02 April 2014

US Supreme Court: Politischen Einfluss muss man sich kaufen dürfen

Reiche US-Amerikaner haben ein Recht, so viel Geld für Wahlkampfspenden auszugeben, wie es ihnen beliebt. Wenn der Gesetzgeber das zu deckeln versucht, verletzt er damit deren Recht, ihre politische Meinung frei zu äußern. Oder, in den Worten von Chief Justice John Roberts:

The Government may no more restrict how many candidates or causes a donor may support than it may tell a newspaper how many candidates it may endorse.

Dass die fünf konservativen Richter im US Supreme Court im heute verkündeten Urteil McCutcheon vs. Federal Election Commission zu einem solchen Schluss kommen würden, ist nach Cititzens United und den darauffolgenden Entscheidungen nicht mehr sehr überraschend. Trotzdem: mit dem heutigen Tag hat der Oberste Gerichtshof endgültig das Recht, sich mit barem Geld Einfluss auf die Geschicke der Nation zu kaufen, zum Verfassungsprinzip der Vereinigten Staaten erklärt.

Die Regulierung der Wahlkampffinanzierung durch individuelle Spender ruhte bisher auf zwei Säulen: Einzelpersonen dürfen eine Parteiorganisation bzw. einen Kandidaten nur bis zu einem bestimmten Maximalbetrag unterstützen. Außerdem ist die Gesamtsumme, die man in einem Zweijahreszyklus für Wahlkampfspenden ausgeben darf, gedeckelt, mit der Folge, dass man, wenn man besonders viele Kandidaten mit Spenden versehen will, diesen Maximalbetrag nicht ausschöpfen kann.

Dagegen hatte ein reicher Geschäftsmann aus Alabama namens Shaun McCutcheon geklagt, der gern mehr Geld für mehr (republikanische) Kandidaten ausgegeben hätte, aber nicht durfte.

Die fünf konservativen Richter – Roberts, Scalia, Kennedy, Alito und Thomas (letzterer in einer noch weitergehenden concurring opinion) – sehen darin den Versuch, McCutcheon quasi zu knebeln: Wahlkampfspenden zu regulieren, greife in das Recht, frei zu sprechen, ein und könne allenfalls als eng begrenzte Maßnahme gerechtfertigt sein, um Korruption zu verhindern. Damit sei aber nur der tatsächliche Kauf konkreter politischer Gegenleistungen gemeint – also regelrechte Bestechung. Die Möglichkeit zu begrenzen, mit Geld politischen Einfluss und Zugang zu den Mächtigen zu kaufen, sei kein legitimes Regulierungsziel.

Dass die doppelte Deckelung nötig ist, damit nicht Einzelne die Regeln umgehen, indem sie gezielt Spenden in einem politischen Netzwerk streuen – das Argument, mit dem der Gerichtshof die Spendenregulierung 1976 gebilligt hatte – , wischt die Richtermehrheit als durch nichts belegte Behauptung weg. Obendrein sei die Deckelung unverhältnismäßig: Um zu verhindern, dass Spender die Regulierung korrumpierender Spenden umgehen, gebe es auch weniger einschneidende Maßnahmen, z.B. die Pflicht, Spenden umfassend offenzulegen.

Die liberale Minderheit ringt die Hände: Das Mehrheitsvotum, so Richter Breyer mit Zustimmung von Kagan, Sotomayor und Ginsburg,

understates the importance of protecting the political integrity of our governmental insti- tutions. It creates a loophole that will allow a single individual to contribute millions of dollars to a political party or to a candidate’s campaign. Taken together with Citizens United v. Federal Election Comm’n, 558 U. S. 310 (2010), today’s decision eviscerates our Nation’s campaignfinance laws, leaving a remnant incapable of dealing withthe grave problems of democratic legitimacy that thoselaws were intended to resolve.

Im Kern spaltet sich die Richterbank entlang der Frage, ob es politisch etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist, wenn reiche Leute viel Geld ausgeben, um ihre politischen Interessen voranzubringen. Aus Sicht der Konservativen, allen voran Clarence Thomas, ist das “Political Speech”, also das Allerheiligste des Allerheiligsten der amerikanischen Verfassung, und jeder Versuch der Regulierung durch den Staat steht erst einmal auf der gleichen Stufe, als würde die Regierung es unter Strafe stellen, Obama doof zu finden.

Aus Sicht der Liberalen ist das schlicht und einfach Korruption.

