Die Grenzen der Menschenrechte: Venice Academy of Human Rights 2012
Vom 9. bis 18. Juli wurde im alten Kloster San Nicolò auf dem Lido in Venedig über Menschenrechte und ihre Grenzen diskutiert. Die Organisatoren der Sommerakademie hatten hierfür einige große Namen des Völkerrechts und der Politischen Theorie sowie Praktiker im Bereich des internationalen Menschenrechts- bzw. Flüchtlingsschutzes eingeladen – ein Wermutstropfen war die kurzfristige Absage von Seyla Benhabib. Auf die Vorlesungen und Seminare von vier der Vortragenden wird im Folgenden näher eingegangen werden.
Die Kritik: Martti Koskenniemi
Den Auftakt machte Martti Koskenniemi mit einer Vorlesung über Völkerrechtsgeschichtsschreibung und Eurozentrismus – und verschiedene Ansätze, diesem Problem zu begegnen. Damit war bereits der Grundton angestimmt, der sich in der seiner zweiten Vorlesung mit dem Titel „Ten things they don’t tell you about human rights“ fortsetzte. Unverkennbar war hier die Nähe zu David Kennedys Kritik an der Menschenrechtsbewegung, dessen erstes Kapitel in The Dark Sides of Virtue (2004) Koskenniemi auch als vorbereitende Lektüre angegeben hatte. Dass er jedoch keineswegs bei der Kritik stecken bleibt, zeigte sich in seinem Seminar, in dem er nochmals in aller Kürze seine intellektuelle und politische Agenda erläuterte: Auffassung der Menschenrechte als eine Sprache unter anderen; gegen „managerialism“; für „critical research“, der die Bedingungen wissenschaftlicher Interpretation mitreflektiert; Bedeutung der Geschichte, um sich der Kontingenz der aktuellen Situation bewusst zu werden. Anschließend war reihum jeder aufgefordert, den eigenen Standpunkt und mögliche alternative wissenschaftliche und politische Projekte/ Sprachen zum vorherrschenden Menschenrechtsdiskurs vorzustellen.
Ein kritischer Menschenrechtsaktivist: Philip Alston
Die erste Vorlesung von Philip Alston war ebenfalls der Geschichte, genauer gesagt zwei kürzlich veröffentlichten Untersuchungen zur Geschichte der Menschenrechte gewidmet. Zuerst unterzog er Samuel Moyns The Last Utopia (2010) einer scharfen Kritik. Das Fazit lautete, Moyns Darstellung sei im Ergebnis sowohl ahistorisch als auch apolitisch. Er fokussiere unnötig auf die 70er Jahre als Bruch und übersehe dabei Kontinuitäten und Ereignisse wie etwa die frühe Entwicklung des regionalen Menschenrechtsschutzes des Europarats. Er stilisiere die Menschenrechte zur letzten Utopie, um diesen „Strohmann“ dann zerstören zu können. Sehr viel positiver bewertete Alston The Slave Trade and the Origins of International Human Rights Law (2012) von Jenny Martinez. Darin beleuchtet Martinez ein bisher wenig beachtetes Thema im Völkerrecht, nämlich die Arbeit der weltweit aufgebauten Gerichte zur Durchsetzung der Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert. Martinez argumentiert, dass diese Gerichte mit ihren über 600 Fällen und Zehntausenden befreiter Sklaven Vorläufer moderner internationaler Menschenrechtsgerichtshöfe darstellen – ein Ergebnis, dem sich auch Alston anschloss. In seiner zweiten Vorlesung setzte er sich dann mit einem Text zum Stand der Menschenrechtskritik von Frédéric Mégret und den „ten things they don’t tell you“ von Martti Koskenniemi auseinander, angereichert mit persönlichen Anekdoten aus seiner langjährigen Tätigkeit im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes. Alston versuchte die Fronten, die mitunter zwischen „armchair crits“ und „activists on the barricades“ konstruiert werden, abzuschwächen. Dabei äußerte er auf der einen Seite Verständnis für bestimmte Punkte der Kritiker (auch wenn er nicht der Typ sei, „der sich wie Martti für den Kolonialismus entschuldigt“). Andererseits sei die Menschenrechtsbewegung jedoch, global betrachtet, sehr vielfältig, übersetze die Menschenrechte für die jeweiligen lokalen Umstände und reagiere auch auf Kritik. Dass Alston als kritischer Menschenrechtsaktivist bezeichnet werden kann, bewies sein Seminar, das sich um den Vorschlag für die Satzung eines Weltgerichts für Menschenrechte von Julia Kozma, Manfred Nowak und Martin Scheinin drehte. Vor dem Hintergrund des stockenden Reformprozesses der UN-Vertragsorgane und der aktuellen Entwicklung regionaler Menschenrechtssysteme wurden Vor- und Nachteile des Satzungsentwurfs, den Alston als „state of the art“ bezeichnete, gemeinsam herausgearbeitet. Im Ergebnis waren jedoch weder die Mehrheit der Seminarteilnehmenden noch er selbst davon überzeugt, dass ein Weltmenschenrechtsgerichtshof derzeit eine gute Idee wäre.
