Dobrindts Maut-Pläne verstoßen gegen das EU-Recht
Es ist ziemlich genau ein halbes Jahr her, seit ich mich auf diesem Blog mit den ersten halbwegs konkreten Ideen für eine Pkw-Maut auf deutschen Autobahnen beschäftigte. Seitdem passierte lange nichts, bis endlich am 7.7.14 (eigentlich ein dankbares Datum für die Geschichtsbücher) weißer Rauch aus dem Verkehrsministerium aufstieg. Selbst wenn man es äußerst freundlich mit der CSU meint, besteht jedoch kein Grund, euphorisch „habemus pedagium“ zu rufen. Zu offensichtlich sind die Fehler, die dem Konzept von Minister Dobrindt immer noch anhaften. Um Wiederholungen zu vermeiden, möchte ich nicht noch einmal die Rechtsfragen rund um Art. 92 AEUV und den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes (Art. 3 Abs. 1 GG) eingehen. An dieser Front hat sich – auch wenn die Lkw-Maut künftig schon etwas früher einsetzt – nichts Grundsätzliches getan. Stattdessen möchte ich mich auf das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 Abs. 1 AEUV) konzentrieren, das an zwei Stellen sehr offensichtlich verletzt ist.
Verstoß durch einheitliche Kurzzeitvignetten
Da wäre zunächst die Regelung der Kurzzeitvignetten zu nennen. Während für die Jahresvignette die von mir bereits Anfang des Jahres befürchtete komplizierte Berechnung entlang den Parametern der Kfz-Steuer vorgesehen ist, soll bei den geplanten Zehn-Tages- und Zwei-Monats-Vignetten jeweils ein einheitlicher Tarif gelten. Das Resultat würde so aussehen: Wer in Deutschland einen Kleinwagen hält, auf den bisher 20 € Kfz-Steuer pro Jahr erhoben werden, wird künftig auch nur etwa 20 € für die Jahresvignette entrichten müssen. Auch wenn er täglich – ohnehin steuersubventioniert – über die Autobahn zur Arbeit pendelt, bleibt es bei den 20 €. Ein Schwede, der das gleiche Fahrzeug besitzt und Deutschland auf der Hin- und Rückfahrt für einen zweiwöchigen Italien-Urlaub passieren muss, muss nach Dobrindts Vorschlägen ebenfalls 20 € bezahlen – die Zwei-Monats- und die Jahresvignette kosten ihn etwa gleich viel. Der Unterschied ist: Der Deutsche wird die Autobahn typischerweise über das Jahr verteilt immer wieder nutzen, für den Schweden hingegen ist sie hingegen vor und nach seiner Urlaubsfahrt im Regelfall völlig uninteressant.
Diese Konstellation ist rechtlich gesehen eine Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem: Der Deutsche und der Schwede haben, obwohl sie Halter des gleichen Kfz-Modells sind, einen völlig unterschiedlichen Bedarf und nehmen die deutsche Infrastruktur auch in völlig unterschiedlichem Ausmaß in Anspruch. Es ist daher EU-rechtlich geboten, die beiden differenziert zu behandeln. Dies muss nicht bedeuten, dass jeder Nutzungstag umgerechnet genau gleich viel kostet: Deutschland darf durchaus in Rechnung stellen, dass der Schwede die Autobahn typischerweise in der kurzen Zeit vergleichsweise intensiv nutzt und die Verwaltung für den Vertrieb und die Kontrolle der Kurzzeitvignetten einen zusätzlichen Aufwand treiben muss. Die Vignette, die man für eine zweiwöchige Urlaubsfahrt benötigt, darf aber niemals bei einigen Kfz-Modellen genauso viel kosten wie eine Jahresvignette. Es gibt keinen rechtlich relevanten Grund, um die einheimischen Kfz-Halter in einem solchen Ausmaß besserzustellen.
