Das CETA-Ratifikationsgesetz bedarf nicht der Zustimmung des Bundesrates!
…jedenfalls nicht deswegen, weil Interessen der Länder berührt wären, und schon gar nicht, weil einzelne Landesregierungen CETA verhindern wollen, koste es, was es wolle.
Nachdem nun die Wallonie einen Weg gefunden hat, CETA zuzustimmen, wird das Widerstandspotential an anderen Orten entwickelt. Daher häufen sich in den letzten Tagen Stellungnahmen, wonach einer Ratifikation von CETA (also dem nächsten Schritt nach der Genehmigung durch den Rat) nicht nur das Europäische Parlament und der Deutsche Bundestag, sondern auch der Bundesrat zustimmen müssten. Bereits Anfang Juli hat die Thüringische Landesregierung dies im Bundesrat beantragt; der Antrag wird ausweislich der Parlamentsdokumentation gegenwärtig in den Ausschüssen beraten. In Presseberichten ist zu lesen, dass das Bundeswirtschaftsministerium seinerzeit ebenfalls diese Auffassung vertrat. Nach dem Ende des wallonischen Dramas meldeten sich nun auch einige Kollegen sowie die Linkspartei entsprechend zu Wort.
Warum soll das künftige CETA-Vertragsgesetz zustimmungspflichtig sein? Die Teilnehmer der Anfangsvorlesungen im Staatsrecht lesen bitte erst im nächsten Absatz weiter, um sich nichts zu merken, was das Bestehen der Anfängerklausur kosten kann. Zustimmungsbedürftig sei das Gesetz, weil CETA tief in Länderinteressen oder Landeskompetenzen eingreife oder, so kann man von einem Kollegen lesen, den allerdings ein nicht gerade als Fachzeitschrift bekanntes Blatt zitiert, weil man es auch bei einem anderen Freihandelsabkommen so gemacht habe.
Der Reihe nach: In der Schockphase nach dem Brexit-Votum ist die Kommission von ihrer bisherigen Linie – Abkommen in alleiniger EU-Kompetenz – abgekehrt und hat CETA als sogenanntes gemischtes Abkommen qualifiziert. Ob das so richtig ist, wissen wir wahrscheinlich erst, wenn der EuGH sein Gutachten zum vergleichbaren Abkommen mit Singapur vorlegt, denn dort ist die ausschließliche Zuständigkeit bestritten worden. Jedenfalls ist mindestens bis dahin von einem gemischten Abkommen auszugehen. Bei einem solchen gemischten Abkommen ratifizieren die EU und die Mitgliedstaaten gemeinsam, damit diejenigen Teile, die in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen, ebenso von einer rechtmäßigen Ratifikation gedeckt sind, wie diejenigen, die in die Kompetenz der EU fallen.
Es ist weiterhin unbestritten, dass eine ausschließliche Kompetenz der EU für sehr große Teile des Abkommens tatsächlich besteht (Art. 207 Abs. 1 und Art. 216 Abs. 1 AEUV). Der Vertragsschluss bezogen auf diese Teile erfolgt durch die Organe der EU; das Europäische Parlament muss zustimmen (Art. 218 Abs. 6 Satz 2 lit. a (v) i.V.m. Art. 207 Abs. 2 AEUV). Für die Teile in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit richtet sich die Ratifikation (einschließlich parlamentarischer Zustimmung) nach innerstaatlichem Verfassungsrecht. In der Bundesrepublik Deutschland ist Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG einschlägig. Diese klare Zuständigkeitsverteilung ist im Verfassungsblog von Christian Tietje sehr schön dargestellt worden.
Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG verlangt vor der Ratifikation durch den Bundespräsidenten eine „Zustimmung oder Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes“, sofern es um einen Vertrag geht, der die politischen Beziehungen des Bundes regelt oder sofern er sich auf „Gegenstände der Bundesgesetzgebung“ bezieht. Sofern man nicht für die ‚politischen Verträge‘ vertritt, dass der Bundesrat ganz außen vor ist, besteht eine Zustimmungsbedürftigkeit i.S.v. Art. 77 Abs. 2a und 3, 78, 1. Var. GG nur dann, wenn das entsprechende Gesetz auch ohne den völkerrechtlichen Anlass der Zustimmung des Bundesrates bedürfte. Das wiederum ist bekanntermaßen nur dann der Fall, wenn das Grundgesetz eine solche Zustimmungsbedürftigkeit explizit anordnet. Sofern also die eingangs zitierten Stimmen aus der Politik mit dem Eingriff in Länderkompetenzen oder der Berührung von Länderinteressen argumentieren, liegen sie verfassungsrechtlich falsch.
