Die USA rufen, das Grundgesetz antwortet
Zum verfassungsrechtlichen Rahmen der politischen Diskussion um den Bundeswehreinsatz an der Straße von Hormus
Soll sich die Bundeswehr an einem militärischen Einsatz in der Straße von Hormus beteiligen? Gefühlt im Stundentakt positionieren sich im Augenblick die unterschiedlichsten Minister und Ministerinnen, teilweise unter interessanter Auslegung der eigenen Ressortkompetenz, ob die Bundesregierung dem Ruf der USA folgen soll oder nicht. Dieser Ruf bezieht sich dabei auf eine Teilnahme an einem multinationalen Armeebündnis – selbstverständlich unter amerikanischer Führung – und soll die maritime „Sicherung des Handelsverkehrs in der Straße von Hormus“ zum Ziel haben. Im Kern geht es um eine weitere Eskalationsstufe des Konfliktes mit dem Iran, bei dem Handelsschiffe gegenseitig festgesetzt werden und sich nun bald offen Streitkräfte der Konfliktparteien gegenüberstehen werden.
Die USA verfolgen damit konsequent ihre außenpolitische Strategie, weiter auf bi- oder multinationale Armeebündnisse zu setzen, anstatt auf die kollektiven Sicherheitssysteme wie NATO oder UN zu vertrauen. (Ein EU-mandatierter Einsatz wäre Neuland, scheint aufgrund der aktuellen realpolitischen Konstellation mit Großbritannien als Noch-EU-Mitglied bis auf weiteres ausgeschlossen. Auch ist nicht davon auszugehen, dass sich die USA der EU als kommandoführende Institution unterordnen würden.) Diese Strategie stellt die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu Einsätzen der Bundeswehr vor große Herausforderungen, was sich auch in der Uneinheitlichkeit ausdrückt, mit der sich die Bundesregierung positioniert.
Bemerkenswert ist dabei zunächst die Selbstverständlichkeit, mit der die Mitglieder der Bundesregierung davon auszugehen scheinen, dass sie es sind, auf deren Position es hier ankommt. Das lässt auf ein Maß an Ignoranz in Hinblick auf die parlamentarische Beteiligung und Befugnisse schließen, vor der man sich die Augen reibt: Hat man etwa die Abschaffung des „Parlamentsheeres“ verschlafen? Die Exekutive erweckt den Eindruck, über die Bundeswehr als ihr alleiniges Machtinstrument verfügen zu können, obwohl das Grundgesetz dies ausdrücklich nicht vorsieht, sondern den Einsatz der Streitkräfte unter Parlamentsvorbehalt stellt. Nur so ist die Konstruktion der Bundeswehr als Parlamentsheer, das unter demokratischer und rechtsstaatlicher Kontrolle stehen soll, zu gewährleisten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat das in gefestigter Rechtsprechung letztmalig 2015 im Pegasus-Urteil ausdrücklich bestätigt und auch mit Blick auf das Demokratieprinzip und die Wesentlichkeitstheorie dem Parlament eine herausgehobene Stellung zugesprochen.
Den Parlamentsvorbehalt dabei bereits unter Verweis auf einen fehlenden bewaffneten Einsatz abzulehnen, wäre abenteuerlich. Die Maßstäbe des BVerfG sind dabei sehr klar und können bei einer militärischen Aktion in der strategisch wichtigen Straße von Hormus keine andere Interpretation zulassen, da diese sehr wahrscheinlich auch in bewaffneter Gewalt münden kann, der Geschehensablauf dabei also nur von Zufälligkeiten abhängt.
Multinationale Armeebündnisse
In diesem verfassungsrechtlichen Rahmen sind die Einsätze der Bundeswehr in multinationalen Armeebündnissen durchaus problematisch, wenn nicht sogar grundlegend mit dem Grundgesetz unvereinbar. So rühren solche Einsätze am verfassungsrechtlichen Streitkräfteauftrag, welcher maßgeblich durch Art. 87a GG angelegt ist und um weitere Vorschriften (Art. 24, Art. 65a, Art. 87b, etc.) ergänzt wird. Schon nach der Entstehungsgeschichte dieser Norm ist die Aufgabe der Streitkräfte primär die Verteidigung und impliziert eine passive, beschränkende militärische Grundhaltung.
