11 November 2012

(Rechts-)Wissenschaft sui generis?

In Hamburg sprach ich am Freitag über Möglichkeiten und Grenzen rechtswissenschaftlichen Bloggens. Der Arbeitskreis “Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht e.V.” (JuWiss) hatte mich eingeladen, vor einem kommunikationsfreudigen Kreis deutschsprachiger Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler über meine Erfahrungen mit der juristischen Blogosphäre im Allgemeinen und mit dem Verfassungsblog im Besonderen zu referieren. Und zu diskutieren. Das war immens lehrreich. Mit von der Partie waren als Referierende auch die Kommunikationswissenschaftlerin Nele Heise vom Hamburger Hans-Bredow-Institut und der geschätzte Kollege Thorsten Thiel vom Theorieblog, dessen informative slides man hier angucken kann.

Wer sich mit den Möglichkeiten und Grenzen rechtswissenschaftlichen Bloggens beschäftigt, der kommt um die alte und doch immer neue und unerschöpfliche Frage nach der Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft nicht herum. Um innovative Forschung, reflektierte Praxis, intradisziplinären Diskurs und transdisziplinäre Kooperationsfähigkeit unter Juristen zu stärken, lohnt es sich, über neue Formen der Wissenschaftskommunikation nachzudenken – und diese zu erproben. Graue Theorie allein nützt nicht viel. Darum haben wir vor einem Jahr die Kooperation des Verfassungsblogs mit Recht im Kontext begründet. Welche Gründe und Erwartungen sich damit verbanden, ist hier und hier nachzulesen. Was dann geschah, darüber sprechen die Verfassungsblogger hier.

Die virtuelle Öffentlichkeit im Netz lässt sich nicht gegen Fachzeitschriften, Monographien und Tagespresse ausspielen. Rechtswissenschaftliches Bloggen ist darum eine Kommunikationsform sui generis – nicht “weniger” als ein Fachaufsatz und “mehr” als ein journalistischer Beitrag, sondern eben etwas ganz anderes, eine eigene Form mit eigenen Anforderungen und Qualitätskriterien. Ein unfertiger Aufsatz lässt sich nicht schnell mal auf ein Blogposting “runterbrechen” (wie mancher Diskussionsteilnehmer vermutete). Und Blogs sind auch nicht, wie Nele Heise ihr Impulsreferat überschrieben hatte, “Wissenschaftsjournalismus im Netz”. Jedenfalls für mich nicht. Bloggen ist radikal subjektiv, es erlaubt eine Nähe und Unmittelbarkeit, die ich mir in einem wissenschaftsjournalistischen Beitrag ebenso wenig erlauben würde wie in einem wissenschaftlichen Text. Als Bloggerin kann ich über Veranstaltungen schreiben, die ich selbst organisiere, kann aus der eigenen Werkstatt reportieren, flüchtige Fragen und Beobachtungen ins Gespräch bringen und sogar (wie hier) über einen eigenen Vortrag berichten.

In dieser Subjektivität liegt eine der großen Möglichkeiten des Bloggens, gerade für Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler. Erstaunlicherweise gab es in Hamburg Stimmen, die Meinungsstärke als Gefahr “objektiver” Wissenschaftlichkeit” etikettierten und ernsthaft glaubten, dass sich ordentliche Dogmatik von dezidierter Meinung trennen lässt – und trennen lassen soll. Die Trennung zwischen Tatsache und Meinung sei schließlich im Journalismus gang und gäbe, war da zu hören. Mir scheint das eher ein Gerücht zu sein, das nur noch in Journalistikstudiengängen eisern weitertradiert wird. Dem Verfassungsblog ist diese Trennung jedenfalls fremd (vielleicht wird er deswegen von Thorsten Thiel als “Feuilletonblog” klassifiziert). Und ich finde, dass rechtswissenschaftliche Blogger darauf auch gut verzichten können. Vielleicht lassen sich aus der Subjektivität des Bloggens sogar Impulse für ein reflektierteres wissenschaftliches Schreiben gewinnen. Seit geraumer Zeit schließlich diskutieren Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler (nicht nur im Öffentlichen Recht) über die Verwendung der ersten Person Singular in ihren Texten – und experimentieren damit (zum Beispiel hier).

Weitere Möglichkeiten sind Aktualität, die Lebendigkeit und der Facettenreichtum einer Diskussion in “Echtzeit”, Mehrsprachigkeit und die Möglichkeit, durch gegenseitige Korrektur und Kritik solides Wissen zu generieren (wie etwa in dieser Kommentardiskussion).

