EGMR: Die Lohnsteuerkarte und die Religionsfreiheit
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird nächste Woche mal wieder Gelegenheit haben, sein laizistisches Profil zu schärfen. Am 17. Februar will der EGMR sein Urteil im Fall Wasmuth v. Deutschland verkünden.
Johannes Wasmuth ist ein Münchner Anwalt, der sich viel mit Eigentums- und anderen DDR-Bewältigungsverfahren befasst hat und offenbar auch von glühender antiklerikaler Leidenschaft beseelt ist. Aus diesem Grund führte er einen Feldzug gegen die Pflicht, trotz fehlender Konfessionszugehörigkeit in der Lohnsteuerkarte den Kirchensteuerabzug eintragen lassen zu müssen – bzw. das Fehlen desselben, angezeigt durch einen kleinen Strich.
Der verletzt nach Ansicht von Rechtsanwalt Wasmuth dessen negative Religionsfreiheit, weil er damit preisgeben muss, keiner Religion anzugehören, und weil er damit mittelbar die Privilegierung der Kirchen durch die Kirchensteuer unterstützt.
Beim BVerfG ist er 2001 mit dieser Position abgeblitzt: Im Staatskirchenrecht des Grundgesetzes sei die Trennung von Kirche und Staat
nicht im Sinne einer strikten, Ausnahmen und Durchbrechungen nicht zulassenden Trennung verwirklicht. Auch die vom Beschwerdeführer angesprochenen religionssoziologischen Verhältnisse haben die verfassungsrechtlichen Grundpositionen im Verhältnis zwischen Staat, Religionsgemeinschaften und dem einzelnen Bürger nicht verändert.
Ob das der EGMR genauso locker sieht?
Wir erinnern uns an den Fall Grzelak. Da ging es im letzten Sommer um die Frage, ob ein Strich im Schulzeugnis bei der Religionsnote eines konfessionslosen Kindes die negative Glaubensfreiheit verletzt. Die hat der EGMR bejaht.
Der EGMR neigt bei Fragen des Laizismus, anders als das BVerfG, gelegentlich zu einem gewissen – pardon – negativen Glaubenseifer. Schon deshalb dürfen wir gespannt sein, ob und mit welcher Begründung er diesmal sogar an etwas derart Banalem wie dem Strichelchen in der Lohnsteuerkarte eine Menschenrechtsverletzung aufspüren wird.
Update 17.2.11: Der EGMR hat dann doch Herrn Wasmuth nicht zufriedenstellen mögen. Das Strichelchen in der Lohnsteuerkarte sei zwar ein Eingriff, aber am Ende zumutbar. Allerdings gab es zwei Richter, die das anders sahen.
Das Urteil liegt nur auf französisch vor (für alle, die sich gern über den EGMR aufregen: das wäre doch mal echt ein Anlass!).
Das Minderheitsvotum stammt von Isabelle Berro-Lefévre, der Richterin des Fürstentums Monaco (kein Witz), die bulgarische Richterin Zdravka Kalaydjieva schließt sich ihr an.
Die Monegassin stört sich an dem in manchen Kommentaren hier angesprochenen Aspekt, dass man mit dem Strich in der Lohnsteuerkarte seine Nicht-Zugehörigkeit zu den etablierten Religionsgemeinschaften dem Arbeitgeber offenlegen muss. Dass sich der Fiskus der Arbeitgeber als einer Art Hilfs-Steuereintreiber bedient, sei kein ausreichendes Argument:
l’employé ne peut dissimuler à son employeur des évènements concernant son état civil ou ses croyances religieuses.
Noch ein Wort zu Monaco, ich kann’s nicht lassen: Monegasse müsste man sein. Es kann in dem Fürstentum unmöglich mehr als viereinhalb Juristen geben, also wäre die statistische Wahrscheinlichkeit, dass sie mich nach Straßburg schicken würden, verdammt hoch… Andorra, Liechtenstein und San Marino haben auch Richter da, der Andorraner ist sogar Section President.
Mag es sein, daß du einen Sinn für leicht Skurriles hast?
