ESM in Karlsruhe: Damals Fieberkrämpfe, heute Achselzucken
Die heutige endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus und das Grundgesetz kein Problem miteinander haben, das sich nicht durch vernünftige Praxis lösen ließe, scheint mir dem Stand der Erkenntnis vom 12. September 2012 nicht wesentlich Neues hinzuzufügen. Daher will ich es hier dabei belassen, auf meinen Blogpost von damals zu verlinken.
Die dieses Datum tragende Entscheidung ist komischerweise heute auf der Website des Bundesverfassungsgerichts nicht aufrufbar. Keine Ahnung wieso. Na, es gibt auch noch andere Fundstellen.
Das sind gute Nachrichten. Denn völkerrechtlich ist das gute Stück ja schon längst in Kraft.
Inzwischen ist es auch auf der BVerfG-Homepage wieder zu finden: https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20140318_2bvr139012.html
“Um eine Aussetzung der Stimmrechte zu vermeiden, hat der Bundestag daher nicht nur den auf die Bundesrepublik Deutschland entfallenden, in Art. 8 Abs. 2 Satz 2 ESMV geregelten Anteil am anfänglich einzuzahlenden Kapital im Haushalt bereitzustellen, sondern im gebotenen Umfang auch durchgehend sicherzustellen, dass die weiteren auf Deutschland entfallenden Anteile am genehmigten Stammkapital nach Art. 8 Abs. 1 ESMV im Fall von Abrufen nach Art. 9 ESMV, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 25 Abs. 2 ESMV, jederzeit fristgerecht und vollständig eingezahlt werden können (BVerfGE 132, 195 , Rn. 164). Ob eine Zahlungsaufforderung des Europäischen Stabilitätsmechanismus berechtigt ist, spielt insoweit keine Rolle. ”
Den letzten Satz finde ich durchaus bedenklich. Muss also zwingend jeglichen Zahlungsaufforderungen nachgekommen werden, um zu vermeiden, dass bei einem Stimmrechtsausschluss nicht durch den deutschen Bundestag demokratisch legitimierte, aber für Deutschland bindende Entscheidungen getroffen werden?
Was ist mit dem Umstand, dass die unrechtmäßige Zahlungsaufforderung ihrerseits keine demokratische Legitimation aufweist?
Dem lässt sich allenfalls entgegenhalten, dass die Kapitalabrufe wohl der Zustimmung des deutschen Vertreters bedürfen (zumindest diese formale Legitimation dürfte wohl zu verlangen sein) und zwar angesichts der Vetoposition auch im Eilverfahren.
Anderen Ländern wird ein solcher Luxus hingegen nicht zu Teil.
Das Urteil enthält schon Neues – so besteht eine verfassungsrechtliche Pflicht zum Erhalt eines deutschen Vetos im ESM-Gouveneursrat (Leitsatz 4, Rn. 190-183). Das spielt in der gegenwärtigen Praxis keine Rolle, weil der deutsche Kapitalanteil so hoch ist, dass das faktische Veto bei wichtigen Entscheidungen des ESM noch längere Zeit fortbestehen wird. Die Pflicht wird praktische bedeutsam werden, wenn der deutsche Kaptialanteil unter 20% zu fallen droht. Hätte das BVerfG über die 2003 eingeführte Rotation im EZB-Rat aus heutiger Zeit vielleicht ähnlich entschieden?
Die Ausführungen zu Weisungen des Parlaments gegenüber der Regierung (Rn. 238) und die haushaltsrechtliche Absicherung der deutschen Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem ESM sind auch bemerkenswert (Rn. 208). Es scheint, als müsse neben dem Nachtragshaushalt und der Notkompetenz des Bundesfinanzministers ein neues, drittes Instrument eingeführt werden.
@Hallstein: Den direkten Zusammenhang mit dem Rotationsprinzip der EZB sehe ich – vor dem Hintergrund der demokratischen Verantwortlichkeit – nicht. Bei der EZB gibt es ja (anders als beim ESM), das ist der Witz, eine solche demokratische Rückbindung gerade nicht (vgl. Art. 88 GG), sondern das rechtlich klar gefasste Mandat.
Kann jemand erklären, warum Herr Calliess plötzlich obdachlos ist? Im letzten Sommer wohnte er doch noch am Großen Wannsee 64? Hat er sich von seiner Frau getrennt?
@johannes: das sage ich dir aber nur, wenn du mir sagst, wieso Frau Lübbe-Wolff ihr Sondervotum nicht auch auf das führende Aktenzeichen erstreckt hat (https://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20140114_2bvr272813.html)
@johannes: Ich denke, er fürchtet sich vor dem Zorn der Euro-Gegner und meint, diese würden vor seinem Haus demonstrieren. Absurde Vorstellung.