07 November 2020

Corona-Kontrolle in der Wohnung?

Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung in der Corona-Pandemie

Seit dem 2. November 2020 befindet sich Deutschland im zweiten Lockdown. Einige Verhaltensmaßgaben, insbesondere Kontaktbeschränkungen, beziehen sich auch auf Wohnungen. Bereits zuvor forderte der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach (SPD) in einem Zeitungsinterview, dass Behörden gegen private Feiern in Wohnungen und Häusern einschreiten mögen, wobei die Unverletzlichkeit der Wohnung kein Argument mehr für ausbleibende Kontrollen sein dürfe. Dagegen wandte sich der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul, mit den Worten: „Wir gehen nicht in Privatwohnungen kontrollieren“. Diese Kontroverse gibt Anlass dazu, das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung unter dem Gesichtspunkt der Corona-Bekämpfung näher zu betrachten. Schon früh in der Pandemie zeigte sich mit der Anzeige von Zweitwohnungsinhabern in Ferienorten die latente Denunziationsneigung einiger Nachbarn. Müssen die Bürgerinnen und Bürger befürchten, dass die Polizei bald die Anzahl der Gäste in einer Wohnung zählt?

Wohnungsbezogene Kontaktbeschränkungen als Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG?

Ausgangspunkt der jüngsten Maßnahmen ist ein Beschluss, der auf der Videokonferenz der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten am 28.10.2020 getroffen wurde: „Der Aufenthalt in der Öffentlichkeit ist […] ab sofort nur mit den Angehörigen des eigenen und eines weiteren Hausstandes jedoch in jedem Falle maximal mit 10 Personen gestattet. […] Darüber hinausgehende Gruppen feiernder Menschen auf öffentlichen Plätzen, in Wohnungen sowie privaten Einrichtungen sind angesichts der ernsten Lage in unserem Land inakzeptabel.“ Anschließend haben viele Landesregierungen in ihren Coronaschutzverordnungen entsprechende Personenkreisvorgaben und Personenobergrenzen für Zusammenkünfte in Wohnungen aufgenommen (z.B. Bayern und Berlin) – nicht dagegen bspw. Nordrhein-Westfalen.

Teilweise finden sich Stimmen, die dafür plädieren, auch die Wohnungsnutzung betreffende Beeinträchtigungen als Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG zu werten (vgl. Kühne, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 13 Rn. 21). Dies ist jedoch abzulehnen. Anders als die meisten Freiheitsgrundrechte schützt das Grundrecht nicht bestimmte Tätigkeiten (innerhalb der Wohnung), sondern schirmt eine bestimmte Sphäre vor dem Eindringen des Staates ab. Nutzungsbeschränkungen stellen daher grundsätzlich keinen Eingriff dar. Es ist folglich weder das Hören lauter Musik noch der Betrieb eines Kamins in einer Wohnung von Art. 13 Abs. 1 GG geschützt. Auch das soziale Zusammentreffen von Menschen in einer Wohnung wird erst dann zu einem Thema dieses Grundrechts, sobald der Staat sich mit einem Fuß, Auge oder Ohr in die Wohnung hineinbegeben möchte.

Zur effektiven Unterbindung eines Verstoßes wird es sich jedoch regelmäßig nicht vermeiden lassen, dass Ordnungsbehörden oder die Polizei in die Wohnung eindringen müssen. Allerdings kann Art. 13 Abs. 1 GG dem Gesetzesvollzug Grenzen setzen. Eine unter Gesetzes- und Richtervorbehalt stehende Durchsuchung (Art. 13 Abs. 2 GG) ist vom bloßen Betreten der Wohnung als sonstigem Eingriff (Art. 13 Abs. 7 GG) zu unterscheiden. Sofern sich Feiernde nicht etwa in Wäschetruhen und Schränken verstecken, wird die Durchsetzung von wohnungsbezogenen Corona-Regeln regelmäßig nicht mit einer Durchsuchung verbunden sein.

Anwendungsfall der verfassungsunmittelbaren Schranke?

