Die Zukunft des deutschen Films wird in Karlsruhe verhandelt
Wie national ist unsere Kultur? Das ist eine Frage, die man gewöhnlich nicht zu allererst an das Bundesverfassungsgericht richten würde, auch wenn dieses längst generell zu einer Instanz für alle nur denkbaren schwierigen, wichtigen und tiefsinnigen Probleme unseres Landes und darüber hinaus geworden zu sein scheint.
Trotzdem hat es seine handfesten verfassungsrechtlichen Gründe, dass sich das BVerfG indessen mit dieser Frage auseinandersetzen müssen wird. Am 8. Oktober, so teilt das Gericht heute mit, wird in Karlsruhe über die Verfassungsmäßigkeit der Filmförderungsabgabe verhandeln.
Nach dem Filmförderungsgesetz müssen Kinobesitzer (ebenso wie Videotheken und Fernsehsender) einen kleinen Prozentsatz ihrer Umsätze an die Filmförderungsanstalt abführen. Die verwendet dieses Geld, um Produzenten und Verleihe zu bezuschussen, damit diese deutsche Filme herstellen und auf die Leinwand bringen, was sie sonst angesichts der Übermacht von Hollywood womöglich gar nicht erst tun würden.
Das System gibt es im Prinzip schon seit fast einem halben Jahrhundert, genau wie die verfassungsrechtlichen Fragen, die es aufwirft. Das sind im Kern zwei Stück: Erstens, ist der Bund – Stichwort: Kulturhoheit der Länder! – überhaupt zuständig, ein solches System zu errichten? Und zweitens: Wie kommt er dazu, ausgerechnet die Kinobesitzer zu zwingen, die Rechnung für seine national-konservatorische Kulturpolitik zu bezahlen?
Das Bundesverfassungsgericht hat, soweit ich sehe, dazu noch nichts entschieden. Das ändert sich jetzt durch die Verfassungsbeschwerden, die vier Kinoketten in Karlsruhe anhängig gemacht haben.
Und dort wird, wenn ich die heute verschickte Verhandlungsgliederung richtig deute, die Gelegenheit dankbar wahrgenommen, sich das ganze System der deutschen Filmförderung mal in aller umfassenden Gründlichkeit vorzuknöpfen.
Als erstes will der Zweite Senat sich die “filmwirtschaftlichen Zusammenhänge” erklären lassen – ich vermute, damit ist die Frage gemeint, wie groß das Gewicht der deutschen relativ zu den Hollywood-Produktionen in den Kinos tatsächlich ist.
Kulturhoheit
Dann geht es mitten hinein in den verfassungsrechtlichen Maschinenraum: Ist das Filmförderungsgesetz wirklich “Recht der Wirtschaft”? Nur dann besäße der Bund dafür überhaupt eine Zuständigkeit (Art. 74 I Nr. 11 GG). Handelt es sich dagegen um Kulturförderung, müsste er das Feld den Ländern überlassen.
Verfassungspolitisch ist das nicht leicht zu verstehen, warum das überhaupt so ist. Ob man die Aufgabe, den deutschen Film gegen die Konkurrenz aus Hollywood fit zu machen, gut findet oder nicht, darüber kann man sicher streiten – aber warum soll das in aller Welt eine Aufgabe Thüringens, Hessens und des Saarlandes sein? Soll ein Multiplex in Hamburg-Mitte den Hamburger Film fördern helfen, eins in Norderstedt den schleswig-holsteinischen Film und eins in Bergedorf den niedersächsischen Film? Ich zweifle, ob das außer den sechzehn Landeskultusministern und ihren dazugehörigen Bürokratien irgendjemand auch nur im Entferntesten plausibel findet.
Aber gut, hier kommt es nicht auf Verfassungspolitik an, sondern auf Verfassungsrecht. Und das ist nun mal durch die Kuriosität gekennzeichnet, dass es wenn schon keine Kultur, so doch eine “Kulturhoheit” der Länder fordert, und zwar obendrein als “Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder“, wie es das Bundesverfassungsgericht 1957 sorgloserweise formulierte. Seither bereichert die Kultusministerkonferenz unser bildungspolitisches Institutionengefüge und steht als warnendes Beispiel dafür parat, was passiert, wenn man das mit der Kulturhoheit allzu ernst nimmt.
