja auch nicht darum geht, das ganze Parlament ins Netz zu verlegen, sodass es auch um andere Kapazitäten geht.
Die Frage der Handlungsfähigkeit, die Sie am Anfang aufwerfen, scheint mir auf einen materiell angereicherten Begriff von Handlungsfähigkeit zu zielen. Nach dem Motto: Ist der Bundestag in der Lage, in einer solch drängenden Situation gute Gesetze zu beschließen? Das ist eine andere Frage als die nach der formalen/technischen Beschlussfähigkeit. Sicher leidet die Debatte von Gesetzentwürfen und auch ihre kritische Prüfung, wenn schnell und nur in einer Lesung entschieden werden muss. Das hätte aber nicht zwingend zu den Lösungen führen müssen, die jetzt gefunden wurden. Im Vorfeld der Plenumssitzung haben nach meinem Wissen zahlreiche Telefonate und Videokonferenzen stattgefunden, in denen heftig um Lösungen und Alternativen gerungen wurde (wenn auch sicherlich in einigen Fraktionen mehr als in anderen – das ist aber im Grundsatz auch ohne Corona-Pandemie der Fall). Dass das nicht immer erfolgreich war, ist meiner Meinung nach kein Argument gegen die Handlungsfähigkeit des Parlaments. Dass fraktionsinterne und plenumsvorbereitende Debatten vollkommen ausbleiben, darf natürlich nicht sein. Auch das ist m.E. eine Selbstverzwergung der Abgeordneten.