21 May 2019

Datenschutz, Meinungsfreiheit und das Strache-Video: der Gesetzgeber muss handeln

Die Veröffentlichung des Strache-Videos durch den SPIEGEL und die Süddeutsche Zeitung hat neben umwälzendenden Folgen für die österreichische Regierung auch in Deutschland Diskussionen ausgelöst, unter anderem über die Frage, ob das Video und seine spätere Veröffentlichung datenschutzrechtliche Vorgaben verletzt. Insbesondere der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit in Baden-Württemberg äußerte sich zeitnah sehr kritisch mittels Twitter und bekräftigte seine Kritik, jedenfalls was die ursprüngliche heimliche Anfertigung des Videos im Jahr 2017 betrifft, später u.a. im Deutschlandfunk erneut.

Diese datenschutzrechtliche Kritik an der Berichterstattung über das Strache-Video hat kontroverse Reaktionen ausgelöst. Ein zentraler Kritikpunkt an den Äußerungen der baden-württembergischen Datenschutzaufsicht ist Ausdruck einer Befürchtung, die seit Inkrafttreten der DSGVO im Mai 2016 im Raum steht: Das Datenschutzrecht könnte sich hemmend auf die Ausübung der Meinungsfreiheit auswirken. Dass diese Sorge keineswegs unbegründet ist, zeigt ein Fall aus Rumänien. Die rumänische Datenschutzaufsicht ordnete im November 2018 gegenüber ReporterInnen aus dem investigativen RISE Projekt an, ihre Quellen offenzulegen, und drohte mit Bußgeldern. Wie das Verfahren ausgeht, ist – soweit ersichtlich – bisher noch unklar. Die Europäische Kommission warnte die rumänischen Datenschützer jedenfalls umgehend, ihre Kompetenzen nicht zulasten der Meinungs- und Pressefreiheit zu missbrauchen. 

Regulierer der Kommunikationsfreiheit

Der Fall aus Rumänien ist ebenso wie die jüngste baden-württembergische Kritik an der Berichterstattung von SPIEGEL und die Süddeutsche Zeitung Symptom eines Konflikts, der aus der grundlegenden Regelungssystematik der Datenschutz-Grundverordnung erwächst. Nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO bedürfen grundsätzlich alle Datenverarbeitungen einer gesetzlichen Grundlage (oder der Einwilligung der Betroffenen). Der datenschutzrechtliche Gesetzesvorbehalt ist dabei nicht allein in der DSGVO angelegt, sondern folgt unmittelbar aus Art. 8 Abs. 2 S. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. In einer digitalisierten Gesellschaft, in der man praktisch kaum noch seine Freiheitsgrundrechte ausüben kann, ohne personenbezogene Daten zu verarbeiten, folgt daraus eine immense Ermächtigung derjenigen Behörden, die die Einhaltung der DSGVO überwachen. Kunst, Wissenschaft und Meinungsfreiheit müssen nunmehr nicht nur rechtfertigen, was sie in der analogen Welt bisher nicht mussten. Für sie gelten darüber hinaus auch alle datenschutzrechtlichen Folgepflichten, insbesondere zu Transparenz, Dokumentation oder Berichtigung, sowie Zweckbindung und Datensparsamkeit. Die Datenschutzaufsichtsbehörden kontrollieren und sanktionieren ihre Einhaltung und werden so zu Regulierern der Kommunikationsfreiheit.

Dieser Konflikt ist in der DSGVO nicht übersehen worden. In Art. 85 fordert sie die Mitgliedsstaaten ausdrücklich dazu auf, den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken, in Einklang zu bringen. Dies ist in Deutschland bisher ganz überwiegend nur für den Bereich der verfassten Presse geschehen, namentlich in den Landespressegesetzen. Das für die Spiegel Online GmbH & Co. KG anwendbare Hamburgisches Pressegesetz sieht in § 11a HmbPresseG i.V.m. § 37 Absätze 1 bis 3 des Medienstaatsvertrages HSH vor, dass die DSGVO nur in sehr beschränktem Umfang anwendbar ist. Insbesondere die Aufsichtsbefugnisse der Datenschutzbehörden aus Kapitel VI sind ausgenommen und auch die Haftungs- und Sanktionsregeln des Kapitel VIII gelten nicht, soweit Unternehmen, Hilfs- und Beteiligungsunternehmen der Presse der Selbstregulierung durch den Pressekodex und der Beschwerdeordnung des Deutschen Presserates unterliegen.