Geht es um die Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr benötigen Behörden keine erst vom Gesetzgeber zu schaffende Ermächtigungsgrundlage. Das Grundgesetz stellt hier ausnahmsweise selbst die Ermächtigungsgrundlage in Art. 13 Abs. 7 Alt. 1 GG zur Verfügung (BVerfG [K], NJW 2018, 2185 Rn. 21; str.). Da die Norm eine konkrete Gefahr voraussetzt, scheidet eine Lebensgefahr bei Verletzung von Kontaktverboten aus. Sie kann bei COVID-19 ohne Entgrenzung des Gefahrenbegriffs kaum hinreichend prognostiziert werden.

Die Seuchengefahr gilt als typisches Beispiel einer gemeinen Gefahr. Daraus könnte man schließen, dass das Betreten einer Wohnung zur Durchsetzung von Regeln, die – wie Kontaktbeschränkungen – das Ingangsetzen einer neuen Infektionskette verhindern sollen, schon ohne eine besondere Rechtsgrundlage möglich ist. Abgesehen davon, dass auch hier das Vorliegen einer konkreten Seuchengefahr zweifelhaft ist – ein nachweislich Infizierter oder Ansteckungsverdächtiger wird oftmals nicht unter den Gästen sein – und sich die Frage stellt, ob die verfassungsunmittelbare Ermächtigung durch spezielles Recht verdrängt werden kann, ergeben sich gegen den Rückgriff auf das Grundgesetz weitere Bedenken: Wenn Art. 13 Abs. 7 Alt. 1 GG auf das einfache Recht gänzlich verzichten will, dann muss es hier letztlich um Gefahren gehen, die auch ohne Verweis auf das einfache Recht zu bejahen sind. Geht es um die Durchsetzung einer nur auf einfachgesetzlicher Grundlage denkbaren Verhaltenspflicht (hier aus den Coronaschutzverordnungen), die der Seuchenbekämpfung dient, ist eine verfassungsunmittelbare Handlungsbefugnis abzulehnen.

Qualifizierter Gesetzesvorbehalt des Art. 13 Abs. 7 Alt. 2 GG

Es bleibt somit beim qualifizierten Gesetzesvorbehalt des Art. 13 Abs. 7 Alt. 2 GG, der verlangt, dass der Eingriff zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit erfolgt, wobei das Grundgesetz Seuchengefahren ausdrücklich erwähnt. Der Begriff der dringenden Gefahr ist umstritten. Unbestritten ist ihm nur die Forderung nach Hochrangigkeit des gefährdeten Rechtsguts immanent. Isoliert betrachtet mag man der dringenden Gefahr zudem eine zeitliche Komponente zumessen. Mit der „Verhütung“ erfolgt jedoch eine Vorverlegung des Gefahrenzusammenhangs, da auch Maßnahmen legitimiert werden, die dem Eintritt einer dringenden Gefahr vorbeugen sollen (Kluckert, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 13 Rn. 27). Damit wird eine enge zeitliche Eingrenzung zwangsläufig unterspült. Verbindet man mit dem Bundesverfassungsgericht die Wahrscheinlichkeit des zu erwartenden Schadens mit der dringenden Gefahr (BVerfGE 141, 220 Rn. 184) kann nicht aus den Augen gelassen werden, dass erstens sich der benötigte Wahrscheinlichkeitsgrad reziprok zur Bedeutung des Rechtsguts verhält, das bei der dringenden Gefahr gerade ein hochrangiges sein muss, und zweitens die Verhütungskonstellation auch bei der Wahrscheinlichkeit Abstriche einfordert. Sofern es um hochrangige Rechtsgüter geht, legitimiert Art. 13 Abs. 7 GG folglich auch Ermächtigungsgrundlagen, die auf den Nachweis einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit im Einzelfall verzichten und eine Nachweisführung nach allgemeinen Erfahrungssätzen ausreichen lassen. Daher errichtet die dringende Gefahr in der Verhütungskonstellation im Falle der Corona-Pandemie keine hohe Hürde. Allerdings verlangt sie von den Vollzugsbehörden eine Vergewisserung über den Beitrag von privaten Treffen in Wohnungen zum Infektionsgeschehen. Damit verlangt sie jedoch nicht mehr als das Verhältnismäßigkeitsgebot.

