27 August 2021

Das Ortskräfte-Debakel hat im Innenministerium seinen Ursprung

Über die migrationspolitische Blockadehaltung des Bundesministeriums des Inneren und seine Gründe

Das Innenministerium hat offenbar beim Ortskräfte-Desaster die Schlüsselrolle gespielt und die Evakuation der Ortskräfte aus Afghanistan seit Monaten behindert und blockiert. Obwohl Kanzlerin Angela Merkel offenbar schon Mitte Juni und Mitte Juli auf Maßnahmen gedrängt hatte, sperrte sich insbesondere das Innenministerium gegen eine Aufnahme ohne vorherige Sicherheitsprüfung. Es beharrte auf der “Forderung nach eindeutiger Identifikation der Passagiere und einer Berechtigungsprüfung für eine Ausreise nach Deutschland noch vor dem Betreten des Flughafengeländes.”
Diese Forderungen tragen die Handschrift der Abteilungen “Migration, Flüchtlinge, Rückkehrpolitik”, kurz “M”, und Öffentliche Sicherheit (ÖS) und entsprechen den bekannten Haltungen dieser Abteilungen. Wenn sich das Innenministerium hinter der Regierung insgesamt versteckt, verschweigt es, dass es diese Linie maßgeblich herbeigeführt hat. Es trägt die Verantwortung für die Blockade von rechtzeitigen Maßnahmen und für das spätere Desaster bei der Evakuierung der Ortskräfte.

Der muslimische Einwanderer als Bedrohung von Ordnung und Sicherheit

Für jemanden, der wie ich seit längerer Zeit an einem Forschungsprojekt zur Islampolitik der deutschen Innenministerien arbeitet („Die Islampolitik der deutschen Innenministerien – Ein Beitrag zur Anthropologie der Staatsapparate“) kommt diese Entwicklung wenig überraschend. Die Gründe für sie liegen in der Ausrichtung des Innenministeriums. Das Innenministerium sieht sich als Ministerium für Sicherheit, Ordnung und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Interessant ist nun, wie diese Aufgabe ausbuchstabiert wird. Einer der zentralen Faktoren für die Gefährdung von Sicherheit und Ordnung des Innenbereichs wird in der Zuwanderung von Außen gesehen. Es gibt eine lange Tradition, die in der Migration ein entscheidendes, wenn nicht das größte Risiko für das Innere sieht. In dieser Tradition steht Seehofers Diktum von der Migration als Mutter aller Probleme. Sie ist verständlich auf der Grundannahme, dass eine geteilte Wertebasis Voraussetzung für innergesellschaftlichen Frieden ist und dass diese durch Einwanderung vor allem aus “anderen Kulturkreisen” bedroht wird.

Die lange Geschichte dieser Sicht des Innenministeriums auf Zuwanderung wurde von Karen Schönwälder (2001) analysiert. Sie wurde nicht von allen Ministerien geteilt. Vor allem das Wirtschaftsministerium trat als Gegenspieler des Innenministeriums auf. Während ersteres immer die Frage des Arbeitsmarktes im Fokus hatte und kulturelle Differenzen für allenfalls sekundär hielt, wurde vom Innenministerium die Frage der Andersartigkeit des Anderen (Schmitt) als Risiko thematisiert. Anders formuliert: Während das Wirtschafts- und Arbeitsministerium die strukturelle Integration im Auge hatte, war für das Innenministerium immer die kulturelle Integration das Thema.

Dabei spielte in der Geschichte der Bundesrepublik immer eine andere Gruppe die Rolle der besonders problematisch Anderen, von denen die Gefahr ausging: In den fünfziger Jahren waren es die Displaced Persons (oft auch Juden!), dann die Südosteuropäer (Roma!) und auch Italiener (“Kommunisten”!). Ihnen folgten in den sechziger Jahren (offenbar ausgelöst durch die Anwerbung von indischen und indonesischen Krankenschwestern) die “Afrikaner und Asiaten” mit ihren “unverträgliche(n) Mentalitäten, Weltanschauungen, Lebens- und Arbeitsgewohnheiten” (Schönwälder 2001:262). Seit der Jahrtausendwende besetzt der Islam die Kategorie des signifikanten Anderen, in dem die größte Bedrohung der öffentlichen Ordnung gesehen wurde. Seit damals ist die Einwanderung aus den Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung das Thema.

