01 August 2013

Das Bundesverfassungsgericht als Parteifachgericht

Der 23. Juli war ein guter Tag in der Rintheimer Querallee 11 in Karlsruhe. Gleich zwölf Verfahren  konnte der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts als erledigt auf die Seite legen. Zugleich konnte das Gericht die Premiere eines neuen verfassungsprozessualen Instituts feiern: die Nichtanerkennungsbeschwerde nach § 18 Abs. 4a BWahlG, der „lex Sonneborn“. Das Verfahren wurde relevant, nachdem der Bundeswahlausschuss in seiner Sitzung vom 4. Juli den Daumen über eine ganze Reihe hoffnungsvoller Kleinstparteien und Bundestagswahl-Aspiranten gesenkt hatte. Ihnen hatte der Gesetzgeber im Juli 2012 Remedur durch das neue Verfahren verschafft, mit dem erstmals Rechtsschutz gegen die Nichtzulassung einer Partei zur Wahl vor der Wahl möglich wurde. Was war geschehen?

Verwaltungsverfahren in der Bananenrepublik

Sozialisiert im Umfeld der Humor-Anarchisten des Frankfurter Magazins „Titanic“ hatte sich Martin Sonneborn 2004 an einen satirischen Marsch durch die Institutionen gemacht und die „Partei  für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ gegründet, kurz: „Die Partei“. Zeigte sich das politische System zunächst noch konziliant und ließ „Die Partei“ etwa zur vorgezogenen Bundestagswahl 2005 zu, war 2009 dann überraschend Schluss mit lustig, denn „Die Partei“ scheiterte vor den Schranken des Bundeswahlausschusses.  Die Übertragung jener Sitzung per Video-Livestream verbreitete einen stechenden hautgôut bananenrepublikanischer Verwaltungsverfahren, so dass auch der hartleibigste Wahlrechtsdogmatiker nicht anders konnte, als sich mit dem Riechsalz der Rechtsschutzerweiterung Linderung zu verschaffen: Ein in Teilen offenbar uninformierter Bundeswahlausschuss hatte im Akkord die Zulassungsanträge der Parteien abgehandelt, ihnen das Recht zur Kandidatur mal zu und auch mal abgesprochen und insgesamt schlicht kurzen Prozess gemacht. Legitimation durch Verfahren? Fehlanzeige!

Sonneborns Wahlprüfungsbeschwerde gegen die Nichtzulassung blieb vor dem Bundesverfassungsgericht – Monate später – schon aus Zulässigkeitsgründen ohne Erfolg. Aber auch in der Sache selbst wäre wohl nicht viel zu holen gewesen, denn der Erfolg von Wahlprüfungen steht unter der nur allzu praktischen Bedingung, dass der gerügte Fehler mandatserheblich für den Ausgang der Wahl geworden sein muss. Das war bislang – ein Schelm, wer Böses dabei denkt – zum Glück nie der Fall.

Rechtsschutzlücken im „Recht der Politik“

Dass das Fehlen jeglichen Rechtsschutzes im Parteizulassungsverfahren einerseits und der praktisch weitgehende Ausfall des Wahlprüfungsverfahrens andererseits rechtspolitisch letztlich kaum überzeugend war, lag dabei stets auf der Hand. Auch führte der Umstand, dass Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Kreis- und Landeswahlausschüsse durchaus möglich war, gegen Entscheidungen des Bundeswahlausschusses indes nicht, zu – nun ja – konzeptionellen Spannungslagen. Und in der Tat nahm es wunder, dass die für eine repräsentative Demokratie doch nicht ganz nebensächliche Frage, wer zur Wahl antreten darf und wer nicht, allein im nachgelagerten Verfahren der Wahlprüfung ausreichend effektiv sollte geprüft werden können.

Nachdem dies einer ganz großen parlamentarischen Koalition schließlich auch unhaltbar erschien, entschloss man sich zur Reform des wahlrechtlichen Rechtsschutzsystems. Die Nichtanerkennungsbeschwerde wurde als neue Verfahrensart erschaffen, um den Armen und (der Partei der) Bedrängten des Wahlzulassungsverfahrens einen Rettungsschirm aufzuspannen. Und die Armen und Bedrängten, sie kamen, nicht gerade zuhauf, aber doch immerhin zu zwölft und wandten sich nach Maßgabe der Art. 93 Abs. 1 Nr. 4c GG, § 18 Abs. 4a BWahlG an das Verfassungsgericht.