Ist die effektive Störungsunterbindung mit dem Betreten der Wohnung verbunden, fordert Art. 13 Abs. 7 Alt. 2 GG ferner eine gesetzliche Grundlage.

Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die „notwendigen Schutzmaßnahmen“. Dass die Generalklausel mit ihrer weiten Rechtsfolgenvarianz die Verwaltung ermächtigt, in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung einzugreifen, ergibt sich aus dem „Zitat“ in § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG (vgl. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG). Bedenken erheben sich aber gegen eine Konstruktion, die in § 28 Abs. 1 GG zugleich die Rechtsgrundlage dafür sieht, die auf dieser Grundlage angeordneten Schutzmaßnahmen zu vollstrecken. So ist in der polizeirechtlichen Generalklausel auch nicht zugleich die Befugnis zu erblicken, die „notwendigen Maßnahmen“ zu treffen, um die „notwendigen Maßnahmen“ durchzusetzen. Daher ist anzunehmen, dass notwendige Schutzmaßnahmen nach § 28 Abs. 1 IfSG „bei Nichtbefolgen im Wege des Verwaltungszwangs je nach Einzelfall durch Ersatzvornahme, Zwangsgeld oder unmittelbaren Zwang durchgesetzt werden“ (Kießling, in: Kießling, IfSG, 2020, § 28 Rn. 87).

Die Ordnungsbehörden- und Polizeigesetze der Länder umfassen in Gestalt von Standardmaßnahmen Ermächtigungsgrundlagen, die das Betreten von Wohnungen regeln, sich aber teilweise (nicht unerheblich) unterscheiden. Im Folgenden soll kurz auf die weitgehend ähnlichen Regelungen in Berlin und Nordrhein-Westfalen eingegangen werden. Kurios und paradox zugleich mutet es an, dass danach die verbotenen Zusammenkünfte gerade in der besten Feierzeit zwischen 21 und 6 Uhr vor behördlicher „Störung“ sicher sind, solange die Teilnehmer nur eine Ruhestörung (Immissionen) vermeiden.

Nach nordrhein-westfälischem und Berliner Recht (§ 41 PolG NRW, § 24 Abs. 1 Nr. 12 OBG NRW, § 36 ASOG Bln) scheiden jedenfalls alle Tatbestände aus, die ein jederzeitiges Betreten der Wohnung ermöglichen (Straftaten von erheblicher Bedeutung, Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Bestimmungen, Verbergen von gesuchten Straftätern, Prostitution, Immissionen aus der Wohnung sowie eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben, Freiheit einer Person oder für Sachen von bedeutendem Wert). Außerhalb der Nachtzeit (§ 104 Abs. 3 StPO) dürfen Ordnungsbehörden oder die Polizei die Wohnung zusätzlich betreten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich in der Wohnung eine Person befindet, die in Gewahrsam genommen werden darf (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PolG NRW, § 36 Abs. 2 ASOG Bln). Personen dürfen u.a. in Gewahrsam genommen werden, wenn das unerlässlich ist, um die Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Da Verstöße gegen die wohnungsbezogenen Kontaktbeschränkungen bußgeldbewehrt sind, handeln Wohnungsinhaber und Besucher ordnungswidrig. Angesichts des Umstandes, dass in einer Wohnung ausgelöste Infektionsketten sich nicht auf den vorstehend genannten Personenkreis beschränken würden, und mit Blick auf die wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Nachteile der Corona-Epidemie wird man es wohl als vertretbar ansehen können, den betreffenden Ordnungswidrigkeiten eine erhebliche Bedeutung für die Allgemeinheit zuzusprechen (vgl. noch die Einschränkung unten). Nach dem Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage muss sich in der Wohnung eine Person befinden, die in Gewahrsam genommen werden darf. Nimmt man den Wortlaut ernst, wird man dazu auch die formellen Voraussetzungen der Ingewahrsamnahme zählen müssen. Damit tritt der Vorbehalt einer grundsätzlich vorher einzuholenden richterlichen Entscheidung über Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Hintertür wieder in die Wohnung ein, der aber in der Praxis gerne durch vorschnelle Annahme von Gefahr im Verzug umgangen wird.

