12 November 2020

Ein Schnellschuss ins rechte Seitenaus

Zum Anti-Terror-Paket der österreichischen Bundesregierung

Wenige Tage nach dem Anschlag von Wien am 2. November hat die österreichische Bundesregierung die Leitlinien eines Anti-Terror-Pakets präsentiert. Zwar hätte der Anschlag auch schon mit den derzeitigen juristischen Möglichkeiten zur Überwachung von Gefährder*innen verhindert werden können. Aber ungeachtet dessen sollen im Eilzugstempo (geplant noch im Dezember 2020) rechtliche Verschärfungen beschlossen werden, die massiv in Grund- und Freiheitsrechte eingreifen. Mit einer vernunftgeleiteten Kriminalpolitik, die auch in solchen Zeiten mit Bedacht reagiert und sich nicht vom Boulevard treiben lässt, haben diese Pläne nichts zu tun.

Ein paar Aspekte des genannten Anti-Terror-Pakets sollen im Folgenden kurz angesprochen werden.

Präventivhaft

Eine klassische Sicherungs- bzw. Präventivhaft, welche ohne konkreten Verdacht einer Anlasstat Menschen die Freiheit entzieht, ist immerhin nicht geplant. Es wird aber die Idee verfolgt, im Wege einer vorbeugenden Maßnahme (Maßregel) bei entsprechender Gefährlichkeit eine Sicherungsverwahrung ohne zeitliche Grenze zuzulassen, unabhängig von einer schuldangemessenen Strafe. Eine zeitlich unbegrenzte Sicherungsverwahrung gibt es derzeit in Österreich nur bei „geistiger oder seelischer Abartigkeit von höherem Grad“ (so der antiquierte Wortlaut in § 21 öStGB). Es geht also im Wesentlichen um eine Gefährlichkeit infolge psychischer Erkrankung. Bei entwöhnungsbedürftigen Rechtsbrechern (§ 22 öStGB) ist die Dauer der Maßnahme auf zwei Jahre begrenzt, bei gefährlichen Rückfallstätern (§ 23 öStGB) auf zehn Jahre. Für letztere sind im Übrigen die Voraussetzungen sehr streng. Erforderlich ist, dass jemand bereits mehrmals zu einer Haftstrafe verurteilt worden ist und nach Vollendung des 19. Lebensjahres auch mindestens 18 Monate in Strafhaft zugebracht hat. Der Gefährlichkeit werden somit objektive Grenzen gesetzt.

Der nunmehrige Vorschlag einer vorbeugenden Maßnahme gegen (wie immer zu definierende) „Täter eines Terrordelikts“ verlässt diese Grenzen. Bei entsprechender Gefährlichkeit soll nach den Wünschen der Bundesregierung eine Sicherungsmaßnahme zeitlich unbegrenzt nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe, zu der ein Täter verurteilt wurde, möglich sein. Dies zielt vorwiegend auf Straftäter, die zu einer nicht allzu langen Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Das sieht man schon daran, dass sich die Frage nach der Notwendigkeit einer derartigen Sicherungsmaßnahme erst nach Verbüßung der Freiheitsstrafe stellt. Im Übrigen folgen vorbeugende Maßnahmen dem Konzept von Sicherung UND Behandlung (Therapie): Der Täter soll (zeitnah) in die Gesellschaft zurückgeführt werden, wenn das Restrisiko für die Sicherheit durch eine (allenfalls bedingte) Entlassung in die Freiheit verantwortbar erscheint. Zu Behandlungskonzepten für „Täter eines Terrordelikts“ steht im Anti-Terror-Paket der Bundesregierung aber kein Wort. Insofern drängt sich die Frage nach der Verfassungskonformität von solchen Plänen geradezu auf, eröffnet eine derartige Möglichkeit doch hinreichend Raum für willkürliche Eingriffe in die Freiheit von Menschen.

