Ergebnisparität oder Chancengleichheit? Quotenmodelle zur Steigerung des Frauenanteils im Parlament
Darf der Gesetzgeber zur Steigerung des Frauenanteils in den Parlamenten Quoten vorschreiben, und wenn ja, welche? Darf er für Ergebnisparität im Parlament oder „nur“ für Chancengleichheit der Frauen bei der Wahl sorgen? Hierum geht es im Kern bei den verschiedenen Vorschlägen zur Änderung des BWahlG, die mittlerweile auf dem Tisch liegen.
Vorschläge zur Erhöhung des Frauenanteils im Bundestag
Für die Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die einerseits durch Direktwahl von Wahlkreiskandidaten (Erststimme) und andererseits durch Wahl starrer Landeslisten (Zweitstimme) gewählt werden, hat die schleswig-holsteinische Justizministerin Sütterlin-Waack jüngst ins Spiel gebracht, den Parteien gesetzlich aufzugeben, in den Wahlkreisen geschlechtsgemischte Tandems aufzustellen, aus denen der Bürger mit seiner Erststimme Mann oder Frau wählen kann. Zu einer gleichen Anzahl von Frauen und Männern im Bundestag kommt es nur, wenn der Bürger sie zu gleichen Teilen wählt. Auf diese Weise würde nicht Ergebnisparität im Bundestag, sondern Chancengleichheit bei der Wahl geschaffen.
Deutlich weiter geht die Idee, wie in Frankreich Quoten einzuführen, die eine gleiche Anzahl von Frauen und Männern im Bundestag garantieren. Erreichen lässt sich dies, indem der Gesetzgeber die Parteien verpflichtet, ihre Landeslisten im Reißverschlussverfahren abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen (zu dem entsprechenden Gesetz Brandenburgs siehe hier und hier). Da der Bürger mit seiner Zweitstimme nicht einzelne Kandidaten, sondern Listen wählt, zögen in etwa gleich viele Männer und Frauen in den Bundestag ein. Für die Wahl der Direktkandidaten könnte der Gesetzgeber den Parteien vorgeben, nicht wie bislang einen Kandidaten je Wahlkreis, sondern ein Bewerber-Tandem aus Mann und Frau aufzustellen. Der Bürger könnte dann mit seiner Erststimme nur ein Tandem wählen, wobei der Gesetzgeber ihm die Option eröffnen könnte, Mann und Frau entweder aus demselben Tandem oder aus verschiedenen Tandems und somit verschiedenen Parteien zu wählen. Auch über die Erststimme zögen damit Frauen und Männer zu gleichen Teilen in den Bundestag ein.
Beschränkung der Wahlgrundsätze und Parteienrechte
So nachvollziehbar der Wunsch nach einer Abbildung des Frauenanteils an der Bevölkerung im Parlament ist, so schwierig ist er auf der Grundlage des geltenden Verfassungsrechts zu realisieren. Eine Quotierung der Wahllisten mittels Reißverschlussverfahren und eine Verpflichtung der Parteien, in den Wahlkreisen Mann-Frau-Tandems aufzustellen, die en bloc zur Wahl stehen, beschränkt wesentliche Wahlgrundsätze unserer Verfassung wie die Freiheit der Wahl des aktiv wahlberechtigten Bürgers und die (Chancen-)Gleichheit der passiv wahlberechtigten männlichen Kandidaten (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Außerdem greift der Gesetzgeber in die Autonomie und die Chancengleichheit der Parteien ein (Art. 21 Abs. 1 GG). Ließe der Gesetzgeber dem Bürger dagegen die Wahl, aus geschlechtsgemischten Bewerber-Tandems Mann oder Frau zu wählen, bliebe zumindest seine Wahlfreiheit unangetastet.