Verhältnismäßigkeit

Die für die Durchsetzung wohnungsbezogener Kontaktbeschränkungen herzustellende Nähe zur Ingewahrsamnahme muss Fragen nach der Verhältnismäßigkeit aufwerfen. Dies gilt zunächst für die Rechtsetzungsebene, wo von der Verhältnismäßigkeit die Gültigkeit der Norm abhängt: Wohnungsbezogene Kontaktbeschränkungen stellen einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar. Einschlägig dürfte sogar das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) sein. Mindestvoraussetzung der Verhältnismäßigkeit ist eine kurze Befristung der Verbote, die den Regelungsgeber immer wieder zur Überprüfung seiner Corona-Maßnahmen zwingt. Für die Verhältnismäßigkeit ist ferner von höchster Relevanz, dass sich der erhebliche Beitrag von privaten Treffen in Wohnungen zum Infektionsgeschehen anhand der Daten des RKI nachweisen lässt. Ein Schuss in die Nebelwand ohne nachweisbaren Nutzeffekt reduziert jedenfalls deutlich das Gewicht der verfolgten Gemeinwohlbelange, auch wenn diese abstrakt gesehen – wie die Gesundheit – als schwergewichtig erscheinen mögen (vgl. Kluckert, JuS 2015, 116 ff.). Dass der zweite Lockdown auch auf vorangegangene Tatenlosigkeit (z.B. wurde die Problematik der Reiserückkehrer erst Ende Juli 2020 erkannt, als in vielen Bundesländern die Sommerferien fast vorbei waren) und Vollzugsdefizite (wie viele Ressourcen hat der Staat in den letzten Monaten zur Ahndung von StVO-Verstößen im ruhenden Verkehr eingesetzt und wie viele zur Überwachung der Hygiene-Regeln?) zurückzuführen ist, reduziert dagegen auf Rechtsetzungsebene nicht das Gewicht der verfolgten öffentlichen Interessen. Denn die negativen Auswirkungen vorangegangener Fehlleistungen müssen korrigiert werden können. Geht es um die Durchsetzung der neuen Regeln, ist auf Rechtsanwendungsebene ebenso der Beitrag von privaten Treffen in Wohnungen zum Infektionsgeschehen relevant. Er beantwortet auf dieser Ebene die Frage, ob überhaupt eine dringende Gefahr verhütet wird (Art. 13 Abs. 7 GG) und ob das Tatbestandsmerkmal der „Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ erfüllt ist. Dazu müssen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auf Rechtsanwendungsebene natürlich alle Umstände des Einzelfalls gewürdigt werden.

Müssen also die Bürgerinnen und Bürger befürchten, dass die Polizei in ihrer Wohnung die Regeln durchsetzt? Rechtlich gesehen mag dies (insbesondere am Tag) wohl möglich sein, sofern man Exekutivdekrete als Grundlage der Schutzmaßnahmen unzutreffend immer noch akzeptiert (vgl. Kluckert, in: ders., Das neue Infektionsschutzrecht, 2020, § 2 Rn. 80 ff., 96 ff., 176 ff.). Angesichts weiterhin bestehender Vollzugsdefizite sollten es sich behördliche Entscheidungsträger aber zweimal überlegen, ob sie ausgerechnet in den Wohnungen anfangen zu zeigen, wie schlagkräftig die Ordnungsverwaltung ist.