Für Unternehmen der Presse ist der Konflikt zwischen Datenschutz und Meinungs- sowie Pressefreiheit also dadurch gelöst worden, dass sie nur in geringem Umfang an die datenschutzrechtlichen Vorgaben gebunden sind und insbesondere die Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten der Datenschutzaufsichtsbehörden ausgeschlossen sind. Zwar überwiegen ohnehin die Argumente dafür, dass die mit der Anfertigung und Veröffentlichung des Videos verbundene Datenverarbeitung zulässig war, wie der Fachanwalt für IT-Recht Stadler ausführt. Ganz unabhängig davon aber, ob bei der Anfertigung des Strache-Videos im Jahr 2017 oder bei der späteren (auszugsweise) Veröffentlichung durch den SPIEGEL und die Süddeutsche Zeitung überhaupt datenschutzrechtliche Regeln verletzt wurden, ist die Kritik der (baden-württembergischen) Datenschutzaufsicht schon allein mangels Kompetenzen gegenüber Organen der Presse als unverbindliche Meinungsäußerung einzustufen, denen mangels Zuständigkeit keinerlei Vollzug weder in Baden-Württemberg noch in anderen Bundesländern droht.

Diese Entwarnung gilt allerdings nicht für alle anderen Bereiche der Meinungsfreiheit und journalistischen Tätigkeit. Außerhalb der Ausnahmen des Landespresserechts gilt die DSGVO für investigative BloggerInnen, FotografInnen oder Recherchearbeiten außerhalb redaktioneller Tätigkeiten vollumfänglich. Für all diese Bereiche steht eine Umsetzung des Art. 85 DSGVO nach vor wie vor aus. Für alle diese Bereiche sind kritische Bemerkungen wie die der baden-württembergischen Datenschutzaufsicht also weiterhin höchst relevant, denn sie lassen erahnen, welche Folgen es für die Meinungsfreiheit haben könnte, wenn die Vorgaben der DSGVO wirklich vollzogen werden. Bereits beim Schießen eines Fotos müsste der Zweckbindungsgrundsatz beachtet werden, unabhängig davon, dass noch nicht absehbar ist, in welchem Kontext es später verwendet werden würde. Auch müssten Journalisten im Rahmen ihrer Recherchen auf Anfrage Betroffenen Inhalt und Quellen ihrer Ermittlungen offenlegen, Art. 12 ff. DSGVO. Kontrolliert und vollzogen würden all diese Pflichten durch die Datenschutzaufsichtsbehörden mit weitreichenden Prüf-, Kontroll- und Weisungsbefugnissen entsprechend Art. 58 DSGVO. 

Dass es seit Geltungsbeginn der Datenschutz-Grundverordnung im Mai 2018 bisher zu keinerlei Verfahren gegen JournalistInnen außerhalb des Pressebegriffs gekommen ist, ist einzig dem fehlenden Vollzug des Datenschutzrecht geschuldet, nicht den fehlenden Befugnissen der Behörden. Allein die Aussicht, bei der Ausübung der Meinungsfreiheit mit dem Pflichtenkatalog der DSGVO belastet zu werden, kann aber hemmende Wirkung auf die Bereitschaft haben, von grundrechtlich garantierten Freiheiten Gebrauch zu machen. Im Zuständigkeitsbereich der baden-württembergischen Datenschutzaufsicht ist dies nunmehr keine rein hypothetische Situation. Nach deren deutlicher Kritik ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass die Aufsichtsbehörde ein Verfahren eingeleitet hätte, hätten Journalistinnen außerhalb des Schutzbereichs des Landespresserechts das Strache-Video veröffentlicht. Die damit einhergehende Vorfeldeinschüchterung – chilling effect – wird in der Rechtsprechung u.a. des Bundesverfassungsrecht häufig und kritisch bearbeitet.

Die Antwort kann nur sein, dass Deutschland den Auftrag des Art. 85 DSGVO auch für alle anderen relevanten Bereiche außerhalb der formellen Presse umsetzt. Entsprechende Pläne liegen auf Betreiben der SPD-Fraktion des Bundestages spätestens seit Dezember 2018 auf dem Tisch. Im Rahmen der Anhörung zum Zweiten Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU wurde die Notwendigkeit einer Umsetzung auch durch den Autor dieses Beitrags ausführlich diskutiert. In anderen Mitgliedsstaaten ist man indes bereit weiter fortgeschritten. In Österreich selbst regelt § 9 Abs. 1 DSG ein sehr weitgehendes Medienprivileg und in § 9 Abs. 2 DSG findet sich eine sehr flexible Regelung, die es ermöglicht, weite Teile der DSGVO zugunsten der Meinungsfreiheit von der Anwendung auszunehmen. In Deutschland steht ein entsprechender Ausgleich zwischen Datenschutzkontrolle und Meinungs- sowie Pressefreiheit hingegen weiter aus.


