Di Fabio ist befangen? Na klar. Na und.
Auf Welt.de ist es die Spitzenmeldung zurzeit: Udo Di Fabio, der Berichterstatter im Zweiten Senat im Fall Griechenland/Euro-Rettungsschirm, soll während des laufenden Verfahrens öffentlich herumposaunt haben, welche Positionen er zum Thema Staatsverschuldung vertritt. Von elf Vorträgen und zwei Interviews ist die Rede, in denen der Staatsrechtsprofessor zu Fragen geäußert habe, die mit dem Fall in Zusammenhang stehen. Der Mann sei befangen, behauptet der Wirtschaftsjurist Markus J. Kerber und hat beantragt, Di Fabio von der Teilnahme an dem am 7. September zu verkündenden Urteil auszuschließen.
Di Fabio! Vorträge gehalten! I am shocked!
Mal im Ernst jetzt: Befangen ist man dann, wenn man an als Richter an einen Fall mit einer vorgefassten Meinung herangeht. Wenn man nicht mehr offen ist für die spezielle Situation, in der sich die ganz individuellen Kläger und Beklagten befinden, deren Streit der Richter entscheiden soll. Sondern glaubt, man wisse auch so Bescheid, weil man eine abstrakte Idee im Kopf hat, der man zur Wirkung verhelfen will, anstatt den Prozessparteien ihr Recht zu geben.
Diesen Maßstab würde ich an jedes Gericht anlegen. Außer an das Bundesverfassungsgericht. Da ist dieser Maßstab nicht Ausschlusskriterium, sondern eigentlich eher Jobbeschreibung.
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet nie allein und ausschließlich inter partes. Es ist ein Verfassungsgericht, das heißt, es ist an der Schnittstelle zwischen Recht und Politik angesiedelt. Es ist, anders als jedes andere Gericht, nicht nur dazu da, individuellen Klägern und Beklagten Gerechtigkeit zu verschaffen, sondern es hat auch und natürlich seine politische Rolle als Verfassungsorgan auszufüllen.
Wie sonst wäre es zu rechtfertigen, dass ein Kläger unter hohen finanziellen und persönlichen Kosten ein verfassungswidriges Gesetz nach Karlsruhe bringt und dort Recht bekommt – und trotzdem, weil Karlsruhe dem Gesetzgeber eine Änderungsfrist gewährt, überhaupt nichts davon hat? Was wäre sonst davon zu halten, dass so viele Marksteine in der Geschichte der BVerfG-Rechtsprechung, von Elfes bis zur Spiegelaffäre, tatsächlich zu Lasten des Klägers ausgingen? Wie sonst wäre zu erklären, dass Entscheidungen aus Karlsruhe Gesetzeskraft erlangen können? Es geht eben nicht allein darum, dem speziellen Kläger zu seinem Recht zu verhelfen – sondern auch dem ganzen Land zu seiner Rechtsstaatlichkeit.
Justizia ist blind, Minerva nicht
Zurück zum Fall: Wem schadet es, wenn Di Fabio durch das Halten von Vorträgen zeigt, dass er in punkto Staatsverschuldung eine vorgefasste Meinung hat? Oder anders gefragt: Wie individuell ist denn der Fall, über den das BVerfG am 7. September zu entscheiden hat, überhaupt? Wird hier tatsächlich die persönliche Tragödie des armen Peter Gauweiler verhandelt, der Di Fabio vor lauter Befangenheit nicht mehr gerecht werden kann?
Das ist doch eine Farce. Hier liegt von Anfang an und in voller Absicht der Klägerseite eine abstrakte Rechtsfrage zur Entscheidung auf dem Karlsruher Richtertisch. Die Gehirnakrobatik, die sie uns abverlangen, um überhaupt die Zulässigkeitshürde zu überwinden, zeigt doch schon: Hier haben ein paar Professoren die Verfahrensform der Verfassungsbeschwerde gehijackt, um ein paar anderen Professoren eine Entscheidung über ein paar politisch und wissenschaftlich umstrittene Fragen abzunötigen.
Wir haben, und darin unterscheidet sich ein Verfassungsgericht von einem Supreme Court, eine Menge Professoren in den Senaten sitzen, und das finden wir doch eigentlich alle ganz gut so. Professoren denken aber sowieso und von vornherein in wissenschaftlichen Kategorien – vorgefasste Meinungen, wenn man so will. Wenn Professor Di Fabio seine vorgefasste Meinung öffentlich herumerzählt, dann macht ihn das vielleicht unbeliebt im Kreis seiner Senatskollegen. Aber nicht befangen.
Natürlich besteht die Gefahr, dass Richter, die über den individuell zu entscheidenden Fall hinausentscheiden, sich politisch verselbständigen. Dass sie sich als Richter- und Philosophenkönige gerieren, die der Politik kraft höherer Einsicht ihren Weg weisen anstatt die Richtungswahl dem demokratischen Meinungskampf zu überlassen. Wir erinnern uns alle noch sehr gut an Paul Kirchhofs kaum zu zügelnden Gestaltungsdrang.
