10 December 2015

Entpolitisierung rechter Gewalt: Zur Aussage von Beate Zschäpe im NSU-Prozess

Viel zu selten erhält der Münchner NSU-Prozess die Öffentlichkeit, die seinem Gegenstand entsprechen würde. Der 249. Verhandlungstag wird jedoch in Erinnerung bleiben. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe hat ihr Schweigen gebrochen und zum ersten Mal über ihren neuen Anwalt Mathias Grasel eine Aussage verlesen lassen (vgl. Vollständiges Protokoll). Diese lässt sich mit dem Egotronic-Song „Von nichts gewusst“ zusammenfassen. Dass die beiden Uwes Morde begangen haben? Nichts gewusst, erst später habe sie davon erfahren. Der Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße? Nichts gewusst. Der Inhalt des NSU-Bekennervideos, das sie selbst per Post verschickt hat? Habe sie im Prozess zum ersten Mal gesehen.

Es gehört zu den vornehmsten Aspekten des modernen Rechtsstaats, dass Angeklagte in einem Strafprozess das Recht zum Schweigen haben und sogar lügen dürfen, um sich nicht selbst zu belasten. Im Kontext der bisherigen Aufklärungsarbeit im NSU-Komplex ist Zschäpes Aussage jedoch in vielerlei Hinsicht unglaubwürdig, ja sogar ein erneuter Angriff auf die Opfer und Hinterbliebenen des NSU. Zschäpe inszenierte sich als lediglich verliebte Frau, die aufgrund ihrer Gefühlslage den Uwes weiterhin die Treue hielt und sich in der gemeinsamen Wohnung um den Haushalt und die Katzen kümmerte – die auf dem Tisch liegende Mordwaffe wurde von ihr irgendwann akzeptiert und immer wieder aus dem Blickfeld geräumt.

Keine Mitläuferinnen – Frauen in der rechten Szene

Der Tagesschau-Journalist Patrick Gensing ordnete die Aussage richtig ein: „Der Erklärung zufolge ist die Persönlichkeit von Beate Zschäpe exakt die Summe von sämtlichen gängigen Klischees über Frauen. […] Und ein politisches Motiv für die NSU-Anschläge habe sie sowieso nicht erkennen können. Zschäpe strapaziert nicht nur Klischees über Frauen, sondern stellt sich in die Traditionslinie der deutschen Schuldverdrängung aus den Jahrzehnten nach der Befreiung vom Nationalsozialismus.“

Zusätzlich steht die Aussage im Widerspruch zu ihrer eigenen Rolle innerhalb der rechten Szene Thüringens Mitte der 1990er Jahre. Zschäpe war gerade keine bloße Mitläuferin, die aus reiner emotionalen Verbundenheit mit den Uwes in der rechten Szene verblieb. Sie galt als überzeugte Neonazistin, die an bundesweit organisierten Aufmärschen der Szene teilnahm, manche sogar selbst anmeldete. Dass die Rolle von Frauen in der rechten Szene unterbewertet wird, hängt vielmehr mit einem hegemonialen Frauenbild zusammen, das die Frau als Teil des Privaten und nicht des Politischen markiert. Die zahlreichen wissenschaftlichen Forschungen und journalistischen Recherchen zu Frauen in der rechten Szene zeichnen ein ganz anderes Bild. Schließlich muss daran erinnert werden, dass das erste Opfer rechter Gewalt nach der Wende am 25.06.1990 in Erfurt durch zwei weibliche Skingirls erschlagen wurde.

Entpolitisierung rechter Gewalt

Der Verfassungsrechtler Otto Kirchheimer sprach von Politischer Justiz, wenn gerichtsförmige Verfahren politischen Zwecken dienstbar gemacht werden. Im Falle rechter Gewalttaten bedarf diese Definition der Ergänzung. Es ist gerade Teil der Verteidigungsstrategien von rechten Gewalttäter/innen, ihre Handlungen zu entpolitisieren.

Nicht nur Zschäpes Aussage ist hierfür ein Paradebeispiel. Erst letztes Jahr wurde der bekannte Nazi Florian S. durch das Landgericht Freiburg freigesprochen. Er hatte eine Gruppe von Linksaktivisten mit dem Auto überfahren und angegeben aus Notwehr gehandelt zu haben, obschon er zuvor in sozialen Medien entsprechende Gewaltfantasien geäußert hatte. Der Verteidigungswille von S. war fraglich, wie auch der Bundesgerichtshof in seiner vorherigen Entscheidung feststellte. Das politische Motiv von S. wurde jedoch durch die Staatsanwaltschaft kaum im Prozess gewürdigt.