10 Comments

  1. Leser Mon 9 Nov 2020 at 11:07 - Reply

    Die Gewahrsams-Konstruktion dürfte daran scheitern, dass es sich bei den entsprechenden Fällen immer um eine Durchsuchung, nicht ein bloßes Betreten handelt, was ebenfalls einem Richtervorbehalt aus Art. 13 GG unterfällt. Denn äußerst selten wird der Polizist vor der Wohnung ja denken, dass da eine ganz bestimmte Person drin ist, die er in Gewahrsam nehmen muss. Er wird nur vermuten, dass dem so ist, also muss er erst suchen (“Tatsachen die Annahme rechtfertigen…”). Das unterscheidet sich etwa von dem Fall, dass die Polizistin draußen einen rauchenden Schornstein sieht und daher weiß, dass im Inneren entgegen der Bauordnung ein Kamin betrieben wird (“von der Wohnung Immissionen ausgehen… [Betonung auf “Ausgehen”, nicht “Ausgehen können” o.Ä.]). Dann Betritt sie nur, da sie nicht mehr suchen will, sondern nur die Gefahr beseitigen will.
    Im Übrigen gibt es für die hier in Rede stehende Konstellation eine Ermächtigungsgrundlage: §§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. 102-105 StPO zur Verfolgung und die Sicherheitsrechtlichen Landesvorschriften zur Durchsuchung zur Verhütung. Das “Kontrollieren” einer Wohnung ist eben kein bloßes Betreten, sondern ein Durchsuchen. Das geht nicht ohne Anlass und für den Rest muss man zuerst einen Richter finden, der das absegnet. Wer einen Anlass hat, wird aktuell aber auch einen Richter finden, der dafür die Freigabe erteilt (wenn dieser die Zeit dafür hat).
    § 28 IfSG ist taugliche Ermächtigungsgrundlage nur für das Betreten, wenn etwa eine Wohnung dekontaminiert werden muss. Auch das kann man anders sehen, dann müsste man die Vorschrift aber ebenfalls verfassungskonform dahin auslegen, dass sie einen ungeschriebenen Richtervorbehalt im Falle der Durchsuchung enthält.

    (Alles auf der Grundlage, dass die Unterscheidung zwischen Durchsuchen und Betreten tatsächlich in Art. 13 GG angelegt ist, was sich mit guten Gründen auch anderes sehen lässt.)

    • Christian Fri 27 Nov 2020 at 17:51 - Reply

      Da ist soviel inhaltlich falsch, dass ich nicht mal weiß, wo ich anfangen soll!
      StPO = Strafverfolgung
      PolG = Gefahrenabwehr, daran werden andere Anforderungen gestellt und es muss nicht zwingend ein Richter angerufen werden!!!!

      • Yonk Wed 16 Dec 2020 at 00:35 - Reply

        Uff. Was ein Kommentar. Das sind schon legitime Einwände, die sich speziell auf die Unterscheidung Durchsuchung/Betreten und die Ingewahrsamnahme als Legitimationsgrundlage und Ziel des Betretens beziehen.

  2. […] sobald der Staat sich mit einem Fuß, Auge oder Ohr in die Wohnung hineinbegeben möchte“ (Kluckert, VerfBlog, 2020/11/07, auch näher zur Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 13 Abs. 1 […]

  3. Frank Tue 12 Jan 2021 at 20:41 - Reply

    “[…], der aber in der Praxis gerne durch vorschnelle Annahme von Gefahr im Verzug umgangen wird.”

    Was genau könnte denn in einem solchen Fall eine Gefahr im Verzug darstellen bzw. weshalb sollte sie Voraussetzung sein, um gegen den Willen des Besitzers die Wohnung betreten zu dürfen?

    Der § 35 PolG NRW nennt nach meinem Verständnis ja Gründe, die eine Ingewahrsamnahme auch ohne Vorliegen von Gefahr im Verzug erlauben, ohne dass bereits vorher eine richterliche Anordnung vorliegt (auch wenn diese ggf. anschließend unverzüglich eingeholt werden muss). Mir hat sich dabei noch nicht erschlossen inwiefern es Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG nun dennoch wieder erfordert, die richterliche Anordnung *vorher* einzuholen, besonders da dieser auch zwischen Freiheitsentziehung auf Basis einer richterlichen Entscheidung und sonstigen Freiheitsentziehungen differenziert. Habe ich da etwas falsch verstanden?

