Erdogan in Köln – Zumutungen des Versammlungsrechts II
Letzte Woche habe ich die Entscheidungen zu der Pro-Erdogan Kundgebung in Köln kommentiert. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lag mir der Auflagenbescheid des Polizeipräsidiums Köln nicht vor. Da es hierzu Fragen gab und der Bescheid mir nun zugänglich gemacht wurde, möchte ich meine bisherigen Ausführungen ergänzen.
Zugänglichkeit des Auflagenbescheids
Die Pressstelle teilte mir telefonisch mit, dass man mir den Bescheid wegen der enthaltenen personenbezogenen Daten nicht zusenden werde. Bei wissenschaftlichem Interesse solle ich eine Anfrage per E-Mail stellen, hierüber würde eine andere Stelle entscheiden. Einen Anspruch gem. IFG NRW habe ich nicht gestellt, sondern lediglich um Übersendung in anonymisierter Form, hilfsweise um Auszüge aus der Begründung, höchsthilfsweise um Mitteilung der Rechtsgrundlage gebeten. Die Anfrage wurde sehr schnell positiv beschieden, aber erst kurz nach der Veröffentlichung des Beitrags.
Inhalt des Auflagenbescheids
Ziff. 4 des Bescheids untersagte die Aufstellung der Videoleinwand auf der Bühne. Als Rechtsgrundlage wurde ausdrücklich § 15 I VersG genannt. Andere Rechtsgrundlagen wurden nicht erwähnt. Die Begründung lautete wie folgt: Es werde die Gefahr gesehen, dass aufgrund der Zusammensetzung der Versammlung insbesondere bei der Übertragung einer Liveschaltung des türkischen Staatspräsidenten sich die Teilnehmer und Teilnehmerinnen emotionalisieren ließen und es aus der Versammlung heraus zu einer von Aggressionen geprägten Stimmung komme.
Eine derartige Negativstimmung berge die Gefahr, dass Versammlungsteilnehmer Straftaten begingen. Weiterhin könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich Gegendemonstranten, die sich spontan in der Nähe der Versammlung gruppieren, durch Liveschaltungen aus der Türkei provoziert fühlten und es zu gegenseitigen Straftaten aus derartigen Gruppierungen und dem Kreis der Versammlungseilnehmern komme.
Bewertung
Die Herangehensweise des Polizeipräsidiums entspricht der üblichen versammlungsrechtlichen Dogmatik: einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit kann gem. § 15 I VersG durch Auflagenerlass begegnet werden. Tatsächlich begangene Straftaten stellen eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit (Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung, evtl. auch Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen) dar.
Fraglich ist jedoch, ob die zur Zeit des Erlasses erkennbaren Umstände ausreichend waren, um eine unmittelbare Gefährdung annehmen zu können. Diese Gefahr muss höchstwahrscheinlich sein, Mutmaßungen reichen nicht aus. Vergleicht man die bisherige Rechtsprechung zu diesem Erfordernis, so bestehen Zweifel, ob die strengen Voraussetzungen auch im vorliegenden Fall erfüllt waren. Dies ist eine Bewertungsfrage, sie betrifft aber nicht die Grundstrukturen des Versammlungsrechts.
Bereits im Ansatz nicht zu überzeugen vermag hingegen der Grund, dass Gegendemonstranten sich provoziert fühlen könnten. Beschränkende Verfügungen sind gegen den Verantwortlichen zu richten. Die Figur des Zweckveranlassers – sofern man sie überhaupt anerkennt – hat zumindest im Versammlungsrecht keinen Platz. Ein Vorgehen gegen den Veranstalter als Nicht-Verantwortlichen gem. § 6 PolG NRW unterliegt ebenfalls strengen Voraussetzungen. Ihr Vorliegen ist nicht hinreichend dargetan.
Vor diesem Hintergrund sind die Gerichtsentscheidungen wenig nachvollziehbar. Sie setzen sich nicht (hinreichend) mit der Rechtsgrundlage auseinander, überprüfen das Vorliegen der Voraussetzungen nicht, sondern weichen auf die Frage aus, ob es einen Anspruch gibt, einen ausländisches Staatsoberhaupt per Videobotschaft zu einer Versammlung zu schalten.
