28 October 2016

Eine kritische Würdigung der BND-Reform

 

Nun ist sie also da: Am vergangenen Freitag hat der Bundestag die BND-Reform beschlossen. Deutschland zieht damit gut drei Jahre nach den Enthüllungen von Edward Snowden, unzähligen Sitzungen des NSA-Untersuchungsausschusses und breiter öffentlicher Empörung tatsächlich Konsequenzen – vermutlich insbesondere aus Letzterem. Strukturelle Defizite seien dagegen nicht angegangen worden, machen Kritiker geltend.

Zu diesen Kritikern zählen nicht weniger als zwei ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichts und der neutrale wissenschaftliche Dienst des Bundestages, die allesamt ernsthafte Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit der BND-Reform angemeldet haben. Ermahnende Worte kommen außerdem von der OSZE-Beauftragten für die Freiheit der Medien Dunja Mijatović und drei UN-Sonderberichterstattern wegen möglicher Verstöße gegen die Meinungs- und Pressefreiheit.

Die Reform im Überblick

Die beschlossene Nachrichtendienstreform ist die weitreichendste seit langem – im Gegensatz zu den Nachrichtendienstreformen von 1999 und 2009 wurden nicht nur vereinzelt kosmetische Verbesserungen an der bestehenden Architektur vorgenommen, sondern tatsächlich überfällige Änderungen angegangen.

Dazu gehören die klare Rechtsgrundlage für die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung (§§ 6, 7 BNDG), welche mit einem Anteil von 90% an den SIGINT-Aktivitäten des BND immerhin dessen Kerngeschäft darstellt, die Einrichtung eines für dessen Kontrolle zuständigen unabhängigen Gremiums (§ 16 BNDG) sowie die Befugnis zur Führung gemeinsamer Dateien (§ 26 BNDG).

Dass eine solche Reform überhaupt kommt, ist bei aller dem BND entgegen gebrachten Reformskepsis zunächst zu begrüßen. Dadurch werden zuvor bestehende rechtliche Grauzonen zumindest teilweise beseitigt und die Arbeit des BND auf eine solidere rechtliche Grundlage gestellt. Auch werden konkrete Zuständigkeiten etabliert, etwa im Rahmen des Anordnungsverfahrens gemäß § 9 BNDG oder bei der Führung gemeinsamer Dateien mit ausländischen öffentlichen Stellen gemäß § 26 BNDG. Dies wird zukünftig erleichtern, Handeln und Verantwortlichkeit beim BND einander zuzuordnen.

Schwammige Gesetzgebung im Eilverfahren

Kritik verdient dagegen bereits der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens. Gemessen an der Bedeutung der Reform wurde dieser von Seiten der Gesetzgebung öffentlich nur wenig Aufmerksamkeit und Zeit eingeräumt. Gerade einmal 45 Minuten waren auf der Tagesordnung des Bundestags am letzten Tag vor der parlamentarischen Sommerpause für die erste Lesung vorgesehen. Trotz der von vielen Seiten vorgebrachten Kritik und Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit hat die Regierungskoalition auch danach nichts mehr an dem von ihr eingebrachten Gesetzentwurf geändert, sondern diesen in der ursprünglichen Form am 21. Oktober verabschiedet.

Folglich wurden auch etwaige Empfehlungen des NSA-Untersuchungsausschusses, der seit März 2014 das Fehlverhalten von NSA und BND intensiv untersucht, nicht berücksichtigt.

Das Gesetz als solches zeichnet sich durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, etwa „das Wohl der Bundesrepublik Deutschlands“ oder die Wahrung ihrer „Handlungsfähigkeit“ als Eingriffsvoraussetzungen, aus. Damit wird dem Ziel gesteigerter Rechtssicherheit nur vordergründig Rechnung getragen, lässt sich doch tatsächlich so gut wie jeder potenzielle Sachverhalt unter diese Begriffe subsumieren. Wie dies den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots aus Art. 20 III GG gerecht werden soll, erscheint fraglich.

Interpretation des Art. 10 GG in der Kritik

Kritik verdient außerdem die dem Gesetz zugrunde liegende Interpretation der Reichweite von Art. 10 GG, zumal diese einen erheblichen Einfluss auf die Regelung der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung hat. Wenngleich dies vom Bundesverfassungsgericht noch nicht ausdrücklich bestätigt wurde, ist es doch in der Rechtswissenschaft zu Recht allgemein anerkannt, dass Art. 10 GG nicht nur Deutsche schützt, sondern die deutsche Hoheitsgewalt umfassend bindet, Art. 10 GG also ein Jedermanns-Grundrecht ist.