In diesem Sinn ist es bemerkenswert wie der frühere Innenminister de Maizière die Mentalität des Innenministeriums beschreibt. “Im Innenministerium ist man eher skeptisch, was künftige Entwicklungen betrifft. Man sieht eher auf die Sorgen, weil man mit den Folgen negativer Entwicklung besonders zu tun hat” (110). Sein Beispiel ist nicht zufälligerweise die Visapolitik. “Die negativen Folgen der Visumsfreiheit trägt der Innenminister, nicht der Außenminister. Im Außenministerium werden solche Bedenken eher als kleinkariert empfunden, während man im Innenministerium die Haltung eines Außenministers als sorglos und leichtfertig betrachtet.” (111)

Sachwalter der Migrationspolitik im Innenministerium sind die Abteilungen M (“Migration, Flüchtlinge, Rückkehrpolitik”) und ÖS (Öffentliche Sicherheit). Erstere ist zuständig für die Ausgestaltung des Ausländerrechts, also für die rechtliche Regulierung von Aufenthalt, Einbürgerung und Abschiebung; letztere unter anderem für das Kontrollieren der Grenzräume. Beide Abteilungen sind verantwortlich für das Grenzregime der Bundesrepublik. Dabei hat M vor allem die ordnungspolitische Dimension im Auge. “Das Ausländerrecht ist per se eine Werteentscheidung für ein bestimmtes Ordnungsgefüge”, schreibt Hans-Georg Maaßen, einst Referatsleiter für Ausländerrecht in der Abteilung M, in seiner Dissertation (164). „M”, könnte man sagen, definiert über das Ausländerrecht implizit das, was die Ordnung des Innen ausmacht. Es identifiziert die “ausländischen Problemgruppen” und legt fest, wie mit ihnen umzugehen ist.

Was sind Fehler?

Woran macht man aber im Innenministerium fest, dass die öffentliche Ordnung gestört wurde, für deren Aufrechterhaltung es steht? Was genau sind die “Folgen negativer Entwicklung”, von denen de Maizière spricht? Bei meiner Untersuchung war auffällig, dass im Ministeriumsalltag vor allem öffentliche Skandalisierungen gemeint war. Anders formuliert: Das Ministerium reagiert extrem sensibel auf moral panics und shitstorms bei denen sich die Medienöffentlichkeit heiß redet und nach politischen Maßnahmen ruft.

Diese treten nun in Bereich auf die muslimische Zuwanderung in schöner Regelmäßigkeit auf: Ich erinnere an die Themen: Kopftuch, Hassprediger, Zwangsheirat, Sexismus, Homophobie. De Maizière selbst beschreibt derartige Medienereignisse sehr schön als “sich selbst beschleunigende und um sich selbst drehende Räder öffentlicher Aufmerksamkeit, die Politiker, Journalisten und Interessenverbände brennend interessieren.” (230).

Die Identifikation von “negativen Entwicklungen” erfolgt im innenpolitischen Alltagsgeschäft nicht etwa auf der Basis wissenschaftlicher Evaluationen z.B. von Integrationsprozessen, sondern über Medienblasen. Mit diesen wird tatsächlich das Ministerium vor sich hergetrieben. Die Forderung “etwas zu machen” wird in der Öffentlichkeit erhoben und fließt über parlamentarische Anfragen oder auch Parteitagsbeschlüsse in den politischen Prozess ein.

