25 March 2014

ZDF-Urteil: Staatsfern, aber nicht staatsfrei

Wie verhindert man am besten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk von den Inhabern politischer Macht instrumentalisiert und ihren Zwecken unterworfen wird? Indem man diese Machtinhaber radikal aus allen Fernsehgremien hinauswirft? Oder indem man sie, geleitet durch Grenzen und Vorgaben, drinlässt und damit im Gegenteil in die Verantwortung nimmt, den Rundfunk pluralistisch, offen und transparent zu halten?

Die Richterinnen und Richter im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts haben über beide Varianten abgestimmt. Das Ergebnis laut heute verkündeter Entscheidung: Sieben für Reinnehmen, einer für Rauswerfen.

Damit dürfte zugleich dafür gesorgt sein, dass der Reihe der Rundfunkurteile, dieser Lindenstraße der Verfassungsgerichtsrechtsprechung, so bald die Puste nicht ausgehen und der 14. Folge zumindest eine fünfzehnte folgen wird.

Zwei Drittel staatsfern

Die Senatsmehrheit um Berichterstatter Johannes Masing sieht die Sache so: Die Gremien des ZDF sind gegenwärtig einem politischen Machtkartell ausgeliefert, dominiert von einigen Ministerpräsidenten und gegen Außenseiter hermetisch abgeschottet. Dem will die Senatsmehrheit durch zwei Dinge entgegenwirken: Erstens soll künftig der Anteil der Staats- und Parteienvertreter in den Gremien auf maximal ein Drittel beschränkt sein. Auf jeden Politiker sollen mindestens zwei Nicht-Politiker kommen.

Zweitens buchstabiert das Gericht eine Reihe von Vorgaben aus, wie Zusammensetzung, Wahlverfahren und Mandat der Gremienmitglieder ausgestaltet sein müssen, um dem Verfassungsgebot eines staatsfernen Rundfunks zu genügen: Die staatsnahen und staatsfernen Gruppen müssen jeweils hinreichend vielfältig zusammengesetzt sein, die Bestellung der staatsfernen hinreichend vor exekutivischer Einflussnahme geschützt, die Dominanz weniger großer Verbände hinreichend gebrochen, die Arbeit der Gremien hinreichend transparent sein, und noch einiges mehr.

Wie stellt sich der Senat das genau vor? Wie will er insbesondere verhindern, dass die Politik über die berüchtigten “Freundeskreise” weiter informell die Gremienarbeit steuert? Das überlässt er kühl dem Gesetzgeber. Festgelegt ist das Ziel, und was die Umsetzung betrifft, sagt er: Löst das irgendwie. (Und – das ist implizit natürlich auch klar – wenn ihr das nicht schafft oder schaffen wollt, dann sehen wir uns an gleicher Stelle wieder).

Rein, nicht raus

Warum geht man nicht gleich so weit, die ZDF-Gremien rundwegs zur staats- oder jedenfalls exekutivfreien Zone zu erklären? Das wäre die Lösung, die Richter Paulus in seinem engagierten Sondervotum fordert. Aus dessen Sicht ist das Gebot des Grundgesetzes, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von staatlicher Machtausübung zu entkoppeln, solange nicht genüge getan, als die exekutivische Staatsgewalt überhaupt noch maßgeblich etwas mitzureden hat in den ZDF-Gremien.

Dem wollte sich im Senat sonst niemand anschließen: Es gehe hier nicht darum, Staat und Gesellschaft auf Abstand voneinander zu halten, so das Mehrheitsvotum, sondern die Vielfalt im öffentlichen Meinungsspektrum abzusichern. So gesehen sind auch Politiker- und sogar Regierungsmeinungen Meinungen, die neben Verbänden und Kirchen usw. in diesem Meinungsspektrum ihren legitimen Platz haben.

Der Staat ist verantwortlich dafür, mit einem offenen, pluralistischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk einer Berlusconisierung der Medienlandschaft vorzubeugen. Diese Verantwortung trägt er als Gesetzgeber, der die Regeln setzt für einen solchen offenen und pluralistischen Rundfunk setzt, aber auch als Exekutive, der sie inner- und außerhalb der Gremien umzusetzen hat. Die Balance, die er dabei zu wahren ist, ist notwendig instabil, denn das Dilemma zwischen Staatsverantwortung und Staatsferne lässt sich nicht nach der einen oder anderen Seite auflösen. Was auch die vielen Rundfunkurteile, vierzehn Stück and counting, erklärt.

