02 September 2021

Die Bundestagswahl 2021 unter den Bedingungen der Pandemie

1. Wahlen in der Pandemie

Zu den ungelösten Problemen im rechtlichen Umgang mit der Corona-Pandemie gehört das Verhältnis von Infektionsschutzrecht und Wahlrecht. Darf die Ausübung des Stimmrechts an infektionsschutzrechtliche Auflagen, etwa das Tragen einer Maske oder die Vorlage eines negativen Coronatests, geknüpft werden? Die Kommunalwahlen in Bayern im Frühjahr 2020 in der Frühphase der Pandemie hatten insoweit noch nicht zu größeren Verwerfungen geführt (s. dazu Lindner, hier und hier). Zwar wurde der zweite Wahlgang – also die Stichwahl – als obligatorische Briefwahl durchgeführt. Dafür hatte der bayerische Gesetzgeber aber eine eigene Grundlage im Gemeindewahlgesetz geschaffen (Art. 60a GLkrWG). In Sachsen-Anhalt wurde am 6. Juni 2021 ein neuer Landtag gewählt. Auch diese Wahl wurde als reine Briefwahl durchgeführt. Eine entsprechende Änderung des Wahlgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt hatte das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt mit Entscheidung vom 3.5.2021 (LVG 5/21) für mit der Landesverfassung vereinbar erklärt. Auch hier stellte sich die Frage nach dem Verhältnis von Pandemie- und Wahlrecht noch nicht in aller Schärfe, da die Anordnung der obligatorischen Briefwahl nicht auf der Basis des Infektionsschutzrechts erfolgte, sondern im Wahlrecht selbst verankert wurde. Bei der am 26.9.2021 anstehenden Bundestagswahl tritt das Problem des Verhältnisses von Infektionsschutz- und Wahlrecht hingegen in aller Deutlichkeit zu Tage. Denn hier hat der für das Bundestagswahlrecht ausschließlich zuständige Bundesgesetzgeber (Art. 38 Abs. 3 GG) bislang keine pandemiebedingten Änderungen im Bundeswahlgesetz (BWahlG) vorgenommen. Auch in der die Details der Wahl regelnden Bundeswahlordnung (BWO) finden sich bisher (Stand 2.9.2021) keine Vorgaben für die Durchführung der Wahl unter Pandemiebedingungen. Lediglich für die Aufstellung von Wahlbewerbern war mit der „COVID-19-Wahlbewerberaufstellungsverordnung“ vom 28.1.2021 (BGBl. I S. 115) eine auf die Pandemie zugeschnittene Rechtsverordnung erlassen worden. Auch das in der Pandemie mehrfach geänderte, mittlerweile kaum mehr lesbare Infektionsschutzgesetz (IfSG) enthält keine speziellen Vorgaben für die Durchführung der Bundestagswahl 2021. Dies bedeutet zunächst, dass diese Wahl nach den allgemeinen Regeln des BWahlG und der BWO durchgeführt werden muss. Die entscheidende Frage lautet, ob die Infektionsschutzverordnungen der Länder, die auf das IfSG gestützt sind, zusätzliche Vorgaben für die Durchführung der Wahl regeln dürfen.

2. Wahlberechtigte im Krankenhaus oder in Quarantäne

Wer sich wegen COVID-19 stationär im Krankenhaus befindet, verliert dadurch selbstverständlich weder Wahlrecht noch Wahlmöglichkeit. Die BWO sieht neben der Möglichkeit der Briefwahl eigens Regelungen zur Durchführung der Wahl in Krankenhäusern vor (vgl. insbes. §§ 13, 61 f. BWO zu den Wahlen in Sonderwahlbezirken). Wer sich wegen einer Coronainfektion nach Maßgabe des Infektionsschutzrechts in Quarantäne befindet, verliert sein Wahlrecht ebenfalls nicht. Er darf zwar seine Wohnung auch zum Zwecke der Wahl nicht verlassen, hat jedoch die Möglichkeit der Briefwahl. Sollte die Infektion erst kurz vor dem Wahltermin oder am Wahltag selbst festgestellt werden, tritt die Quarantänepflicht sofort ein, auch wenn der Wahlberechtigte (noch) keine Briefwahlunterlagen beantragt hatte. In diesem Fall bleibt noch die Möglichkeit, Briefwahlunterlagen bis 15 Uhr des Wahltages zu beantragen. Doch wie gelangen diese zum infizierten Wahlberechtigten und wieder zurück ins Wahlamt? Das Verfahren müsste praktisch so gestaltet werden, dass sich der in der Quarantäne befindliche Wahlberechtigte durch einen Bevollmächtigten oder Boten die Wahlunterlagen bringen und diese wieder zurückbringen lässt. Hierfür könnte ggf. der bewegliche Wahlvorstand (vgl. § 8 BWO) aktiviert werden. Dann müsste der infizierte Wahlberechtigte aber von dem mit der Quarantäne verbundenen Kontaktverbot wenigstens für den Zeitraum der Übergabe der Wahlunterlagen befreit werden. Dafür wären indes nicht die Wahlbehörden, sondern die Gesundheitsbehörden zuständig, die dies durch Allgemeinverfügung regeln könnten.

