Defending the Cultural(ist)? Die Ethnologin im Gerichtssaal
Heute Vormittag lauschte ich in der ehrwürdigen Leopoldina in Halle dem abschließenden Teil einer Tagung zur Beschneidungsdebatte, die vom Interdisziplinären Zentrum Medizin-Ethik-Recht der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg veranstaltet wurde. Die Konferenz “Rituelle Beschneidung in Judentum und Islam aus juristischer, medizinischer und religionswissenschaftlicher Sicht” hatte schon am Sonntagabend begonnen, mit Auszügen aus Johann Sebastian Bachs Kantate zum Fest der Beschneidung Christi (BWV 248) mitsamt theologischen Erläuterungen. Da wir gestern jedoch den Freiburger Verfassungsrechtler Rainer Wahl im Berliner Seminar Recht im Kontext zu Gast hatten, konnte ich erst heute im Morgengrauen die Reise an die Saale antreten.
Die Juristin Marie-Claire Foblets, neue Direktorin am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, sprach über “Die Beschneidungsdebatte aus rechtsethnologischer Perspektive” und skizzierte den Zuhörern damit zugleich einen Ausblick auf die Forschungsagenda der Abteilung “Recht und Ethnologie”, die sie gegenwärtig aufbaut (ab Januar geht dort auch Julie Billaud an Bord). Um genau zu sein: sie sprach kaum über die Beschneidungsdebatte, dafür aber ausführlich über ihre rechtsethnologische Perspektive – in der für die Debatte dann doch wieder ordentlich Sprengkraft steckt. Foblets knüpft an die Tradition an, die die international renommierten Rechtsethnologen Franz und Keebet von Benda-Beckmann mit ihrer Projektgruppe “Rechtspluralismus” in Halle etabliert haben. Sie möchte die Rechtsethnologie aber stärker an die in den Juristischen Fakultäten verorteten Rechtswissenschaften heranrücken und sucht auch das Gespräch mit Praktikern, insbesondere mit Richtern.
Marie-Claire Foblets verwies darauf, dass sich Ethnologen aus methodischen Gründen traditionell nicht normativ positionieren – die Sache der Ethnographie sei herkömmlich die Beschreibung, nicht das politische Statement. Diese Zurückhaltung in Fragen der Politikberatung hat gute historische Gründe, die die belgische Juristin in ihrem Vortrag explizit machte: die Ursprünge der Ethnologie als Wissenschaft liegen schließlich in der Ausbildung qualifizierter Bürokraten für die überseeischen Kolonialgebiete des imperialen Europa.
Foblets macht ihren Fachkollegen Mut zur Normativität. Das klingt zunächst konsequent. Denn kann das Studium kultureller Praktiken in deren jeweiligem gesellschaftlichen Kontext tatsächlich “neutral” und unparteiisch sein? Darf die Ethnologin sich verweigern, wenn sie zunehmend als Beraterin auch in juristischen Kulturkonflikten gefragt ist? Ist der Ethnologe Relativist, wenn er – wie Foblets – konstatiert, dass Freiheiten und Werte immer in Relation zu der Kultur stünden, aus der sie erwachsen? Im Blick auf die Debatte um die religiös begründete rituelle Beschneidung unterstrich die Rechtsethnologin die identitätsbildende Bedeutung körperverändernder Initiationsriten, die Notwendigkeit von Initiation zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Strukturen – auch im Falle der Zirkumzision: “Die Kompensation für die Beschneidung ist Zugehörigkeit”. Die ethnologische Beschreibung und Analyse solcher körperverändernder Praktiken aber liegt oft quer zum Menschenrechtsdiskurs der Moderne, fordert die universelle Geltung der Menschenrechte partikularistisch heraus.
