29 October 2021

Die Rückkehr „positiver Komplementarität“

Zur Einstellung der Vorermittlungen gegen Kolumbien durch den IStGH

Der (neue) Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim A. A. Khan Q.C., hat gestern die Einstellung der (jahrelangen) Vorermittlungen (preliminary examination) zu Kolumbien angekündigt. Die Ankündigung ist allerdings mit einer in dieser Form bisher noch nicht da gewesenen Gegenleistung verknüpft: Die kolumbianische Regierung hat mit der Anklagebehörde ein Kooperationsabkommen geschlossen, in dem sie sich zur fortwährenden Unterstützung der nationalen Justiz und sonstiger Aufarbeitungsmechanismen, insbesondere der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden (Jurisdicción Especial para la Paz, JEP), und zu enger Zusammenarbeit mit der Anklagebehörde verpflichtet. Dies ist schon deshalb bemerkenswert, weil die aktuelle Regierung von Präsident Iván Duque als Gegner des von der Vorgängerregierung Santos mit der FARC-Guerilla abgeschlossenen Friedensvertrags, auf dem die Sondergerichtsbarkeit beruht, gilt. Nun hat sie sich – offensichtlich als Gegenleistung für die Einstellung der Ermittlungen – zu deren Unterstützung verpflichtet, und zwar sehr konkret auch durch Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel und Sicherheitsgarantien für ihr Personal und Verfahrensbeteiligte. Die JEP sieht sich dazu gestärkt und betont insbesondere den nun vorhandenen „direkten und effizienten Kommunikationskanal“, der es ihr ermögliche, Verstöße gegen das Abkommen direkt der Anklagebehörde zu melden.

Vertrauensvorschuss ohne Bindungswirkung

Khan begründet die Einstellung rechtlich damit, dass Kolumbien gezeigt habe, dass es – im Sinne der Komplementaritätsvorschrift von Art. 17 des IStGH-Statuts – willens und fähig sei, die dort begangenen internationalen Verbrechen zu untersuchen und gegebenenfalls abzuurteilen oder in sonstiger Weise aufzuarbeiten. Allerdings hat die Einstellung der Vorermittlungen keinerlei Bindungswirkung für die Anklagebehörde, sie kann jederzeit wieder Ermittlungen aufnehmen und ihr können auch (neue) Anzeigen unterbreitet werden. Auch das wird im Kooperationsabkommen zurecht betont, wenn es dort heißt, dass die Einstellung aufgrund der derzeitigen Lage erfolgt und ständiger Überprüfung unterliegt. Insoweit bleibt Kolumbien also weiter unter Beobachtung und das Verhältnis des Landes mit dem IStGH tritt durch dieses Abkommen tatsächlich in eine neue Phase.

Labor der Transitionsjustiz

Klar ist damit auch, dass der neue Chefankläger nicht nur Altlasten aufarbeiten, sondern auch verstärkt mit solchen Staaten in ein positives Kooperationsverhältnis treten will, die grundsätzlich willens und fähig sind, nationale Strafverfolgung zu betreiben und zu diesem Zweck mit seiner Behörde zusammenzuarbeiten. Dem als „positive Komplementarität“ bezeichneten Konzept wird damit neues Leben eingehaucht und die Anklagebehörde betont zurecht die Einzigartigkeit des Kolumbien-Abkommens, dem durchaus Pionierwirkung zukommen kann. Die JEP spricht sogar von Kolumbien als einem „unschätzbaren Labor“ der Transitionsjustiz, aus dem sich „wichtige Lehren“ ergeben, die später andernorts „repliziert“ werden können. Natürlich wird man abwarten müssen, ob und inwieweit die konkreten Verpflichtungen des Abkommens auch tatsächlich umgesetzt werden.

Deutlich wird damit auch, dass Chefankläger Khan offensichtlich kooperationsbereite Staaten positiv einbinden will, auch und gerade durch Unterstützung ihrer nationalen Aufarbeitungsanstrengungen, gegen kooperationsunwillige Staaten (zB Philippinen) aber kompromisslos vorgehen will. Allerdings werfen die inzwischen (faktisch) eingestellten Ermittlungen zum NATO Einsatz in Afghanistan und möglichen britischen Kriegsverbrechen in Irak auch die Frage auf, ob Khan dem Druck mächtigerer Staaten allzu leicht nachgibt.


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