Eine Frage der Verantwortung – die Abschiebung sog. “Gefährder”
Der EGMR hat seinen umstrittenen vorläufigen Abschiebestopp sog. „Gefährder“ wieder aufgehoben. Zunächst hatte er im Rahmen einer vorläufigen Maßnahme eine für den 1. August 2017 geplante Abschiebung in letzter Sekunde gestoppt. Die Empörung über diese Intervention aus Straßburg ließ nicht lange auf sich warten. Dabei ging es technisch nicht um eine Entscheidung in der Sache, sondern darum, einen ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs sicherzustellen (Art. 39 EGMR Verfahrensordnung). Der wäre durch eine Abschiebung erheblich beeinträchtigt gewesen. Nun allerdings hat der EGMR diesen vorläufigen Abschiebestopp aufgehoben. Das Bundesverwaltungsgericht hat außerdem in einer Reihe von Entscheidungen in diesem Jahr die Tatbestandsvoraussetzungen konkretisiert und das Bundesverfassungsgericht Stellung zur Verfassungsmäßigkeit genommen. Daher soll, auch wenn das Hauptverfahren vor dem EGMR noch aussteht, dies als Anlass dienen, den Komplex rund um die Abschiebung sog. „Gefährder“ näher zu beleuchten – zumal nicht sicher ist, ob es überhaupt zu einer begründeten Entscheidung im Hauptverfahren kommen .
Der Fall
Der im März volljährig gewordene Beschwerdeführer ist russischer Staatsangehöriger, lebt seit Kleinkindalter in Deutschland und wird von den Sicherheitsbehörden der radikal-islamistischen Szene zugerechnet. Bereits 2014 wurde ihm daher die Ausreise verwehrt. Es wurde vermutet, dass er nach Syrien ausreisen wolle und es wurde ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet, da er verdächtigt wurde, sich Anleitungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat beschafft zu haben (§ 91 I Nr. 2 StGB). Am 13. März 2017 wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Russland gem. § 58a AufenthG angeordnet, da er nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ sympathisiere und sich in einem Online-Chat dazu bereit erklärt habe einen Anschlag auf Zivilisten zu verüben. Die Alternative einer stationären, geschlossenen Jugendhilfemaßnahme lehnte der Beschwerdeführer ab.
§ 58a AufenthG als sicherheitspolitischer Sonderfall
Die nationale Gesetzesgrundlage, § 58a AufenthG, wurde 2005 als Teil der Neuregelungen im Zuwanderungsgesetz verabschiedet und zeugt vom sicherheitspolitischen Wandel der letzten Jahre. Die Regelung wurde erst durch den Vermittlungsausschusses in das Gesetzespaket aufgenommen (BT-Drs. 15/3479, S. 9), fristete jedoch bis zum Anschlag am Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2016 eher ein Schattendasein (bis 2011 erging lediglich eine einzige Abschiebungsanordnung nach §58a AufenthG, wobei der Betroffene freiwillig ausreiste BT-Drucks. 17/6901, S. 13 und selbst bis Ende letzten Jahres sind nur eine Handvoll Treffer bei Juris zu finden).
Die Norm ermöglicht den (atypischen) Erlass einer Abschiebungsanordnung ohne vorausgegangene Anhörung und Einräumung einer Frist zur freiwilligen Ausreise. Die unmittelbare Anordnung der Abschiebung liegt im Ermessen der Behörde, sofern eine „auf Tatsachen gestützten Prognose“ zu dem Ergebnis kommt, dass es der Abwehr einer „besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr“ dient.
Das BVerfG erteilt seinen Segen
Es überrascht nicht, dass die Verfassungsmäßigkeit der Norm aufgrund ihrer Rechtsschutzverkürzung und (Un-)Bestimmtheit angegriffen wurde. Das BVerfG bestätigte jedoch jüngst die Verfassungskonformität der Norm (siehe den Nichtannahme-Beschluss vom 24.07.2017) da die Tatbestandsmerkmale wenigstens hinreichend bestimmbar seien. Auch die Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit aufgrund der weitreichenden Änderungen im Vermittlungsausschuss (Stichwort: Initiativrecht) teilte es nicht.
Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale durch das BVerwG
Damit sind auch die Konturen, welche das Bundesverwaltungsgericht der Norm in den vorausgegangen Verfahren (1 VR 1.17; 1 VR 2.17; 1 VR 3.17; 1 VR 4.17) verlieh und seitdem in seiner Rechtsprechung verfestigte (1 VR 5.17), verfassungsrechtlich bestätigt worden. Das betrifft zunächst die Prognose und den Gefahrenbegriff, als dann auch die Tatbestandsmerkmale der terroristischen bzw. nationalen Gefahr.