Große Fragen: Philip Allott
Eigentlich nicht in die Menschenrechtskontroverse einschalten wollte sich Philip Allott. Sein erklärtes Interesse galt der „next stage of civilisation“ und der Frage, ob es einen Weg gibt, das Ausmaß des „public evil“ insgesamt zu reduzieren. Menschenrechte seien eine spezielle Antwort auf eine spezielle Situation gewesen, so Allott. Die heutige Aufgabe sei es hingegen, sie neu zu denken. Überschrieben waren seine Vorlesungen mit „Imagining high values“ und „Constituting high values socially“. Es ging also um einige große Fragen der conditio humana, wofür Allott eine wahre tour de force kreuz und quer durch die Geschichte und die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen unternahm. Werte definierte er als biologisch überlebensnotwendige Algorithmen in der Funktion des Gehirns, die ihm helfen, ein bestimmtes Handeln zu wählen und auszuführen. Menschenrechte wiederum sind für Allott ein Versuch, über die Einführung dieser „Wertalgorithmen“ in einer bestimmten Gesellschaft (durch Rechtssysteme) Menschen bestimmte Werte aufzuerlegen. Die tiefgreifende, komplexe und langwierige Selbstkonstituierung von Gesellschaften – wie auch international, d.h. der „Gesellschaft aller Gesellschaften“ – in Institutionen, Ideen und tagtäglicher Realität befindet sich nach Allott jedoch im Konflikt mit der (inter-)nationalen Verrechtlichung universaler Menschenrechte seit 1945. Strukturell und systematisch sei die Verrechtlichung anomal im Verhältnis zur gesellschaftlichen Selbstkonstituierung sowie zur bisher lediglich rudimentären Selbstkonstituierung der „internationalen Gesellschaft“. Deshalb könne auch nicht erwartet werden, dass eine Verrechtlichung der Menschenrechte das Verhalten von Regierungen transformiere. In seinem Seminar „Re-imagining human rights“ stellte Allott schließlich die Fragen, wie das Verhältnis von öffentlicher und privater Sphäre in der internationalen Gesellschaft neu entworfen werden kann, welche neuen Arten von Rechten und Pflichten insbesondere zur Zähmung ökonomischer Macht nötig sind und vor allem wie die regierenden Klassen erzogen werden können.