Welche Teile von CETA, die in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit liegen, sind so gestaltet, dass ihre innerstaatliche Umsetzung der Zustimmung des Bundesrates bedürfte, weil eine Bestimmung des Grundgesetzes dies anordnet? Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten, weil nicht mit letzter Sicherheit klar ist, welche Vorschriften sich überhaupt in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit befinden. Der Einfachheit halber, aber auch sicherheitshalber, sei auf die vom Bundesverfassungsgericht benannten Bereiche zurückgegriffen, denn dieses hat die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten im Eilverfahren eher weit ausgelegt. Dann geht es um Portfolioinvestitionen, die Definition des völkerrechtlichen Eigentumsschutzstandards, Seetransportdienstleistungen, die Anerkennung von Berufsqualifikationen sowie bestimmte Arbeitsschutzregelungen. Die Zustimmungsbedürftigkeit von Gesetzen in diesen Bereichen drängt sich nicht gerade auf, und so steht bislang auch kein schlagkräftiges Argument in dieser Hinsicht im Raum. Eine abweichende Regelung von Verwaltungsverfahren i.S.v. Art. 84 Abs. 5 und 6 GG ist nicht ersichtlich. In den zahlreichen Dokumenten etwa im Rahmen der Anhörungen des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages wird ein einziges Mal mit der Zustimmungsbedürftigkeit argumentiert: Wolfgang Weiß meint, CETA enthalte Staatshaftungstatbestände i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG, wodurch die Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 74 Abs. 2 GG ausgelöst würde. Das ist zwar eine Argumentation, die sich wenigstens am Text des Grundgesetzes orientiert, aber sie überzeugt nicht. Die einschlägigen Passagen des CETA präzisieren den völkerrechtlichen Eigentumsschutz (und daher spricht sehr viel dafür, dass sie von Art. 207 Abs. 1 AEUV erfasst werden, aber das ist eine andere Frage), kodifizieren aber nicht das Staatshaftungsrecht.
Offensichtlich prüft das Bundeswirtschaftsministerium gegenwärtig die Zustimmungsbedürftigkeit des Ratifikationsgesetzes. Gut so. Wenn auf den 1598 Seiten von CETA Bestimmungen gefunden werden, die (1) in mitgliedstaatlicher Zuständigkeit liegen und (2) eine GG-Bestimmung adressieren, durch die die Zustimmungsbedürftigkeit ausgelöst wird, kann meinetwegen dieser Blogbeitrag wieder gelöscht werden. Wenn die Bundesregierung keine solche Vorschrift findet, das Ratifikationsgesetz aber trotzdem als zustimmungsbedürftig einstuft, gibt es kaum verfassungsrechtliche Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Politisch wäre sie dann aber für ein Scheitern im Bundesrat zumindest mitverantwortlich. Betrüblich bleibt: Wenn die Auseinandersetzung schon auf dem Niveau des Vorwurfs der Klassenjustiz angekommen ist, bleiben rationale Argumente auf der Strecke, und über CETA könnte man sehr anspruchsvoll und auch kritisch diskutieren. Es geht den Gegnern von CETA natürlich nicht um dieses Abkommen. Kanada hat weniger Einwohner als Polen oder Spanien. Es geht um die Mobilisation des Blockadepotentials gegen TTIP im Rahmen einer Kampagne, die ihresgleichen sucht. Die einen schüren die Furcht vor Fremden, die anderen vor der Macht der Großkonzerne, da kann man, wenn auch sicher nicht gemeinsam, gern schon mal in die gleiche Richtung marschieren.
Setzen Sie sich doch einmal mit der Begründung des bayerischen Volksbegehrens auseinander.
“… kann meinetwegen dieser Blogbeitrag wieder gelöscht werden.”
Ach wo, Ihre Ausführungen könnten in einigen Jahren so erinnerungswürdig wie diese hier sein:
“Wenn ein Staat einem anderen trotz des Verbots Kredite verschaffen würde, wäre der AEUV verletzt. Es wäre eine rechtswidrige Handlung.”
“Unmöglich. Es müsste einen Posten im Haushalt geben, und dafür gäbe es keine Rechtsgrundlage. Das ist also schon aus diesem Grund undenkbar. Aber selbst wenn es anders wäre: Aus dem Verbot von Hilfen über die Notenbanken ergibt sich auch ein Verbot für die Regierungen.”
Frage an die Rechstdogmatiker: Wird eine richtige Aussage falsch, wenn die Falschen der richtigen Aussage zustimmen?