Die Prognose muss auf Tatsachen gestützt sein, ein bloßer (Gefahren-)Verdacht reicht folglich zutreffend nicht aus, eine bestimmte Entwicklung muss, laut BVerwG (Rn. 20 -Nachweise in diesem Abschnitt aus 1 VR 1.17, seitdem jedoch ständige Rechtsprechung), jedoch nicht wahrscheinlicher sein, als eine andere.
Das BVerwG hatte bei der Gefahrenqualifizierung für § 58a AufenthG keine konkrete Gefahr im Sinne des Polizeirechts gefordert, sondern hält eine „Bedrohungssituation im Sinne eines beachtlichen Risikos, das sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete Gefahr umschlagen kann“ für ausreichend. Die Gefahr muss also nicht tatsächlich unmittelbar bevorstehen. Damit schafft es zwar Klarheit in diesem umstrittenen Punkt, die Bewertung im Einzelfall dürfte damit jedoch nicht einfacher werden und die Entscheidung für den niedrigeren Gefahrenmaßstab ist nicht unproblematisch. Immerhin stellt es auch klar, dass es bei der Gefahrenprognose keine Einschätzungsprärogative der Behörden gibt und deren Handeln folglich der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (Rn.22).
Die Sicherheit der BRD, die in § 58a AufenthG geschützt wird, ist enger als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Polizeirecht. Sie soll die innere und äußere Sicherheit umfassen, wobei auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte umfasst sind, sofern diese den Zweck verfolgen, allgemeine Unsicherheit zu verbreiten (Rn. 15). Die bei dieser Alternative notwendige „besondere“ Gefahr kann anhand ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und potenziellen Schadensintensität qualifiziert werden, die zeitliche Nähe eines möglichen Gefahreneintritts soll hingegen unbeachtlich sein.
Das Merkmal einer terroristischen Gefahr bleibt trotz diverser Definitionsansätze, welche das BVerwG auch zur Kenntnis nimmt, diffus. Anhand der jüngsten Entscheidungen lässt sich festhalten, dass eine terroristische Gefahr nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen kann und dass auch schon lose verkoppelte Netzwerke, Kommunikationszusammenhänge und „Szeneeinbindungen“ erfasst sein sollen. Es bleibt jedoch weiterhin eine (vom BVerwG selbst eingeräumte) definitorische Unschärfe (Rn. 16).
Die Gefahr terroristischer Angriffe stellt den Staat vor eine schwierige Aufgabe. Die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufes abzusenken ist jedoch ein gefährlicher Weg, wenngleich diese Öffnung mit dem Erfordernis nach tatsächlichen Anhaltspunkten für die Entstehung einer Gefahr etwas abgemildert werden. So soll zumindest die Erkenntnis, dass sich eine Person zu einem „fundamentalistischen Religionsverständnis“ hingezogen fühlt, nicht ausreichen.
Einstweiliger Rechtsschutz
Wie schon in den vorausgegangenen Verfahren zu sog. „Gefährdern“ aus Göttingen und Bremen, hatte das BVerwG die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz (für den es in Verfahren bei § 58a AufenthG ausnahmsweise erst- und letztinstanzlich zuständig ist, § 50 I Nr. 3 VwGO) abgelehnt, dabei jedoch zutreffend angemerkt, dass dies die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnimmt, weshalb eine Beschränkung auf die materielle Rechtslage nachvollziehbar ist (zumal die in gewöhnlichen Verwaltungsverfahren ggf. zu berücksichtigende Interessenabwägung hinsichtlich der Folgen bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Asylverfahrensrecht im einstweiligen Rechtsschutz meist auch schon durch § 36 IV 1 AufenthG ausgeschlossen ist).
Kein Verstoß gegen europarechtliche Schranken
Die Anordnung der Abschiebung ohne vorausgegangene Anhörung und Einräumung einer Frist zur freiwilligen Ausreise entspricht nicht dem vorgesehenen Regelfall in der Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG), ist aber von der Gefahrenausnahme in Art. 7 Abs. 4 erfasst und stellt folglich keinen Richtlinien verstoß dar. Auch ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Anhörungsgebot als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts lehnt das BVerwG zutreffenderweise ab, da es bei Entscheidungskumulierungen nicht notwendig ist, zu jeder einzelnen Entscheidung gesondert Stellung zu nehmen. Ein darüber hinaus diskutierter vollkommener Verzicht auf eine Anhörung, also auch nicht erst bei Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung, war vorliegend nicht entscheidungserheblich und daher vom BVerwG offengelassen worden, begegnet aber mit Hinblick auf die Intensität des Grundrechtseingriffes erheblichen Zweifeln, da gegebenenfalls berechtigte Einwände der betroffenen Person überhaupt nicht in den Entscheidungsprozess der Behörde eingebracht werden könnten.