Dabei ist deutlich, dass das Ministerium auch dann auf “negative Entwicklungen” reagiert, wenn es es besser weiß. Das Ministerium kann dann dem “Druck der öffentlichen Meinung” nicht standhalten, und der Minister “knickt dann ein“. Das Problem eines derartigen Einknickens besteht darin, dass damit der medialen Skandalisierung von Staats wegen Recht gegeben wird.

Das Innenministerium ist nicht kritikresistent, sondern viel zu offen für Kritik. Zumindest wenn sie von rechts kommt. Es ist nämlich eine Asymmetrie zu beobachten. Die Thematisierung von Gewalt durch Muslime wird weit sensibler registriert als die Gewalt an Muslimen. Hier kommt meines Erachtens die Grundausrichtung des Ministeriums zum Tragen. Wenn in der Öffentlichkeit Themen skandalisiert werden, die auch im Ministerium als problematisch erachtet werden, wird oft bemerkenswert bereitwillig nachgegeben, während es bei Skandalisierungen von links einen gewissen Widerstand gibt. Nicht selten wird eine öffentliche Skandalisierung auch als Möglichkeitsfenster gesehen, um bestimmte Maßnahmen durchzusetzen. De Maizière schreibt, wie er die Kölner Silvesternacht benutzen konnte, um eine Verschärfung des Ausweisungsrechts für verurteilte Ausländer durchzusetzen (69).

In der Regel wird dann die Verschärfung des Ausländerrechts gefordert. Dies ist ein Feld, mit dem sich mit relativ geringen Kosten signalisieren lässt, dass man “etwas” macht. Die Ausarbeitung ist regelmäßig Aufgabe der Abteilung M. Dies ist deshalb wichtig, weil auch dies mentalitätsprägend ist: Die Abteilung M ist berufsmäßig vor allem insofern mit dem Islam befasst, als sie die politischen Forderungen nach Verschärfung der Ausländerrechts in Gesetzesvorlagen gießen muss. Da diese Forderungen immer auf gesellschaftliche Skandalisierung antworten, ist die Abteilung nur dann mit dem Islam beziehungsweise der muslimischen Einwanderung befasst, wenn sie als Problem für die gesellschaftliche Ordnung in den Fokus der öffentlichen Meinung tritt. Der Islam wird nicht aus sich selbst heraus verstanden, sondern nur dann, wenn er als Bedrohung des Eigenen wahrgenommen wird. Die Rolle, die der Islam im Alltag spielt – z.B. für Identitätsstiftung und Selbstbehauptung in einer oft feindlich eingestellten Umwelt – spielt in der behördlichen Perspektive der Abteilung M keine Rolle. Der Islam wird so zum entscheidenden Anderen, zur Bedrohung der Ordnung. Damit wird ein Kollektivschema gebildet, das nicht weiter soziologisch oder historisch ausdifferenziert wird. Das Handeln und Denken von Muslimen erscheint eigentlich nur als Mangel oder als Defizit. Der Modus im Umgang mit diesem Phänomen ist die Kritik, nicht aber das Verstehen: Ein differenzierter Umgang mit dem Islam fand in diesem Kontext kaum Gehör.

2015 darf sich nicht wiederholen

Soweit zur Abteilung M. Dies geht einher mit der Sorge um eine unkontrollierte Einreise, die vor allem die Abteilung ÖS beschäftigt. Das Mantra: “2015 darf sich nicht wiederholen” dürfte in der Frage der Evakuierung aus Afghanistan, entscheidend gewesen sein. Nicht schon wieder eine Grenzöffnung für Flüchtlinge, schon gar nicht für solche, aus einem Land mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung! Bei der Beschwörung der Gefahr durch “unkontrollierte Einreise” tritt zu dem ordnungspolitischen Argument das sicherheitspolitische flankierend hinzu – und ÖS und M ziehen an einem Strang.
Das Credo, dass man sich 2015 mit der Aufnahme von Flüchtlingen naiv und blauäugig in Gefahr begeben habe, wurde im Sommer 2015 unter anderem vom ehemaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich formuliert (17) und von den für Sicherheit zuständigen Spitzenbeamten unisono geteilt (22). Sie vertraten die Position, dass an der Grenze zurückgewiesen hätte werden müssen.