Die traurige Konsequenz ist: Das ohnehin schon komplizierte Berechnungssystem müsste noch schwieriger werden, da eine diskriminierungsfreie Regelung die Ökostufen auch bei den Kurzzeitvignetten aufgreifen müsste. Dadurch würde die „Maut“ noch weniger Geld einbringen und der Verwaltungsaufwand noch größer.
Verstoß durch Entlastung der Inländer bei der Kfz-Steuer
Die zweite große Baustelle ist die vorgesehene Reform des Kfz-Steuersystems. Verkehrsminister Dobrindt sprach davon, einen „Freibetrag“ in Höhe der Kosten einer Jahresvignette bei der Kfz-Steuer einzuführen. Der Effekt ist folgender: Für Deutsche ist die Autobahnmaut kostenneutral, da sie diese nur anstelle der sonst geschuldeten Kfz-Steuer bezahlen müssen. Ausländern hingegen steht eine solche Entlastung nicht zur Verfügung, sie werden durch die Infrastrukturabgabe tatsächlich in der Höhe ihres Nennwerts stärker belastet. Dies ist eine klassische Diskriminierung in Form der Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem. Da die Differenzierung (Kompensation ja oder nein) an die Kfz-Steuerpflicht im Inland anknüpft, handelt es sich um eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (denn in Deutschland sind die weitaus meisten Kfz-Halter Deutsche). Und wieder ist kein juristisch relevanter Rechtfertigungsgrund dafür ersichtlich, dass effektiv nur Ausländer bezahlen sollen.
Um es noch einmal deutlich zu machen: Das Kfz-Steuersystem ist eigentlich eine autonome Angelegenheit der Mitgliedstaaten. Deutschland dürfte daher ohne weiteres die einzelnen Steuersätze heben und senken, wie es lustig ist. Der Konflikt mit dem EU-Recht entsteht erst dadurch, dass die Senkung der Kfz-Steuer passgenau die Mehrbelastung durch die neue Autobahnmaut auffangen soll. Unter diesen Umständen sind die Mautregelung und die Kfz-Steuer als Regelungseinheit zu sehen. Und in dieser Regelungseinheit trifft eine neu eingeführte Abgabe effektiv nur Menschen, die ihr Auto nicht in Deutschland angemeldet haben. Das ist im EU-Recht schlicht ausgeschlossen. Eine Reform der Kfz-Steuer müsste ihren eigenen, von den wirtschaftlichen Folgen der Maut völlig unabhängigen Erwägungen folgen, um nicht zusammen mit der Autobahnmaut am Maßstab des Diskriminierungsverbots gemessen zu werden. Dies gewährleisten die Vorschläge des Verkehrsministers nicht, im Gegenteil: Dass Deutsche keinen Cent mehr zahlen müssen und trotzdem jährlich Einnahmen in dreistelliger Millionenhöhe in den deutschen Staatssäckel fließen, wird offensiv als Errungenschaft beworben. So sieht ein unionsrechtliches Himmelfahrtskommando aus.
Falsche Fixierung auf die Kommission
Schließlich sei noch ein Wort dazu verloren, dass die Diskussion in den Medien sich immer wieder an einzelnen – oft nicht besonders geschickten – Äußerungen der Kommission aufhängt. Die Rolle der Kommission wird hier gnadenlos überschätzt, da es letztlich nicht auf ihr Votum ankommen wird. Die Mautregelung wird, falls sie tatsächlich verabschiedet werden sollte, so sicher wie das Amen in der Kirche vor dem Europäischen Gerichtshof landen. Die Frage ist nur, ob die Kommission selbst ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV einleitet oder ob an ihrer Stelle die Niederlande, Belgien und/oder Österreich dies tun (möglich nach Art. 259 AEUV und bereits angekündigt). Und selbst wenn auch diese Staaten auf diplomatischen Druck hin kneifen, wird das erstbeste Bußgeldverfahren gegen einen EU-Ausländer wegen Fahrens ohne Vignette in einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV münden. Auch „grünes Licht“ aus Brüssel, so unwahrscheinlich es sein mag, würde also nichts nützen, da es letztlich ausschließlich auf Luxemburg ankommt.