Dieser Verteidigungsauftrag kann durch Art. 87a Abs. 2 GG durchbrochen werden, wenn das Grundgesetz dies ausdrücklich vorsieht. Für militärische Auslandseinsätze bietet Art. 24 Abs. 2 GG die maßgebliche Grundlage, im Rahmen eines kollektiven Sicherheitssystems die Streitkräfte zu entsenden. Notwendig dafür ist ein ermächtigendes Mandant des kollektiven Sicherheitssystems (UN, NATO, EU), das die Wahrung des Friedens zum Ziel hat und in der Folge eine Übertragung von Hoheitsrechten rechtfertigt.
Multinationale Armeeverbände lassen sich jedoch schwer in dieses Streitkräftesystem einordnen, insbesondere dann, wenn sie nicht durch ein kollektives Sicherheitssystem mandatiert sind. Ob ein System kollektiver Sicherheit gemäß Art. 24 Abs. 2 GG vorliegt, hängt natürlich von der Begriffsbestimmung ab, die lange Zeit unklar war, da sie entweder völkerrechtlich oder eigenständig grundgesetzlich definiert werden kann. Das BVerfG hat sich mittlerweile für eine emanzipierte grundgesetzliche Auffassung entschieden, die völkerrechtliche Elemente beinhaltet. In Übereinstimmung mit der herrschenden Literatur haben sich entscheidende Voraussetzungen herauskristallisiert.
So muss eine Verpflichtung zur wechselseitigen Friedenswahrung und Sicherheitsgewährung vorliegen, die die Mitglieder in einem friedenssichernden Regelwerk und den Aufbau einer eigenen Organisation verbindlich zusichern. Ob der Einsatz hier zur Friedenssicherung und nicht vielmehr zu einer weiteren Eskalation beiträgt, erscheint bereits äußerst zweifelhaft. Obendrein weisen multinationale Armeeverbände keine eigenständig aufgebaute Organisation auf. Ein Rückgriff auf Art. 24 Abs. 1 GG scheidet somit von vornherein aus, da sie keine zwischenstaatlichen Einrichtungen darstellen.
Möglicherweise bleibt aber Raum für eine Ermächtigung direkt durch Art. 87a Abs. 2 GG. Wie sich Art. 24 Abs. 2 und Art. 87a Abs. 2 GG zu einander verhalten, ist schwer zu durchschauen und wurde durch die Rechtsprechung des BVerfG verkompliziert, welches zunächst in seinem Lissabon-Urteil den Satz äußerte, dass „[d]er Auslandseinsatz der Streitkräfte […] außer im Verteidigungsfall nur in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit erlaubt (Art. 24 Abs. 2 GG) [ist]“. Nach deutlicher Kritik der Literatur konkretisierte dann das BVerfG im Pegasus-Urteil diese restriktive Auslegung und schloss nach Art. 87a Abs. 2 GG die Zulässigkeit von Auslandseinsätzen nicht gänzlich aus:
„Das Erfordernis parlamentarischer Mitwirkung gilt sowohl für bewaffnete Außeneinsätze deutscher Soldaten innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG, wie sie Gegenstand bisheriger Entscheidungen des Senats waren […], als auch allgemein für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte […], unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Grundlage (vgl. § 2 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 2 ParlBG). Auch jeder unilaterale Auslandseinsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bedarf somit der grundsätzlich vorherigen parlamentarischen Zustimmung.“
Das könnte man als Aufweichung des Postulats der alleinigen Zulässigkeit der Auslandseinsätze im kollektiven Sicherheitssystem deuten. Die daraus konkretisierte Legalität solcher Einsätze hätte zur Folge, dass sich die deutschen Streitkräfte von den kollektiven Sicherheitssystemen lösen und Art. 24 Abs. 2 GG gekapert und erheblich an Bedeutsamkeit verlieren würde. Art. 87a Abs. 2 GG hätte für die Legalisierung von Auslandseinsätzen damit den Charakter eines Auffangtatbestandes.