Viel Unzulässiges, viel Unbegründetes, viel Vergnügen

Nur in einem der zwölf Verfahren  korrigierte das Gericht die Entscheidung des Bundeswahlausschusses – die verbleibenden elf litten, so erweist die Lektüre, unter eher gravierenden Mängeln, die es jenseits aller rechtlichen Erwägungen beruhigend erscheinen lassen, dass den Beschwerdeführern die Teilnahme an der Wahl verwehrt bleibt. Denn schaut man genauer, entpuppen sich eine Reihe dieser Verfahren als taugliche Gegenstände eines launigen Gesprächs für einen verfassungsgerichtlichen Senatsgrillabend, getreu der Devise „Du glaubst nicht, wer heute schon wieder zur Wahl antreten wollte…“. Die Beschwerde der „Sustainable Union“ etwa war schon deshalb nachhaltig unzulässig, weil sie nicht erkennen ließ, von wem sie eingelegt worden war, eine Unterschrift fehlte. Nicht wenige der Beschwerdeführer hatten darauf verzichtet, sich der Mühe eines substantiierten Sachvortrags zu unterziehen oder Beweismittel vorzulegen. Das „Deutsche Reich – Das Herz Europas“ hatte es verabsäumt, seine Zulassungsunterlagen mit den drei (in Buchstaben: d-r-e-i !) Unterschriften eines ordentlich bestellten Vorstandes zu  versehen, hatte es vor Gericht dann aber immerhin über die Hürde der Zulässigkeit geschafft, was für das „Deutsche Reich“ ja doch bemerkenswert ist.

Die „Partei der Bedrängten“ hingegen hat das Gericht zu etwas weiterführenden Erwägungen veranlasst. An deren Ende stand aber noch immer, dass dort, wo acht im Namen der Partei versammelt seien, vielleicht politischer Wille vorhanden, für die Teilnahme an Wahlen aber keine hinreichend verfestigte Organisationsstruktur gegeben sei. „Die Nächsten“ hatten es unterlassen, vollständige Zulassungsunterlagen vorzulegen, unter anderem fehlte ein schriftliches Programm. Dies hielt sie freilich nicht davon ab, gleichwohl den Karlsruher Senat in Hoffnung auf etwas richterliche „Nächsten“-Liebe um Rechtsschutz anzurufen – leider vergeblich!  War es den „Grauen“ offenbar nicht nur vor Gericht, sondern schon im Zulassungsverfahren selbst entfallen, Nachweise über ihre Organisationsstruktur vorzulegen, fühlte sich die „0%-Hürdenpartei“ etwas voreilig von der hohen Hürde der viertägigen Einspruchsfrist entbunden, die § 18 Abs. 4a BWahlG statuiert. Immerhin strauchelte sie nicht allein an jener Hürde, sondern traf dort auf die „Vereinigung Freie Wähler Deutschland“ und die „Jahw Partei/Neue Soziale Union/Freie Soziale Union“, von denen letztere unter Fristgesichtspunkten mutmaßlich ein wenig zu lange über ihre offizielle Bezeichnung debattiert hatte (Links zu den einzelnen Beschlüssen gibt es hier).

Dass die Beratungen über die Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde womöglich aber nicht allein unterhaltsam waren, zeigt der einzige Beschluss, in dem das Gericht der beschwerdeführenden Partei folgte und diese, die „Deutsche Nationalversammlung“ (DNV), zur Wahl zuließ. In der Sache ging es allein um formale Fragen der Richtigkeit und Vollständigkeit der eingereichten Zulassungsunterlagen. Denn gem. § 18 Abs. 2 S. 2 BWahlG muss die Partei in ihrer Beteiligungsanzeige den Namen angeben, unter dem sie zur Wahl antreten will.

Die von der DNV eingereichte Beteiligungsanzeige „enthielt auf Seite 1 das Logo „Deutsche Nationalversammlung – DNV“; im Text nannte sich die Beschwerdeführerin nur noch „DNV“. Artikel 1 der beigefügten Satzung bezeichnete „Deutsche Nationalversammlung (DNV)“ als Namen. Eine unbefangene Parallelwertung in der Laiensphäre legt nahe, dass damit das Erfordernis der Namensnennung doch wohl erfüllt sein sollte – nicht so indes der Bundeswahlausschuss, dem weder diese noch alle weiteren auf Anforderung von der DNV vorgelegten Unterlagen ausreichten, um zu einer positiven Zulassungsentscheidung zu kommen. Vielmehr, so trug die DNV vor, habe „die Sachbearbeiterin (…) darauf bestanden, eine Beteiligungsanzeige zu erhalten, die den vollen Namen im Einleitungssatz enthalte“ –  in der Überzeugung, der Grundsatz der Formstrenge des Wahlrechts gebiete dies.