Die Richtermehrheit (Thomas wohl ausgenommen) hat immerhin die Begrenzung der Spenden, die man einer Parteiorganisation oder einem Kandidaten geben darf, nicht angetastet. Einstweilen jedenfalls. Manche vermuten, das ist dann als nächstes dran.

Mich jedenfalls bestärkt die Entscheidung in dem Entschluss, mir George Packers Buch “The Unwinding: An inner History of the New America” zu kaufen und zu lesen. Das Buch soll phänomenal gut sein.


No Comments

  1. HS Thu 3 Apr 2014 at 08:44 - Reply

    Kennedy konservativ? Also bitte… Außerdem profitieren die Demokraten überproportional von reichen Spendern, wie gerade die beiden letzten Präsidentenwahlen gezeigt haben. Die ständige Betonung von “konservativ” und “republikanisch” an dieser Stelle ist daher unangebracht; und man könnte fast meinen, sogar parteiisch.

    Wie in FEC vs. Citizen United hat der Supreme Court in dieser Entscheidung einfach wieder Waffengleichheit hergestellt: So wie dort gesetzlich die Meinngsäußerung von Unternehmen gegängelt worden war – nicht jedoch die von der New York Times, Inc. und anderen Medienkonzernen – und der Supreme Court diese Ungleichbehandlung beendet hat, so hat er auch hier wieder ausgleichend eingegriffen.

    Und nur als letzte Anmerkung: Das allerheiligste Grundrecht für viele Amerikaner ist nicht “political speech” sondern “free spech”. Und damit haben sie schlicht recht.

  2. Lars S. Otto Thu 3 Apr 2014 at 09:05 - Reply

    In der subjektivrechtlichen Aufmachung des Urteils, beginnend mit “(t)he right to participate”, scheint mir (mit deutscher Dogmatik gesprochen) das objektivrechtliche Prinzip der demokratischen Gleichheit nicht hinreichend beachtet (wobei natürlich ohnehin das 1. Amendment bekanntlich eine sehr spezielle US Supreme Ct. Angelegenheit ist, wie Skokie etc. zeigen).
    Wenn der Referenzpunkt die Korruption ist, wird nicht genügend erwogen, was dies mit dem Grundsatz der equality macht. Korruption ist dabei mit seinen Konnotationen leicht zu entkräftigen – die Narrative einer politischen Führungsschicht, die grundsätzlich korrupt ist, kann natürlich nicht verfangen. Das ist im Übrigen ein bekanntes Instrument der Rhetorik: der Aufbau eines leichter zu bekämpfenden Gegners.
    Der schwierigere, aber treffendere Gegner ist der Grundsatz der Gleichheit, der sich nicht in der formellen Stimmengleichheit erschöpft, sondern in der Entscheidungsfindung nachwirken können muss (zugegeben, der gleiche Zugang zur Wahl ist in den USA wohl ohnehin eine spezielle Angelegenheit).
    In der Wirkung erinnert das Denken der US-Republik (!) doch in der Folge sehr an Zensuswahlrechte wie das Preußische Dreiklassenwahlrecht: Wer viel hat, soll auch viel Einfluss haben (und sein Hab und Gut auch weiter haben und mehren dürfen…). Vielleicht klingt hier das antik-römische Denken aus der Comitia Centuriata nach: Wenn von 193 Centurien 80 von den Infanteristen 1. Klasse gewählt werden, ist das gut für die Gemeinschaft, weil die ja auch mit mehr Vermögen viel bessere Ausstattung für den Krieg mitbringen und für den Kampf auch motivierter sind.
    Fällt dann zukünftig auch noch die Begrenzung der Spendenhöhe weg (iVm. einer Offenlegung der Spenden), ist zumindest transparent für jederman die Verbindung des Vermögens zur Politik erkennbar (interessant dazu allg. die jüngeren Bücher von Crouch). Wer an tickle-down-Modelle glaubt, mag das ja auch gut finden. Das hat dann mit Korruption im Sinne direkten Entscheidungskaufs in schmierigen Hinterzimmer nicht viel zu tun. Mit der demokratischen Gleichheit aber auch nicht.