Aber das ist ein Problem unserer Konstruktion. So ist das nun mal, wenn man eine Verfassungsgerichtsbarkeit wie das unsere hat. Was uns, neben der Honorigkeit der einzelnen Richterpersönlichkeiten, davor schützt, ist höchstens, dass sie nicht von sich aus tätig werden können. Sondern nur, wenn jemand (zulässigerweise) klagt.
Da wir gerade von Zulässigkeit sprechen: Ich bin sehr gespannt, wie der Senat begründen will, dass Herr Gauweiler individuell in einem seiner Grundrechte verletzt ist durch den Griechenland-Bailout. Da wäre mir viel eher bange an der Stelle.
Eigentlich ist mir gar nicht bange vor dem Urteil. Wenn die Politik dumme Entscheidungen trifft, ist es nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtes diese zu beanstanden. Es ist Aufgabe des Wählers. Alles was das BVerfG tun kann ist, die Rechtmäßigkeit der gesetzgebung zu gewährleisten, und wenn diese gegeben ist 8wie dumm auch immer im Einzelfall!), so kann es daran nichts ändern. Wenn also Frau Merkel meint, Griechenland Geld zu schicken und der Bundestag dafür war, dann ist es rechtmäßig. Es ist sozusagen Erfüllung des 4 jahre währenden Wählerauftrages. Wenn Frau Merkel aber entscheidet Griechenland zu helfen ohne die dafür nötigen Organe der Gesetzgebung zu Rate zu ziehen, heißt, den Bundestag einfach zuübergehen, dann ist es Gesetzeswidrig und muss geahndet werden. Schon allein deswegen damit wir hier keine Diktatorischen Zustände bekommen. Ich sehe der ganzen Sache also gelassen entegegen.
Ich finde es allerdings eine fragwürdige Regelung, dass man persönlich von einem gesetzeswidrig zustande gekommenen Gesetz betroffen sein muss um Klage erheben zu können. Es muss eigentlich ausreichen wenn sich die Regierung nicht an die Gesetze hält, egal was es ist und ob es mich betrifft. Es müsste sozusagen eine Art Staatsanwalt für Gesetzgebungen geben. Ich kenne mich nicht genug in der Materie aus .. vielleicht gibt es soetwas ja, vielleicht auch nicht. Vielleicht ist so ein Staatsanwalt auch gar keine so gute Idee. Im Grunde müsste der Bundespräsident diese Funktion ausfüllen bevor ein gesetz auf den Weg gebracht wird. Aber der ist ja auch nicht frei von Fehlern bzw. frei in seinen Entscheidungen.
Lieben gruß,
Semmel
Der Mann (Kerber) ist jedenfalls auch oder sogar primär ein – seit langem stellungsloser – Privatdozent für Öffentliches Recht mit Habilitation im Verfassungsrecht. Da wundert einen dann doch, dass er die st. Rspr. des BVerfG zur Befangenheitsablehnung bei Bundesverfassungsrichtern nicht zu kennen scheint.
“Wenn also Frau Merkel meint, Griechenland Geld zu schicken und der Bundestag dafür war, dann ist es rechtmäßig. Es ist sozusagen Erfüllung des 4 jahre währenden Wählerauftrages.”
Nein! Eine der Grundsäulen rechtsstaatlicher Ordnung ist gerade, daß bestimmte Grenzen nicht überschritten werden dürfen, siehe Art. 20 GG (3).
Wenn also Frau Merkel meint, Lebensraum im Osten schaffen zu müssen, und der Bundestag das abnickt, dann ist es noch lange nicht rechtmäßig.
Gesetzgebendes Organ Fall für die BRD ist nicht die Regierung, sondern der Bundestag ((2) “besondere Organe der Gesetzgebung” = Bundestag, nicht Regierung)
Frau Merkel hat laut Grundgesetz überhaupt nichts zu entscheiden, sie hat die vom Bundestag beschlossenen Gesetze umzusetzen.
Das die Regierungsfraktionen einfach nur alle Gesetze der Regierung abnicken ist schon ein Verfassungsbruch.
Damit hat es die Exekutive geschafft, sich die Legislative Untertan zu machen.
Art 20 GG:
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
klingt irgendwie (ohne genaue kenntnis des sachverhalts) nach § 18 III Nr. 2 bverfgg: die äußerung einer wissenschaftlichen meinung ist kein befangenheitsgrund.