Wahlzulassung als Wahlbeteiligungsermöglichungsverfahren

Nun ist der Grundsatz der Formstrenge im Wahlrecht mit Recht anerkannt, allerdings handelt es sich dabei nicht um einen den Rechtsregeln des BWahlG vorausliegenden Grundsatz, gar um ein Korrektiv einer ansonsten recht klaren gesetzlichen Regelung. Der Auffassung des Bundeswahlausschusses ist das Bundesverfassungsgericht dann auch in insgesamt knappen, deutlichen Worten entgegengetreten. Denen mag man getrost die Wertung entnehmen, dass das Wahlzulassungsverfahren, aller Formenstrenge zum Trotz, eher ein Wahlbeteiligungsermöglichungsverfahren, nicht aber ein -verhinderungsverfahren sein soll. Freilich ist diese Wertung den Ausführungen nur im Wege „ergänzender“ Auslegung zu entnehmen. Denn insgesamt sind die Ausführungen des Gerichts hier und auch in den weiteren, sich zur Begründetheit der Beschwerden einlassenden Beschlüssen kaum verfassungsrechtlichen Gepräges, sondern im Wesentlichen durch fachgerichtlich erscheinende Tatsachenwertungen gekennzeichnet. Begünstigt wird dies durch die vom Verfassungsgericht vertretene Parallelisierung des Parteienbegriffs in § 2 Abs. 1 PartG mit dem des Art. 21 Abs. 1 GG. Im Ergebnis ist daher hier wie andernorts im Parteienrecht eine Unterscheidung zwischen der Auslegung des einfachen Rechts und des Verfassungsrechts praktisch unmöglich geworden. Was das für die Frage nach Prüfungsmaßstab und Prüfungsgegenstand des Nichtanerkennungsverfahrens und damit auch für die Rolle des Bundesverfassungsgerichts in diesem Verfahren letztlich bedeutet, bleibt abzuwarten. Erkennbar wird jedenfalls, dass neben dem Parteiverbotsverfahren – als dem beweisrechtlichen Schreckgespenst des Bundesverfassungsgerichts – das Nichtanerkennungsverfahren das Gericht in die Rolle einer Tatsacheninstanz bringt, mit allen daraus folgenden Konsequenzen.

BVerfG als parteienrechtliche Tatsacheninstanz

In dem Maße aber, in dem die vom Gericht im Verfahren der Nichtanerkennungsbeschwerde zu entscheidenden Fragen ihren Charakter als Verfassungsrechtsfragen verlieren, klaffen der hohe Symbolwert einer verfassungsgerichtlichen Senatsentscheidung und der Sachgehalt der jeweiligen Entscheidungen auseinander. Man mag dies auch daran erkennen, dass die „Maßstäbeteile“ der Beschlüsse und die eigentliche Subsumtion teils schon rein quantitativ eklatant auseinanderfallen. Es wird also, dazu hat der Gesetzgeber das Gericht gezwungen, mit verfassungsrechtlichen Kanonen auf tatsächliche, schwer durchschaubare Spatzen geschossen. Insofern wirft die noch junge Entscheidungspraxis die Frage auf, ob das Verfahren, entgegen aller gutgemeinten Gründe für die Ansiedlung beim Bundesverfassungsgericht, nicht doch besser bei den Verwaltungsgerichten aufgehoben gewesen wäre.

Dieser Artikel wurde zuerst auf dem JuWiss-Blog veröffentlicht und wird hier mit freundicher Genehmigung des Autors crossgepostet.


2 Comments

  1. Dr. Hartmut Rensen Thu 1 Aug 2013 at 16:00 - Reply

    Genau! Eine Ansiedlung bei den Verwaltungsgerichten hätte zudem die Vorteile gehabt, dass 1. eine weitere Belastung des BVerfG mit allzu oft wenig bedeutsamen (Verwerfung wegen Unzulässigkeit) Verfahren vermieden worden wäre und 2. das BVerfG sich allenfalls mit rechtlich und tatsächlich im fachgerichtlichen Verfahren vorgeklärten Fällen hätte befassen müssen, wie das auch sonst weitgehend vorgesehen ist Rechtswegerschöpfung, Subsidiarität, strenge Zulässigkeitsvoraussetzungen für konkrete Normenkontrolle usw.). Schließlich und 3. ist auch die vorgesehene Zuständigkeit des Senats angesichts des Inhalts der Beschwerden sehr fragwürdig. Auch wenn mir die Bedeutung des Wahlrechts und die verfassungsrechtliche Prägung vieler wahlrechtlicher Fragen einleuchtet, ist mir unbegreiflich, wie man eine undifferenzierte Senats-Zuständigkeit des BVerfG vorsehen hat können. Da sollte nachgebessert werden!

  2. Matthias Mon 5 Aug 2013 at 15:33 - Reply

    Also, ich halte die Zuständigkeit für sinnvoll. Es ist Wahlrechtsschutz, wenn auch präventiv, und der sollte beim BVerfG angesiedelt sein. Und, nun ja, 12 Verfahren alle vier Jahre wird das BVerfG wohl verkraften – zumal wenn sie sich so einfach erledigen lassen wie die aus diesem Jahr. Was mir im Nachhinein allerdings ebenfalls nicht einleuchtet (im Gesetzgebungsverfahren war mir das gar nicht in den Sinn gekommen), ist die Zuständigkeit des Senats für jede dieser Sachen. Da stimme ich meinem Vorredner zu.

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