Ein kleiner Fußballbezug muss in dieser Endphase der WM noch sein. Nachdem die Kommission der UEFA ihre Ausländerregelung abgesegnet hatte, kommentierte der EuGH dies in Leitsatz 16 des berühmt-berüchtigten Bosman-Urteil so: „Die Kommission ist […] nicht berechtigt, Garantien hinsichtlich der Vereinbarkeit eines bestimmten Verhaltens mit dem Vertrag zu geben, und sie hat keinesfalls die Befugnis, gegen den Vertrag verstoßende Verhaltensweisen zu genehmigen.“ Daran sollte Minister Dobrindt sich bei seinen nächsten Gesprächen in Brüssel unbedingt erinnern.
Wo ist denn der Gesetzestext nachzulesen, wenn es schon verfassungswidrig ist?
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Die Subvention liegt vor, wenn ökologisch wertvoll nicht über die Autobahn gefahren wird:
http://de.wikipedia.org/wiki/Steuersubvention#Kontroversen_am_Beispiel_der_Entfernungspauschale
»Im Regelfall stellt die Pendlerpauschale häufig also keine Vergünstigung, sondern ein Schlechterstellung dar.
Mit Einführung der Verkehrsmittelunabhängigkeit der Entfernungspauschale im Jahr 2001 ergibt sich aber immer dann eine Subventionswirkung, wenn ein Pendler tatsächlich keine oder nur sehr geringe Fahrtkosten hat (etwa weil er kostenlos in einer Fahrtgemeinschaft mitfährt).«
Wären 20,01 € für das deutsche Fahrzeug OK? Alternativ 19,99 € für die Montatsvignette? Oder reicht mathematische Ungleichheit nicht? Wenn nicht: Wie verschieden muss es sein, um als ungleich zu gelten?
a) Im Inland zugelassenes Fahrzeug fährt im Inland und
b) im Inland zugelassenes Fahrzeug fährt im Ausland
sollen als wesentlich gleiche Sachverhalten gelten?? Wie das?
Tit for tat. Unter Barbaren, im Völkerrecht und vom gemeinen Volk ist das doch ein anerkannter Grundsatz. Der ideellen Gesamtautofahrer Seehofer empfindet es als ungerecht (braucht es mehr Grund?), wenn sein Fahrer beim Grenzübertritt eine Vignette kaufen und kleben muss, während der Kollegen aus NÖ einfach durchfahren lassen kann.
Auch hier die Frage: Wenn es nicht genau passen würde, ginge es in Ordnung? Wieviel Mehr- oder Wenigerbelastung wäre nötig, bis Sie Ihr Argument fallen ließen? Ist es in Ordnung, wenn nahezu das selbe Ergebnis dadurch erzielt wird, dass die Senkung der Steuer und die Einführung der Maut zeitlich auseinandergezogen werden?
[…] wahrscheinlich ist, dass er mit seinen plänen (die ja wahrscheinlich sowieso nicht eu-recht-konform sind) wirklich die angestrebten summen erlösen kann, habe ich in einem blog gefunden. […]
Wie können Pläne gegen EU-Recht verstoßen?
“(…) wird das erstbeste Bußgeldverfahren gegen einen EU-Ausländer wegen Fahrens ohne Vignette in einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV münden.”
Könnten Sie das bitte näher erläutern? Unionsrechtswidrig wäre ja allenfalls die Ausgestaltung der Mauttarife. Nicht unionsrechtswidrig wären jedoch die Mautpflicht an sich, deren Bußgeldbewehrung und die Ausgestaltung des Bußgelds (sofern einheitlich wie in Österreich). Das Bußgeld wäre daher rechtmäßig, weil “diskriminierungsunspezifisch”.
