25 November 2015

Das TTIP-Gericht: Keimzelle oder Stolperstein für echte Multilateralisierung des internationalen Investitionsrechts?

Am 12. November 2015 hat die Kommission ihren offiziellen Verhandlungsvorschlag für die Etablierung eines permanenten Investitionsgerichts im Rahmen des Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) vorgelegt. Der Vorschlag sieht die Schaffung eines permanenten, öffentlich tagenden TTIP-Gerichts mit zwei Instanzen vor, das mit insgesamt 21 durch die EU und die USA bestellten, und nicht mehr von den Streitparteien bestimmten Richtern besetzt ist, die einem klaren Kodex zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit unterliegen. Außerdem sollen die materiell-rechtlichen Normen im Kommissionsvorschlag sicherstellen, dass ausreichend Freiraum für staatliche Maßnahmen zum Schutz öffentlicher Interessen verbleibt.

Der Vorschlag ist couragiert und richtungsweisend und stellt einen historischen Wendepunkt im Denken um das internationale Investitionsrecht dar. Er nimmt Abschied von einer privat-rechtlichen Konzeption und atmet mit seinen Vorschriften über Transparenz, Drittbeteiligungsrechten, dem Schutz staatlicher Regulierungsspielräume und einer stärkeren Institutionalisierung der Investor-Staat-Streitbeilegung stattdessen den schon seit Längerem vielerorts eingeforderten öffentlich-rechtlichen Geist (vertiefend und mit weiteren Nachweisen Schill 2011). Zudem liegt mit dem Kommissionsvorschlag nun erstmals ein detaillierter, zahlreiche Einzelfragen ansprechender Rechtstext vor, der nicht nur eine solide Grundlage für konkrete Verhandlungen mit den USA bietet, sondern allgemeiner zum Leitbild für das von der Kommission angestrebte weltweite permanente Investitionsgericht werden könnte.

Trotz seines Leitcharakters leidet der Kommissionsvorschlag jedoch als Basis für eine grundlegende und globale Reform des internationalen Investitionsrechts an konzeptionellen Schwächen. Er verfolgt im Verhältnis mit den USA nach wie vor einen bilateralen Reformansatz, der zum Stolperstein für eine spätere Multilateralisierung werden könnte. Zudem ist auch das vorgeschlagene Verhältnis zwischen TTIP-Gericht und nationalem Rechtsschutz verbesserungsfähig. Der Vorschlag geht zwar zahlreiche Schritte in die richtige Richtung, ist aber bei Weitem nicht das Ideal für das internationale Investitionsrecht der Zukunft, das die EU und die USA an diesem historischen Wendepunkt gemeinsam aus der Taufe heben könnten. Ein solcher Schritt wäre mit ein paar Änderungen des jetzigen Vorschlags möglich. Sie könnten das TTIP-Gericht zur Keimzelle echter Multilateralisierung im internationalen Investitionsrechts machen.

Das Problem abkommensübergreifender Inkonsistenzen

Eines der größten ungelöst bleibenden Probleme des Investitionsrechts sind abkommensübergreifende Inkonsistenzen, die nicht nur auf Unterschieden der vielen Investitionsabkommen, sondern vor allem auf dem Fehlen einer zentralisierten Streitbeilegungsinstanz beruhen. Ein permanentes TTIP-Gericht würde zwar TTIP-interne Inkonsistenzen beseitigen, das Problem aber nicht systemweit lösen. Damit greift der Kommissionsvorschlag in einem zentralen Punkt zu kurz. Mehr noch: Obwohl der Vorschlag die Tür zu einem multilateralen Investitionsgericht ausdrücklich offenhält (siehe Art. 12), hätte die Schaffung eines TTIP-Gerichts möglicherweise sogar den gegenteiligen Effekt. Ein zu je einem Drittel aus europäischen und US-amerikanischen Richtern bestehendes Gericht könnte die bilaterale Struktur des Investitionsrechts noch weiter zementieren. Denn je besser das TTIP-Gericht funktioniert – und dies ist ja die Prämisse seiner Schaffung – desto schwieriger wird es, dieses später gegen eine in ihrer Funktionsweise unsicherere Alternative zu tauschen. Einmal geschaffene Institutionen lassen sich oft nur mit Anstrengung abschaffen.