Das darin liegende kulturalistische Risiko ist Foblets bewusst – allerdings schickte sie in ihrem Vortrag dafür die amerikanische Rechtsethnologin und Politikwissenschaftlerin Alison Dundes Renteln als Gewährsfrau ins Rennen. Dundes Renteln publizierte mit ihrer Studie “The Cultural Defense” 2004 ein vielbeachtetes Buch über die komplizierten Konfrontationen und Konflikte von Recht und kulturellen oder religiösen Praktiken. Nachdrücklich fordert sie darin die Einbeziehung “kultureller Argumente” in gerichtliche Verfahren – und damit die Einbeziehung ethnologischer Expertise. Für Marie-Claire Foblets dient solcher Einbezug auch der Entlarvung “erfundener Traditionen”, auf die sich einzelne im Zeichen ihrer kulturellen Identität berufen, ohne unmittelbar an authentische Traditionslinien angebunden zu sein. Als Beispiel nannte sie den niederländischen Fall eines jüdischen Vaters, der nach der Scheidung von seiner Frau seine längst dem Säuglingsalter entwachsenen, bis dato christlich erzogenen Söhne beschneiden lassen wollte und darüber mit der Mutter in Streit geriet. Die niederländischen Richter entschieden, dass es in diesem Fall dem Kindeswohl eher entspräche, an die bisherige identitäre Formung anzuknüpfen – und gaben einem väterlichen Recht auf Beschneidung der Söhne nicht statt.
Foblets möchte Richter inspirieren, sich im Prozess der Entscheidungsfindung andere Fälle und Fallkonstellationen mit kulturellem und / oder religiösem Bezug genauer anzusehen und so informierter zu entscheiden. Dabei soll künftig eine Datenbank helfen, die systemübergreifend Fallmaterial zu Rechtskonflikten um kulturelle und religiöse Praktiken sammelt und erschließt.
Was aber sind eigentlich “andere” Fälle? Wer ist “wir”, und wer sind “die”? In der Diskussion kritisierte der Theologe Stefan Schorch scharf Foblets in der Tat unscharfe Rede von “we” und “they”. Der Hinweis der Rechtsethnologin auf die “Mehrheit, die sich den Ansprüchen von Minderheiten ausgesetzt sieht” und auf die “mainstream society” sorgte nicht wirklich für mehr Klarheit. Und wirkte auch nicht recht befriedend auf den zweiten Referenten des Vormittags, den Berliner Rabbiner Tovia Ben-Chorin, der in seinem temperamentvollen Vortrag klagte, nach Foblets Ausführungen komme er sich vor, “als gehörten Juden zu den Hottentotten, zu irgendeinem fernen Stammesvolk “.
Versöhnlicher war da eine Anmerkung des Staatsrechtslehrers Michael Germann, der die Tagung federführend organisiert hatte und die Debatte weniger polarisiert zu charakterisieren versuchte, der Dichotomie von “Fremdem” und “Eigenem” aber auch nicht entkam: “Wir sehen eine Zerissenheit, die mitten durch die Mehrheitsgesellschaft geht. Eine Fremdheit, die in der eigenen Gesellschaft erfahren wird.”
Heute Vormittag lauschte ich in der ehrwürdigen Leopoldina in Halle dem abschließenden Teil einer Tagung zur Beschneidungsdebatte, die vom Interdisziplinären Zentrum Medizin-Ethik-Recht der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg veranstaltet wurde. Die Konferenz “Rituelle Beschneidung in Judentum und Islam aus juristischer, medizinischer und religionswissenschaftlicher Sicht” hatte schon am Sonntagabend begonnen, mit Auszügen aus Johann Sebastian Bachs Kantate zum Fest der Beschneidung Christi (BWV 248) mitsamt theologischen Erläuterungen. Da wir gestern jedoch den Freiburger Verfassungsrechtler Rainer Wahl im Berliner Seminar Recht im Kontext zu Gast hatten, konnte ich erst heute im Morgengrauen die Reise an die Saale antreten.
Die Juristin Marie-Claire Foblets, neue Direktorin am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, sprach über “Die Beschneidungsdebatte aus rechtsethnologischer Perspektive” und skizzierte den Zuhörern damit zugleich einen Ausblick auf die Forschungsagenda der Abteilung “Recht und Ethnologie”, die sie gegenwärtig aufbaut (ab Januar geht dort auch Julie Billaud an Bord). Um genau zu sein: sie sprach kaum über die Beschneidungsdebatte, dafür aber ausführlich über ihre rechtsethnologische Perspektive – in der für die Debatte dann doch wieder ordentlich Sprengkraft steckt. Foblets knüpft an die Tradition an, die die international renommierten Rechtsethnologen Franz und Keebet von Benda-Beckmann mit ihrer Projektgruppe “Rechtspluralismus” in Halle etabliert haben. Sie möchte die Rechtsethnologie aber stärker an die in den Juristischen Fakultäten verorteten Rechtswissenschaften heranrücken und sucht auch das Gespräch mit Praktikern, insbesondere mit Richtern.
