11 Mai 2016
Wogegen ich bin, wenn ich gegen die Neuen Rechten bin
Am Sonntag in einer Woche werden die Österreicher entscheiden, ob der FPÖ-Politiker Norbert Hofer ihr Staatsoberhaupt wird oder der Grüne Alexander van der Bellen. Welche potenziell unumkehrbaren Folgen diese Entscheidung für die Zukunft von Liberalität und Pluralismus in unserem Nachbarland im Süden mit sich bringt, hat hier kürzlich Theo Öhlinger erläutert. Da wird einem schon schwummrig genug. Aber mir scheint, die Bedeutung dieser Entscheidung geht aber noch weit über diese Folgen für Österreich hinaus. Hier stellen sich in nie dagewesener Schärfe zwei Vorstellungen wohl geordneter Gesellschaft zur Wahl, deren Gegensatz so oder ähnlich in ganz Europa zunehmend die Politik dominiert. In Österreich – und das ist das Neue, das gab es noch nie, selbst in Polen nicht in dieser Schärfe – wird dieser Gegensatz jetzt tatsächlich majoritär entschieden, mit Geltungsanspruch für das ganze Land: So. Oder so.26 April 2016
Pluralismus-Lehrstunde für die Türkei
Mit zwei wichtigen Entscheidungen, eine davon sogar epochal wichtig, versucht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg heute, die Türkei auf den Pfad zu Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit zu lenken. Beide betreffen Regelwerke und Rechtspraktiken, die dem Staat erheblichen Spielraum gewähren, je nach Nützlichkeit und Laune so oder anders zu entscheiden. Beide verschaffen Minderheiten, vor denen der Staat Angst hat, Schutz. Beide hindern den Staat daran, sich um ihrer besseren Lenkbarkeit willen eine uniforme Gesellschaft zu schaffen. Beide werden der Türkei noch schwer zu schaffen machen.19 April 2016
Das Grundgesetz der Beatrix von Storch
Eine Menge Presse haben die beiden AfD-Vize Beatrix von Storch und Alexander Gauland für ihre "Islam-und-Grundgesetz-geht-nicht-zusammen"-Äußerungen bekommen. Es ist natürlich von scharfer Ironie, dass die beiden AfDler den Islam ausgerechnet zu einem Dokument in Gegnerschaft stellen, das uns Respekt vor der Religionsfreiheit befiehlt. Mir scheint aber, dass man es damit nicht bewenden lassen kann zu sagen, lest doch mal einfach mal Artikel 4. Mir scheint, von Storch und Gauland haben mit ihrer Invokation des Grundgesetzes etwas ganz anderes, etwas viel Fundamentaleres im Sinn als bloß an der Religionsfreiheit herumzufummeln.13 April 2016
Lügen-Verfassungsrichter in Thüringen? So weit kommt’s noch…
Das ist ein Vorgang, der über die Landesgrenzen des Freistaats Thüringen hinaus Beachtung finden sollte: Ein namhaftes Mitglied des Thüringer Verfassungsgerichtshofs, der Erfurter Staatsrechtslehrer Manfred Baldus, hat in einem heute verkündeten Urteil seinen Kolleg_innen auf der Richterbank kaum verhohlen vorgeworfen, die Gesetze der Logik, wenn nicht gar des Rechts zu verbiegen, um der Thüringer AfD its day in court vorenthalten zu können. Eine schlimmere Anschuldigung gegen ein Verfassungsgericht gibt es kaum.12 April 2016
Anti-Roma-Märsche in Ungarn: Staat muss Anzeichen auf Hasskriminalität nachgehen
Die Neonazi-Aufmärsche von Gyöngyöspata 2011 haben Ungarn eine Verurteilung vor dem EGMR in Straßburg eingebracht – und den Staaten Europas die klare Ansage, Hasskriminalität als HASSkriminalität zu verfolgen und die Augen vor rassistischen Motiven von Straftaten nicht zu verschließen.05 April 2016
Menschenwürde schlägt Anerkennungsgrundsatz
Europa fußt auf Vertrauen. Aber was, wenn manche europäischen Mitgliedsstaaten aufhören dieses Vertrauen zu verdienen? Ist die Vertrauenswürdigkeit ihrerseits Vertrauenssache? Angesichts der Mir-doch-egal-Haltung, die einige mittel- und osteuropäische Regierungen gegenüber dem Europarecht und den fundamentalen Verfassungsgrundsätzen Europas mittlerweile an den Tag legen, ist das keine theoretische Frage, sondern eine, von der Europas Zukunft abhängt. Heute hat der Europäische Gerichtshof sie auf eine Weise beantwortet, die mir einen Stein vom Herzen fallen lässt.29 März 2016
Pressefreiheit im Strafprozess und ihre Grenzen
Die heutige Entscheidung Bédat v. Schweiz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lässt sich für Journalisten, die ein waches Gefühl für liberale Freiheitsrechte und ein noch wacheres für ihre eigenen professionellen Interessen besitzen, leicht skandalisieren: "Straßburg lässt die Pressefreiheit im Stich!" wäre eine mögliche Überschrift. "Straßburg billigt Kriminalisierung von Justizberichterstattern!" eine andere. Ich bin auch ein professioneller Journalist, und in punkto Sorge um liberale Freiheitsrechte lasse ich mich für gewöhnlich ungern von irgendwem übertreffen. Trotzdem, oder gerade deswegen, komme ich zu einem anderen Schluss: Ich halte das heutige Urteil der Großen Kammer für richtig.22 März 2016
Beschütze uns, Europa!
Euroskeptiker rufen nach den Anschlägen von Brüssel schriller denn je nach einer Renationalisierung der Sicherheitspolitik. Dabei scheint das Gegenteil viel plausibler: Um uns vor grenzüberschreitendem Terror effektiv zu schützen, ist Europa zu schwach und nicht zu stark.14 März 2016
Fünf Thesen zum Wahlerfolg der AfD
Warum es nicht reicht, die AfD-Anhänger wegen ihrer Rechtschreibfehler zu veralbern: Fünf Thesen zum Aufstieg der Identitären in Deutschland und Europa.11 März 2016
Aus Anlass Polens: einige Überlegungen zum Recht auf Widerstand
Ab heute ist es amtlich: Die Mittel, zu denen Polens Regierung, Präsident und Parlamentsmehrheit im Konflikt mit dem polnischen Verfassungsgericht gegriffen haben, sind nicht einfach nur ein Verfassungsverstoß. Das ist ein Angriff auf die Grundlagen der Verfassungsstaatlichkeit selbst – auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte. Wäre eine Konstellation, wie sie im Augenblick in Polen zu finden ist, ein Anwendungsfall für ein Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz entsprechendes Recht auf Widerstand? Mir scheint, das wäre sie – wenn die polnische Regierung sich dem Gutachten der Venedig-Kommission nicht beugt.08 März 2016