Mal sehen, was die Verhandlung am 8. Oktober noch alles zu Tage fördert. Eine Rolle soll dabei laut Verhandlungsgliederung auch das EU-Beihilfenrecht spielen: Das bringt nämlich, wenn ich das richtig deute, die Filmförderung in eine Zwickmühle, denn aus dessen Perspektive ist die Konstellation genau umgekehrt – als Wirtschaftsförderung ist sie unzulässig, als Kulturförderung nicht. Es wird interessant, wie die Prozessvertreter des Bundes zwischen der europarechtlichen Scylla und der verfassungsrechtlichen Charybdis hindurchnavigieren.
Außerdem scheint der Senat sich veranlasst zu sehen, über “Rücksichtnahmepflichten” und “Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten” nachzudenken – wer sich darauf einen Reim machen kann, den bitte ich um Erklärung.
Blockbuster-Kinos
Ein weiterer großer Tagesordnungspunkt wird das Finanzverfassungsrecht sein. Darf der Bund die Last, die Filmförderung zu finanzieren, auf die Schultern einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe legen, die angeblich von der Filmförderung besonders profitiert – im Unterschied zur Steuer, die wir alle zahlen, egal ob wir profitieren oder nicht?
Das darf er nicht, finden die Kläger. In ihren Kinos, so ihr Argument, zeigen sie überhaupt keine deutschen Filme, sondern sowieso nur Hollywood. Ob der deutsche Film floriert oder nicht, sei ihnen vollkommen egal. Da sie nichts von der Filmförderung hätten, dürften sie auch nicht zu der Sonderabgabe herangezogen werden.
Das klingt entwaffnend ehrlich. Aber meine Vermutung ist, dass der Senat den Multiplexen ihre behauptete Indifferenz schlicht nicht glauben wird. Ganz abgesehen davon, dass von Til Schweiger bis zum Schuh des Manitu eine ganze Reihe höchst potenter Publikumsmagneten wegfiele – wenn in deutschen Kinos keine Filme mehr gezeigt werden, die von Geschichten über Deutsche in Deutschland handeln, dann werden eine ganze Menge Deutsche aufhören, überhaupt ins Kino zu gehen. Und das soll den Multiplexen egal sein? Das wollen wir doch mal sehen.
Auf einem anderen Blatt steht, ob die Gruppe, die die Sonderabgabe zahlen soll, korrekt zusammengesetzt ist. Da scheint es eine Reihe von Problemen zu geben, die ich nicht beurteilen kann bzw. die mir ziemlich kleinteilig erscheinen.
Demokratieprinzip
Ganz zum Schluss kommt aber noch ein interessanter Punkt:
In der mündlichen Verhandlung wird auch zu erörtern sein, ob die Entscheidungstätigkeit der Filmförderungsanstalt ausreichend demokratisch legitimiert ist.
Geht es da um das Lieblingsthema des Zweiten Senats, die Budgethoheit des Parlaments? Immerhin wird hier ein ziemlich umfangreicher fiskalischer Topf an der Volksvertretung vorbei verwaltet.
Oder geht es um die persönliche Legitimation der Entscheidungsträger? Der Verwaltungsrat und die Kommissionen, die über die Vergabe der Fördermittel entscheiden, sind korporatistische Prachtexemplare, voller Posten für Politiker und Verbändevertreter aller Art. Rundfunkräte, Lottogesellschaften – wenn da etwas Grundsätzliches kommt aus Karlsruhe, dann dürfte das auch über das Filmförderwesen hinaus seine Auswirkungen haben.
Nun, Fragen genug, um gespannt auf den 8. Oktober zu sein.