In einer Anmerkung vom 4. August zu dem ersten Beitrag heißt es:
Das OVG gibt eine zentrale und überzeugende Begründung für die Verneinung des Anspruchs: ‚Der Grundentscheidung der Art. 20 Abs. 1, Abs. 2, 23, 24, 32 Abs. 1, 59, 73 Nr. 1 GG ist zu entnehmen, dass sich die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu anderen Staaten – d. h. auch zu deren Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern – allein nach Maßgabe dieser Bestimmungen auf der zwischenstaatlichen Ebene vollziehen. Sie sind in diesem Rahmen Gegenstand der Gestaltung der Außenpolitik des Bundes.‘
Das sehe ich nicht so. Wenn ein privater Veranstalter ein ausländisches Staatsoberhaupt als Redner gewinnt, handelt es sich dann um auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik zu ausländischen Staaten (so wörtlich das OVG NRW)? Würde das auch gelten, wenn ein privater Rundfunkanbieter ein Interview mit dem Staatspräsidenten führt und ausstrahlt? Wäre das Gegenstand der Außenpolitik des Bundes?
Selbst wenn dem so wäre, weshalb sollte dann das Polizeipräsidium in Köln zuständig sein? Es handelt sich doch nach der Auffassung des OVG NRW um eine ausschließliche Angelegenheit des Bundes. Schließlich stellt sich die Frage, aus welchem Grund dann der Sportminister persönlich auftreten und die Grußbotschaft verlesen durfte? Nach dem Standpunkt des OVG NRW wäre das ebenfalls eine Frage der auswärtigen Beziehungen, denn es bezieht sich ausdrücklich auf Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder.
Insgesamt fügt sich weder der Ansatzpunkt in die bisherige Dogmatik des Versammlungsrechts ein, noch ist die Begründung in sich widerspruchsfrei.
Fazit
Ich hatte formuliert, dass das von den Gerichten erzielte Ergebnis begründbar erscheint. Vielleicht, wenn man auf völkerrechtliche oder andere Aspekte abstellt, wie es in den Kommentaren vorgeschlagen und diskutiert wurde. Entscheidend ist aber, dass alle diese Begründungen von keinem der beteiligten Akteure in Betracht gezogen und angeführt wurden. Es kann deshalb ausgeschlossen werden, dass dies die entscheidenden Beweggründe waren. Deshalb überzeugen die Entscheidungen in dieser Form wenig. Dabei weist der Auflagenbescheid selbst noch die größte Überzeugungskraft auf. Denn er versucht eine widerspruchsfreie Begründung im geltenden Versammlungsrecht zu finden.
Wäre es nicht angezeigt, die Trennung zwischen verwaltungsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Ebene noch stärker zu betonen und insoweit die Sollbruchstelle der fachgerichtlichen Entscheidungen zu treffen (jedenfalls soweit wir Kenntnis ihrer haben)? Die Brokdorfentscheidung lässt trotz ihrer Tendenz zur Förderung einer verfassungsrechtlichen Hypertrophie – die sie selbst nur katalysiert, nicht anleitet – genügend Differenzierungspotential, um zwischen diesen beiden Ebenen einigermaßen trennscharf zu unterscheiden. Zwei Besonderheiten lassen sich freilich ausmachen: zum einen befinden wir uns verwaltungsprozessual im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO mit seinem doch speziellen Prüfungsmuster und auch auf der verfassungsprozessualen Ebene ist das BvQ-Verfahren nicht der Regelfall aller versammlungsrechtlichen Eilentscheidungen. Dies einmal beiseite: mich überzeugt die Annahme einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (§ 15 Abs. 1 VersG) nicht, jedenfalls unter Zugrundelegung der Sachinformationen aus der versammlungsrechtlichen Verfügung der Behörde. Einfach weitergedacht, ohne Berücksichtigung der – sehr interessanten – prozessualen Einhegung: zeitigt ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz immer gleich einen Verstoß gegen das Verfassungsrecht? Sicherlich nicht (trotz Brokdorf). Hier fehlt uns aber auch eine wesentliche Kenntnis des Sachverhalts: wer ist der Betroffenen der versammlungsrechtlichen Auflage? Unterstellt, es handelt sich um einen Grundrechtsberechtigten mit Blick auf die Versammlungsfreiheit: ist die Untersagung dieses Versammlungsverhaltens von Schutzbereich erfasst?
Wer den Auflagenbescheid, die Antragsschriftsätze sowie die drei Gerichtsentscheidungen selber nachlesen möchte, dem sei unsere Stellungnahme als Bevollmächtigte des Veranstalters nahe gelegt:
http://www.felser.de/allgemein/felser-rechtsanwaelte-vertreten-veranstalter-einer-versammlung-mit-40-000-teilnehmern/
Viele Grüße
Michael Fengler