Wenn es eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV gibt, dann am ehesten in einem Verfahren, indem eine (Teil-)Rückzahlung der Maut gefordert wird.
@Arne Nym:
a) Im Inland zugelassenes Fahrzeug fährt im Inland und
b) im Inland zugelassenes Fahrzeug fährt im Ausland
sollen als wesentlich gleiche Sachverhalten gelten?? Wie das?
Die Sachverhalte dürften EU-rechtlich eher “Deutscher fährt mit seinem Auto auf einer deutschen Autobahn” und “EU-Ausländer fährt mit seinem Auto auf einer deutschen Autobahn” sein. Was ich dann schon als wesentlich gleiche Sachverhalte bezeichnen würde.
Was die Abweichung zwischen der Deckung von Kfz-Steuer und Mautgebühr beträgt, so würde ich behaupten, es müsste sich schon um eine nennenswerte und nicht nur rein-mathematische Abweichung handeln. Wo genau der EuGH die dann ansetzt, wird er uns wahrscheinlich früher oder später in einem Urteil erklären. Was natürlich zu dem Problem führt, dass man entweder Mindereinnahmen in Kauf nehmen müsste, was der Finanzminister kaum machen dürfte, oder Mehreinnahmen erhielte, und dann wäre das CSU-Wahlversprechen, dass die Bayern/Deutschen nicht mehr zahlen, Makulatur, weswegen es die CSU nicht akzeptieren dürfte.
Ich habe jetzt schon sehr viele berichte gelesen wo dem nach die Verwaltungskosten die einnahmen überschreiten werden!
Dürfte der geschätzte Autor vielleicht erwägen, auf die hier geäußerten Fragen der Kommentatoren zu antworten? Oder gilt der Text als widerrufen? Danke.
[…] Michael Spreng hält die geplante PKW-Maut für Ausländer in Deutschland schlichtweg für Irrsinn, während man beim Verfassungsblog überhaupt die Rechtmäßigkeit einer solchen Maut anzweifelt. […]
Zu den aufgeworfenen Fragen:
@ Aufmerksamer Leser: Gehen Sie auf den Link bei “Rauch aus dem Verkehrsministerium aufstieg” und öffnen Sie die pdf-Datei am Ende der Seite. Dort stehen die Details der geplanten Regelung. Ich habe mich – da weitere Einzelheiten tatsächlich abzuwarten sind – auf die konkret angegebene Höhe der Kosten für die einzelnen Vignetten sowie die Verankerung von “Freibeträgen” bezogen. Diese beiden Aussagen sind konkret genug, so dass es auf die endgültige Formulierung im Gesetzestext nicht ankommen wird. Vgl. Sie auch die Einschätzung von Professor Obwexer aus Innsbruck, der bereits im Auftrag der österreichischen Bundesregierung tätig wurde und auch meinen Einwand aus dem Post vom Januar zu Art. 92 AEUV noch einmal aufgreift: http://derstandard.at/2000003106838/Gutachten-sieht-drei-Probleme-in-Auslaendermaut
@ Ano Nym: Lesen Sie den Wikipedia-Eintrag noch einmal, den Sie hier selbst verlinkt haben. Ich halte es bzgl. der Pendlerpauschale mit der dort wiedergegebenen Einschätzung von Paul Kirchhof. Der Punkt ist für die unionsrechtliche Beurteilung aber gar nicht ausschlaggebend. Zu Ihren inhaltlichen Einwänden im zweiten Post teile ich die Erwiderung von “Chris”. Es ist schwierig einzuschätzen, wo genau der EuGH die Grenze ziehen würde, eine Ausrichtung an der Logik, dass unter dem Strich nur “Ausländer” (i.S.v. Halter von Kfz, die nicht in Deutschland steuerpflichtig sind) zahlen müssen, ist jedenfalls ausgeschlossen.
