29 August 2014

Edathy war immun, hat aber nichts davon

Für Sebastian Edathy, den SPD-Politiker mit Kunden-Account bei einem kanadischen Kinderporno-Versender, kommt die Belehrung aus Karlsruhe zu spät. Aber für künftige Bundestagsabgeordnete, die einen Skandal auf sich zurollen sehen und durch ihren Rücktritt ihre öffentliche Exposure minimieren wollen, wird die Information womöglich noch mal relevant: Wenn man zurücktritt, so das Bundesverfassungsgericht in seiner heutigen Kammerentscheidung, ist man noch lange nicht zurückgetreten. Das ist man erst, wenn der Parlamentspräsident den Mandatsverzicht mit Unterschrift besiegelt.

Zu den zahllosen Kuriositäten der Affäre Edathy gehört, dass alle Beteiligten sich offenbar die meiste Zeit über völlig falsche Vorstellungen machten über den Zeitpunkt, ab dem Edathy aufgehört hatte, Bundestagsabgeordneter zu sein. Darauf kam es deshalb an, weil Bundestagsabgeordnete Immunität genießen und kein Staatsanwalt ihnen mit Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl zu Leibe rücken darf.

Edathy hatte seinen Rücktritt am 6. Februar 2014 öffentlich verkündet. Tags drauf ließ er seinen Mandatsverzicht notariell beurkunden und reichte ihn beim Bundestagspräsidenten ein. Als dieser am 10. Februar den Verzicht offiziell bestätigte, hatte das Amtsgericht Hannover bereits die Durchsuchung von Edathys Wohnung und Büros angeordnet. Das, so die 3. Kammer des Zweiten Senats, hätte das AG nicht tun dürfen. Denn solange die Bestätigung durch den Bundestagspräsidenten noch ausstand, war Edathy Abgeordneter und gegen jede Strafverfolgung immun.

Dass die Immunität überhaupt ein Problem sein könnte, hatten dabei offenbar weder der Bundestagspräsident noch die Strafjustiz noch Edathy und seine Anwälte auf dem Schirm. In der Bestätigung des Bundestagspräsidenten war sogar explizit angegeben, dass der Stichtag für den Mandatsverzicht der 6. Februar sei und nicht der 10.

Als die Bundestagsverwaltung Edathy Anfang Mai auf das Problem aufmerksam machte, war sein Beschwerdeverfahren schon gelaufen. Pech für Edathy, findet die Kammer ungerührt. Da hätte er selbst rechtzeitig drauf kommen müssen. Vor Amts- und Landgericht hätte er sein Recht einklagen müssen, und wenn er das nicht getan hat, brauche er sich nicht hinterher in Karlsruhe zu beschweren.

Tatsächlich, wenn man sich § 47 III 1 BWahlG anschaut, scheint der Wortlaut völlig klar: Bei Verzicht entscheidet der Bundestagspräsident über den Verlust des Mandats, und in diesem Fall scheidet der Abgeordnete “mit der Entscheidung” aus dem Bundestag aus.” Wie Juraprofessoren und Repetitoren beim Versuch, witzig zu sein, gern formulieren: Ein Blick ins Gesetz fördert die Rechtskenntnis. Vielleicht kann Edathy jetzt seinen Anwalt verklagen, for whatever it’s worth…

Legal, aber trotzdem verdächtig?

Edathys andere Argumente, weshalb die Ermittlungsmaßnahmen gegen ihn seine Rechte verletzt haben, führen ihn ebenfalls nicht zum Ziel: Das gilt vor allem für das auf den ersten Blick interessante Argument, es habe gar kein hinreichender Verdacht einer Straftat bestanden, weil die von ihm bestellten Bilder alle noch diesseits der Grenze strafbarer Kinderpornographie gelegen hätten.

Es gibt ein paar Kammerentscheidungen im steuerstrafrechtlichen Bereich, wo jemand durch vollkommen erlaubtes Verhalten die Finanzämter misstrauisch gemacht und Ermittlungsmaßnahmen auf sich gezogen hatte. Das, so das BVerfG, geht nicht so ohne weiteres: Wer tut, was er tun darf, macht sich allenfalls dann verdächtig, wenn noch andere Anhaltspunkte für etwas Verbotenes bestehen.

Darauf kommt es im Fall Edathy aber gar nicht an. Als das Landgericht über den Durchsuchungsbefehl entschied, so die Kammer, sei es keineswegs davon ausgegangen, dass Edathys Bestellungen noch im grünen Bereich waren. Wo Kinderpornographie genau anfängt, sei schwierig zu bewerten. Um einen Fall, wo das Gericht legales Verhalten zum Anlass für Durchsuchungen nimmt, handle es sich jedenfalls nicht.


