EGMR erschwert Auslieferung von Terrorverdächtigen an die USA
Lebenslange Haft ohne Aussicht, jemals wieder freizukommen, ist unmenschlich und verstößt daher gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Das hat der EGMR letztes Jahr in einem britischen Fall entschieden. Jetzt zieht Straßburg daraus die Konsequenzen für Auslieferungen an die USA. Nach der heute verkündeten Kammerentscheidung Trabelsi v. Belgien dürfte es künftig sehr schwer werden, Terrorverdächtige aus Europa an die US-Justiz zu überstellen, wenn ihnen dort “mandatory life without parole” droht.
In dem Fall geht es um einen in Brüssel lebenden Tunesier, der offenbar kurz davor stand, eine belgische Kaserne in die Luft zu jagen. Der Mann wurde wenige Tage nach dem 11. September 2001 verhaftet und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. 2008 forderten die USA Belgien auf, ihn als mutmaßliches Al-Kaida-Mitglied an die US-Justiz auszuliefern.
Seit dem epochalen Soering-Urteil des EGMR von 1989 ist klar, dass Auslieferungen an die USA nur erlaubt sind, wenn man sicher sein kann, dass der Ausgelieferte dort nicht in der Todeszelle landet. Was die lebenslange Haft ohne Aussicht auf Bewährung betrifft, so war die lange Zeit kein unbedingtes Hindernis. Erst vor zwei Jahren hatte Straßburg diese Linie im Fall des Londoner Hasspredigers Abu Hamza und einiger anderer bestätigt: Nur wenn tatsächlich und rechtlich die Haftstrafe unwiderruflich bis zum Tode vollstreckt werden wird, ohne dass es eine Rolle spielt, ob sie weiterhin ihren Zweck erfüllt oder nicht, entsteht ein Problem mit dem Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) – vorausgesetzt, die Strafe ist nicht von vornherein unverhältnismäßig. Solange der Ausgelieferte noch irgendeine noch so entfernte Hoffnung haben kann, irgendwann freizukommen, ist die Auslieferung in Ordnung. Die Möglichkeit etwa, vom Präsidenten begnadigt zu werden, hat man ja, theoretisch zumindest, immer. Und die reicht.
Vor gut einem Jahr hat der EGMR seine Position gegenüber lebenslanger Haft jedoch entscheidend verschärft. Im Urteil Vinter v. UK nahm sich die Große Kammer das britische Strafrecht vor die Flinte, warf seine bisherige Zurückhaltung über den Haufen und erklärte, dass die bloß abstrakte Möglichkeit, irgendwann wieder in Freiheit zu kommen, doch nicht ausreicht. Es müsse ein Verfahren geben, in dem man nach einer gewissen Zeit überprüfen lassen kann, ob die Strafe noch ihren Zweck erfüllt. Der Häftling müsse die Hoffnung haben, sich zu ändern und so seine Chancen, eines Tages wieder frei zu kommen, zu verbessern – und das vom Zeitpunkt der Verurteilung ab.
An diesem Maßstab misst der EGMR jetzt auch Auslieferungsfälle. Das ist für sich genommen schon ein heißes Eisen: Die Konvention ist nicht dazu da, ihre Standards anderen Staaten zu diktieren, die ihr gar nicht angehören. Formell löst der Gerichtshof dies so, dass er nicht das Strafrecht des Nicht-Mitgliedsstaats, sondern die Auslieferungsentscheidung des Mitgliedsstaats prüft: Diese verletzt die Konvention, wenn sie jemanden unmenschlicher Behandlung ausliefert, und sei diese auch durch einen Nicht-Mitgliedsstaat zugefügt. Praktisch heißt das (wie bei der Abschiebung), dass man nur ausliefern darf, wenn der Nicht-Mitgliedsstaat substanziell zugesichert hat, dass dem Ausgelieferten nichts Unmenschliches passieren wird.
Im Fall Trabelsi hatten die US-Behörden der belgischen Regierung zugesichert, dass Trabelsi frei kommen könne, wenn der Präsident ihn begnadigt (bizarre Vorstellung bei einem Al-Kaida-Mann), wenn sein Urteil abgeändert wird oder durch Kooperation mit der Polizei seine Strafe reduziert wird. Das ist dem EGMR zu vage. Vor allem aber fehlen ihm objektive, vorab festgelegte Kriterien, an denen sich Trabelsi bei seiner Verurteilung orientieren kann und die festlegen, wann jemand sich während der Haft so verändert hat, dass die Strafe ihren Zweck nicht länger erfüllt.
Trabelsi selbst kann sich darüber freuen, dass er 60.000 Euro Schadensersatz bekommt, plus 30.000 Euro Auslagenersatz. (Wobei er die wohl nicht ausgehändigt bekommen wird; ich gehe mal davon aus, dass er als mutmaßlicher Al-Kaida-Terrorist auf allen denkbaren Asset-Freeze-Listen steht…)
Die Höhe dieser Summe dürfte damit zusammenhängen, dass auch sonst von dem Urteil nicht mehr viel hat: Er sitzt längst im Gefängnis von Rappahannock (VA), angeblich in Isolierhaft, und wartet dort auf seinen Prozess. Die belgische Regierung hatte ihn nämlich im Oktober 2013, nachdem der belgische Conseil d’Etat die Auslieferung abgesegnet hatte, den US-Behörden übergeben – und das, obwohl der EGMR angeordnet hatte, Trabelsi bis zu seiner Entscheidung einstweilig nicht auszuliefern, und ein belgisches Gericht die Auslieferung deswegen untersagt hatte.
Dass die belgische Regierung diese Anordnung so eklatant missachtet hatte, bringt ihr – for whatever it’s worth – eine zusätzliche Verurteilung ein. Belgien, schäumt die Kammer in heiligem Zorn,
deliberately and irreversibly lowered the level of protection of the rights set out in Article 3 (…).
Dass die Regierung sich in einer schwierigen Lage gegenüber den amerikanischen Freunden befunden habe, möge schon sein, aber das interessiert den Gerichtshof genauso wenig wie zuvor bei seinen wiederholten Entscheidungen, die einstweilige Anordnung aufrecht zu erhalten.
It was not for the Belgian State, in the wake of the judgment of the Conseil d’Etat, to substitute its own appraisal for the Court’s assessment of these assurances and the merits of the application and decide to override the interim measure indicated by the Court.
Ich vermute, ohne zynisch werden zu wollen, dass die belgische Regierung die Verurteilung und die 90.000 Euro bei ihrer Entscheidung, die Amerikaner zufriedenzustellen, schon eingepreist hat…
Der Herr ist nicht nur islamistischer Terrorist, sondern auch – wenn auch einsatzloser – Bundesligaprof bei der Düsseldorfer Fortuna. Wozu Frust bei Fußball so alles führen kann…
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