  3. Maximilian Steinbeis Thu 3 Apr 2014 at 09:15 - Reply

    @HS:
    Kennedy ist zwar derjenige unter den fünf von republikanischen Präsidenten nominierten Richtern, der am häufigsten mit den vier Liberalen stimmt, aber das macht ihn nicht zu einem von ihnen. Dass die Richterbank politisch so gespalten ist, ist nun mal die Realität. Für jeden US-Präsidenten gehört es zu den wichtigsten Erfolgskriterien seiner Amtszeit, ob es ihm gelingt, durch das Nominieren und Durchkriegen der richtigen Richter dem Supreme Court auf Jahre oder Jahrzehnte seinen politischen Stempel aufzudrücken. Und wenn man sieht, wie Roberts agiert, weiß man auch, warum.
    Mich interessiert, ehrlich gesagt, gar nicht so sehr, ob Republikaner oder Demokraten mehr profitieren. Für beide Parteien gilt, dass es unter einer in dieser Art liberalisierten Wahlkampffinanzierung niemals eine Politik machen werden, die den Fat Cats nicht gefällt, ob sie nun an der Wall Street sitzen oder im Silicon Valley. Glass-Steagall wieder einführen? Antitrust gegen Google? It’s just not going to happen.
    Politische Meinungsbildung zu regulieren ist noch direkter und schärfer ein Eingriff in Free Speech als alles andere, deshalb hier Political Speech.
    Und “schlicht” recht? Naja, eins von beiden jedenfalls…

  4. Noah Thu 3 Apr 2014 at 15:49 - Reply

    Das Urteil war wohl so abzusehen. Und ob die Demokraten im Vergleich zu den Republikanern davon ehr profitieren, dürfte zu bezweifeln sein. Es sind dann ja auch seltsamerweise vorrangig die Demokraten, die nicht nur dieses Urteil (und Citizen United v. FEC) geißeln, sondern sogar in Teilen die Verfassung ändern wollen um es zurückzudrehen (was nie passieren wird, machen wir uns nichts vor).

    @HS
    Und dass Kennedy kein Konservativer sein soll, ist jawohl ein Witz. Stimmt schon, bei Gay Marriage und gelegentlich auch woanders stimmt er auch mit dem liberalen Flügel. Aber überwiegend steht er auf der konservativen Seite. Nicht, dass er mit Scalia und Thomas zu vergleichen wäre, aber die sind jawohl auch eine ganz eigene Spezies Ultrakonservativer.

    Im Übrigen find ich auch den free speech-fetish der US-Amerikaner nicht besonders apart. Zum einen lässt er sich in dieser Absolutheit eh nicht durchhalten, letztlich wird dort nur über Bereichsausnahmen rumgetrickst, wenns denn gerade mal passt. Die werden dann von Scalia und Thomas ggf. noch mit pseudo-historischen Analysen versehen und schon ist eine Einschränkung sehr wohl möglich.

    Aber na gut, das ist kein US-Amerikanisches Phänomen. Wir kennen die Debatte über die Absolute in Deutschland ja auch (“Ist die Menschenwürde antastbar?”). Find trotzdem den relativeren europäischen Ansatz da ehrlicher.

  5. […] Wahlkampfspenden USA // Das Urteil McCutcheon des US Supreme Courts, dass reiche Spender vor Regulierung der Wahlkampffinanzierung schützt, schiebt eine große Blogbugwelle vor sich her: Wahlrechts-Papst Rick Hasen analysiert die Entscheidung mit einigem Entsetzen auf Slate.com, wo auch Dahlia Lithwick sich Chief Justice Roberts und seine Haltung zu Geld in der Politik vorknöpft, ebenso wie EmilyBazelonunter dem Titel “The Devastating, Sneaky Genius of Justice Roberts’ Opinion”. Auf Daily Beast wundert sich Lawrence Lessig, wie kreativ die Originalisten auf der Richterbank mit dem Begriff der Korruption umgehen. Applaus erhält das Urteil wenig überraschenderweise von David Bernstein auf Volokh Conspiracy, der seinerseits die Haltung der liberalen Minderheit im Gerichtshof gegenüber der Meinungsfreiheit furchtbar gefährlich findet. Auf ScotusBlog vermutet Lyle Denniston, dass sich der Gerichtshof als nächstes Verbote von Unternehmensspenden auf Staatenebene vor die Flinte nehmen wird. Eine Reihe von Kurzstellungnahmen, darunter Heather Gerken und Nate Persily, fegt der WSJ Law Blog zusammen. Unser Bericht zum Thema: hier […]

  6. […] McCutcheon et al. v. Federal Election Commission entschieden. Die mit 5 zu  4 Stimmen ergangene Entscheidung betrifft das im Federal Campaign Finance Act enthaltene sog. aggregate limit: Es legt fest, wie […]

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