04 March 2015

Doch nicht allmächtig: das europäische Gericht erklärt eine Verordnung der EZB für nichtig

Die Machtfülle der Europäischen Zentralbank (EZB) wird gegenwärtig von vielen Seiten kritisch beäugt: Im Hinblick auf ihre expansive Geldpolitik beschweren sich vor allem deutsche Ökonomen, dass die EZB jedes Maß verloren habe und rechtliche Begrenzungen nichts mehr zählten. Und aus britischer Sicht erscheint die Errichtung der ersten Säule der Bankenunion, in der die EZB quasi als „Superaufsichtsbehörde“ der Eurozone agiert, ebenfalls keineswegs ausschließlich positiv. Denn, so die Befürchtungen, dadurch könnte die Bedeutung des Euro im Vergleich zu anderen Währungen – vornehmlich dem britischen Pfund – noch einmal drastisch zunehmen.

Tatsächlich wird man der EZB kaum absprechen können, in beiden Bereichen überaus machtvoll agieren zu können. Und im Grundsatz ist das auch richtig so. Die Bedeutung einer starken Zentralbank in Krisenzeiten ist durch die Finanzkrise mehr als deutlich geworden. Entsprechende Bedeutungszuwächse betrafen denn auch keineswegs allein die EZB, sondern praktisch alle Zentralbanken weltweit. Und die Finanz- und anschließende Eurokrise war es, die deutlich gemacht hat, warum überstaatliche und durchsetzungsfähige Aufsichtsstrukturen zumindest in der Eurozone zwingend erforderlich sind (wenngleich es überaus fraglich erscheint, ob gerade eine Zentralbank diese Aufgaben wahrnehmen sollte).

Dennoch: Rechtsstaatliche Strukturen sind mit grenzenloser Macht offenkundig nicht vereinbar. Und angesichts der Unabhängigkeit der EZB – über die man zumindest im Bereich der Bankenaufsicht mehr als streiten kann – kann eine effektive Begrenzung hier nur durch die Gerichtsbarkeit, also den EuGH erfolgen. Weisungen durch politisch Verantwortliche sind ja ausgeschlossen. Mit anderen Worten: die Unabhängigkeit erlaubt nicht nur eine effektive gerichtliche Kontrolle, sie verlangt sie sogar.

Andererseits muss auch die gerichtliche Kontrolle ihre Grenzen erkennen: Sowohl im Bereich der Geldpolitik als auch der Bankenaufsicht sind angesichts der Komplexität der zu treffenden Entscheidungen mithin Beurteilungsspielräume der EZB anzuerkennen und von gerichtlicher Seite zu respektieren. Warum sollte ein Gericht etwa besser beurteilen können als die mit Experten besetzte Behörde, ob es sich um ein „systemrelevantes Institut“ handelt?

Die gerichtliche Kontrolle muss hier also das richtige Maß der Kontrolldichte finden und das ist keineswegs eine besonders einfache Aufgabe. Nicht nur in Deutschland bestehen daher große Bedenken, ob gerade die europäische Gerichtsbarkeit dieser Aufgabe eigentlich gewachsen ist. Ähnliche Bedenken werde auch in Großbritannien geäußert, wo nicht zuletzt ein von der europäischen Gerichtsbarkeit gewährter „Eurobonus“ befürchtet wird.

In Deutschland wurde der Schlussantrag des Generalanwalts bezüglich des OMT-Programms der EZB vielfach als erste Bestätigung dieser „These der zu schwachen Kontrolle“ gesehen. Und in der Tat: Vieles spricht dafür, dass der EuGH den Ausführungen des Generalanwalts folgen und einen Verstoß gegen geldpolitische Vorgaben des AEU-Vertrages mithin ablehnen wird. Also Rechtsstaat adé, weil auf die gerichtliche Kontrolle (wie erwartet) kein Verlass mehr ist? Ist das das Ende der Rechtsgemeinschaft?

Die Antwort ist ein klares Nein. Für die Bestätigung der These ist dieses Verfahren schon deswegen nicht geeignet, weil der Generalanwalt im Wesentlichen Recht hat. Oder etwas vorsichtiger: Es lässt sich mit sehr guten Argumenten behaupten, dass die EZB mit ihrem OMT-Programm die ihr gesetzten rechtlichen Grenzen gerade nicht überschritten hat. Wenn der EuGH das letztlich feststellt, kann ihm eine zu laxe Kontrolle also schwerlich vorgeworfen werden. Es ist ja kaum seine Aufgabe, rechtmäßiges Handeln aus Prinzip für unrechtmäßig zu erklären, um seine besondere Härte unter Beweis zu stellen. Andererseits würde obige These allerdings durch ein entsprechendes Urteil des EuGH natürlich auch noch nicht als widerlegt gelten können.

Einen ersten Schritt Richtung Widerlegung dürfte jedoch das heutige Urteil des EuG darstellen (Rs. T-496/11). Darin erklärte es eine von der EZB erlassene Verordnung teilweise für nichtig, da die Rechtsgrundlage – Art. 22 der Satzung der EZB – diese nach seiner Auffassung nicht tragen würde. Inhaltlich ging es um zentrale Gegenparteien, die am Wertpapierclearing beteiligt sind. Die Verordnung der EZB hatte hier vorgeschrieben, dass entsprechende Clearingstellen (soweit sie Zahlungsvorgänge in Euro abwickeln) auch ihren Standort innerhalb der Eurozone haben müssen. Das war offenkundig ein Erfordernis, das den Finanzstandort London erheblich beeinträchtigte, was zugleich erklärt, warum ausgerechnet Großbritannien gegen diesen Passus vor das Gericht zog.