Marie-Claire Foblets verwies darauf, dass sich Ethnologen aus methodischen Gründen traditionell nicht normativ positionieren – die Sache der Ethnographie sei herkömmlich die Beschreibung, nicht das politische Statement. Diese Zurückhaltung in Fragen der Politikberatung hat gute historische Gründe, die die belgische Juristin in ihrem Vortrag explizit machte: die Ursprünge der Ethnologie als Wissenschaft liegen schließlich in der Ausbildung qualifizierter Bürokraten für die überseeischen Kolonialgebiete des imperialen Europa.
Foblets macht ihren Fachkollegen Mut zur Normativität. Das klingt zunächst konsequent. Denn kann das Studium kultureller Praktiken in deren jeweiligem gesellschaftlichen Kontext tatsächlich “neutral” und unparteiisch sein? Darf die Ethnologin sich verweigern, wenn sie zunehmend als Beraterin auch in juristischen Kulturkonflikten gefragt ist? Ist der Ethnologe Relativist, wenn er – wie Foblets – konstatiert, dass Freiheiten und Werte immer in Relation zu der Kultur stünden, aus der sie erwachsen? Im Blick auf die Debatte um die religiös begründete rituelle Beschneidung unterstrich die Rechtsethnologin die identitätsbildende Bedeutung körperverändernder Initiationsriten, die Notwendigkeit von Initiation zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Strukturen – auch im Falle der Zirkumzision: “Die Kompensation für die Beschneidung ist Zugehörigkeit”. Die ethnologische Beschreibung und Analyse solcher körperverändernder Praktiken aber liegt oft quer zum Menschenrechtsdiskurs der Moderne, fordert die universelle Geltung der Menschenrechte partikularistisch heraus.
Das darin liegende kulturalistische Risiko ist Foblets bewusst – allerdings schickte sie in ihrem Vortrag dafür die amerikanische Rechtsethnologin und Politikwissenschaftlerin Alison Dundes Renteln als Gewährsfrau ins Rennen. Dundes Renteln publizierte mit ihrer Studie “The Cultural Defense” 2004 ein vielbeachtetes Buch über die komplizierten Konfrontationen und Konflikte von Recht und kulturellen oder religiösen Praktiken. Nachdrücklich fordert sie darin die Einbeziehung “kultureller Argumente” in gerichtliche Verfahren – und damit die Einbeziehung ethnologischer Expertise. Für Marie-Claire Foblets dient solcher Einbezug auch der Entlarvung “erfundener Traditionen”, auf die sich einzelne im Zeichen ihrer kulturellen Identität berufen, ohne unmittelbar an authentische Traditionslinien angebunden zu sein. Als Beispiel nannte sie den niederländischen Fall eines jüdischen Vaters, der nach der Scheidung von seiner Frau seine längst dem Säuglingsalter entwachsenen, bis dato christlich erzogenen Söhne beschneiden lassen wollte und darüber mit der Mutter in Streit geriet. Die niederländischen Richter entschieden, dass es in diesem Fall dem Kindeswohl eher entspräche, an die bisherige identitäre Formung anzuknüpfen – und gaben einem väterlichen Recht auf Beschneidung der Söhne nicht statt.
Foblets möchte Richter inspirieren, sich im Prozess der Entscheidungsfindung andere Fälle und Fallkonstellationen mit kulturellem und / oder religiösem Bezug genauer anzusehen und so informierter zu entscheiden. Dabei soll künftig eine Datenbank helfen, die systemübergreifend Fallmaterial zu Rechtskonflikten um kulturelle und religiöse Praktiken sammelt und erschließt.
Was aber sind eigentlich “andere” Fälle? Wer ist “wir”, und wer sind “die”? In der Diskussion kritisierte der Theologe Stefan Schorch scharf Foblets in der Tat unscharfe Rede von “we” und “they”. Der Hinweis der Rechtsethnologin auf die “Mehrheit, die sich den Ansprüchen von Minderheiten ausgesetzt sieht” und auf die “mainstream society” sorgte nicht wirklich für mehr Klarheit. Und wirkte auch nicht recht befriedend auf den zweiten Referenten des Vormittags, den Berliner Rabbiner Tovia Ben-Chorin, der in seinem temperamentvollen Vortrag klagte, nach Foblets Ausführungen komme er sich vor, “als gehörten Juden zu den Hottentotten, zu irgendeinem fernen Stammesvolk “.