Es ist zu überlegen, ob CETA als politischer Vertrag im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG einzuordnen ist. Mit einem solchen Zugang würde das Verfassungsrecht den politischen Standpunkt aufnehmen, dass der Vertrag “wichtig” ist und “Länderinteressen” berührt. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass das BVerfG in der Einrichtung der Schiedsgerichtsbarkeit vermutlich eine Übertragung von Hoheitsgewalt sieht (so jedenalls die Gliederung der mündlichen Verhandlung in der Eilsache). Das ist ungewöhnlich, aber es ist nicht ausgeschlossen und durchaus begründbar, dass Art. 24 Abs. 1 GG auf solche Konstellationen erweitert wird. In der alten, aber weiterhin gültigen Definition des politischen Vertrages werden im Übrigen Schiedsverträge genannt (“Namentlich die Verträge, die darauf gerichtet sind, die Machtstellung eines Staates anderen Staaten gegenüber zu behaupten, zu befestigen oder zu erweitern, sind als politische Verträge in diesem Sinne zu betrachten. Dazu gehören vor allem Bündnisse, Garantiepakte, Abkommen über politische Zusammenarbeit, Friedens-, Nichtangriffs-, Neutralitäts- und Abrüstungsverträge, Schiedsverträge und ähnliche Verträge” (BVerfGE 1, 372, 381; 90, 286, 359). Das Argument, die Schiedsgerichtsbarkeit falle in den Kompetenzbereich der EU, und müsse deshalb für die Bundesratsbeteiligung unbeachtet bleiben, dürfte nicht tragen. Das gemischte Abkommen ist ein Vertag zur gesamten Hand der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Alle Sachmaterien können Gegenstand eines Schiedsverfahrens sein. Art. 24 Abs. 1 GG allein begründet kein Zustimmungsrecht – das war ja gerade der Grund, Anfang der 1990er-Jahre Art. 23 GG zu schaffen, der den Bundesrat und die Länder umfassend beteiligt. Denkbar wäre schließlich, über eine EU-Akzessorietät des CETA nachzudenken, die den Bundesrat über Art. 23 Abs. 1 Satz 2, 59 Abs. 2 GG mit Zustimmungsrecht beteiligt. Es geht schließlich um eine EU-Angelegenheit – das machen die letzten Tagen und Wochen sehr deutlich; aber das ist noch schwankender Grund. Das Zustimmungsrecht des Bundesrates ergibt sich m.E. aus Art. 24 Abs. 1 i.V.m. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG – politische Verträge.
Lieber Matthias,
Deiner Lesart des Art. 74 I Nr 25 iVm stimme ich im Kern zu. Nur sind halt in der Vergangenheit – soweit ersichtlich – deutsche BITs regelmäßig “nach Zustimmung” des Bundesrates ratifiziert worden. CH
Vielen Dank für diese zusammenfassende Darstellung!
Nur ein kleiner Hinweis: Die Meldung, die die Rechtsauffassung der Professoren Karpen und Haltern wiedergibt, stammt nicht von dem “nicht gerade als Fachzeitschrift bekannte[n] Blatt”, sondern ist eine Meldung der dpa, die auch in zahlreichen anderen Medien veröffentlicht wurde.
CETA ist auch auf Bildung, Wissenschaft und (für Europa, nicht für Kanada!) auf Kultur anwendbar. Woher der Bund aus dem GG das Recht nehmen will, den Ländern für diese Bereiche durch ein Gesetz ohne ihren Willen Vorschriften zu machen, ist nicht ersichtlich. Die Orientierung am Text des Grundgesetzes, die Matthias Ruffert bei den Andersdenkenden vermisst, gewinnt man bei Art. 70 I GG (“Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.”) und beim Schweigen über die Befugnisse des Bundes in den nachfolgenden Vorschriften über seine ausschließliche und die konkurrierende Zuständigkeit.
CETA etabliert gegenüber einzelnen kanadischen Investoren auch eine Haftung des Staates für sein hoheitliches Handeln, die gegen ihn direkt und weltweit gerichtlich erzwungen werden kann. Das ist Staatshaftung wie sie im Buche steht; dass sie mit einem ausländischen Staat vertraglich verabredet ist, ändert an Art. 74 II GG nichts. Das Grundgesetz kennt keine Exklaven im Verhältnis des Staates zu den Einzelnen, die ihm verschlossen wären, weil sie völkervertraglich gewollt wurden. Auch der nichtvertragliche “völkerrechtliche Eigentumsschutz” verlangt keine Haftung des Staates an seinem eigenen System der Staatshaftung vorbei gegenüber einzelnen Personen, die von seiner Hoheitsmacht betroffen werden.
Die Grundzuständigkeit der Länder, gerade auch für Bildung und Kultur, ist Urgestein der deutschen föderalen Ordnung, und das Recht des Staates, seine Haftung für hoheitliches Unrecht unabhängig selbst zu regeln, ein Kernelement seiner Staatlichkeit. Wenn ein Hinweis auf diese klassischen Grundgegebenheiten nach Ruffert “die Teilnehmer der Anfangsvorlesungen im Staatsrecht … das Bestehen der Anfängerklausur kosten” würde, müsste man ihnen raten, vor Gericht zu ziehen.