Überwachung

Ein weiterer verfassungsrechtlich problematischer Aspekt des vorgeschlagenen Anti-Terror-Pakets der Bundesregierung ist die Überwachung von verurteilten „Tätern eines Terrordelikts“ nach ihrer Entlassung. Schon jetzt ist es möglich, im Zusammenhang mit einer bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe („Reststrafaussetzung“; § 46 öStGB) begleitende Weisungen zu erteilen – etwa bestimmte Kontakte zu meiden, an De-Radikalisierungsprogrammen teilzunehmen oder sich durch die Bewährungshilfe betreuen zu lassen (vgl. §§ 50 bis 52 öStGB). Bei diesem Konzept wird eine relativ kurze Reststrafe gegen einen viel längeren Bewährungszeitraum gleichsam eingetauscht. Eine „Fußfessel“ gibt es im Rahmen des „elektronisch überwachten Hausarrests“ als Maßnahme des Strafvollzugs oder bei einer Untersuchungshaft, wobei hier keine bloße Überwachung erfolgt, sondern eine Kombination aus Überwachung und Betreuung durch die Bewährungshilfe (vgl §§ 156b ff öStVG).

Nach dem präsentierten Anti-Terror-Paket der Bundesregierung sollen jedoch „Täter eines Terrordelikts“ ohne begleitende Betreuung elektronisch überwacht werden können. Darüber hinaus soll die Überwachung unabhängig von einer bedingten Entlassung bei Straftätern zulässig sein, die bereits ihre gesamte Strafe abgebüßt haben. Dazu kommen können noch Reisebeschränkungen oder auch der Entzug des Führerscheins. Inwieweit solche Freiheitseingriffe nach Verbüßung der gesamten Strafe unter Beachtung des Sachlichkeitsgebots überhaupt zulässig sind, ist verfassungsrechtlich fraglich, gilt es doch stets das Übermaßverbot zu beachten. Hat jemand seine Strafe abgebüßt, kann es allenfalls innerhalb sehr enger Grenzen mit der Straftat in Zusammenhang stehende Freiheitseingriffe geben. Die skizzierten Pläne gehen hier offensichtlich zu weit.

Das angesprochene Anti-Terror-Paket der österreichischen Bundesregierung sieht weiters vor, dass staatliche und finanzielle Leistungen nach Verurteilung wegen eines Terrordelikts entzogen werden. Dies soll offenbar auch für österreichische Staatsbürger*innen gelten. Unabhängig davon, ob dies mit dem Sachlichkeitsgebot überhaupt in Einklang steht, wird mit solchen Ideen übersehen, dass durch den Entzug von Überlebensressourcen erst recht ein Nährboden für Extremismus und eine weitere Radikalisierung entsteht. Insofern sind solche Vorschläge kurzsichtig.

Straftat „politischer Islam“

Als letzter Gedanke soll noch die im Anti-Terror-Paket angeführte Idee angesprochen werden, „Straftatbestände zur effektiven Bekämpfung des religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam)“ einzuführen. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, den „religiös motivierten politischen Extremismus“ (ohne dezidierten Verweis auf den Islam) als ausdrücklichen Erschwerungsgrund im Strafgesetzbuch zu verankern, um strengere Strafen zu erwirken. Was unter „politischem Islam“ zu verstehen ist, findet sich freilich nirgends. Also wird es den Rechtsanwender*innen obliegen, dem Begriff Konturen zu geben mit großem Spielraum, die Erfüllung des entsprechenden Tatbestands oder das genannten Erschwerungsgrundes im Einzelfall anzunehmen oder nicht.

Mit dem Bestimmtheitsgrundsatz lässt sich dies nur schwer vereinbaren. Mit dem angesprochenen Erschwerungsgrund wird überdies die Unsachlichkeit deutlich, dass religiös motivierter politischer Extremismus straferhöhend wirken muss, anderer politischer Extremismus dagegen nicht. Dass schon jetzt eine Tatbegehung aus „rassistischen, fremdenfeindlichen oder anderen besonders verwerflichen Beweggründen“ als erschwerend zu beurteilen ist (vgl. § 33 Abs 1 Z 5 öStGB), mindert die Kritik am geplanten neuen Erschwerungsgrund keineswegs ab.

Auf Versuche, die Grundfesten einer Demokratie durch Aufsehen erregende und zu verurteilende Straftaten zu erschüttern, darf der Staat nicht dadurch reagieren, dass er Grund- und Menschenrechte generell zurückzuschraubt, das Sachlichkeitsgebot verletzt und dadurch verfassungsrechtliche Vorgaben an Gesetze unterminiert. Vielmehr kann eine auch in solchen Situationen vernunftgeleitete Kriminalpolitik ohne emotionale Schnellschüsse eine Demokratie und ihre Werte stärken. Von diesen Prinzipien ist leider das angesprochene Anti-Terror-Paket der österreichischen Bundesregierung weit entfernt.


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