Wenn man perspektivisch auf echten Multilateralismus im Investitionsrecht hinaus will, so wäre es sinnvoller das TTIP-Gericht von Anfang an multilateral auszulegen. Es müsste so gestaltet sein, dass weitere Staaten problemlos beitreten können. Der Knackpunkt wird dabei sein, dass das TTIP-Gericht nicht wie vorgeschlagen paritätisch durch die USA und die EU besetzt wird und nur ein Drittel der Richter Drittstaatsangehörige sind. Dies würde dem Beitritt weiterer Staaten faktisch entgegenstehen. Anders als beim EuGH wäre es nicht praktikabel, wenn jeder Beitrittsstaat die gleiche Anzahl an Richtern nachnominiert. Innerhalb kürzester Zeit würde so aus dem jetzt vorgeschlagenen 21er-Gremium das personalstärkste internationale Gericht weltweit. Das wäre unsinnig teuer, unnötig und wenig effektiv.

Vielmehr müsste von Anfang an ein höheres Maß an Repräsentativität in der Richterschaft geschaffen werden, damit das TTIP-Gericht zur Keimzelle einer echten Multilateralisierung taugt. Dazu dürfte die Benennung der Richter nicht durch die Vertragsparteien, sondern durch ein Gremium erfolgen, das selbst multilateral ist und die Interessen der gesamten Völkergemeinschaft vertritt. Wie beim Internationalen Gerichtshof bietet sich hierfür eine Wahl der Richter durch UN-Generalversammlung und Sicherheitsrat an. Dies würde freilich den Nachteil haben, dass die TTIP-Vertragsparteien sich von Anfang an mit der Richterbestellung einem Steuerungsinstrument für die Auslegung des Abkommens begeben. Allerdings darf man nicht vergessen, dass die Rechtsprechung eines so ausgelegten Gerichts weiterhin durch das anvisierte bilaterale TTIP-Komitee kontrolliert würde.

Verhältnis zu nationalen Gerichten

Nicht ideal (zumal für Staaten mit funktionierenden Rechtssystemen) ist im Kommissionsvorschlag auch das Fehlen einer Verzahnung von nationaler und völkerrechtlicher Rechtsebene. Richtig ist zwar, dass keine Erschöpfung des nationalen Rechtsweges vorgesehen ist. Diese wäre als Vorbild für ein multilaterales Abkommen untauglich, da es schlicht zu viele Länder gibt, in denen die Unzulänglichkeiten der nationalen Gerichte das eigentliche Problem darstellen. Unterschiede je nach Investitionsland würden sich mit dem Grundsatz gleicher Rechte für alle nicht vertragen. Richtig ist aber auch, dass parallele und sukzessive Verfahren eingedämmt werden sollten (siehe Art. 14 des Vorschlages), soweit dies den Eindruck von Sonderrechten für Investoren schürt.

Ob allerdings die von der Kommission vorgeschlagene strikte Trennung des nationalen und internationalen Rechtsweges sinnvoll ist, ist höchst fraglich. Zunächst mag man bezweifeln, ob parallele und sukzessive Verfahren tatsächlich ausgeschlossen werden. Vieles spricht dagegen, da das TTIP-Gericht nur begrenzte Rechtsfolgen (vornehmlich Schadenersatz) aussprechen kann (Art. 28 Abs. 1 des Vorschlages) und zu befürchten steht, dass nationale Gerichte wie schon unter dem Investitionsabkommen mit Kanada (Kapitel 33 Art. 14.16 CETA) von der direkten Anwendung von TTIP ausgeschlossen werden. Viel wichtiger ist aber, dass der Kommissionsvorschlag Investoren insgesamt zu einer Entscheidung zwischen nationalen Gerichten und TTIP-Gericht drängt, die nicht selten zu Lasten des nationalen Rechtswegs ausgehen dürfte. Beides steht einer umfassenden Selbstkontrolle und Selbstabhilfe durch nationale Gerichte entgegen und wird die Parallelwelten im Investitionsrechtsschutz weiter konsolidieren.

Auch hier gibt es Alternativen für eine bessere Verzahnung von nationalem und internationalem Rechtsschutz, die gerade im Hinblick auf eine spätere Multilateralisierung sinnvoll erscheinen. Ziel müsste es sein, nationale Gerichte bei der Überprüfung staatlicher Maßnahmen nach nationalem Recht und Völkerrecht einzubinden (dazu Bronckers 2015), ohne deren Befassung zum Ausschlusskriterium für den Zugang zum TTIP-Gericht zu machen oder die Erschöpfung des nationalen Rechtsweges zu fordern. Eine Lösung wäre die Bestimmung nationaler Gerichte als erstinstanzliche Investitionsgerichte, die über Investorenklagen nach nationalem Recht und Völkerrecht entscheiden (dazu Schill 2015). Gegen deren Entscheidung könnte dann ein Rechtsmittel zum TTIP-Gericht vorgesehen werden, welches nur prüft, ob völkerrechtliche Investitionsstandards und Verfahrensgrundsätze in erster Instanz eingehalten wurden.