Gleichberechtigungsauftrag des Staates als Rechtfertigungsgrund
Nun sind zwar Eingriffe in die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG und in die Rechte der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG nicht zwangsläufig unzulässig. Sie bedürfen aber einer Rechtfertigung durch einen anderen gleichgewichtigen Verfassungssatz (s. nur BVerfGE 1, 208 (248); 6, 84 (92); 95, 408 (418); 120, 82 (107); 129, 300 (320); 135, 259 (286)). Ein solcher Verfassungssatz findet sich seit 1994 in Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG, wonach der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern fördert und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinwirkt. Dieser Gleichberechtigungsauftrag des Staates gilt für den gesamten staatlichen und gesellschaftlichen Bereich einschließlich der Parteien und des Parlaments. Er wird weder durch Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG noch durch Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG verdrängt. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG trägt dem Umstand Rechnung, dass für Frauen trotz gleicher Rechte auch heute noch faktische Nachteile beim Erreichen beruflicher Positionen bestehen. Der Staat muss die Nachteile beseitigen, damit Gleichberechtigung nicht nur auf dem Papier steht, sondern auch in der Lebenswirklichkeit stattfindet. Da der Förderauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG auf den Abbau faktischer Nachteile für Frauen beschränkt ist, zielt er nur auf die Verwirklichung von Chancengleichheit für Frauen, nicht hingegen auf nachteilsunabhängige Ergebnisgleichheit. Frauen müssen nicht in sämtlichen Lebensbereichen in gleicher Anzahl vertreten sein wie Männer, sondern nur die gleichen Chancen haben, zum Zug zu kommen.
Faktische Nachteile für Frauen in den Parteien
Faktische Nachteile für Frauen bestehen beim Zugang zu den Parlamenten. Frauen sind in den Parlamenten unterrepräsentiert, obwohl seit jeher annähernd gleich viele Frauen wie Männer zur Wahl gehen. Trotz freiwilliger Geschlechterquoten einzelner Parteien für ihre Wahllisten liegt der Frauenanteil im Bundestag nur bei 31%; in den Landtagen und Kommunalvertretungen sind 30% bzw. 24% Frauen vertreten, wobei große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern und Kommunen bestehen. Der Grund hierfür ist v. a., dass Frauen von den Parteien seltener nominiert werden und damit geringere Wahlchancen haben; zudem landen sie häufig auf aussichtslosen (Listen-)Plätzen. Verantwortlich dafür sind Männerbündnisse, männlich geprägte Kommunikations- und Karrieremuster, für Frauen wegen der Doppelbelastung von Beruf und Familie ungünstige Sitzungsbedingungen sowie Vorbehalte gegenüber ihrer Eignung in den Parteien (näher: Butzer, NdsVBl. 2019, 10 (11 f.)). Dass sich in den Parteien weniger Frauen finden als Männer, ist für den Befund ihrer Unterrepräsentation in den Parlamenten irrelevant. Denn beim Zutritt zum Parlament geht es nicht um Parteigremien, sondern um ein staatliches (Verfassungs‑)Organ, für das die Parteien Kandidaten nicht nur aus ihren Mitgliederreihen, sondern aus dem gesamten Volk gewinnen können (Art. 38 Abs. 2 GG).
Quotenmodell für die Erststimme: Mann-Frau-Tandems mit Kandidatenwahl des Bürgers
Der Gesetzgeber muss diese Nachteile für Frauen in den Parteien beseitigen (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG). Genau das tut er, wenn er die Parteien zur Aufstellung geschlechtsgemischter Tandems verpflichtet und den Bürger mit seiner Erststimme zwischen Mann und Frau wählen lässt. Würde er dem Bürger nur die Wahl eines Mann-Frau-Tandems ermöglichen, schösse er über das Ziel des Gleichberechtigungsauftrags des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG hinaus. Er verwirklichte nicht nur Chancengleichheit für Frauen durch Abbau der Nachteile bei der Kandidatennominierung in den Parteien, sondern Ergebnisparität im Parlament.
Ergebnisparität im Parlament ließe sich nur rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber dartun könnte, dass Frauen trotz einer Verpflichtung der Parteien zur Aufstellung von Mann-Frau-Tandems schlechtere Chancen als Männer hätten, in das Parlament gewählt zu werden. Das könnte z. B. der Fall sein, wenn das Wahlvolk aufgrund überholter Rollenbilder und tradierter Wertvorstellungen Vorbehalte gegenüber der Eignung von Frauen hätte; oder wenn die Parteien die Bewerber-Tandems so ungleich bestückten, dass sie dem Bürger den männlichen Kandidaten nachgerade auf dem Silbertablett servierten. Man denke nur an Tandems aus einem erfolgreichen, charismatischen jungen Ministerpräsidenten und einer erfolglosen, blassen, älteren Miederwarenverkäuferin.