@Daniel Sorry aber das ist dann ihre Interpretation. Gibt es Autoritäten die das auch so sehen? Natürlich sollte theorethisch jeder das Gesetz lesen und verstehen können, aber das ist nirgends so, immer gilt die hM bzw. Interpretation/Rechtssprechung. Heisst was sie (oder ich) daraus entnehmen oder gerne entnehmen würden ist nicht wirklich relevant.
@Semmel: Es hat schon sehr gute Gründe warum oft die Erfordernis besteht selbst betroffen zu sein, nicht nur beim BVerfG. Schon alleine weil es sonst noch mehr Leute gäbe die versuchen würden das für Eigeninteressen auszunutzen (Arbeitslast) und weil wie auch oben schon gesagt eben nicht immer für jeden ersichtlich ist wann etwas rechtmäßig ist und wann nicht.
Dieser öffentliche Amok-Lauf der Kläger gegen DiFabio hat m.E. ganz triviale Gründe.
Es war schon lange bekannt, dass Gauweiler und andere umfassende Beschwerdeschriften einreichen werden. Warum sollten die Kläger dann trotzdem selbst auch eine VB einreichen – und zwar NACH dem Gauweiler und andere bereits ihre eingereicht haben? Weil sie wahrscheinlich selbst (aus Eitelkeit, Geltungsdrang, Wut, Frust oder sonstigen Gründen) der Politik vor dem Bundesverfassungsgericht mal die Leviten lesen wollten. Und deren Anwalt hat ihnen wohl genau das in Aussicht gestellt. Dabei vergas er wohl zu erwähnen, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit von Verfassungsbeschwerden verschwindend gering ist. Darunter fällt auch die Wahrscheinlichkeit als Musterbeschwerdeführer ausgewählt zu werden.
Offensichtlich versucht der Anwalt durch diesen offensichtlich peinlichen Angriff auf DiFabio die Beschwerdeführer davon zu überzeugen, dass ihnen von diesem Gericht Ihr Recht verwehrt wurde. Gerade als Verfassungsrechtler weiß er ganz genau, dass das Blödsinn ist. Ansonsten kommen die nämlich auf den Trichter, dass der Anwalt ihnen etwas versprochen hat, was er nicht halten konnte und die Beschwerdeführer kämen vielleicht auf die Idee das – wahrscheinlich fünfstellige Honorar – von ihm zurückzuverlangen.
Ich hab selbst schon einige Anwälte gesehen, die versucht haben über eine (öffentlichkeitswirksame) Verfassungsbeschwerde aus ihrem bislang wenig erfolgreichen Tätigkeit auszubrechen. Das ist regelmäßig schief gegangen.
Und die Karlsruher Richter kennen solche Pappenheimer ganz genau und sie wußten schon warum sie diesen Schreihals mit seinen Selbstdarsteller-Mandanten nicht in die mündliche Verhandlung eingeladen hatten. Die im Übrigen – entgegen der öffentlichen Verlautbarungen – öffentlich war.
Eine kleine Richtigstellung (die die Sache gleichwohl nicht besser macht): Jedenfalls dem Welt-Artikel zufolge soll anders als oben dargestellt gerade nicht beantragt werden, Di Fabio von der Teilnahme an der Urteilsverkündung vom 7. September auszuschließen, sondern sein Ausschluss wegen vermeintlicher Befangenheit in den beiden Verfahren der Europolis-Klägergruppe erreicht werden. Diese wurden vom 2. Senat ja gerade nicht mit in die mündliche Verhandlung einbezogen, so dass insoweit für den 7. September auch noch kein Urteil zu erwarten ist (verhandelt wurden nur die Klagen der Gruppe von 5 Professoren um Schachtschneider sowie die von Murswiek vertretene VB Gauweilers). Diese “gerichtliche Missachtung” der Europolis-VB ist wohl auch der Grund für den Befangenheitsantrag von Kerber und die noch absurdere Klage vor dem EGMR (dazu http://www.welt.de/politik/deutschland/article13562129/Unternehmer-bringen-Verfassungsrichter-vor-Gericht.html )
Heute wurde übrigens die Begründung für die Ablehnung des Befangenheitsantrages vorgelegt: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20111011_2bvr101010.html. Daraus “Wissenschaftliche Äußerungen zu einer für das Verfahren bedeutsamen Rechtsfrage (§ 18 Abs. 3Nr. 2 BVerfGG) können deshalb für sich genommen kein Befangenheitsgrund sein” und “Auch politische Äußerungen sind einem Richter des Bundesverfassungsgerichts nicht grundsätzlich verwehrt.” Aber “Zweifel an der Objektivität des Richters können etwa berechtigt sein, wenn sich aufdrängt, dass ein innerer Zusammenhang zwischen einer – mit Engagement geäußerten – politischen Überzeugung und seiner Rechtsauffassung besteht”. In der Subsumtion erkennt das Gericht in den Äußerungen Di Fabios aber keine solche Umstände.
Hier die Ablehnung der Befangenheit: http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg11-064.html