@ AX: Das Bußgeld wäre nicht “diskriminierungsunspezifisch”, wie Sie es ausdrücken. Es würde den Verstoß gegen eine Vignettenpflicht sanktionieren, die ihrerseits gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV verstieße und daher unanwendbar wäre. Wenn ein Betroffener Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid einlegt, ist im anschließenden gerichtlichen Verfahren immer zu prüfen, ob die strafbewehrte Handlungspflicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Um dies zu verifizieren, kann jedes Gericht ab der 1. Instanz gem. Art. 267 AEUV ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH richten.
@ Walther Michl:
Die Frage ist ja gerade, ob eine Diskriminierung bei der Ausgestaltung der Vignettentarife/der Kfz-Steuer auf die Vignettenpflicht als solche durchschlägt und sie unanwendbar macht. Unionsrechtlich ist das nicht ausdrücklich geregelt und mir scheint es auch nicht für dessen Effektivität erforderlich zu sein.
Als plastisches Beispiel die Rs. C-388/01 “Venezianische Museen”: Wenn ein Museum diskriminierende Tarifvorteile für bestimmte Einheimische gewährt, darf ich mich dann wirklich am Kassenhäuschen vorbeischleichen oder nicht vielleicht doch nur für mich die gleichen Tarifvorteile fordern?
@ AX:
Ich sehe eher eine Parallele zur Sportwettenregulierung: Anbieter aus dem Ausland sind ohne Konzession auf dem deutschen Markt tätig, obwohl eine solche nach dem GlüStV vorgeschrieben ist. Dass Deutschland grundsätzlich eine Konzessionspflicht statuieren darf, ist unstreitig. Die konkrete Ausgestaltung des Zulassungssystems verstößt jedoch gegen die Grundfreiheiten (in den meisten Fallgestaltungen Art. 56 AEUV). Dies wird regelmäßig in Straf- und OWi-Verfahren gegen die Verantwortlichen der Glücksspielanbieter eingewandt (vgl. etwa die anhängige EuGH-Vorlage des AG Sonthofen, Beschl. v. 7.5.2013, 1 Ds 400 Js 17155/11, BeckRS 2014, 5708). Im Urteil Winner Wetten (Rs. C-409/06) hat der EuGH darauf bestanden, dass die deutsche Vorgängerregelung – trotz der sozialen Gefahren des Glückspiels – nicht anwendbar ist, bis ein unionsrechtskonformer Zustand geschaffen wird. Die gleiche Konsequenz erwarte ich auch im Hinblick auf eine unionsrechtswidrige Mautregelung.
Und zum Museumsfall: Wenn Einheimische unter dem Strich 0,- € Eintritt zahlen müssen (wie auch immer das rechtlich konstruiert wird), Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten aber 5,- €, dann dürfen Letztere sich tatsächlich an der Kasse vorbeischleichen und müssen in einem evtl. Strafverfahren freigesprochen werden.
@Walther Michl: Was heißt “unter dem Strich?” Unter welchem Strich?
Der deutsche Gesetzgeber hat sich, anders als etwa der Italienische, vor Jahrzehnten entschieden, keine allgemeine Maut einzuheben (oder Straßen zu privatisieren, was aufs Gleiche hinausläuft). Diese Entscheidung führt dazu, dass er im Vergleich zu Ländern mit allgemeiner Mautpflicht (oder mit Privatstraßen) bei hohem Verkehrsanteil von im Ausland zugelassenen Fahrzeugen weniger Einnahmen generiert als ein Land, das unterschiedslos von jedem Verkehrsteilnehmer eine Maut verlangt. Diese Schlechterstellung Deutschlands in der Staatenkonkurrenz wird mit den Dobrindtschen Plänen beseitigt, der historischen Gesetzgeber insofern korrigiert. Ich denke, dass das der Strich ist, der gezogen werden muss.