Bewertung des Rückkehrrisikos
Die nationalen Gerichte gehen nachvollziehbarerweise davon aus, dass die Abschiebungsgründe bei einer Rückkehr bekannt werden würden und dem Beschwerdeführer eine menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK durch die Sicherheitsbehörden drohe, wenn er in die Teilrepubliken des Nordkaukasus zurückkehre. Sie sehen jedoch die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative innerhalb Russlands, weshalb eine Abschiebung dennoch möglich sei.
Interessanterweise wird bei der Bewertung des Risikos der Einschätzung der russischen Nichtregierungsorganisation „Komitee zur Verhinderung von Folter“, trotz Bedenken an deren Unabhängigkeit, explizit ein höherer Wert beigemessen als der einzelfallbezogenen (!) Bewertung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, welches eine massive Verfolgung bei einer Rückkehr prognostiziert hatte.
Während das BVerfG in seinem Beschluss vom 24.07.2017 noch eine Zusicherung des Aufnahmestaates forderte, dass im Falle einer Rückkehr nicht menschenrechtswidrig behandelt werden würde (wenngleich ohne die konkreten Anforderungen an eine solche Zusicherung zu benennen), sah es eine solche im aktuellen Verfahren nicht als erforderlich an.
Die genauen Gründe für den vorläufigen Abschiebestopp sowie dessen Aufhebung (nach den Stellungnahmen der Parteien) durch den EGMR sind leider nicht bekannt.
Subjektive Rechte und persönliche Verantwortung
Die konkrete Gefahrenprognose der Sicherheitsbehörden lässt sich außenstehend letztlich nicht überprüfen. In Anbetracht der intensiven Auseinandersetzung der Fachgerichte mit Sachverhalt und Gefahrenpotenzial erscheint die Einschätzung und somit auch die Feststellung des BVerfG zur Normanwendung im Einzelfall nachvollziehbar. Folgerichtig moniert das BVerfG auch nur die fehlende „Tiefe“ in der Argumentation des BVerwG hinsichtlich des Rückkehrrisikos, welche zwar insbesondere hinsichtlich der Herkunftslandinformationen ausführlich sind, aber meist allgemein bleiben. Es bleiben daher durchaus Zweifel an der Vereinbarkeit mit Art. 3 EMRK und, in Anbetracht der langen Aufenthalte, auch Art. 8 EMRK. Während bei der Einschätzung des Rückkehrrisikos aufgrund des vorbehaltslosen Schutzes vor Folter und unmenschlicher Behandlung aus Art. 3 EMRK das Verhalten der Person nicht berücksichtigt werden darf, sieht der Schutz des Privatlebens aus Art. 8 EMRK eine Einschränkungsmöglichkeit explizit vor. Die bewusste aggressive Konfrontation der Beschwerdeführer mit der Gesellschaft des „Aufnahmestaates“ stellt die Schutzwürdigkeit erheblich in Frage. Damit soll keine Verwirkung von subjektiven Menschenrechtsgarantien propagiert werden – die persönliche Verantwortung wird im Rahmen einer Abwägung berücksichtigt, negiert den Schutzanspruch jedoch nicht gänzlich. Eine Einschränkung des Menschenrechtsschutzes ist zugegeben nicht unproblematisch, ist aber in Art. 8 EMRK angelegt und findet sich beispielsweise auch im Vorbehalt aus Art. 1 F Genfer Flüchtlingskonvention (wenngleich dort nur für bereits begangene Taten).
Betrachtet man ausschließlich die betroffene Person spricht also einiges dafür, dass es dieser tatsächlich zumutbar ist, sich nach einer Abschiebung trotz widriger Umstände in die Lebensverhältnisse ihres „Herkunftslandes“ zu integrieren.
Doch gilt das auch für die Bevölkerung des Herkunftsstaates?
Gefahrenverlagerung und Letztverantwortlichkeit
Die Beschwerdeführer in den Verfahren waren faktische Inländer. Der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem EGMR (1 VR 3.17) lebte seit seinem dritten Lebensjahr in Deutschland, die beiden Beschwerdeführer in den Göttinger Verfahren (1 VR 1.17; 1 VR 2.17) waren in Deutschland geboren. In den Verfahren 1 VR 4.17 und 1 VR 5.17 ist zumindest bekannt, dass die Personen seit über 13 bzw. 20 Jahren in Deutschland lebten.