Wäre das Problem wirklich damit gelöst, dass die Ministerpräsidenten und ihre Leute nicht mehr in persona im Fernseh- und Verwaltungsrat des ZDF sitzen dürfen? Ist hier wirklich das große Ding, dass die Gremienmitglieder Regierungsämter ausüben? Wenn Roland Koch damals statt seiner selbst, sagen wir, den CDU-Fraktionsvorsitzenden im hessischen Landtag in den ZDF-Verwaltungsrat geschickt hätte, oder den Generalsekretär der hessischen CDU oder sonst irgendeinen seiner Minions, dann hätte unter dem Gesichtspunkt der Exekutivvertretung beim ZDF niemand etwas sagen können, und Nikolaus Brender hätte vermutlich trotzdem nicht Chefredakteur bleiben können.

Lieber habe ich Koch selber in der Verantwortung und kann sein Handeln dann politisch skandalisieren, was ja in der Causa Brender auch geschehen ist.

Dass künftige Kochs auch weiterhin immer wieder mal ihre Finger nach den Möglichkeiten, die ZDF-Berichterstattung über die Gremien zu ihren Gunsten zu steuern, ausstrecken werden, wird die heutige Entscheidung kaum verhindern können. Immerhin stellt ihm das Urteil noch klarer als ohnehin schon in Aussicht, dass ihm Karlsruhe dann auf die besagten Finger hauen wird. Das ist ja schon mal was.


No Comments

  1. Aufmerksamer Leser Tue 25 Mar 2014 at 14:52 - Reply

    Ich dachte bislang nicht, dass hier das Problem zwischen “staatsnah” und “staatsfern” liegt. Ich sah eher Probleme mit der jeweiligen Parteinähe der Funktionäre. Aber gut. Dann bekommen wir jetzt staatsferne Parteisoldaten (idealerweise ohne Parteibuch) – die Sonne geht auf!

  2. Aufmerksamer Leser Tue 25 Mar 2014 at 14:59 - Reply

    Nachtrag: Roland Koch dürfte als Vertreter der Bauwirtschaft ja jetzt in ein plurales Gremium berufen werden. Staatsfern ist er ja.

  3. […] Frederik Ferreau und Thomas Wierny unter die Lupe. Was wir zu diesem Thema zu sagen haben, ist hier, hier und hier zu […]

  4. Ano Nym Sat 29 Mar 2014 at 15:49 - Reply

    “Wie verhindert man am besten, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk von den Inhabern politischer Macht instrumentalisiert und ihren Zwecken unterworfen wird?”

    Vielleicht indem man keine Inhaber politischer Macht zulässt?

  5. Links am Sonntag 30. März | .- Sun 30 Mar 2014 at 18:30 - Reply

    […] ZDF-Urteil: Staatsfern, aber nicht staatsfrei: “Wie stellt sich der Senat das genau vor? Wie will er insbesondere verhindern, dass die Politik über die berüchtigten “Freundeskreise” weiter informell die Gremienarbeit steuert? Das überlässt er kühl dem Gesetzgeber.” […]

  6. Ralph Mon 31 Mar 2014 at 22:00 - Reply

    nichts wird sich ändern: ARD u. ZDF werden weiter für Krieg eintreten (z.Bsp. Deppendorf zum droh. Syrienkrieg Sept.13), weiter lügen (siehe Heimlich in Homs-Analyse von Kretschmann) und weiter schweigen zum Demokratieabbau a la TTIP, Lobbyismus, Mißachtung des Volkes durch den Bundestag (CDU, SPD – Siehe Gen-Mais Jan. 14, Kriegseinsätze, Bankenrettung). Es macht einen so ohnmächtig, dass man sich wirklich zum Zyniker entwickeln möchte.

  7. Unaufmerksamer Leser Tue 1 Apr 2014 at 22:21 - Reply

    Ich liebe die Substanz der hiesigen Kommentare, ein Grund mehr, den Verfassungsblog toll zu finden.

  8. […] ZDF-Urteil: Staatsfern, aber nicht staatsfrei: “Wie stellt sich der Senat das genau vor? Wie will er insbesondere verhindern, dass die Politik über die berüchtigten “Freundeskreise” weiter informell die Gremienarbeit steuert? Das überlässt er kühl dem Gesetzgeber.” […]

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