3. „3 G“ im Wahllokal?

Auf der letzten Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin wurde vereinbart, dass ab einer 7-Tage-Inzidenz von 35/100.000 Einwohner Zugang zu bestimmten Innenräumen nur erhält, wer genesen, geimpft oder negativ getestet ist. Dies wurde von einigen Ländern mittlerweile in den auf §§ 28 ff., 32 IfSG gestützten Landesverordnungen umgesetzt. Es stellt sich die Frage, ob diese sog. „3 G“-Regelung auch für die Wahllokale gelten kann. Dies wird man verneinen müssen. Der Bund hat die Durchführung der Wahl, insbesondere auch die Voraussetzungen für die Ausübung des Stimmrechts abschließend im BWahlG und in der BWO geregelt. Dort ist von „3 G“ keine Rede; ebenso wenig findet sich eine entsprechende Anordnung im IfSG. Darüber dürfen sich die Länder durch den Erlass von Landesverordnungen nicht hinwegsetzen. An der Urnenwahl im Wahllokal kann daher auch teilnehmen, wer weder geimpft noch genesen noch negativ getestet ist. Bayern hat dies in der jüngst erlassenen 14. Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1.9.2021 (BayMBl. 2021 Nr. 615) ausdrücklich klargestellt und die „Wahllokale“ von der „3 G“-Regelung in § 3 Abs. 3 der genannten Verordnung ausgenommen.

4. Hygienekonzept

Die Umsetzung der mittlerweile gewohnten Hygieneanforderungen ist wahlrechtlich ohne weiteres möglich. Nach § 46 BWO sind die Gemeinden für die Bestimmung der Wahlräume und dessen Ausstattung zuständig. Dabei können und müssen zum Schutz der Wähler und Wahlhelfer die Hygieneanforderungen beachtet werden (Größe der Räume, Abstände der Wahlkabinen, Lüftungs- und Desinfektionsmöglichkeiten etc.). Die räumliche Situation ist so zu gestalten, dass bei hohem Andrang im Wahllokal die Wartenden so „geschleust“ werden, dass sie in hinreichendem Abstand zu einander warten können; hierfür ist der Wahlvorstand verantwortlich (§ 55 BWO). Auch der in § 56 BWO minutiös geregelte Vorgang der Stimmabgabe kann pandemiegerecht gestaltet werden.

5. Maskenpflicht im Wahllokal?

Größere rechtliche Probleme bereitet hingegen die Frage, ob die Wahlberechtigten im Wahllokal eine Maske tragen müssen. BWahlG und BWO sehen dies nicht vor. Zwar regeln infektionsschutzrechtliche Landesverordnungen die Pflicht zum Tragen von Masken in Innenräumen (vgl. z.B. § 2 der 14. BayIfSMV). Doch gilt das auch für Wahllokale? Immerhin hat der Bund in der BWO den Wahlvorgang haarklein geregelt und eine Bindung der Ausübung des Stimmrechts an das Tragen einer Maske (bislang) nicht vorgesehen. Dies spricht dafür, dass die Länder keine Zusatzanforderungen an die Ausübung des Stimmrechts stellen können. Deswegen steht auch § 11 Abs. 3 der Coronaverordnung des Landes Baden-Württemberg, der ausdrücklich eine Maskenpflicht bei der anstehenden Bundestagswahl anordnet, auf wackeligen Beinen. Rechtlich noch problematischer aber wird es, wenn sich ein Wahlberechtigter weigert, im Wahllokal eine Maske zu tragen. Darf ihn dann der Wahlvorstand von der Teilnahme an der Urnenwahl ausschließen und ihn auf die Briefwahl verweisen? Diese Frage wird man derzeit verneinen müssen. Zwar hat der Wahlvorstand nach § 55 BWO für Ruhe und Ordnung im Wahllokal zu sorgen. Dazu kann er aber Personen nicht ohne Weiteres von der Stimmabgabe ausschließen. Vielmehr regelt § 56 Abs. 6 BWO detailgenau und abschließend, in welchen Fällen der Wahlvorstand einen Wähler „zurückzuweisen“ hat. Das Nichttragen einer Maske lässt sich unter keine der Nummern des § 56 Abs. 6 BWO subsumieren. Die Zurückweisung eines Wählers wegen Nichttragens einer Maske wäre daher rechtswidrig. Daher drohen am 26.9. massenweise Fehler im Wahlverfahren und sich daran anknüpfende Einsprüche nach dem Wahlprüfungsgesetz. Dies könnte nur dadurch vermieden werden, dass die Pflicht zum Tragen von Masken im Wahllokal und die Konsequenzen von Verstößen gegen diese Pflicht auf eine klare Rechtsgrundlage mindestens in der BWO gestellt werden. Dass dies bislang nicht passiert ist, erstaunt.