In diesem Fall wird daraus gefolgert: Ohne Sicherheitsüberprüfung, ohne Pässe und ohne Identitätsfeststellung stellt eine Einreise ein Sicherheitsrisiko dar. Der Sache nach sind erhebliche Zweifel angebracht. Weder schützt die Sicherheitsüberprüfung vor eventuellen Anschlägen (kein Terrorakt hierzulande wurde von jemanden begangen, der nicht registriert gewesen wäre) noch ist der Zusammenhang von offenen Grenzen und erhöhtem Sicherheitsrisiko durch unkontrolliertes Einreise von Terroristen tatsächlich nachgewiesen. Tatsächlich erscheint eher die Aufrechterhaltung des Grenzregimes als Selbstzweck wichtig. Die Grenzkontrolle ist ein starkes Symbol von nationaler Handlungsfähigkeit. Sie aufrechtzuerhalten ist symbolisch ebenso wichtig, wie durch Veränderungen im Ausländerrecht zu zeigen, dass man die Kontrolle über die Einwanderer hat.

Seehofer ist nicht allein schuld, aber….

Das Innenministerium hat den Ruf eines schwer zu führenden Ministeriums. Besonders die großen Abteilungen wie ÖS und M sind oft von selbstbewussten Abteilungsleitern geführt, von denen es heißt, dass ihnen egal ist, wer gerade unter ihnen Innenminister ist. Gerade aus den Abteilungen kommen dann auch starke Signale an die Spitze. Der Innenminister ist wiederum gut beraten auf sie zu hören. Wie jeder Chef ist er abhängig von seinen Mitarbeitern. Die Haltung, die von Seehofer in Bezug auf Afghanistan vertreten wurde, ist die Haltung, die ohnehin von den Abteilungen ÖS und M vertreten wird.

Gleichzeitig hat die politische Spitze Gewicht: Sie kann die Haltung die im Haus herrscht verstärken oder ihr auch etwas entgegensetzen. Wolfgang Schäuble im Bund oder Ehrhart Körting in Berlin haben als politische Spitze der Hausmeinung etwas entgegen gesetzt. Anders Seehofer, der die Hausmeinung bedient und verstärkt hat. Von ihm kamen eindeutige Signale. Er war maßgebend daran beteiligt, dass 2016 die Flüchtlingszahl zum entscheidenden Kriterium von Flüchtlingspolitik wurde. Die Frage nach einer guten Integration von Flüchtlingen, die in den Jahren vorher die politische Suche bestimmte, wurde irrelevant. Eine gute Flüchtlingspolitik ist heute nicht diejenige, die die Flüchtlinge möglichst gut eingliedert, sondern diejenige, die von vornherein möglichst wenige ins Land lässt und so viele wie möglich abschiebt. Seehofers Geburtstagsauftritt, bei dem er 69 Abschiebungen zum 69. Geburtstag feierte, schickte ein klares Signal in das Ministerium hinein. Sie ermutigte die Mehrheitsmeinung und schwächte die auch im Innenministerium vorhandene Minderheitenmeinung. Die Blockade, die zur Katastrophe in Afghanistan führte war die direkte Folge des Zusammenspiels von politischer Spitze und dem bürokratischen Eigen-Sinn.