zum Nebenthema “Pendlerpauschale/Paul Kirchhof”: Auf welchen Satz beziehen Sie sich konkret? Oder habe ich eine aktuelle Entwicklung verpasst? Ich dachte es gilt – Koch, Steinbrück und Kirchhof zum trotz – in Deutschland immer noch das objektive Netto- [1] und nicht das Werktorprinzip. Paul Kirchhof hat man doch nicht bei der Einkommensteuer sondern nur beim Rundfunkbeitrag staatsvertragsgeberisch rangelassen. ;-)
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Entfernungspauschale#Grundsatzentscheidung_des_Bundesverfassungsgerichts_von_2008
@ Walter Michl:
In “Winner Wetten” setzt der EuGH einen Normkonflikt voraus. Löst die Mautpflicht einen solchen aus, treffen sie auch die dort gezogenen Konsequenzen.
Ob die Mautpflicht selbst dem Diskriminierungsverbot unterliegt und damit einen Normkonflikt auslöst, halte ich aber nicht für ausgemacht. Ich sehe da eine Parallele zur Finanzierung verbotener Beihilfen, wo der EuGH erst anhand der Kriterien Spezifität und zwingender Zusammenhang ermittelt, ob sie Bestandteil der Beihilfemaßnahme ist (vgl. Rs. C‑526/04, Laboratoires Boiron, Rn. 43-45).
Wenn sich das Diskriminierungsverbot nicht auf die Mautpflicht selbst erstrecken würde, wäre es nur mehr am nationalen Recht, die Rechtsfolgen zu treffen (vgl. Rs. 319/82, Société de Vente de Ciments et Bétons, zum heutigen Art. 101 Abs. 2 AEUV).
@ Ano Nym:
“Unter dem Strich” = aufgrund der Mauttarife oder aufgrund eines Pakets aus Mauttarifen und Kfz-Steuer-Senkung. Der von Ihnen genannte Strich, also der Systemwechsel, darf gezogen werden, nur darf die Maßnahme mit der das geschieht nicht diskriminierend ausgestaltet sein.
Würde mich interessieren, warum die Einführung einer flächendeckenden PKW-Maut in DE, bei Einführung eines Absetzbetrages im KFZ Steuerrecht unionsrechtswidrig sein sollte. EU MS sind bei der Ausgestaltung ihres KFZ Steuerrechts frei. Die Grenze ist das EU-Diskriminierungsverbot. Das EU-Diskriminierungsverbot gilt nur im Zusammenhang mit den 4 EU-Grundfreiheiten. Ein österr. Arbeitnehmer oder Dienstleister könnte die allf. Kosten einer DE-Autobahnvignette im Ö 100% steuerlich absetzen. Für berufsbedingte Fahrten wird es daher für Ö keine Diskriminierung geben. Für private Fahrten werden die Fahrten in DE um die Kosten der Vignette höher. Private Fahrten fallen aber nicht unter das Unionsrecht.
Ausländische PKW bekommen doch nicht bei der Steuer den vollen Maut-Betrag ersetzt. Vielmehr kann man diesen hier nur vom anrechenbaren Einkommen abziehen. Dies verringert also nur den Betrag, auf welches der prozentuale Steuersatz zu zahlen ist.
Ersetzt bekommt mant also etwa nur den verhältnismäßig prozentualen Steuersatz auf die Maut.
Wenn für Private im Ländervergleich kein EU-Recht gelten soll, hätte man jedenfalls auch keine Ungleichbehandlung im Ländervergleich iSe. Gerechtigkeitslücke, welche man beheben müsste.
[…] wahrscheinlich ist, dass er mit seinen plänen (die ja wahrscheinlich sowieso nicht eu-recht-konform sind) wirklich die angestrebten summen erlösen kann, habe ich in einem blog gefunden. […]
Die Überschrift kann doch so dann nicht ganz stimmen.