Versöhnlicher war da eine Anmerkung des Staatsrechtslehrers Michael Germann, der die Tagung federführend organisiert hatte und die Debatte weniger polarisiert zu charakterisieren versuchte, der Dichotomie von “Fremdem” und “Eigenem” aber auch nicht entkam: “Wir sehen eine Zerissenheit, die mitten durch die Mehrheitsgesellschaft geht. Eine Fremdheit, die in der eigenen Gesellschaft erfahren wird.”
Differenzierte Gesellschaften vertragen gesellschaftliche Differenz. Sie stabilisiert das System.
Dieses Thema, hat ja eine Konsistenz, die man nur noch mit Abscheu zur Kenntnis nehmen kann. Kein Argument und keine Sichtweise, können dumm genug sein, als das man es nicht doch mal versuchen oder probieren sollte oder könnte.
Fest sollte eigentlich stehen, das die Beschneidung keine religiöse Erfindung ist, und auch nicht sein kann. Sie hatte bis zur Verbreitung der modernen Medizin, durchaus ihre vernünftige Berechtigung. Sie war eine Vorsorge, ähnlich Impfungen, um Krankheiten, wie Phimose, ihren Schrecken zu nehmen.
Dies ist aber durch die moderne Medizin, völlig obsolet geworden. Bei Impfungen reagiert man dann auch ziemlich schnell. Man schafft sie ab, wenn sie als Schutz und kleineres Übel, nicht mehr gebraucht wird. Bei der Beschneidung, tut man sich hier, schon seit Jahrhunderten, ziemlich schwer.
Die Beschneidung, bedeutet für fast jedes Kind, eine abscheuliche Tortur, und kann und darf nur gerechtfertigt sein, wenn sie vor Torturen oder Folgen schützt, die noch schlimmer sind, als die Beschneidungen. Auch wenn solche Torturen, zwischenzeitlich dadurch abgesichert worden sind, das sie religiösen Inhalt angenommen haben, kann doch kaum ein vernünftig denkender Mensch, auf die Idee kommen, solche Torturen, weiter zu führen, nur weil Menschen mal auf die Idee gekommen sind, das es einen Gott gibt, dem diese Beschneidung, außerhalb des vorsorglichen Charakters, zur Befriedigung dienen könnte.
Und genau das, lese ich aus dem Eingangstext heraus. Dort wird mit Hilfe der Ethnologie, versucht, eine Krücke zu finden, ein wenig Werbung für Religion und Glauben zu machen, und damit um Verständnis zu werben. Ich empfinde ein solches Unterfangen, als völlig verwerflich. Bei mir, auf Verständnis zu hoffen, dürfte vergeblich sein, auch mit Thesen aus der Ethnologie. Ein brutales Ritual, oder eine brutale Vorsorge, die ihre Notwendigkeit und damit ihre Berechtigung verloren hat, gehört ohne wenn und aber, auf den Müllhaufen der Geschichte. Alles andere ist unverantwortlich, insbesondere, für die Opfer, nämlich die Kinder.
Ich bin übrigens, 1951, von meinen Eltern, ins Krankenhaus gegeben worden, wegen einer Krankheit, die nichts mit meinem Genital zu tun hatte. Dort wurde, ohne das einer um Erlaubnis gebeten hatte, mein Genital beschnitten. Meinen Eltern, blieb nur noch die Möglichkeit, vollendete Tatsachen in Empfang zu nehmen, sich ein paar hohle Erklärungen anzuhören, und wochenlang, den Verband zu wechseln. Wenn ich damals diese Möglichkeiten gehabt hätte, die ich heute habe, wäre ich, das letzte Kind gewesen, was dieser Arzt beschnitten hätte. Er hätte seine Approbation verloren, und wäre ins Gefängnis gekommen.
Grüße, Rudi Gems
Offenbar entfaltet sich gerade in NY eine jdenfalls in Ansätzen ähnliche Debatte, auch dort vor Gericht, auch wenn (noch) mit einer viel engeren Fragestellung:
“New York City’s decision to require parental consent before a mohel can use his mouth to draw away blood from the wound after an infant circumcision will stand following a ruling by a federal judge.”
http://www.newyorklawjournal.com/PubArticleNY.jsp?id=1202584257442