    • Frank Tue 12 Jan 2021 at 20:54 - Reply

      Ergänzung/Präzisierung: Gemeint ist vielmehr, dass der § 41 i. V. m. § 35 PolG NRW das Betreten ohne Zustimmung des Besitzers (tagsüber) auch ohne Gefahr im Verzug ermöglicht, um die Ingewahrsamnahme durchzuführen, auch wenn die richterliche Anordnung noch nicht vorliegt. Auch die Formulierung des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG scheint dem nicht entgegenzustehen.

  4. Kai Sat 23 Jan 2021 at 23:02 - Reply

    Auch in Niedersachsen geht man im Moment davon aus, dass man eine Whg. coranabedingt betreten und durchsuchen kann, wenn von der Wohnung Immissionen ausgehen ($ 24 NPOG). Gemeint ist damit auch ruhestörender Lärm. Man versucht mit dem Erst-recht-Schluss zu argumentieren, indem man sagt, wenn man für eine Ruhestörung schon in die Whg. darf, dann wohl erst recht zur Coronaverfolgung. Das würde aber bedeuten, dass man so immer in die Whg. darf, wenn etwas höherwertig anzusiedeln wäre, als eine Ruhestörung.

    • Prof. Dr. Dirk Bruns Wed 3 Mar 2021 at 14:40 - Reply

      Sehr geehrter Herr Kluckert,
      die Ausführungen sind interessant und kommen m.E. schließlich zu einem verwaltungspraktisch richtigen Ergebnis. – Dennoch sind die Ausführungen leider nicht sehr klar. Die Rechtmäßigkeit des Vorgehens bei Betreten von Wohnungen ist von der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen einer Eingriffsnorm und der Verhältnismäßigkeit abhängig. Diese Prüfung wird obenstehend aufbautechnisch eher irritierend mit der Verfassungsmäßkeit der möglicher Eingriffsnormen und einer breiten allgemeinen Schrankerörterung verbunden. Selbstverständlich muss zunächst die Verfassungsmäßigkeit der Eingriffsnorm geklärt werden, was vorliegend aber unstreitig sein dürfte (§ 28 Infektionsschutzgesetz; § 41 PolG NRW). Es wäre hilfreich gewesen, auf die Entscheidung des OVG NRW vom 4.11.2008 – 13 E 1290/08 hinzuweisen.

  5. Marcus Tue 2 Mar 2021 at 20:59 - Reply

    Ich habe eine Frage: Wie vertragen sich die Einschränkungen Ihrer Meinung nach mit dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit? Völlig naiv gelesen erlaubt das GG es nicht, Versammlungen, die nicht unter “freiem Himmel” stattfinden, in irgendeiner Form einzuschränken. Es ist auch nirgendwo vorgegeben, daß die Versammlung einem bestimmten Zweck, z.B. der politischen Willensäußerung, dienen muß. Die einzigen Einschränkungen im gesamten Artikel sind “friedlich” und “ohne Waffen”.

    Ich weiß, ich stelle meine Frage sehr spät, würde mich aber dennoch über eine Antwort freuen.

  6. Christian Amann Fri 26 Mar 2021 at 01:08 - Reply

    Sehr geehrter Herr Kluckert, hallo und viel Spaß im Homeoffice! Besonders nach der meiner Meinung nach vefassungswidrigen Erweiterung des § 22 Ar(b)schG; das hat doch dort gar nichts verloren oder? Die Unverletzlichkeit der Wohnung soll wohl immer mehr aus dem Bewusstsein der Menschen entrückt und so ein Eindringen der Exekutivkräfte durch die bildlich gesprochene Hintertür erleichtert werden. Eine Einordnung dieser “Gesetzesumtextung” ihrerseits würde mich brennend interessieren. Und vielen Dank für ihren Einsatz. Herzlichst C. A.

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