Wenn Menschen in Deutschland aufgewachsen sind und vollständig von der hiesigen Gesellschaft sozialisiert wurden, warum sollte dann der Herkunftsstaat (in diesem Zusammenhang wohl genauer „Staatsangehörigkeitsstaat“, also im vorliegenden Fall Russland) die Verantwortung dafür tragen, wenn sie sich gegen die Gesellschaft stellen und ein Gewalt- bzw. Gefahrenpotenzial entwickeln?
Das Gefährdungspotential, insbesondere bei Terrorist*innen, ist oftmals unabhängig vom Aufenthaltsstaat. Radikal-islamistischer Terror ist auch in der russischen Föderation nicht selten, was ja auch im Rahmen der möglichen Verfolgung bei einer Rückkehr im Verfahren ausführlich thematisiert wurde. Eine Abschiebung führt folglich nicht zu einer Minderung der Anschlagsgefahr, im Gegenteil, die Entwurzelung und Isolierung kann eine Radikalisierung sogar noch verstärken. Die Gefahr wird daher lediglich geographisch verlagert.
Die Verantwortungsübertragung für potenziell gefährliche Personen an den Herkunftsstaat ist weder neu, noch auf Drittstaatsangehörige beschränkt. Auch Unionsbürger*innen die sich langfristig in anderen Mitgliedsstaaten aufhalten und folglich wie Staatsangehörige behandelt werden sollen, können ausgewiesen und abgeschoben werden, anstatt (wie inländische Straftäter*innen) den nationalen Strafverfolgungs-, Präventions- und Resozialisierungsverfahren unterworfen zu werden (bestätigt durch den EuGH in Tsakouridis und P.I., zur Letztverantwortlichkeit im Rahmen der Unionsbürgerschaft siehe auch Haag).
Es soll nicht unterschlagen werden, dass der Beschwerdeführer die Alternative einer stationären, geschlossenen Jugendhilfemaßnahme ablehnte, weshalb sich festhalten lässt, dass sich Deutschland zumindest in diesem Fall nicht vorschnell aus der Verantwortung gezogen hat (in den anderen Verfahren ist hierzu nichts vermerkt). Das kann jedoch nicht zu einer anderen Bewertung führen, da ansonsten die Frage der Verantwortlichkeit unterhalb der Staaten in die Entscheidungskompetenz des sog. „Gefährders“ fallen würde.
Abschließende Stellungnahme
Sicherheit wird zunehmend zur heiligen Kuh, welche sämtliche Mittel legitimiert. § 58a AufenthG hängt das Damoklesschwert der Ausweisung und Abschiebung über alle Nicht-Staatsangehörigen. Der Einwand, dass diese es selbst in der Hand hätten, ob es sie tatsächlich trifft, vermag nicht gänzlich zu überzeugen. Während es in den Fällen zur Verantwortung von Unionsbürger*innen um verurteilte Straftäter ging, ermöglicht § 58a AufenthG eine Abschiebung aufgrund einer Prognose. Die Rechtsprechung hat die Anforderungen an die Prognose und Gefahr nun zwar konkretisiert, es bleibt aber ein nicht unerheblicher (wenngleich gerichtlich überprüfbarer) Ermessensspielraum auf Behördenseite.
Sicherheit ist ein legitimes Anliegen und die Sorge vor terroristischen Anschlägen ist, wie die jüngste Vergangenheit schmerzlich gezeigt hat, berechtigt. Sog. „Gefährder“ abzuschieben mindert die Gefahr jedoch oftmals nicht, sondern verlagert sie lediglich. Sich anhand der Staatsangehörigkeit der Personen der Verantwortung für das von ihnen ausgehende Gefahrenpotenzial zu entledigen, ist unsolidarisch. Das gilt umso mehr, je länger die Person im abschiebenden Staat lebte und je stärker die soziale Prägung dort erfolgte.
Tobias Klarmann „Sog. „Gefährder“ abzuschieben mindert die Gefahr jedoch oftmals nicht, sondern verlagert sie lediglich. Sich anhand der Staatsangehörigkeit der Personen der Verantwortung für das von ihnen ausgehende Gefahrenpotenzial zu entledigen, ist unsolidarisch. Das gilt umso mehr, je länger die Person im abschiebenden Staat lebte und je stärker die soziale Prägung dort erfolgte.“
Immerhin die letzten Sätze des Beitrages. Im Klartext bitte: Eine Abschiebung wäre unsolidarisch gegenüber der Russischen Föderation? Und der Mangel an Solidarität gegenüber der Russischen Föderation wäre ein juristisches oder ein politisches Argument in Hinblick auf eine Abschiebung?