Aufgeklärter Positivist oder Kosmopolit? Bruno Simma
Um den Einfluss der internationalen Menschenrechte auf das allgemeine Völkerrecht ging es bei den mit persönlichen Erlebnissen angereicherten Vorlesungen von Bruno Simma. Zuerst nahm er dabei das Recht völkerrechtlicher Verträge unter die Lupe, genauer gesagt das Problem von Vorbehalten zu Menschenrechtsverträgen. Während einerseits versucht wird, beim Vertragsschluss so viele Staaten wie möglich ins Boot zu holen, ziehen diese Art Verträge laut Simma Vorbehalte andererseits geradezu an. Die derzeitige Situation im Umgang mit Vorbehalten aber, so legte er dar, sei konfus und unbefriedigend. Vertragsauslegung sei wie Lotterie. So lange kein entsprechendes Vertragsorgan existiert, fühlten die Staaten sich frei, fast jederlei Menschenrechtsvertrag zu ratifizieren. Einen Schritt hin zur Lösung stellte Simma sodann mit den Leitlinien zur Praxis von Vorbehalten der Völkerrechtskommission von 2011. Danach kommentierte er den Entwurf der Völkerrechtskommission zur Staatenverantwortlichkeit von 2001 und seine Bedeutung für den völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz. Insgesamt sieht Simma das Völkerrecht auf dem Weg von einem „civil law“ zu einem „public law“, einem „objective regime“ mit „public norms and public institutions“, wofür die von ihm besprochenen Arbeiten der Völkerrechtskommission Belege lieferten. Das Individuum in dieser Rechtsordnung habe sich vom „beneficiary“ zum „rights-bearer“ gewandelt. Theoretisch beschrieb Simma die Stellung des Einzelnen mit dem Begriff des Trilateralismus, verstand also das Individuum als dritte Partei zu völkerrechtlichen Verträgen zwischen Staaten. Ob diese Sicht auf die Entwicklung des Völkerrechts noch als aufgeklärter Positivismus, wie Simma es selbst formulierte, oder eigentlich als Form rechtlichen Kosmopolitismus zu bezeichnen ist, soll hier offen bleiben. Sein Seminar diente dann hauptsächlich als Forum für Fragen und Diskussion. Hier wurde, wie stellenweise schon in den Vorlesungen zuvor, vor allem Rechtsprechung des IGH besprochen (insbesondere Germany vs. Italy). In diesem Zusammenhang kamen Simmas Sichtweise des Gerichts als „human rights mainstreamer“ und seine Theorie der Entstehung von ius cogens im Völkerrecht als Folge von Katastrophen (Zweiter Weltkrieg, Holocaust) zur Sprache.
Christoph Brendel ist Doktorand an der Juristenfakultät der Universität Leipzig und Mitarbeiter bei Flöther & Wissing Rechtsanwälte.
Vom 9. bis 18. Juli wurde im alten Kloster San Nicolò auf dem Lido in Venedig über Menschenrechte und ihre Grenzen diskutiert. Die Organisatoren der Sommerakademie hatten hierfür einige große Namen des Völkerrechts und der Politischen Theorie sowie Praktiker im Bereich des internationalen Menschenrechts- bzw. Flüchtlingsschutzes eingeladen – ein Wermutstropfen war die kurzfristige Absage von Seyla Benhabib. Auf die Vorlesungen und Seminare von vier der Vortragenden wird im Folgenden näher eingegangen werden.
Die Kritik: Martti Koskenniemi
Den Auftakt machte Martti Koskenniemi mit einer Vorlesung über Völkerrechtsgeschichtsschreibung und Eurozentrismus – und verschiedene Ansätze, diesem Problem zu begegnen. Damit war bereits der Grundton angestimmt, der sich in der seiner zweiten Vorlesung mit dem Titel „Ten things they don’t tell you about human rights“ fortsetzte. Unverkennbar war hier die Nähe zu David Kennedys Kritik an der Menschenrechtsbewegung, dessen erstes Kapitel in The Dark Sides of Virtue (2004) Koskenniemi auch als vorbereitende Lektüre angegeben hatte. Dass er jedoch keineswegs bei der Kritik stecken bleibt, zeigte sich in seinem Seminar, in dem er nochmals in aller Kürze seine intellektuelle und politische Agenda erläuterte: Auffassung der Menschenrechte als eine Sprache unter anderen; gegen „managerialism“; für „critical research“, der die Bedingungen wissenschaftlicher Interpretation mitreflektiert; Bedeutung der Geschichte, um sich der Kontingenz der aktuellen Situation bewusst zu werden. Anschließend war reihum jeder aufgefordert, den eigenen Standpunkt und mögliche alternative wissenschaftliche und politische Projekte/ Sprachen zum vorherrschenden Menschenrechtsdiskurs vorzustellen.