Nicht rechtfertigen lässt sich eine Verengung der Wahlfreiheit des Bürgers auf Mann-Frau-Tandems damit, dass Parität im Parlament erforderlich sei, damit die Gesetze die Interessen und Belange der Frauen stärker aufgreifen. Abgesehen davon, dass eine Erhöhung des Frauenanteils im Parlament nicht linear auf weiblichere Gesetze schließen lässt (näher: Brunsbach, ZParl 2011, 3 ff.), ist hierfür das Volk verantwortlich. Entscheidet das Volk bei einer gleichen Zahl weiblicher und männlicher Kandidaten in den Wahlkreisen, mehr Männer in das Parlament zu schicken, hat der Gesetzgeber das zu respektieren. Dem Volk kommt die Aufgabe zu, in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl über die Zusammensetzung der Parlamente zu entscheiden (Art. 28 Abs. 1 S. 2, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Sollen die Parlamente ein weiblicheres Antlitz bekommen, muss das Volk mehr Frauen wählen.
Weil das Volk durch Wahl darüber entscheidet, wer in den Bundestag einzieht, scheidet auch das verfassungsrechtliche Prinzip repräsentativer Demokratie (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) zur Rechtfertigung einer Tandem-Wahlpflicht aus. Nach unserer Verfassungsordnung entscheidet das Volk durch Wahl, was repräsentative Demokratie ist (Art. 20 Abs. 2 S. 2, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG). Entsprechend sind die Abgeordneten Vertreter des ganzen Volkes (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). Für hiervon losgelöste allgemeine Repräsentationserwägungen, die die Freiheit der Wahl des Bürgers einschränken sollen, ist kein Raum. Abgesehen davon müsste man die Bevölkerung wohl auch im Übrigen repräsentativ abbilden im Parlament, wenn man einer geschlechtsbezogenen Repräsentation das Wort redete. Wir bräuchten dann – losgelöst von faktischen Benachteiligungen – auch eine Quote für Migranten, für ältere oder jüngere Bürger, für einzelne Berufsgruppen und so weiter. Das erscheint nicht nur politisch absurd, sondern ist auch verfassungsrechtlich nicht gewollt. Über die Zusammensetzung der Parlamente hat nicht der Staat, sondern das Volk zu entscheiden.
Quotenmodell für die Zweitstimme: starre Liste mit Reißverschluss oder offene quotierte Liste mit Kandidatenwahl des Bürgers
Schwieriger liegen die Dinge bei der Zweitstimme. Auf der Grundlage des geltenden Wahlsystems mit starren Wahllisten lässt sich Chancengleichheit wohl nur durch eine Verpflichtung der Parteien zur abwechselnden Besetzung der Listenplätze mit Frauen und Männern nach dem Reißverschlussprinzip realisieren. Da der Bürger mit seiner Zweitstimme nicht einzelne Kandidaten, sondern Listen wählt, ginge der Gesetzgeber mit dem Reißverschlussverfahren für die Wahllisten aber über den Gleichberechtigungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG hinaus und sorgte für die gleiche Zahl von Frauen und Männern im Parlament. Allerdings läge das in dem geltenden Wahlsystem begründet, das der Gesetzgeber nach Art. 38 Abs. 3 GG grundsätzlich frei gestalten kann. Das Grundgesetz schreibt weder für die Wahl zum Bundestag noch für die Landtags- und die Kommunalwahlen ein bestimmtes Wahlsystem vor. Dem Gesetzgeber kommt bei der Gestaltung des Wahlrechts und des Wahlsystems (Mehrheits- oder Verhältniswahl, Listen- oder Direktkandidatenwahl, starre oder offene Listen) ein breiter Entscheidungsspielraum zu (BVerfGE 3, 19 (24); 59, 119 (124); 120, 82 (103) – std. Rspr.). Entscheidet er sich für ein System, bei dem der Bürger starre Listen der Parteien wählt, ist eine gesetzliche Verpflichtung der Parteien zur Listenplatzvergabe im Reißverschlussverfahren zur Verwirklichung von Chancengleichheit der Frauen bei der Wahl notwendig und damit zulässig, wenn nicht sogar geboten (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG). Das verkennt der Bayerische Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil vom 26.03.2018 (Vf. 15-VII-16).