Genau (noch genauer: der dortigen Gesellschaft gegenüber). Die Forderung nach Solidarität zwischen Staaten bzw. Gesellschaften wird teilweise als Prinzip des Völkerrechts diskutiert, ist aber primär politisch.
Ich verstehe den Punkt, dass die Gefahr lediglich verlagert wird, im Falle der Abschiebung. Aber was ist denn dann die Konsequenz/Rechtsfolge für den Fall der Nicht-Abschiebung?
Die “Gefahr” hinnehmen? Eine ersatzweise Freiheitsentziehung? …?
Die Konsequenz ist, dass wir mit der Gefahr genauso umgehen wie mit Gefahren, die durch deutsche Staatsbürger verursacht werden. Wenn die Sozialisation einer Person in der Bundesrepublik misslungen ist, liegt es doch nicht fern, dass Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik die damit verbundenen Risiken tragen, statt diese Risiken aufgrund des hier sehr formalen Anknüpfungspunktes der Staatsangehörigkeit an andere Staaten und Gesellschaften weiter zu reichen.
Es heisst, bei Gefährdern könne die Grundlage für ein Aufenthaltsrecht in der Fremde entzogen sein. Es scheint dabei gar nicht so um anbschließende Problemlösung zu gehen. Eine vorrangige Staatsverantwortung für Personen kann grundsätzlich zuerst beim “Heimatland” vor einem fremden (grundsätzlich “frei entgegenkommenden Gast-“)Aufenthaltsland bestehen. Ein weiterer Aufenthalt in der Fremde kann danach eventuell nur sinnvoll schienen, wenn im fremden Aufenthaltsland eine bessere Möglichkeit zur Gefahrminderung bestünde.
P.S.: eine “Solidaritäts(rechts-)pflicht” (von nationalen Gesellschaften) zur Selbstauopferung scheint philosophisch-juristisch etc. umstritten bleiben zu können.
Rechtlich umstritten, thats all.
Sozialisierung bedeutet ja nicht Indoktrinierung, also ist es im Rahmen einer Sozialisierung durchaus möglich – und wie in einer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft wie hier in Deutschland – auch erwünscht, dass sich eigenständige Positionen herausbilden können. Das nehmen wir hin, als notwendiges Übel unserer Freiheit. Gleichwohl müssen wir eine daraus entstehende Gefahr nicht hinnehmen, das zwingt den Staat dann zum Handeln, und zwar nach ganz verhältnismäßigen Gesichtspunkten: Einen Staatsangehörigen werden wir nicht los, den müssen wir hier beobachten und wenn er straffällig wird, sitzt er ein. Einen Ausländer können wir abschieben, das kostet weniger. Utilitarismus? Aber sicher!
Als Bürger (Jurist bin ich nicht) ist meine Meinung folgende: wenn der deutsche Staat leicht mit dem Gesamtphänomen (nicht Einzelfall) umgehen kann, dann sollte sich Deutschland komplett um alle Einzelfälle kümmern. Statistisch müssen einige Bürger als Opfer den Kopf hinhalten und die jeweiligen Täter kann man dann entsprechend bestrafen. Wird die Gefahr größer als das, was Deutschland schafft, sehe ich eine Abschiebung als gerechtfertigt an. Anderenfalls könnte Deutschland nie Menschen aus humanitären und sonstigen Gründen aufnehmen, wenn damit ein Recht auf späteren Selbstschutz der Gesellschaft verwirkt wäre. Dann müsste man kaltherzig jede Hilfe ablehnen. Auch wenn Menschen ganz in D aufgewachsen sind, können die Probleme aus einem anderen Kulturkreis kommen und Deutschland könnte damit überfordert sein. Die Frage lautet damit für mich: ist Deutschland aktuell in einer Situation, die leicht handhabbar ist, in einer gefährdeten Situation oder dazwischen. Gesetze und deren Auslegung sind darauf anzupassen.
Für mich stellt sich eine ganz pragmatische Frage:
Wird durch die Abschiebung sog. Gefährder auch nur die Sicherheit in Deutschland erhöht?
Die Wiedereinreise mit gefälschten Papieren ist nur zu leicht möglich.
Geben wir mit der Ausweisung von sog. Gefährdeten nicht viel mehr die Kontrolle im Präventivbereich über mögliche Attentäter weg?
Zunächst sind sicherlich die Menschenrechte im Herkunftsdtaat zu hinterfragen.
Aber ist es nicht auch oft so, dass der sog. Gefährder einfach verschwindet?
Ausweisung ist keine strafrechtliche Antwort auf Straftaten.
Macht diese kriminologisch im Präventivbereich wirklich Sinn?