Grenzen sind schon dadurch gesetzt, dass der Blog eben – wie gesagt – weder Wissenschaft noch Journalismus ist, sondern ein aliud. Eine Kommunikationsform sui generis – die sich aber (wie das mit sui generis-Phänomenen so ist, Europarechtler kennen das) doch immer auf das bezieht, was sie eben nicht ist, und die nur in Relation dazu gedacht werden kann. Auf dem Verfassungsblog ist der Verzicht auf Fussnoten eine unüberschreitbare Grenze, die wir uns gesetzt haben – die einzige. Im Übrigen bauen wir auf Empfehlungen, sogar in puncto Textlänge (wobei die Empfehlung hier eine sehr nachdrückliche Soll-Vorschrift ist).

Unter den Hamburger Öffentlichrechtlern fanden sich engagierte Verteidiger der deutschen Fußnote (“Der Nachwuchs kommuniziert schließlich über Fussnoten!”). Dagegen ist nichts zu sagen. Schließlich pflegt selbst Professor Klaus F. Röhl, der einmal als Pionier in die Geschichte des rechtswissenschaftlichen Bloggens deutscher Zunge eingehen wird, auf seinem wunderbaren rsozblog mit Leidenschaft die Tradition der Referenzierung mittels Fußnoten. Weil wissenschaftliches Bloggen aber eben nicht gleich Wissenschaft ist, lohnt sich das Nachdenken und und Erproben anderer Formen der Referenzierung. Vielleicht ist es sogar unabdingbar, um dem Gebot der Lesbarkeit entsprechen zu können.

Wichtiger als Formatvorgaben und ausdifferenzierte Kategorisierungen scheinen mir der Dialog mit Gastautoren und die Selbstvergewisserung über das, was ich als Autor mit meinem Text eigentlich sagen will. Die Blogosphäre hat noch viel Platz für neue juristische und rechtswissenschaftliche Blogs. Die Rechtswissenschaft kann sie gut gebrauchen, denn sie hat eine Stärkung des intradisziplinären Austauschs und des disziplinenverbindenden Gesprächs mit den “Nachbarwissenschaften” immer nötig. Auch dem Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis bekommen virtuelle Impulse nicht schlecht.

Doch bevor es an Details wie Bildrechte, Design und Blogroll geht, sollten angehende rechtswissenschaftliche Bloggerinnen und Blogger sich gründlich mit den Fragen auseinandersetzen, die beim Bloggen immer wieder auftauchen: Warum man als Jurist überhaupt bloggen soll. Und was das eigentlich ist – Rechtswissenschaft.


4 Comments

  1. D. Kart Thu 15 Nov 2012 at 09:05 - Reply

    Ich blogge also bin ich.
    Ich blogge also spinn’ ich.
    Ich blogge also bin ich frei.

  2. […] Der Verfassungsblog wird beobachtet und zitiert. Als Diskursraum verbindet er Wissenschaft und Praxis, macht der politischen Öffentlichkeit die Expertise der Wissenschaft zugänglich und verschafft dieser umgekehrt öffentliche Resonanz, integriert unterschiedliche akademische Statusgruppen, verknüpft wissenschaftliche Teilöffentlichkeiten und überwindet disziplinäre wie sprachliche und (rechts-)kulturelle Grenzen. Manchmal ist er im deutschsprachigen juristischen und verfassungspolitischen Diskurs debattenprägend. Die Symposien „Rettungsschirm für Grundrechte“ (in Kooperation mit dem MPI für Völkerrecht in Heidelberg), „Die rechtlichen Haken der Fiskalunion“, „Die Beschneidungsdebatte“ und „Europe 2023 – An Educated Guess“ (sämtlich als „Schwerpunkte“ auf dem Blog nachzulesen) werden inzwischen in wissenschaftlichen Aufsätzenund politischen Streitschriftenzitiert. Immer wieder werden wir gebeten, über unsere Erfahrungen mit dem Blog und dem Bloggen zu berichten und langsam hinzukommende weitere Projekte virtueller Kommunikation im juristischen Feld beratend zu begleiten. […]

  3. Dank und Adieu Mon 16 Jun 2014 at 07:08 - Reply

    […] und vielleicht auch zur Annäherung von Wissenschaft und Öffentlichkeit und zum neuen Nachdenken über Formate und Publikationsstrategien in der Rechtswissenschaft beitragen zu […]

  4. Farewell, Verfassungsblog Mon 16 Jun 2014 at 07:09 - Reply

    […] Indeed, it has been a pleasure and a privilege to set the Verfassungsblog’s cooperation with the Wissenschaftskolleg on track, to develop a concept for embedding the blog into the landscapes of a German university, to have a hand in planting the research project into Humboldt’s Faculty of Law and to help facilitating the thriving and flourishing of Max Steinbeis’ wonderful Verfassungsblog, the emergence of a network of European constitutional law blogs – and maybe even the rapprochement of academia and wider public spheres, and to fresh reflections on formats and publication strategies in legal scholarship. […]

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