13 December 2018

Die Renitenz des BAMF als Sisyphusarbeit für die Verwaltungsgerichte

Deutschland diskutiert gern. Das ist gut, eine lebendige Diskussionskultur ist gut für die Demokratie. Ob man dabei so oft über das Asylrecht, seine Einschränkung oder gar Abschaffung diskutieren sollte, wie das trotz der eigentlichen Abschaffung des individuellen Asylgrundrechts im Jahre 1993 fortwährend geschieht, ist dabei vielleicht schon für sich genommen eine Diskussion wert. Was aber viel zu selten im Fokus der Aufmerksamkeit steht, ist die Rechtspraxis jener Behörde, die für die Anwendung des Asylrechts zuständig ist: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Behörde steht vor einer Mammutaufgabe und leistet wertvolle Arbeit. Beides steht außer Frage. Und doch häufen sich Fälle, in denen die Detailarbeit von den Gerichten gerügt werden muss. Das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach hat sich schon bemüßigt gefühlt, das Bundesamt darauf hinzuweisen, dass es als „Verwaltungsbehörde nach Art. 20 Abs. 3 GG an (objektives) Recht und Gesetz gebunden“ sei „und nicht befugt, geltendes Recht zu missachten“ (Beschluss vom 26.09.2018 – AN 14 S 18.50697). Das Verwaltungsgericht Potsdam hielt es für erforderlich, darauf hinzuweisen, dass in Gerichtsverfahren die regelmäßige Antragserwiderung des Bundesamtes „inhaltsleer und unbrauchbar“ sei (VG Potsdam, Beschluss vom 21.06.2017 – VG 9 L 694/17.A). Und das Verwaltungsgericht Berlin hat ein Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Sachentscheidung schon damit begründet, dass das Bundesamt sich weigere, dem Gesetzeswortlaut Folge zu leisten (VG Berlin, Urteil vom 04.12.2017 – VG 23 K 508.17 A). Gerade Letzteres häuft sich aktuell.

Zwei Paar Schuhe? – Das Recht und seine Anwendung

Wenn eine Studentin in einer Jura-Klausur an der Uni einen Fall löst und dabei von der geltenden Rechtslage abweicht, dürfte sich das auf die Note eher negativ auswirken. Wenn eine Referendarin bei der Falllösung im Verwaltungsrecht mit Blick auf die weiteren Verfahrenspflichten der Behörde eine Lösung vorschlägt, die der Verwaltungsbehörde weitere Arbeit erspart und die Verantwortung für die Sachaufklärung an das Verwaltungsgericht abgibt, dann wird der oder die Ausbilder/in das vielleicht in praktischer Hinsicht begrüßen, aber doch darauf hinweisen, dass das „eigentlich“ nicht gehe. Wo es allerdings geht, ist in der Behördenpraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Jedenfalls in Verfahren, in denen es um die Feststellung eines Abschiebungshindernisses bei anerkannt Schutzberechtigten aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union hinsichtlich eben dieses Mitgliedstaates geht, ist beim Bundesamt ein Umgang mit dem Gesetzeswortlaut des Asylgesetzes festzustellen, der verfassungsrechtlich äußerst bedenklich erscheint. Die Frage ist, was das Bundesamt damit bezweckt. Und deswegen gehört das Thema in die Öffentlichkeit.

Die Sachlage ist juristisch relativ kompliziert, sie sei hier nur in der gebotenen Kürze skizziert. Es ist kein Geheimnis, dass sich die Situation von in Mitgliedstaaten der Europäischen Union anerkannten Flüchtlingen je nach Mitgliedstaat erheblich unterscheidet. Deswegen kommen auch Flüchtlinge, die bereits in einem anderen Mitgliedstaat der EU formell Schutz erhalten haben, nach Deutschland und machen hier geltend, der formelle Schutz reiche nicht aus, um in diesen Ländern menschenwürdig zu leben. Insbesondere erhalte man keine Unterstützung und werde damit in die Obdachlosigkeit getrieben. Sie stellen also in Deutschland erneut Anträge auf internationalen Schutz und begehren die Durchführung eines (erneuten) Asylverfahrens. Das kann man menschlich und politisch finden wie man will; in Zeiten, in denen aber soziale Standards verfassungsrechtlich garantiert sind (vgl. BVerfG,  Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10), können aus solchen Umständen Abschiebehindernisse auch hinsichtlich anderer EU-Mitgliedstaaten erwachsen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.07.2018 – 2 BvR 714/18), die dann in einem Asylverfahren durch das Bundesamt zu prüfen sind.

Das Bundesamt kann solche Anträge nach § 29 I Nr. 2 AsylG als unzulässig ablehnen. Allerdings entbindet dies das Bundesamt nicht von der Pflicht, die Frage zu klären, ob Abschiebungshindernisse nach § 60 V oder VII AufenthG vorliegen (§ 31 III AsylG). Lehnt das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab und stellt fest, dass keine Abschiebungshindernisse vorliegen, ergibt sich aus § 36 I AsylG, dass die den Antragstellern zu setzende Ausreisefrist eine Woche beträgt, die Klage keine aufschiebende Wirkung hat (§ 75 AsylG) und ein Antrag gem. § 80 V VwGO innerhalb einer Woche gestellt werden muss (§ 36 III AsylG). Das Verwaltungsgericht darf die Aussetzung der Abschiebung dann nur anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (§ 36 IV AsylG). Tut es das, hat das Bundesamt das Asylverfahren fortzuführen (§ 37 I AsylG). Genau das will das Bundesamt aber in (zu) vielen Fällen nicht.