Die Alternative, offene Wahllisten mit einfacher Quotierung einzuführen (je hälftige Besetzung mit Männern und Frauen), bei denen der Bürger nicht die Liste, sondern einzelne Kandidaten wählt, kann der Gesetzgeber realisieren, muss es aber nicht. Zwar ließen offene quotierte Listen die Wahlfreiheit des Bürgers (Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG) unangetastet, sodass sie als milderes Mittel gegenüber starren Listen mit Reißverschlussprinzip erscheinen. Der dem Gesetzgeber nach Art. 38 Abs. 3 GG eingeräumte breite Entscheidungsspielraum bei der Regelung des Wahlsystems erlaubt es ihm aber wohl, nur innerhalb des gewählten Systems die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG zu verwirklichen und Raum für den Gleichberechtigungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG zu lassen. D.h., er darf sich für ein System starrer Listen entscheiden und muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur innerhalb dieses Systems Rechnung tragen.
Fazit: Quoten zur Verwirklichung von Chancengleichheit sind notwendig – aber das letzte Wort hat das Volk
Im Ergebnis gilt: 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ist eine Quote zur Steigerung des Frauenanteils im Bundestag ebenso wie in den Landtagen und Kommunalvertretungen überfällig. Ansonsten bliebe der Gleichberechtigungsauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG unerfüllt. Solange sich die faktischen Nachteile für Frauen aber darauf beschränken, von den Parteien nicht gleichberechtigt zur Wahl aufgestellt zu werden, genügt zur Gewährleistung von Chancengleichheit die gesetzliche Verpflichtung der Parteien zur Aufstellung geschlechtsgemischter Bewerber-Tandems, aus denen der Bürger mit seiner Erststimme Mann oder Frau wählen kann. Mit der Zweitstimme könnte er weiterhin Listen wählen, die von den Parteien nach dem Reißverschlussverfahren abwechselnd mit Männern und Frauen besetzt werden müssten. Parität im Bundestag würde nur verwirklicht, wenn das Volk Frauen und Männer in gleicher Zahl wählt. Wer sich wegen der Unberechenbarkeit des Volkswillens sorgt, den möge trösten, dass das Grundgesetz es so will: Das letzte Wort bei der Wahl hat das Volk (Art. 20 Abs. 2 S. 2, Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG).
„Darf er [der Gesetzgeber] für Ergebnisparität im Parlament oder ‚nur‘ für Chancengleichheit der Frauen bei der Wahl sorgen?“
Kurze Antwort: ja, darf er, muss er, und hat er bis Beweis des Gegenteils auch schon laut GG Art. 3.
Lange Antwort (Stück für Stück). Wenn weniger Frauen als Männer in die Politik gehen, ist der Grund zu ermitteln. Möglich sind diese Gründe:
(a) Frauen haben – statistisch – weniger Interesse an Politik, oder
(b) Frauen werden tatsächlich daran gehindert.
Bei Fall (a) ist keine Konsequenz nötig.
Bei Fall (b) (Frauen werden gehindert) wäre die Behinderung zu ermitteln und zu ABZUSTELLEN!
Wenn in (b) stattdessen eine Quote eingeführt wird, bleibt der begründende Missstand BESTEHEN.
Also: Konsequenz ja, Quote nein.
Nachtrag. In meinem vorigen Kommentar hat sich ein Fehler eingeschlichen. Der Gesetzgeber kann natürlicherweise kein ERGEBINIS garantieren, und darum auch keine Ergebnisparität, sondern selbstverständlich nur Chancengleichheit.
Auch dieser Beitrag leidet leider – wie ich schon unter die Beiträge von Röhner und Martin/Honer schrieb – daran, das folgende mE wesentliche Gesichtspunkte nicht angesprochen wurden:
„Natürlich hat Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG überhaupt keine Bedeutung für Art. 38 GG. Denn das gleiche Wahlrecht ist gesondert geregelt, so dass m.E. der im Grundrechtsteil befindliche Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG schon systematisch keine Bedeutung für die Wahlrechtsgrundsätze haben kann.