4 Comments

  1. Gerd Gosman Tue 21 May 2019 at 16:16 - Reply

    Medienprivilegien finden sich auch in § 9c Abs. 1 Satz 4 und § 57 Abs. 1 Satz 4 RStV. Gerade letztere Norm scheint mir auf die Blogger und sonstige Online-Journalisten ganz gut zu passen.

    Man könnte hiergegen einwenden, dass § 57 Abs. 1 Satz 1 RStV sich wiederum auf “Unternehmen und Hilfsunternehmen der Presse als Anbieter von Telemedien” bezieht. Allerdings wurde dieser Begriff schon unter dem alten Recht weit ausgelegt (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 29.10.2015, 1 B 32.15: “Telemedien sind mithin grundsätzlich vom Medienprivileg dann umfasst, wenn sie unter den Pressebegriff des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fallen… Der Begriff der Presse ist unter Berücksichtigung des Grundes für die Einführung des Medienprivilegs weit auszulegen… Beispielsweise können auch selbständige Journalisten, die nicht in redaktionelle Strukturen eingebunden sind, Unternehmen der Presse sein…”). Da das neue Recht nur noch von “journalistischen” und nicht mehr von “journalistisch-redaktionellen” Zwecken spricht, scheint mir eine noch weitere Auslegung nahezuliegen. Der EuGH legt den Begriff des journalistischen Zwecks auch schon immer sehr weit aus.

    Ich bin mir darum nicht so sicher, ob der in dem Beitrag behauptete dringende Regelungsbedarf wirklich besteht, oder ob man nicht mit einer kommunikationsfreundlichen Interpretation des geltenden Rechts – Landespressegesetze oder RStV – schon ziemlich weit kommt (ähnlich etwa Hennemann, in Specht/Mantz, Handbuch Europäisches und deutsches Datenschutzrecht, § 19 Rn. 62 ff., 67 ff.).

    Abgesehen davon finde ich nicht, dass die österreichische Lösung in § 9 Abs. 2 DSG als Vorbild taugt. Danach findet die DSGVO keine Anwendung, “soweit dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen”. Konkrete Voraussetzungen werden ebenso wenig genannt wie die präzise Reichweite der Nichtanwendung, die anscheinend vom einzelnen Format abhängen soll. Das ist sehr, sehr schwammig und bewirkt das Gegenteil eines rechtssicheren Rechtsrahmens für Datenverarbeitungen zur öffentlichen Kommunikation.

  2. Citizen Tue 21 May 2019 at 17:57 - Reply

    War die Veröffentlichung rechtens?
    Von Klaus Hempel, ARD-Rechtsredaktion
    20.05.2019
    Webseite: tagesschau.de

  3. Tobias Brings-Wiesen Tue 21 May 2019 at 18:05 - Reply

    Lediglich ein ergänzender Hinweis: Genau diese Unsicherheit hat zumindest den Gesetzgeber in Nordrhein-Westfalen angeregt, den die potentielle Lücke schließenden § 51a LMG NRW einzuführen (vgl. dazu LT-Drs. 17/1565, abrufbar unter https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-1565.pdf, S. 98).

  4. Malte Engeler Tue 21 May 2019 at 19:19 - Reply

    Hallo Gerd Gosman,

    der Versuch einer Klarstellung in NRW ist mir bekannt. So recht beruhigt mich das aber nicht, denn
    1. sind damit nur journalistische Tätigkeiten im Kontext von Telemedien erfasst.
    2. ist die Gesetzgebungskompetenz der Ländern für Bereiche unterhalb des klassischen Pressebegriffs nicht eindeutig und
    3. ist die Auslegung, die Sie nahelegen in der Literatur längst nicht unstreitig (siehe zB Kahl/Piltz, Wer hat Vorfahrt: Datenschutz oder Meinungs- und Pressefreiheit? 5/2018 K&R 289, 292).

    Aber natürlich wäre das im Grunde eine Lösung: Der Bund oder die Länder würden Journalismus im Allgemeinen den gleichen Privilegien unterstellen wie die formelle Presse. Allerdings regt sich da natürlich schnell Widerstand, weil man damit die redaktionelle klassische Presse “entwerten” würde, weshalb ich wohl für einen Mittelweg wäre.

    Im Übrigen: Kunst, Literatur und Wissenschaft bleiben dann weiter Baustellen: Den von mir angemahnten Regelungsbedarf stellt die Klarstellung wie in NRW also nicht in Frage.

    LG
    ME

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