Die Entpolitisierung rechter Gewalt hat zwei Seiten: Einerseits versuchen Angeklagte selbst aktiv darauf hinzuwirken, ihre Ideologie aus Strafprozessen herauszuhalten. Zschäpes Aussage im NSU-Prozess ist gerade Teil dieser Strategie, indem sie sich als Mitläuferin aus privaten Gründen inszeniert und dabei sogar auf ihre „schwere Kindheit“ verweist. Andererseits erkennt auch der Staat in der Regel nicht die politischen Implikationen von Gewaltdelikten. Die These, dass die Ermittlungsbehörden bei derlei Taten „versagen“, greift dabei zu kurz. Vielmehr verstehen viele staatliche Behörden rechten Terror und Gewalt nicht als Angriff auf den Staat, respektive die demokratische Gesellschaft, da sich dieser vorrangig gegen Minderheiten, Ausländer und politisch Andersdenkende richtet. Wenn im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex von institutionellem Rassismus die Rede ist, dann gerade weil Menschen mit Migrationshintergrund nicht als Teil der deutschen Gesellschaft angesehen werden. Die bekannte Operative Fallanalyse, die das LKA Baden-Württemberg 2007 in der NSU-Mordserie erstellte, spricht in diesem Kontext für sich: „Vor dem Hintergrund, dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist, ist abzuleiten, dass der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist“ (BT-Untersuchungsausschussbericht, S. 926)

Die mangelnde Aufklärung rechter Gewalt und ihre Entpolitisierung sind kein Thema der Vergangenheit, dass sich nach dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags erledigt hätte. Die ZEIT hat letzte Woche in einer umfangreichen Recherche dargelegt, dass bei 222 gewalttätigen Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte im Jahr 2015 bislang nur in vier Fällen Verurteilungen der Täter erfolgten. Ein möglicher Grund hierfür kann auch in der Ermittlungspraxis von Staatsanwaltschaften zu finden sein, die die Brandanschläge mitunter als persönliche „Angst“ der Täter/innen deklarieren, statt rassistische Motive zu erörtern.

Worum es wirklich geht

Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, Ismail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat, und Michèle Kiesewetter: Das sind die Opfer des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Dass Katharina König, Mitglied im thüringischen NSU-Untersuchungsausschuss, während der Verlesung des Statements von Beate Zschäpe im Münchner Prozess die Namen und Bilder der Ermordeten über Twitter verbreitete, war eine wichtige Intervention. Die Perspektive der Opfer auf den NSU-Komplex Geltung zu verschaffen ist für das gesamte Verständnis der Mordserie relevant. Schließlich erkannten die Hinterbliebenen viel früher als die Ermittlungsbehörden, dass die Attentate einen rassistischen Hintergrund hatten.

Daneben ist die Aufklärung um die Rolle der Sicherheitsbehörden und ihr mögliches Wissen über die Mordserie weiterhin zentral. Die Nebenklage hat Anfang August einen umfangreichen Beweisantrag gestellt, der die Vernichtung von Akten im Bundesamt für Verfassungsschutz thematisiert. Obschon sich die deutsche Sicherheitsarchitektur aufgrund der NSU-Mordserie eigentlich in ihrer größten Krise befinden müsste, werden fragwürdige politische Konsequenzen gezogen. Durch die jüngste Reform des Bundesverfassungsschutzgesetz wird beispielsweise der Einsatz von V-Leuten verrechtlicht und „szenetypische Straftaten“ legalisiert (§§ 9a und b BVerfSchG). Und in Hessen wird das Landesamt für Verfassungsschutz personell stark aufgestockt, obwohl der NSU-Untersuchungsausschuss noch nicht einmal beendet ist und keine eigenen Schlüsse ziehen konnte. Die öffentliche Aufmerksamkeit müsste diesen Themen gelten und nicht dem „Zschäpe-Hype.“


3 Comments

  1. Christian Schmidt Thu 10 Dec 2015 at 10:45 - Reply

    Mal eine Frage zu der Bereitschaft Fragen des Gerichts zu beantworten aber Fragen der Nebenklage und der Staatsanwaltschaft nicht. Kann das Gericht sich nicht einfach Fragen der Klaeger zu eigen machen, d.h. einsammeln und an Zschaepe weiterschicken?

  2. Richtig Thu 10 Dec 2015 at 14:06 - Reply

    Kann das Gericht machen. Aber sie braucht die Fragen nicht zu beantworten.

  3. Tessa Arsovska Tue 23 Feb 2016 at 09:58 - Reply

    Hey Max, echt guter Text. Ich teile es weiter :)
    LG Tessa

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