06 October 2009

Eine Welt ohne Juraprofessoren

In Dresden und Rostock ist es schon Realität, aber auch anderenorts stellen sich Juraprofs die bange Frage: Was, wenn es unsereinen nicht mehr gäbe? Mathias M. Siems, der an der University of East Anglia lehrt, ist dieser Frage wissenschaftlich nachgegangen

Inspiriert von Alan Weismans Bestseller “The World without us” – da geht es um das Gedankenexperiment, wie die Welt ohne Menschen generell klarkäme (im Grunde ganz prima) – spielt Siems durch, was geschehen würde, wenn es keine Juraprofessoren gäbe.  Sein Fazit: Das wäre halb so schlimm.

Juristenausbildung? Können Praktiker genauso, oder besser. Und das nicht nur in den Common-Law-Rechtssystemen in USA und UK, sondern auch im kontinentalen Zivilrechtskulturkreis:

For instance, in Germany, as in England, the main focus of undergraduate courses is on the legislation and court decisions of the core areas of law (contract, tort, criminal, constitutional law etc.), and how these rules would apply to hypothetical cases.

(da hat er Recht, v.a. was das Verfassungsrecht betrifft. Ernst Forsthoff hat schon in den 60er Jahren gejammert, dass die BVerfG-Kasuistik das Staatsrecht kaputtmacht, berechtigterweise, for better or worse…)

Von dem großen Elephant in the Room der deutschen Juristenausbildung ganz zu schweigen:

In Germany it is even the case that 95 % of all undergraduate students receive the majority of their undergraduate legal training from practitioners. These persons, called Repetitoren, prepare students for the First Juridical Exam.

Und die Forschung?  Die würde zu großen Teilen niemand vermissen:

Publication lists matter for any appointment or promotion decision, however, many legal articles hardly have any impact.

Die Rechtsdogmatik immerhin, so viel räumt Siems ein, bedarf der akademischen Geduld und Gründlichkeit dringend, wenngleich dies eher auf den Kontinent zutrifft:

The Common Law, by contrast, managed to flourish for centuries without law professors.

Soweit es darum geht, das Dickicht der Rechtsprechung durchdringbar und navigierbar zu machen, könnten dies aber die Praktiker genauso leisten – und tun es ja auch schon in großem Umfang. Die Juraprofs mit ihren Beamtengehältern seien auf diesem Markt im Grunde nur subventionierte Preisverderber:

Put differently, in today’s system law professors often operate as well-paid research assistants for judges and governments. An alternative system in a world without law professors would provide direct funding for such activities.

Die juristische Grundlagenforschung, schlägt Siems vor, sollte man einem “academic dinner party test” unterwerfen: Wenn sie den Kollegen anderer Disziplinen glaubhaft machen können, dass ihr Forschungsgegenstand die Mühe lohnt, dann könnten sie sich bei diesen um einen Job bewerben – die Rechtsphilosophen bei den Philosophen, die Rechtshistoriker bei den Historikern, die Verfassungsrechtler bei den Politologen etc.

Da fällt mir kein Einwand ein. Höchstens, dass dann dieser Aufsatz nicht geschrieben worden wäre, was schade wäre.

Man sollte das Gedankenexperiment mal mit Journalisten wiederholen, da gibt es vielleicht gegenwärtig noch mehr handfesten Anlass dazu…

Update: Für alle Juraprofs, die jetzt in Depressionen verfallen – vielleicht finden sie hier psychologischen Trost.


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