Ein kritischer Menschenrechtsaktivist: Philip Alston
Die erste Vorlesung von Philip Alston war ebenfalls der Geschichte, genauer gesagt zwei kürzlich veröffentlichten Untersuchungen zur Geschichte der Menschenrechte gewidmet. Zuerst unterzog er Samuel Moyns The Last Utopia (2010) einer scharfen Kritik. Das Fazit lautete, Moyns Darstellung sei im Ergebnis sowohl ahistorisch als auch apolitisch. Er fokussiere unnötig auf die 70er Jahre als Bruch und übersehe dabei Kontinuitäten und Ereignisse wie etwa die frühe Entwicklung des regionalen Menschenrechtsschutzes des Europarats. Er stilisiere die Menschenrechte zur letzten Utopie, um diesen „Strohmann“ dann zerstören zu können. Sehr viel positiver bewertete Alston The Slave Trade and the Origins of International Human Rights Law (2012) von Jenny Martinez. Darin beleuchtet Martinez ein bisher wenig beachtetes Thema im Völkerrecht, nämlich die Arbeit der weltweit aufgebauten Gerichte zur Durchsetzung der Abschaffung der Sklaverei im 19. Jahrhundert. Martinez argumentiert, dass diese Gerichte mit ihren über 600 Fällen und Zehntausenden befreiter Sklaven Vorläufer moderner internationaler Menschenrechtsgerichtshöfe darstellen – ein Ergebnis, dem sich auch Alston anschloss. In seiner zweiten Vorlesung setzte er sich dann mit einem Text zum Stand der Menschenrechtskritik von Frédéric Mégret und den „ten things they don’t tell you“ von Martti Koskenniemi auseinander, angereichert mit persönlichen Anekdoten aus seiner langjährigen Tätigkeit im Bereich des internationalen Menschenrechtsschutzes. Alston versuchte die Fronten, die mitunter zwischen „armchair crits“ und „activists on the barricades“ konstruiert werden, abzuschwächen. Dabei äußerte er auf der einen Seite Verständnis für bestimmte Punkte der Kritiker (auch wenn er nicht der Typ sei, „der sich wie Martti für den Kolonialismus entschuldigt“). Andererseits sei die Menschenrechtsbewegung jedoch, global betrachtet, sehr vielfältig, übersetze die Menschenrechte für die jeweiligen lokalen Umstände und reagiere auch auf Kritik. Dass Alston als kritischer Menschenrechtsaktivist bezeichnet werden kann, bewies sein Seminar, das sich um den Vorschlag für die Satzung eines Weltgerichts für Menschenrechte von Julia Kozma, Manfred Nowak und Martin Scheinin drehte. Vor dem Hintergrund des stockenden Reformprozesses der UN-Vertragsorgane und der aktuellen Entwicklung regionaler Menschenrechtssysteme wurden Vor- und Nachteile des Satzungsentwurfs, den Alston als „state of the art“ bezeichnete, gemeinsam herausgearbeitet. Im Ergebnis waren jedoch weder die Mehrheit der Seminarteilnehmenden noch er selbst davon überzeugt, dass ein Weltmenschenrechtsgerichtshof derzeit eine gute Idee wäre.