Die Urteile widersprechen sich jedoch nur vordergründig. Das BVerfG lässt Außeneinsätze gemäß Art. 87a Abs. 2 GG ausnahmsweise zu, indem es auf der Grundlage dieser Norm Einsätze erlaubt, die nach Art. 24 Abs. 2 GG ausgeschlossen wären. So konnten danach beispielsweise deutsche (und ausländische) Geiseln evakuiert werden, was durch Art. 24 Abs. 2 GG mangels kollektiven Sicherheitssystems nicht möglich gewesen wäre. Die Voraussetzungen des „Einsatzes“ und der „Verteidigung“ dienen hier als pragmatisches Korrektiv der Abgrenzung.
Konsistenz beweist das BVerfG dann jedoch bei der maßgeblichen dogmatischen Einbettung von Bundeswehreinsätzen in das verfassungsrechtliche Gefüge. Denn ein Missbrauch der Streitkräfte als Machtmittel und die verminderte rechtsstaatliche und demokratische Kontrolle müssen sowohl nach Art. 24 Abs. 2 als auch nach Art. 87a Abs. 2 GG ausgeschlossen sein. So ist die Übertragung von Hoheitsrechten ausschließlich an anerkannte und damit verfassungsrechtlich bekannte Systeme zulässig, sodass nur diese Konstellationen den Verzicht auf die Volkssouveränität rechtfertigen können.
Der Charakter der Streitkräfte als Parlamentsheer zeichnet sich dadurch aus, dass sie in die „demokratisch rechtsstaatliche Verfassungsordnung“ eingebettet werden, was durch den entscheidenden Einfluss des Parlaments gesichert wird. Zum einen bedeutet dies, dass die Bundesregierung nicht allein über das „Ob“ der Einsätze entscheiden darf, und zum anderen wird die Bundeswehr der Eigenschaft als Parlamentsheer nicht gerecht, „wenn aus dem Anwendungsbereich des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts gerade die allein national verantworteten Streitkräfteeinsätze im Ausland ausgeklammert wären, denen kein Prozess konsensualer Willensbildung innerhalb eines Bündnissystems vorausgeht (…)“.
Im Ergebnis wird durch den Parlamentsvorbehalt „eine adäquate Organzuständigkeit“ möglich und sichert auch die Debatte über die „politische Reichweite des jeweiligen Einsatzes“ ab. Diese Kontrollmechanismen würden bei der Ermächtigung von multilateralen Militäreinsätzen außerhalb kollektiver Sicherheitssysteme durch Art. 87a Abs. 2 GG ausgehebelt. Käme man hier zu einem anderen Ergebnis und würde Art. 87a Abs. 2 GG als Ermächtigungsgrundlage für multinationale Armeeeinsätze zulassen, so müsste auch sichergestellt sein, dass die parlamentarische Kontrolle effektiv möglich bleibt. Zwar ist nicht ausgeschlossen (und in Anbetracht der bisherigen Bundeswehreinsätze wahrscheinlich), dass auch das Parlament zustimmen würde. Das ändert aber nichts an der verfassungsrechtlichen Problematik, denn solch ein Parlamentsbeschluss bliebe verfassungswidrig.
US-Generäle befehlen über Bundeswehrsoldaten?
Diese abstrakten Überlegungen finden ihren konkreten Niederschlag in der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte, die in Art. 65a GG verankert ist. Denn diese wäre bei einem Einsatz der Bundeswehr in einem US-amerikanisch geführten Armeeverband eingeschränkt bzw. müsste teilweise übertragen werden.
Die Befehls- und Kommandogewalt aus Art. 65a GG sichert dem Bundesminister der Verteidigung (BMVg) die militärische Kompetenz über die Streitkräfte. Durch die Zuweisung dieses Hoheitsrechtes an die Gubernative, die der parlamentarischen Kontrolle unterliegt, wird effektiv der Primat der Politik über das Militär gesichert.
Unterstehen nun Soldaten der Bundeswehr dem Befehl der kommandoführenden ausländischen Streitkraft, mindern sich damit gleichzeitig die Möglichkeiten der parlamentarischen Kontrolle. Bei der Einordnung in ein System der kollektiven Sicherheit wird diese Übertragung von Hoheitsrechten, mit einhergehender geminderter Kontrolle, gerechtfertigt durch die Gegenleistung der Friedenssicherung, von der Deutschland natürlich profitiert. Bei einem multinationalen Armeeverband greift diese Argumentation gerade nicht, so dass für einen verfassungsgemäßen Bundeswehreinsatz sichergestellt sein muss, dass der BMVg weiterhin effektiv die Befehls- und Kommandogewalt ausüben kann. Es ist augenscheinlich, dass unter einer US-amerikanisch geführten Mission solche Vereinbarungen momentan nicht sonderlich realistisch wären.