3 Comments

  1. Strafakte.de Fri 29 Aug 2014 at 12:37 - Reply

    Noch im Februar hatte der Vorsitzende des 2. Strafsenats am Bundesgerichtshof Thomas Fischer diesen kriminalistischen „Erfahrungssatz“, Besitzer von legalen Fotos und Videos habe auch strafbare Medien, als nicht existent zurückgewiesen.

    http://www.strafakte.de/nachrichten/thomas-fischer-wer-nichts-zu-verbergen-hat-muss-auch-nichts-befuerchten-edathy/

    Meines Erachtens macht es sich das BVerfG auch etwas zu einfach, diesen tatsächlich unbegründeten Erfahrungssatz so stehen zu lassen, obwohl es keinerlei empirische Daten dazu gibt.

    Näheres (aus strafrechtlicher Sicht):

    http://www.strafakte.de/strafprozessrecht/bundesverfassungsgericht-verfassungsbeschwerde-von-edathy-ohne-erfolg/

  2. Aufmerksamer Leser Fri 29 Aug 2014 at 15:22 - Reply

    Eine interessante Entscheidung, die – versehentlich (?!) – den rügebezogenen Streitgegenstandsbegriff des Ersten Senats benutzt! Rn. 25 und Rn. 36 beziehen sich auf denselben Beschluss, trotzdem ist das eine unzulässig, das andere unbegründet. @Rensen, was ist da los?

  3. egal Sat 30 Aug 2014 at 13:23 - Reply

    Ich fand die Entscheidung auch etwas seltsam. Mir scheint es, als ob man nur die Gelegenheit genutzt hat, etwas Staatsrechtsdogmatik lehrbuchartig vorzutragen, und ansonsten Desinteresse am “Schmuddelverfahren” hatte.

    Gerade der Bereich, der so verwaschen und grau ist wie sonst keiner dank einer Unbestimmtheit im Gesetz, die jedem Verfassungsrichter eigentlich die Zehennägel umdrehen müsste, sagt das Verfassungsgerichts nicht Inhaltliches.

    Ich kenne nicht die Edathy-Akten, woher auch, aber man muss sich klarmachen, dass Polizeibehörden über 2 Jahre Bescheid wussten. Der Name Edathy war wegen des NSU-Ausschusses in aller Munde. Dass da keine Gefahr eines Erpressungspotentials gesehen wird, immerhin sollte Edathy die Arbeit von Polizeibehörden und Geheimdiensten untersuchen und beurteilen, finde ich sehr seltsam. Es geht ja hier nicht um ein x-beliebiges Strafverfahren.

    Gerade wenn der Tatbestand so schwammig ist, ist eine klare verfassungsrechtliche Ansicht erforderlich. Immerhin ist der Bestimmtheitsgrundsatz einer der fundamentalen Grundsätze im Strafrecht. Was gerade in diesem Bereich mit der Annahme eines Anfangsverdachtes passieren kann, ist wirklich wie aus dem Verfassungslehrbuch entnommen. Aber Äußerungen hierzu findet man gar nicht im Beschluss.

    Der tolle Hinweis, dass bei Bewertungsschwierigkeiten des Gerichts das schon in Ordnung geht, ist wirklich ein Freibrief für Staatsanwälte erstmal loszuermitteln und keine Rücksichten auf Bürger zu nehmen. Dass es im Fall Edathy dann noch Ermittlungslecks und -pannen gab, die man sonst nur von der bayrischen Justiz kennt, ist da nur ein i-Tüpfelchen.

    Es fehlt offenbar hier sehr an der notwendigen strafrechtlichen Sensibilität, die sich ja gerade aus dem verfassungsrechtlichen Schutz der Bürger gegen den Staat ableitet.

    Auch der Hinweis auf den fehlenden Vortrag der Immunitätsverletzung ist wieder ein so formale Betrachtungsweise, die einfach bei den neubesetzten Senaten nur noch nervt. Alles müssen die Beschwerdeführer wissen und gemacht und andernfalls gibt es kein Recht, auch wenn die Entscheidung der Behörde und des Gericht falsch war. Das nachträgliche Wissenmüssen ist immer ein toller Ausweg, um unliebsame Entscheidung abzuwehren. Die Subsidiarität war nie als Drücken vor wichtigen Entscheidungen gedacht, sondern nur als Arbeitsentlastung. Wenn man aber selbst im Strafrecht so hohe (akademische) Forderungen an die Vorträge aufstellt, dann muss sich das BVerfG nicht wundern, wenn es mit der Jugendwelle in den Senaten langsam an Vertrauen bei den Rechtsanwendern und in der Bevölkerung verliert.

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