Die Details des Verfahrens sind an dieser Stelle dabei weniger entscheidend. Viel wichtiger ist, dass eine an Zweckmäßigkeiten orientierte und damit extensive Interpretation des Art. 22 der Satzung durchaus zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können. Die EZB hat hier in ihren Stellungnahmen einige Argumente vorgebracht, die Ansatzpunkte geboten hätten, die Verordnung aufrecht zu erhalten.

Das Gericht hingegen ließ indes keines dieser Argumente durchgehen, allerdings ohne die Zweckmäßigkeit der Standortvorgabe selbst in Frage stellen zu wollen. Stattdessen verwies es die EZB auf die Möglichkeit nach Art. 129 Abs. 3 AEUV, das Parlament und den Rat zu einer entsprechenden Erweiterung ihrer Rechtsetzungsmöglichkeiten aufzufordern. Der bestehende Rechtsrahmen aber, da war das Gericht ganz deutlich, reicht eben nicht aus. Laxe Kontrolle sieht jedenfalls anders aus! Und von einer Privilegierung der Eurozone ist auch nichts zu sehen. Ein Rechtsmittel zum EuGH ist zwar möglich, insofern ist es sicher noch zu früh, obige These endgültig verabschieden zu können. Dennoch ist das Urteil des Gerichts aus rechtsstaatlicher Perspektive zweifellos zu begrüßen. Es zeigt, dass die Idee der Integration durch Recht auch und gerade für die EZB Geltung beansprucht und dass jedenfalls das Gericht diese Idee auch ernst nimmt. Und das ist doch eine wirklich gute Nachricht

Wichtig ist hier vielleicht noch ein anderer Gesichtspunkt. Indem das Gericht mit seinem Urteil darauf hinweist, dass der EZB als Behörde gerade keine umfassende Regulierungskompetenz zukommt, stärkt es zugleich den europäischen Gesetzgeber, also Parlament und Rat. Die EZB wird also auch durch die Übertragung der Bankenaufsicht nicht zur allumfassenden Regulierungsbehörde im Sinne der amerikanischen SEC. Die wesentlichen Regulierungsentscheidungen müssen vielmehr weiterhin die politischen Organe und nicht die unabhängige EZB treffen. Das bedeutet aber zugleich: Regulierungsdefizite können nicht allein der EZB angelastet werden. So wie auch für die Finanzkrise nicht allein die Aufsichtsbehörden, verantwortlich zeichneten, sondern in vielerlei Hinsicht der fehlerhafte Regulierungsrahmen das Problem war, können die politischen Organe also auch zukünftig nicht einfach nach Frankfurt zeigen, wenn etwas schiefgehen sollte. Hoch lebe die Demokratie!

 


2 Comments

  1. Peter Camenzind Fri 6 Mar 2015 at 23:30 - Reply

    M.E. hat man weniger bezweifelt, dass der EuGH das EU-Recht ausdeuten würde. Insofern scheint das Urteil nicht sonderlich sensationell.
    Der Artikel sagt, es wäre aus guten Gründen ebenfalls eine andere Entscheidung möglich gewesen. Eine klare, nicht laxe iSv. beliebige Gerichtskontrolle könnte anders aussehen.
    Das Problem könnte auch vielmehr eher im Verhältnis von EU-Recht in seinen Grenzen zum nationalen Recht liegen. Soweit der EUGH hier einen Kompetenzverstoß feststellen wollte, würde er sich einen solchen, als EU-Bestandteil, ja im Grunde selbst begrenzend bescheinigen. Insofern schiene hier in diesem Fall eine in Grenzbereichen evtl. eher laxe Gerictskontrolle nicht völlig fernliegend. Eine Gerichtskontrolle soll hier ja auch nur beschränkt bei Offensichtlichkeit o.ä. möglich sein.

  2. Gerold Keefer Wed 29 Apr 2015 at 08:50 - Reply

    Mir deucht man hat die praktische Konsequenz des Urteils nicht ganz erfasst: Die operative Führung der EZB hat damit nicht eingeschränkte, sondern erweiterte Kompetenzen. Sie darf zukünftig Clearing-Geschäfte auch mit Partnern mit Sitz ausserhalb der Euro-Zone machen, was ihr bisher per Satzung verboten war. Es ist duchaus denkbar, das man zur Erreichung dieses Ziels über Bande gespielt hat und die Briten selbst dazu angestiftet hat, im Sinne von “Wir würden ja gerne mit Euch Geschäfte machen, aber dazu müsst ihr gegen unser Reglement klagen.”
    Eine funktionierende juristische Kontrolle der Institution durch ein Urteil nachzuweisen, dass die Befugnisse der EZB erweitert, möge dann wohl mit dem zuweilen durch Morgendunst eingeschränkten Blick aus dem Elfenbeinturm erklärt werden.

    Herzliche Grüße dahin

    Gerold Keefer

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