Dieser Auffassung haben sich dementsprechend auch fünf der sechs zur öffentlichen Anhörung im Innenausschuss geladenen Sachverständigen angeschlossen. Lediglich Kurt Graulich, bekannt bereits als der von der Bundesregierung berufene Sonderermittler im NSA-Untersuchungsausschuss, hat versucht, diese Frage in seiner 45 Seiten starken Stellungnahme zu umschiffen.

Die Rechtsgrundlage für die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung vom Ausland aus, § 6 BNDG, wird schließlich dafür sorgen, dass es vier statt wie bisher zwei verschiedene Schutzniveaus gibt. Am intensivsten vor der Überwachung durch den BND sind nach wie vor Deutsche geschützt, gefolgt von Einrichtungen der EU und öffentlichen Stellen ihrer Mitgliedstaaten, Unionsbürgern und schließlich dem Rest der Welt. Nur weil eine solche Unterscheidung zukünftig gesetzlich vorgesehen ist, ist diese jedoch deswegen noch nicht auch technisch umsetzbar – ein aktuelles Gutachten für den NSA-Ausschuss macht diesbezüglich zumindest erhebliche Zweifel geltend. Dies würde selbst bei einer geringen Fehlerquote gemessen an der intensiven Überwachungstätigkeit des BND in der Konsequenz zu zahlreichen Grundrechtsverletzungen führen.

Außerdem bedeutet dies, dass unter den weder besonders strengen noch besonders bestimmten Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BNDG Internationale Organisation wie UNICEF, die WHO, oder der IStGh weiter durch den BND überwacht werden können – eine Praxis, die nach ihrer Enthüllung durch den NSA-Untersuchungsausschuss zu Recht für breite öffentliche Empörung gesorgt hatte.

Flickenteppich Nachrichtendienstkontrolle

Wie das Bundesverfassungsgericht zuletzt im Urteil zum BKA-Gesetz deutlich gemacht hat, müssen weite nachrichtendienstliche Eingriffsbefugnisse durch effektive Kontrollmöglichkeiten flankiert werden.

Die Kontrolle der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung durch den BND soll dem neu einzusetzenden unabhängigen Gremium (§ 16 BNDG) obliegen. Durch die Einrichtung noch eines weiteren Gremiums wird die ohnehin bereits komplexe Kontrolle des BND unnötig verkompliziert und einer weiteren Fragmentierung Vorschub geleistet. Die Interpretation der Bundesregierung von Art. 10 GG zugrunde gelegt, ist dieser Schritt dagegen konsequent: Während die G10-Kommission das Grundrecht, dessen Schutz ihr obliegt, schon im Namen trägt, falle die Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung ja schon nicht in den Schutzbereich des Art. 10 GG.

Das unabhängige Gremium wird dabei auch nicht in die Bemühungen, den Austausch zwischen den einzelnen Kontrollgremien zu verbessern (§ 15 VIII G10) und zu verstetigen, eingebunden – in der entsprechenden Gesetzesänderung findet das unabhängige Gremium überhaupt nicht einmal Erwähnung. Problematisch ist überdies, dass die drei Mitglieder des unabhängigen Gremiums durch die Bundesregierung berufen werden, wo sie doch eigentlich dessen Kontrolle gewährleisten sollen.

Ein Fall für Karlsruhe?

In der Gesamtschau der genannten Punkte zeigt sich, dass die Reform zahlreiche gravierende Schwachstellen aufweist. Trotz aller Kritik dürfte sich das Fenster für weitreichende durch den Gesetzgeber initiierte Reformen des BND jedoch nun erst einmal wieder geschlossen haben.

Nicht alles was kritikwürdig ist, ist indes auch verfassungswidrig. Vermutlich wird Karlsruhe früher oder später die Frage beschäftigen, ob und inwiefern dies auf die BND-Reform zutrifft – Politiker der Grünen und der FDP haben bereits angekündigt, die BND-Reform vor das Bundesverfassungsgericht bringen zu wollen. Zu erwarten ist, dass das BND-Gesetz in seiner reformierten Form der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhält, sondern dem Gesetzgeber Nachbesserungsbedarf attestiert.


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