 


8 Comments

  1. Kerstin Leidt Fri 27 Aug 2021 at 18:42 - Reply

    Ich teile die Ansicht, dass die Vetantwortung für das Debakel um die Aufnahme von Ortskräften vor allem beim Innenministerium zu suchen ist. Das Aufnahmeverfahren war von Anfang an so konzipiert, um möglichst wenigen die Aufnahme in Deutschland zu ermöglichen. So reiht sich dieses Verfahren in die Ausländer- und Asylpolitik, die weit vor 2015 angefangen wurde und folgt der Vorgabe, dass Deutschland kein Zuwanderungsland ist, und dass das Ausländer-und Asylrecht unter dem Polizei- und Ordnungsrecht geführt wird. Damit landet die Entscheidungsgewalt beim Bundesinnenministerium. Und damit wird Ausländern, die nicht im Besitz einer Erlaubnis sind, sich in Deutschland aufzuhalten, den Status eines “Störers” verpasst, welcher aus dem Bundesgebiet zu entfernen ist. Und genau auf diesem Aspekt haben sämtliche Innenminister, egal welcher Parteizugehörigkeit, besonderen Wert gelegt.
    Unter diesem Aspekt spielen Integration und Humanität nur eine untergeordnete Rolle. Mir klingt noch der Satz von Herrn Seehofer im März letzten Jahres im Ohr, als die Türkei die Grenzen zu Griechenland öffnete: “Erst die Ordnung, und dann die Humanität”. Dass diese Politik keine Antwort auf die drängende Frage von aktuellen Flüchtlingsbewegungen bietet, sollte spätestens jetzt klar sein. Dass diese Vorgehensweise Menschenleben kostet, sollte bekannt sein, seitdem das Ertrinken von Flüchtlingen im Mittelmeer hingenommen wird.
    Sorgen bereitet mir indes, dass auch ein Innenminister an Recht und Gesetz gebunden ist, Herr Seehofer internationale Verbindlichkeiten, wie die Genfer Flüchtlingskonvention oder das Zurückweisungsverbot aber gerne übersieht, was dazu führt, dass Menschenrechtsverletzungen salonfähig werden, weil die Verletzungen bislang nicht sanktioniert wurden, weder rechtlich noch politisch. Darum bleibt abzuwarten, ob auch dieses Mal der Innenminister mit seinem Ministerium davon kommt.

    • Leslie Fri 27 Aug 2021 at 21:04 - Reply

      Dient nicht die Sicherheitsüberprüfung, die das Innenministerium forderte, der Sicherstellung, dass von den Auftunehmenden keine Gefahr für Deutschland ausgeht? Ich bin ehrlich gesagt froh, dass zumindest das Innenministerium versucht, uns Bürger vor potenziellen Gefahren zu schützen.

      • John Wed 15 Sep 2021 at 09:23 - Reply

        Vor welchen konkreten Gefahren schützt das denn? Terrorismus wird dadurch wohl kaum verhindert, s. Artikel. Man muss sich ja zudem auch noch Fragen, bis zu welchem Punkt wir als Gesellschaft denn bereit sind unsere liberalen und humanitären Werte zu opfern für ein (möglicherweise bloß gefühltes?) Mehr an Sicherheit. Gerade im Hinblick auf Terrorismus, vor welchem wir wohl niemals einen absoluten Schutz erlangen können werden, schließlich ist es immer leichter irgendetwas anzugreifen als es zu sichern, sehe ich das sehr kritisch.

  2. Stephan Fleischhauer Sat 28 Aug 2021 at 09:44 - Reply

    Ich würde meinem Vorredner zustimmen. Der Artikel ist meines Erachtens unvollständig. Es fehlt die Frage danach, warum das Anliegen des Innenministeriums abgelehnt wurde. War zuwenig Zeit? Gab es nicht die erforderliche Infrastruktur? Hat man es aus “politischen” Gründen abgelehnt? Hat man es als unwichtig eingestuft? Das wäre schon wichtig zu wissen, bevor man dem Innenministerium den schwarzen Peter zuschiebt. Letztlich trägt auch das Innenministerium Verantwortung dafür, dass es in Deutschland friedlich zugeht. Ansonsten gerät es nämlich in dieselbe Lage wie jetzt: Dass es sich rechtfertigen muss, dass es mit Vorwürfen konfrontiert wird.