Also ich bin ja auch verfechter des Laizismus und selbst Atheist, aber der Strich hat mich persönlich ja noch nicht gestört. Viel eher, dass man 25-50€ Austrittsgebühr für eine Entscheidung, die im Zweifelsfall die Eltern getroffen haben, zahlen muss. Oder, dass ich die Kirchenaustrittsbescheinigung aufbewahren muss, weil das Bürgerbüro es nicht schafft die Daten zu speichern und ich sonst Angst vor marodierenden Klerikern haben muss, die nur mein Bestes wollen (also das Geld).
Das sind viel eher mal Fälle für den EMGR.
Wenn ich Staatskirchenrecht schon höre bekomme ich die Krise.
Hat der EGMR eigentlich zu den Austrittsgebühren schon entschieden? Anhängig war ja mal was …
weiß ich jetzt nicht, glaub nicht. Hätte ich bemerkt, glaub ich.
Die letzte Beschwerde gegen die Austrittsgebühren ((Nummer 54773/08) ist anscheinend als unzulässig abgewiesen worden. Ich kann aber im Moment irgendwie nicht auf die Entscheidungsdatenbank unter http://www.coe.int zugreifen und das nachlesen.
http://hpd.de/node/7977 (Meldung des humanistischen Pressedienst)
Naja, Lohnsteuerkarten gibts ja nun bald nicht mehr: Aber ich finde die Argumentation so unberechtigt nicht. Da der Staat die Kirchensteuer für die Kirchen einzieht muss man dem Arbeitgeber seine Konfession oder Nichtkonfession zwangsläufig mitteilen. Obwohl die den eigentlich einen feuchten Kehrricht angeht. Es ist doch ein Witz: Die Frage nach der Religion im Vorstellungsgespräch ist unzulässig wenn man nicht gerade bei einer kirchlichen Einrichtung anfangen will. Aber dennoch wird man spätestens bei Abgabe der Lohnsteuerkarte zur Preisgabe der Religionszugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit gezwungen.
Der Strich stört mich auch, aber ich würde deshalb nicht vor den EGMR ziehen, weil ich mich nicht langweile. Einen größeren Angriff auf die Religionsfreiheit finde ich das Kirchgeld, das mich zwingt, Kirchensteuer zu zahlen, obwohl ich aus der Kirche ausgetreten bin. Das funktioniert deshalb, weil ich mit einer Kirchensteuerzahlerin verheiratet bin. Bevor jetzt jemand sagt, dann soll sie doch auch austreten: Wir reden hier von Religionsfreiheit, von der Freiheit des (Nicht-)Bekenntnisses, also eben auch des Bekenntnisses.
“Die letzte Beschwerde gegen die Austrittsgebühren ((Nummer 54773/08) ist anscheinend als unzulässig abgewiesen worden.”
Ah, die vom IBKA – bei dem Schrott, den die Kanzlei da abgeliefert hat (Seitenhonorar?), wundert mich das ganz und gar nicht.
Also nach der Religionszugehörigkeit darf man in einem Bewerbungsgespräch nicht fragen und es darf auch keiner wegen seiner Religionszugehörigkeit benachteiligt/abgelehnt werden. Gleichzeitig muß man aber der gesamten Personalabteilung seine Religionszugehörigkeit preis geben. Wenn es vielleicht noch einen was angeht, dann den Finanzbeamten der die Steuererklärung prüft, aber sonst eigentlich niemanden. Soviel zum Datenschutz.
Der Doppelstrich auf der Lohnsteuerkarte besagt lediglich, daß man keiner der Kirchen- bzw. Kultussteuern einziehenden Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft angehört. Es gibt einige etablierte Religionsgemeinschaften, die am Kirchensteuereinzugssystem nicht teilnehmen (z.B. ev. Freikirchen, Orthodoxe). Der Doppelstrich läßt also viele Möglichkeiten zur Interpretation offen.
Das Problem des Datenschutzes liegt meiner laienhaften Meinung nach auf Seiten der Steuern einziehenden Kirchen: Sie sollten Taufbewerber bzw. deren Eltern darauf aufmerksam machen, daß von ihnen ein öffentlicher Bekenntnis gefordert werden wird.
Ich persönlich gebe meine Krankenkasse dem Arbeitgeber weniger gern preis als meine Konfession.