Es ist bereits vorgekommen, dass sich das Bundesamt konkret weigerte, das betreffende Asylverfahren nach einer stattgebenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtes im Sinne von § 37 I S. 1 AsylG auch im Sinne von § 37 I S. 2 AsylG fortzuführen. Begründet hat es dies damit, die vom Gesetz angeordnete Fortführung des Asylverfahrens mache „nur dann Sinn, wenn es möglich erscheint, dass das fortzuführende Asylverfahren mit einem anderen Ergebnis enden könnte als zuvor“ (Stellungnahme des BAMF zum VG Berlin vom 09.07.2018 im Verfahren VG K 194.17 A), was trotz der stattgebenden Entscheidung im Eilverfahren nicht der Fall sein soll. In diesen Fällen haben Verwaltungsgerichte dann die Bescheide aufgehoben und an das Bundesamt zurückgegeben. In anderen Fällen hat das Bundesamt seine Bereitschaft zur Fortführung des Verfahrens kundgetan, die ursprünglichen Bescheide aufgehoben und die Klageverfahren wurden für erledigt erklärt.

In beiden Konstellationen kann es dann aber aus Sicht des Bundesamtes genau gleich weitergehen: Das Bundesamt lehnt in solchen Fällen mittlerweile (zu) oft die Anträge der Betroffenen wieder nach § 29 I Nr. 2 AsylG als unzulässig ab und stellt auch erneut fest, dass keine Abschiebungshindernisse (auch nicht hinsichtlich des Mitgliedstaates der Union) bestehen, obwohl genau die in dieser Hinsicht gegenteilige gerichtliche Wertung überhaupt dazu geführt hat, dass sich das Bundesamt ein weiteres Mal mit den Anträgen befassen musste. Um die Verfahren nun aber loswerden zu können, weicht es von der in § 36 I AsylG angeordneten Rechtsfolge ab und will damit – entgegen § 75 I AsylG – einen gesetzlich nicht geregelten Fall schaffen, in dem eine Klage gegen Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 I Nr. 2 AsylG aufschiebende Wirkung hat. Das soll dadurch erreicht werden können, dass das Bundesamt nicht die von § 36 I AsylG in diesen Fällen vorgesehene Ausreisefrist von einer Woche setzt, sondern eine von 30 Tagen (vgl. § 38 I AsylG).

Ignoranz ist auch keine Lösung

Wie damit umzugehen ist, ist unter den Verwaltungsgerichten umstritten. Darf das Bundesamt einen solchen gesetzlich nicht vorgesehenen Fall schaffen und Betroffene in Klageverfahren zwingen, die lange dauern können? Die Frage wird dadurch drängend, dass es mittlerweile (zu) oft vorkommt, dass sich das Bundesamt durch die gerichtlichen Feststellungen, die zur Rechtsfolge des § 37 I AsylG geführt haben, nicht gebunden fühlt. Das mag juristisch korrekt sein und zeigt, dass § 37 I AsylG, wie auch bereits von  Gerichten angemerkt, nicht unbedingt besonders durchdacht erscheint (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 17.03.2017, A 5 K 853/16, Rn 23). Den damit grundsätzlich eröffneten Spielraum für eine neue, aber gleichlautende Entscheidung nutzt das Bundesamt jedoch in rechtsstaatlich bedenklicher Weise, denn es findet überhaupt keine Auseinandersetzung mit den Gründen statt, die zur Herbeiführung der Rechtsfolge des § 37 I AsylG geführt haben. So kann es sein, dass das Bundesamt wenige Monate, nachdem es auf Grund einer Gerichtsentscheidung, der „ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit“ des zuvor ergangenen Bescheides  zu Grunde lagen (vgl. § 36 IV AsylG), zur erneuten Bescheidung der Anträge verpflichtet wurde, die gleiche Entscheidung erlässt – ohne dass sich an den maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen etwas geändert hätte. Für die Betroffenen ist das nicht selten dramatisch, halten sie doch teils nach wenigen Monaten, teils nach einem Jahr die gleiche Entscheidung in der Hand, gegen die sie schon erfolgreich den Verwaltungsrechtsweg beschritten hatten. Die Verunsicherung ist dementsprechend groß.

Das Bundesamt ist mit seinem gesetzlichen Auftrag, in vom Gesetz vorgesehener Weise über die Anträge von Asylantragstellern zu entscheiden, offensichtlich unzufrieden, und das verdient öffentliche Aufmerksamkeit. Dies gilt gerade in Zeiten, in denen alle wissen, dass die Verwaltungsgerichte überlastet sind und die Schuld dafür oft bei Flüchtlingen gesucht wird, die sich gegen Bundesamtsentscheidungen zur Wehr setzen. Die Lösung des Problems mag ein Fall für den Gesetzgeber sein, derzeit ist es aber vor allem ein Fall für die Verwaltungsgerichte, deren Arbeitsbelastung damit in vermeidbarer Weise nur noch höher wird. Darüber sollte diskutiert werden.


One Comment

  1. Mark Swatek-Evenstein Wed 23 Jan 2019 at 19:59 - Reply

    Das BVerwG hat die Praxis des BAMF jetzt auf folgende Formel gebracht: “Objektiv nicht im Einklang mit dem Asylgesetz steht indes die Praxis des Bundesamtes, bei einer auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gestützten Unzulässigkeitsentscheidung unter Rückgriff auf § 38 Abs. 1 AsylG die Abschiebungsandrohung mit einer bei Klageerhebung erst nach Unanfechtbarkeit laufenden 30-tägigen Ausreisefrist zu verbinden.” (Urteil vom 15. Januar 2019 – BVerwG 1 C 15.18 -https://www.bverwg.de/pm/2019/4)

    Was daraus für die laufenden Einzelfälle folgt, bleibt abzuwarten.

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