    • Stephan Fleischhauer Sat 28 Aug 2021 at 09:47 - Reply

      Mit Vorredner meine ich Leslie. Bin auf der falschen Kommentar-Ebene gelandet.

  3. Herbert Sat 28 Aug 2021 at 15:13 - Reply

    Die Sorge des Verfassers um das Wohl der Ortskräfte ist mehr als berechtigt. Der Brückenschlag zu größeren gesellschaftlichen Problemen scheint aber gewagt. “Mentalität” und “Credo” werden hier frei in die Behörden(un)tätigkeit hineingelesen – gerade bei einem Unterlassen eine bequeme Verkürzung. Das unterstellte “Einknicken” vor der öffentlichen Meinung lässt sich mit den bisherigen Umfragen, die stabile Mehrheiten für die Aufnahme von Ortskräften ausweisen, schwer vereinbaren.

    Auch die breiteren Betrachtungen sind leider nicht frei von Polemik. Hervorgehoben sei die Behauptung: “kein Terrorakt hierzulande wurde von jemanden begangen, der nicht registriert gewesen wäre”. Das mag stimmen. Der in dieser Hinsicht wohl bekannteste Attentäter, Anis Amri, war mindestens vierzehnfach registriert. Doch sollte das nicht eher ein Grund für genauere Identitätsprüfungen sein?

    • Maximilian Steinbeis Sun 29 Aug 2021 at 10:31 - Reply

      Der Autor hat das BMI sozialanthropologisch erforscht, also von wegen “frei in die Behördentätigkeit hineingelesen”. Das war sein Forschungsgegenstand.

  4. Martha Sun 29 Aug 2021 at 10:27 - Reply

    Bei der weiteren Aufarbeitung der Verzögerungstaktik des BMI (und sicher auch anderer Ministerien) wird man einen intensiveren Blick auf die Rechtsgrundlagen im Aufenthaltsgesetz nehmen müssen: Das BMI – und im Anschluss daran die Koalition im Bundesrat – wollte sich trotz aller Warnungen – vor einem raschen Sieg der Taliban stets nur auf § 22 AufenthG stützen. Es geht hier um Einzelaufnahmen mit langen Prüfungen, Bürokratie und viel Willkür, Max Steinbeis hat das ja in seinem aktuellen Editorial aufgegriffen. Viele in Afghanistan tätige NGO sowie die Opposition im Bundestag (Grüne, Linke; FDP: Enthaltung) hatten hingegen seit 2019 (!) immer wieder eine erleichterte Gruppenaufnahme nach 2020 gem. § 23 AufenthG gefordert und wurden damit ohne viel Begründung abgebügelt (im Bundestag gemeinsam mit der AfD). Auch im Rahmen einer humanitären Gruppenaufnahme für Ortskräfte (Kontingentaufnahme) erfolgt – soweit zu Leslie und Stephan Fleischauer – eine Sicherheitsüberprüfung, aber sie ist weitaus weniger bürokratisch; das Visumverfahren erfolgt rasch, ist etabliert und für die Betroffenen vorhersehbar. Sowohl der Bund (§ 23 Abs. 2) als auch die Länder können es anordnen (§ 23 Abs. 1) – und haben damit nur positive Erfahrung gemacht. Schleswig-Holstein, hier Vorreiter, hatte in den letzten Tagen der Evakuierung noch schnell ein Aufnahmeprogramm für Schutzbedürftige aus Afghanistan aufgelegt und damit zahlreiche Personen dem Tod von der Schippe genommen.
    Die Verantwortung für das Desaster in Afghanistan tragen in der Tat nicht allein die Abteilungen ÖS und M im BMI, sondern sie reicht weit darüber hinaus, bis hinein in unwillige Landesinnenverwaltungen.
    Ich freue mich auf den Untersuchungsausschuss, der hoffentlich nicht von zu vielen öffentlichen Hinrichtungen sog. “Spione” in Afghanistan, sondern von demütigen Beamtinnen und Beamten aus den betroffenen Ministerien begleitet wird.

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