Auch wenn die Einzelheiten der genannten militärischen Mission an der Straße von Hormus nicht bekannt sind – und auch sicher nicht bekannt werden –, wird doch deutlich, dass eine Beteiligung der Bundeswehr verfassungsrechtlich höchst problematisch wäre. Auch wenn es diskutable juristische Möglichkeiten gibt, wie in solchen multinationalen Armeeverbänden die Hoheitsrechte gewahrt bleiben können, können diese das aufgezeigte verfassungsrechtliche Defizit nicht beseitigen, da die parlamentarische Kontrolle nicht lückenlos gewährleistet werden kann. Es wäre wünschenswert – auch aus Respekt gegenüber den Soldaten und der Bundeswehr –, dass politische Diskussionen diesen verfassungsrechtlichen Rahmen beachten und nicht so tun, als könne die Bundeswehr als bloßes exekutivisches Machtinstrument eingesetzt werden.
Sicherung von Handelsseewegen in der Fremde kann mehr (macht-)strategische Frage als Frage einer Verteidigung sein. Dies soweit Beeinträchtigung von Handelsseewegen in der Fremde nicht unmittelbar Sicherheit von Hoheitsgebiet beschränken muss. Solche Sicherung kann dadurch tendenziell eher verhältnismäßig unzulässig sein. Jedenfalls soweit man einen beschränkenden Grundsatz im Grundgesetz, dass Militär nur zur Verteidigung dienen darf, nicht völlig entleeren will. Dies in einer Weise, dass solcher Grundsatz nur noch völlig entleert in bestimmten formalen Entscheidungsanforderungen fortbestehen kann. So etwa in einer Anforderung eines UN-Mandates für weltweite Militäreinsätze über Verteidigung von Hoheitsgebieten hinaus. Weltweite Militäreinsätze können verhältnismäßig Grundrechte betroffender Soldaten berühren, soweit solche dadurch weltweit in gefährlich unsicherere lagen gesandt sein können. Danach können weltweite Militäreinsätze über Verteidung von Hoheitsgebieten hinaus eher nur fragwürdig verhältnismäßig allein im Hinblick auf Grundrechte von betroffenen Soldaten bleiben.
Amtsträger können jedoch in einigem Rahmen grundsätzlich freie Äußerungsrechte haben.
Ich bin irritiert, dass ein rechtlicher Beitrag zu einer möglichen Beteiligung der Bundeswehr an einer Mission in der Straße von Hormuz bzw. im Persischen Golf bzw. dem von Oman ohne Klärung dessen auskommt, wogegen “der Handelsverkehr in der Straße von Hormus” “gesichert” werden soll.
Gegen Piraterie ja offenkundig nicht.
Also geht es um den Schutz vor Maßnahmen von Staaten.
“Verteidigung” kann das nur sein, wenn die Maßnahmen von Staaten, gegen die Schutz gewährt werden soll, Unrecht sind.
Diese Klärung würde ich in diesem Blog erwarten.
Ich wäre dankbar für eine entsprechende Ergänzung.
Vielen Dank für Ihre Anmerkung. Die Sicherung dient natürlich der zivilen Schifffahrt. Der Anspruch des Beitrages ist hierbei allerdings (aufgrund des Umfanges) nicht vollumfänglich alle assoziierten Probleme darzustellen, sondern sich auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit von multinationalen Armeeverbänden zu konzentrieren. Deshalb ist auch die Frage der „Verteidigung“ im Sinne des Art. 87a GG nachranging, da eine Ermächtigung auf Art. 87a Abs. 2 iVm Art. 24 Abs. 2 GG gestützt werden würde (was der Beitrag ausdrücklich darstellt). Die Frage der völkerrechtlichen Grundlage, auf der ein Einsatz möglicherweise (bspw. Art. 51 UN-Charta) basieren würde, ist sicher interessant, entfernt sich aber vom Inhalt des vorliegenden Beitrages.