Kinos werden aber auch gefördert, nicht nur die Filmproduktion:
http://www.ffa.de/start/content.phtml?page=presse_detail&news=1105&list=0
Nö, das Bergedorfer Kino soll bitte such den Hamburger Film fördern…
Vom Verfahrensgang ganz interessant: Das BVerwG hatte das Verfahren zunächst ausgesetzt und nach Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt, weil (von Gesetzes wegen) keine Abgabepflicht der Fernsehveranstalter vorgesehen war (die gab es nur aufgrund vertraglicher Absprache) und die Abgabe damit gegen Art. 3 GG verstoßen habe. Der Gesetzgeber hat darauf das Gesetz geändert und eine entsprechende Abgabe auch für diese gesetzlich vorgesehen. Daraufhin hat das BVerwG seine Vorlage zurückgenommen. Kompetenzprobleme hat es nämlich nicht gesehen.
Es sieht so aus, als hätten es Sonderabgaben beim BVerfG derzeit sehr schwer. Der Staat soll seine Aufgaben eben aus dem Steueraufkommen erledigen, dafür sind Steuern ja auch da. Sonderabgaben sind im Finanzverfassungsrecht eben nicht so richtig vorgesehen. Nachdem es erst dem Agrarabsatzfond, dann dem Holabsatzfond an den Kragen ging, ist jetzt wohl der Filförderung an der Reihe. Und glaich danach übrigens der Weinförderfonds. Der wird – meine Prognose – als nächstes kommen. Die Verfassungsbeschwerde sind schon anhängig. Und dann dürften wir sie alle haben…
Sorry für die lausige Rechtsschreibung. Ich dachte, ich hätte es eilig…
Wette: Die Beschwerde hat Erfolg. Allerdings wird das BVerfG, wie die Verfahrensgliederung nahelegt, es wohl nicht schon an fehlender Bundeskompetenz scheitern lassen (by the way: die europarechtliche Beihilfeproblematik lässt sich einfach durch einen nachdrücklichen Hinweis auf die Autonomie der Begriffe auflösen; vgl. Sicherheitsverwahrung als Strafe). Scheitern wird die Sonderabgabe an der evident fehlenden Gruppennützigkeit, irrelevant ist wegen des enormen Übergewichts von US-Filmen dabei, dass die Referenzfilmförderung auch z.T. an den Publikumserfolg anknüpft.
Interessant wird sein, was das Gericht zur demokratischen Legitimation der FFA – obiter – sagen wird.
Zur Filmförderung überhaupt: mE kann sich die Förderungspraxis, bei der die Länder trotz FFA den Löwenanteil tragen, sehen lassen. Natürlich gibts Mittelmaß und Schrott (“Cloud Atlas”). Viele hervorragende Filme, die nichts mit den “typischen” Problemen des deutschen Kinos: falsche Theatralik, falsche Dialoge, sich in erster Linie selbst spielende Schauspieler, simple und voraussehbare (vorzugsweise NS-Zeit oder DDR) Plots – die nichts mit diesen “typischen” Problemen am Hut haben, werden ebenfalls gefördert.
Das Problem des deutschen und europäischen Independent-Kinos ist nicht die fehlende Qualität, sondern die fehlende Rezeption. National und international. Ob Filmförderung hier was bewegen kann, ist zweifelhaft.
Ich bezweifle, dass das den großen Kinos in irgendeiner Weise weh täte. Den deutschen Film würden andere Filme ersetzen, zumal die deutschen Filme im Regelfall auch nicht die Filme sind, die sich an den Kinokassen besonders gut verkaufen würden. Es gibt ein paar Ausnahmen, aber der Witz an denen ist: Die würden sich ohnehin auch ohne Filmförderung verkaufen, weil Leute wie Schweiger in der Vergangenheit gezeigt haben, dass sie Publikum anziehen.
Ohnehin sind deutsche Publikumsmagneten nicht die Regel, die meisten deutschen Filme dürften “nebenbei” gezeigt werden. Etwas aus Anstandsgefühl, ein wenig deswegen, weil die Filme auf dem Markt nicht so teuer sind, ein bisschen deswegen, weil man damit zumindest ein Nischenpublikum erreicht, das man so zumindest in kleine Independentkinos locken kann.
Die großen Kinoketten und Multiplexe dürften einen Wegfall des deutschen Films jedenfalls ohne weiteres verkraften und den Löwenanteil ihrer Umsätze mit großen Hollywoodblockbustern machen.