Große Fragen: Philip Allott
Eigentlich nicht in die Menschenrechtskontroverse einschalten wollte sich Philip Allott. Sein erklärtes Interesse galt der „next stage of civilisation“ und der Frage, ob es einen Weg gibt, das Ausmaß des „public evil“ insgesamt zu reduzieren. Menschenrechte seien eine spezielle Antwort auf eine spezielle Situation gewesen, so Allott. Die heutige Aufgabe sei es hingegen, sie neu zu denken. Überschrieben waren seine Vorlesungen mit „Imagining high values“ und „Constituting high values socially“. Es ging also um einige große Fragen der conditio humana, wofür Allott eine wahre tour de force kreuz und quer durch die Geschichte und die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen unternahm. Werte definierte er als biologisch überlebensnotwendige Algorithmen in der Funktion des Gehirns, die ihm helfen, ein bestimmtes Handeln zu wählen und auszuführen. Menschenrechte wiederum sind für Allott ein Versuch, über die Einführung dieser „Wertalgorithmen“ in einer bestimmten Gesellschaft (durch Rechtssysteme) Menschen bestimmte Werte aufzuerlegen. Die tiefgreifende, komplexe und langwierige Selbstkonstituierung von Gesellschaften – wie auch international, d.h. der „Gesellschaft aller Gesellschaften“ – in Institutionen, Ideen und tagtäglicher Realität befindet sich nach Allott jedoch im Konflikt mit der (inter-)nationalen Verrechtlichung universaler Menschenrechte seit 1945. Strukturell und systematisch sei die Verrechtlichung anomal im Verhältnis zur gesellschaftlichen Selbstkonstituierung sowie zur bisher lediglich rudimentären Selbstkonstituierung der „internationalen Gesellschaft“. Deshalb könne auch nicht erwartet werden, dass eine Verrechtlichung der Menschenrechte das Verhalten von Regierungen transformiere. In seinem Seminar „Re-imagining human rights“ stellte Allott schließlich die Fragen, wie das Verhältnis von öffentlicher und privater Sphäre in der internationalen Gesellschaft neu entworfen werden kann, welche neuen Arten von Rechten und Pflichten insbesondere zur Zähmung ökonomischer Macht nötig sind und vor allem wie die regierenden Klassen erzogen werden können.
Aufgeklärter Positivist oder Kosmopolit? Bruno Simma
Um den Einfluss der internationalen Menschenrechte auf das allgemeine Völkerrecht ging es bei den mit persönlichen Erlebnissen angereicherten Vorlesungen von Bruno Simma. Zuerst nahm er dabei das Recht völkerrechtlicher Verträge unter die Lupe, genauer gesagt das Problem von Vorbehalten zu Menschenrechtsverträgen. Während einerseits versucht wird, beim Vertragsschluss so viele Staaten wie möglich ins Boot zu holen, ziehen diese Art Verträge laut Simma Vorbehalte andererseits geradezu an. Die derzeitige Situation im Umgang mit Vorbehalten aber, so legte er dar, sei konfus und unbefriedigend. Vertragsauslegung sei wie Lotterie. So lange kein entsprechendes Vertragsorgan existiert, fühlten die Staaten sich frei, fast jederlei Menschenrechtsvertrag zu ratifizieren. Einen Schritt hin zur Lösung stellte Simma sodann mit den Leitlinien zur Praxis von Vorbehalten der Völkerrechtskommission von 2011. Danach kommentierte er den Entwurf der Völkerrechtskommission zur Staatenverantwortlichkeit von 2001 und seine Bedeutung für den völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz. Insgesamt sieht Simma das Völkerrecht auf dem Weg von einem „civil law“ zu einem „public law“, einem „objective regime“ mit „public norms and public institutions“, wofür die von ihm besprochenen Arbeiten der Völkerrechtskommission Belege lieferten. Das Individuum in dieser Rechtsordnung habe sich vom „beneficiary“ zum „rights-bearer“ gewandelt. Theoretisch beschrieb Simma die Stellung des Einzelnen mit dem Begriff des Trilateralismus, verstand also das Individuum als dritte Partei zu völkerrechtlichen Verträgen zwischen Staaten. Ob diese Sicht auf die Entwicklung des Völkerrechts noch als aufgeklärter Positivismus, wie Simma es selbst formulierte, oder eigentlich als Form rechtlichen Kosmopolitismus zu bezeichnen ist, soll hier offen bleiben. Sein Seminar diente dann hauptsächlich als Forum für Fragen und Diskussion. Hier wurde, wie stellenweise schon in den Vorlesungen zuvor, vor allem Rechtsprechung des IGH besprochen (insbesondere Germany vs. Italy). In diesem Zusammenhang kamen Simmas Sichtweise des Gerichts als „human rights mainstreamer“ und seine Theorie der Entstehung von ius cogens im Völkerrecht als Folge von Katastrophen (Zweiter Weltkrieg, Holocaust) zur Sprache.
Christoph Brendel ist Doktorand an der Juristenfakultät der Universität Leipzig und Mitarbeiter bei Flöther & Wissing Rechtsanwälte.