Außerdem fehlt in dem Artikel jegliche Überlegung dazu, ob Art. 79 Abs. 3 GG (Demokratie) der Einführung einer Quote entgegensteht. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG erst später eingefügt wurde und daher Art. 79 Abs. 3 GG Vorrang hat, was dafür spricht, dass die Wahlgrundsätze des Art. 38 GG im Kern nicht durch Bundestag und Bundesrat als verfassungsändernder Gesetzgeber geändert werden dürfen.
Was ich mich immer wundere: Warum werden nicht einfach – ohne weiteres GG-konform – familienfreundliche Arbeitszeiten für Politikerinnen und Politker gefordert, z. B. in Anlehnung an das Arbeitszeitgesetz max. 48 Stunden je Woche oder Mindestenpausen zwischen Sitzungsende und Sitzungsbeginn am Folgetag (z. B. 11 Stunden) oder Ende aller Sitzungen des Plenums und der Ausschüsse des Bundestags regelmäßig um 16.30 Uhr. Das hätte unter Umständen sogar den angenehmen Nebeneffekt, dass sich der Gesetzgeber überlegt, welche Gesetze bzw. Gesetzesänderungen wirklich dringend notwendig sind.“
“Was ich mich immer wundere: Warum werden nicht einfach – ohne weiteres GG-konform – familienfreundliche Arbeitszeiten für Politikerinnen und Politker gefordert”
Was soll denn genau “ein Politiker” oder “eine Politikerin” sein? Nur Abgeordnete? Auch Regierungsmitglieder? Was ist mit Mitgliedern von Gemeinderäten etc?
Mal ganz davon abgesehen, dass es kaum einen Beruf gibt, der ungeeigneter ist für Arbeitszeitregelungen als der des “Politikers”.
Raten Sie mal, wer in einem Beitrag zur Wahl zu einem Parlament vor allem gemeint sein könnte, ohne die anderen auszuschließen.
Dann sagen sie doch mal konkret, wer “die anderen” sein sollen.
Na insbesondere die von Ihnen selbst genannten Regierung- und Gemeinderatsmitglieder.
Nachdem ich ja finde, dass die Parität auf Wahllisten GG-widrig sind und zumindest „bessere“ Arbeitszeiten vorher ausprobiert werden müssten, vielleicht mal die folgende Kontrollüberlegung:
Wenn ein/e MdB das Recht hat, an jeder Sitzung des Bundestages von Anfanng bis Ende teilzunehmen, hat er/sie dann nicht auch das Recht auf familienfreundliche, zumindest aber menschenwürdige Sitzungszeiten, zB ausreichend lange Pausen zwischen den Sitzungen und das Recht auf ausreichend Lesezeit für die Sitzungsvorlagen?
Und wennn solche Pausen per se – ohne dass ein/e MdB darauf vor BVerfG klagt – eingehalten würden, könnte es dann nicht sein, dass sich dadurch mehr Menschen, insbesondere auch mehr Frauen für Mandate bewerben?
Für andere Bereiche wird die (Un-) Kultur überlanger Arbeitszeiten doch sonst auch – teils gerade im Hinblick auf Gleichstellung der Geschlechter – diskutiert bzw. kritisiert.
Das sollte eigentlich unter meinen vorigen Antwortbeitrag.
“Da der Förderauftrag des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG auf den Abbau faktischer Nachteile für Frauen beschränkt ist”
Das stimmt so übrigens nicht: Der Förderauftrag schließt natürlich auch den Abbau faktischer Nachteile für Männer ein. (Zu denken wäre etwa an Maßnahmen zur Verbesserung der Männergesundheit und Steigerung der Lebenserwartung von Männern in Deutschland.)
“Dass sich in den Parteien weniger Frauen finden als Männer, ist für den Befund ihrer Unterrepräsentation in den Parlamenten irrelevant.”
Irrelevant ist das gewiss nicht: Niemand kann gegen den Willen als Kandidat aufgestellt werden. Dass für Parlamentswahlen hauptsächlich daran interessierte und deshalb politisch engagierte Bürger nominiert werden, ist naheliegend. Dabei kann ich keineswegs ausschließen, dass die Parteien auch zugänglicher etwa für Frauen sein könnten, aber selbst daraus würde nicht unbedingt eine Pflicht sämtlicher Parteien folgen, für Frauen günstigere Bedingungen zu schaffen.
(Für Überlegungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen unserer Abgeordneten verweise ich auf die Kommentare von de-mo-krat.)