Die Besetzung der ersten Instanz läge in der Hand des jeweiligen Investitionsland. Jeder Staat könnte die Kompetenz als Investitionsgericht einem seiner Obergerichte zuweisen oder sich nach dem Vorbild der Gerichtsbarkeit der Freihandelszone in Dubai oder dem Singapore International Commercial Court (auch) für internationale Richter entscheiden. Weitergehend könnte das TTIP-Gericht – ähnlich dem EuGH – über Vorabentscheidungsersuchen mit der nationalen Ebene verknüpft werden. Ein solches System würde es erlauben, eine nationale Instanz zur Selbstkontrolle mit einzubinden ohne den vollen, teils langwierigen nationalen Instanzenzug zu durchlaufen. Dies würde sowohl die demokratische Legitimität des Streitbeilegungssystems im Investitionsrecht insgesamt erhöhen als auch Anreize schaffen, damit nationale Gerichte Investorenklagen fair, gerecht und effektiv beilegen.

Alternativen offenhalten: öffentlich-rechtlich reformierte Schiedsgerichtsbarkeit

Der Kommissionvorschlag geht wichtige und durchaus gewagte Schritte in seinem Bestreben nach einer Reform des internationalen Investitionsrechts. Gleichzeitig ist nicht einmal klar, ob er selbst mit seiner (aus meiner Sicht zu) zaghaften Institutionalisierung auf Zustimmung der Amerikaner stoßen wird. Kritische Stimmen – meist noch hinter vorgehaltener Hand – gibt es jenseits des Atlantiks zur Genüge. Denn die USA sind traditionell kritisch gegenüber der Schaffung neuer internationaler Gerichte. So enthält auch die im Oktober nach langen Verhandlungen geschlossene Transpazifische Partnerschaft (TPP), in der die USA federführend sind, nur eine reformierte Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit. Insofern sollte sich Europa nicht zu kategorisch auf ein permanentes TTIP-Gericht einschießen. Denn ein Scheitern von TTIP an der Frage der Investor-Staat-Streitbeilegung wäre für Europa kaum von Vorteil. Es würde zudem dazu führen, dass weiterhin Schiedsverfahren unter unreformierten Abkommen zwischen USA und einigen Mitgliedstaaten möglich bleiben.

Vielmehr sollte man sich die Option einer öffentlich-rechtlich reformierte Schiedsgerichtsbarkeit, wie sie die Kommission in den Handels- und Investitionsabkommen mit Kanada und Singapur bereits implementiert hat (dazu Schill 2014), nicht gänzlich verbauen. Schiedsgerichtsbarkeit kann durch Transparenz, feste Schiedsrichterlisten, dem Ausschluss von Interessenkonflikten, der Schaffung einer Berufungsinstanz und klaren Regeln zum Schutz des staatlichen Handlungsspielraums öffentlich-rechtlich reformiert werden. Dies reicht zunächst aus, um die gröbsten Missstände des derzeitigen Systems zu beseitigen. Ein solcher Weg wäre auch für die USA gangbar, wie TPP zeigt.

Wenn man allerdings über eine institutionalisierte Alternative zur jetzigen Investor-Staats-Schiedsgerichtsbarkeit nachdenkt, dann richtig und mit großem Aufschlag. Denn die grundlegenden Probleme im internationalen Investitionsrecht können nur durch echte Multilateralisierung gelöst werden. Dies erfordert womöglich eine sehr viel längere Perspektive, als zum Abschluss von TTIP zur Verfügung steht. Trotzdem sollte TTIP jetzt nicht mit halbgaren Lösungen aufwarten. Insbesondere sollte in TTIP ein permanentes Investitionsgericht nur integriert werden, wenn es von Anfang an auf echte Multilateralisierung ausgelegt ist und eine dauerhafte und ausgewogene Lösung für das Verhältnis zu nationalen Gerichten bietet. Alles andere würde unweigerlich dazu führen, bei der Lösung bestehender Probleme neue zu schaffen, die späterer, echter Multilateralisierung entgegenstehen könnten.


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