5 Comments

  1. mq86mq Fri 3 Sep 2021 at 04:30 - Reply

    Dass die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt als reine Briefwahl stattgefunden hätte, wär mir neu. Tatsächlich haben 313’991 per Briefwahl teilgenommen, 1’576 mit und 763’478 ohne Wahlschein im Wahllokal. Es hat bloß die rechtliche Möglichkeit bestanden, das anzuordnen.

    Die Bundeswahlordnung sieht (im Gegensatz zu den Wahlordnungen einiger Länder) bis heute nicht vor, dass bei Quarantäne noch kurzfristig ein Wahlschein erteilt werden dürfte. Einziger zulässiger Grund dafür ist plötzliche Erkrankung, wenn deswegen die Wahl im Wahlraum nicht zumutbar oder unmöglich ist. Andere Gründe der Unmöglichkeit (wie etwa auch Verhaftung) sind dabei nicht erfasst. 1987 war übrigens Erledigung durch einen Bevollmächtigten nur ausnahmsweise zulässig, wenn amtliche Überbringung nicht mehr möglich war. Die damaligen Verschärfungen nach verbreiteten Missbräuchen sind dann aber gleich wieder weitgehend rückgängig gemacht worden.

    Bei den Hygienekonzepten ist das Hauptproblem, dass Wahlvorstände keinen Weisungen unterliegen, soweit die nicht ausdrücklich im Wahlrecht vorgesehn sind, und wohl auch keine wahlrechtsfremden Verordnungen besondere Pflichten für ein rein wahlrechtlich begründetes Ehrenamt erschaffen können. Für besondere Aufgaben müssten die Gemeinden schon auch besondere Hilfskräfte bereitstellen.

    Bei der Maskenpflicht wär noch zu erwähnen, dass im Bundeswahlrecht bis heute ausnahmslos ein gesetzliches Maskenverbot für Mitglieder der Wahlvorstände gilt (§ 10 Abs. 2 Satz 2 BWahlG). Soweit wahlrechtsfremde Regelungen Wahlberechtigte schon erfolgreich am Betreten des Wahlraums hindern, werden wahlrechtliche Regelungen garnicht erst zum Tragen kommen, aber in der Wahlprüfung wird es dann schon drum gehn müssen, ob die Wahl hinreichend allgemein, gleich und frei gewesen ist. Das Hauptproblem bei den Masken seh ich darin, dass sie Verbrauchsgegenstände sind, die eine Wahlteilnahme mit spezifischen Kosten verknüpfen. In der Wahlprüfung sind schon öfters die Briefmarken bei Gefangenen (die regelmäßig am Betreten des Wahlraums wie auch an online gestellten Briefwahlanträgen gehindert sind) allgemein oder speziell bei besonderer Bedürftigkeit thematisiert worden. Da hat es aber zumindest immer an der Mandatsrelevanz gefehlt.

  2. Andreas Beyer Sat 4 Sep 2021 at 19:16 - Reply

    Nein, die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt war keine obligatorische Briefwahl. In unserer Gemeinde waren mehr als die Hälfte der Wähler im Wahllokal.
    MfG

  3. Maximus Pontifex Sun 5 Sep 2021 at 21:16 - Reply

    Drei Sekunden googeln (inkl. tippen): https://www.landtag.sachsen-anhalt.de/wahlergebnis

  4. Boris Büche Sat 25 Sep 2021 at 12:11 - Reply

    Covid-Verordnung steht über Bundeswahlgesetz, nach Ansicht eines OVG:
    https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/59_210924/index.php

  5. Boris Büche Sat 25 Sep 2021 at 12:19 - Reply

    § 10 Abs. 2 Satz 2 BWahlG wird im Berliner Musterhygienekonzept missachtet:
    https://www.berlin.de/wahlen/wahlen/wahlen-2021/corona/artikel.1123738.php

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