“Ergebnisparität im Parlament ließe sich nur rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber dartun könnte, dass Frauen trotz einer Verpflichtung der Parteien zur Aufstellung von Mann-Frau-Tandems schlechtere Chancen als Männer hätten, in das Parlament gewählt zu werden. Das könnte z. B. der Fall sein, wenn das Wahlvolk aufgrund überholter Rollenbilder und tradierter Wertvorstellungen Vorbehalte gegenüber der Eignung von Frauen hätte”
Eine Pflicht der Parteien, den Wählern die Auswahl aus gleich vielen Frauen und Männern zu ermöglichen, könnte eine zulässige Maßnahme sein. Wenn das Wahlvolk aber trotzdem lieber Männer als Frauen zu seinen Vertretern wählen sollte, liegt das in der Entscheidungsfreiheit der Wahlberechtigten. In einer freien Wahl gibt es keine Rechtfertigung, den Wählern vorzuschreiben, wen sie zu wählen haben.
Ebenso kann man auch den Parteien bei der Aufstellung ihrer Kandidaten im Verfahren innerparteilicher Demokratie nicht verbieten, wenig attraktive Kandidat(inn)en aufzustellen, zumal eine objektive Beurteilung dieser Eigenschaft schwerfallen dürfte.
“Entscheidet er sich für ein System, bei dem der Bürger starre Listen der Parteien wählt, ist eine gesetzliche Verpflichtung der Parteien zur Listenplatzvergabe im Reißverschlussverfahren zur Verwirklichung von Chancengleichheit der Frauen bei der Wahl notwendig und damit zulässig, wenn nicht sogar geboten (Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG).”
Nein, die Folge einer solchen Regelung wäre eben keine Chancengleichheit, wie ein paar Abschnitte zuvor noch korrekt beschrieben, sondern eine schlichte Gleichmachung des Ergebnisses – damit widerspricht der Artikel sich selbst.
Wenn starre Listen ohne “Reißverschlussverfahren” mit der Chancengleichheit tatsächlich inkompatibel wären, ergäbe sich als einzig logische Konsequenz, dass starre Listen in diesem Fall gänzlich unzulässig wären.
Man kann darüber diskutieren, mit welchen Maßnahmen man möglichen gesellschaftlichen Nachteilen beispielsweise “aufgrund überholter Rollenbilder und tradierter Wertvorstellungen” entgegenwirken kann. Keineswegs aber darf der Staat dabei der erhofften Entwicklung quasi vorgreifen und die Bürger zu den Entscheidungen zwingen, die sie vielleicht in einer idealen Gesellschaft ohne die einschränkenden Wirkungen stereotyper Rollenerwartungen etwa an Frauen und Männer treffen würden. Dadurch würden nämlich die individuelle Handlungsfreiheit im Allgemeinen und die Wahlfreiheit im Speziellen effektiv abgeschafft.
Ich verstehe eines nicht: Die Geschlechterverteilung in den Parteien ist nicht 50:50, sondern grob überschlagen 60:40-70:30 zwischen Männern und Frauen.
https://www.bpb.de/politik/grundfragen/parteien-in-deutschland/zahlen-und-fakten/140358/soziale-zusammensetzung
Wenn dem aber so ist, dann würde durch die vorgeschlagenen Maßnahmen doch gerade keine Parität, sondern vielmehr eine überproportionale Besserstellung der Frauen im Hinblick auf die Erlangung politischer Ämter geschaffen.
Auch finde ich es angesichts dieser Statistik fraglich, ob überhaupt solche Maßnahmen ergriffen werden müssen, denn die Geschlechterverteilung im Bundestag (ca. 69:31) entspricht dann ziemlich genau der Geschlechterverteilung in den Parteien.
Und selbst wenn man Maßnahmen für erforderlich erachtet, müsste man doch zunächst das mildere Mittel ergreifen, für eine paritätische Geschlechterverteilung in den Parteien zu sorgen, indem man die Frauen insgesamt so stärkt, dass sie sich vermehrt in Parteien engagieren.
Denn sonst würde durch eine gesetzlich verordnete Parität wenig gewonnen, weil sich an der Gleichberechtigung in der Gesellschaft nichts ändert, jedoch möglicherweise viel verloren.