29 March 2012

ESM-Gesetz: Drei Pünktchen für den Bundestag

Gesetzesvorlagen werden beim Bundestage durch die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages oder durch den Bundesrat eingebracht.

So steht es in Art. 76 I GG. Aber heißt das auch, dass die Gesetzesvorlage vollständig sein muss?

Die Frage stellt sich beim Gesetz zur finanziellen Beteiligung Deutschlands am Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Finanzierungsgesetz), das heute im Bundestag eingebracht wird. Der Fraktionsentwurf hat nominell vier Paragraphen, real aber nur drei, im Moment jedenfalls: Der dritte, mit “Beteiligungsrechte” überschriebene besteht nur aus drei Pünktchen.

Das geht gar nicht, finden namhafte Staatsrechtler wie Christoph Degenhart und Hanno Kube, und das Mastermind der Euroskeptiker unter den Staatsrechtslehrern Dietrich Murswiek sowieso. Zu entnehmen der heutigen Süddeutschen Zeitung. Der Entwurf sei “unvollständig” und “dürfte gar nicht gelesen werden”, zitiert die SZ Degenhart. Der Leipziger Staatsrechtler ist sowieso der Meinung, dass das ESM-Gesetz eines Volksentscheids bedürfte und deshalb verfassungswidrig ist.

Jetzt ist es aber so, dass in dem Pünktchen-Paragraphen die Beteiligungsrechte des Bundestags geregelt werden sollen. Das ist der Punkt, bei dem der Gesetzgeber immer wieder von Karlsruhe auf die Finger bekommen hat. Deshalb, so steht es in der Entwurfsbegründung listenreich, solle

die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages (…) im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens

erfolgen.

Das heißt: Der Bundestag soll mal zeigen, was er kann. Die Koalitionsfraktionen machen da mal gar keine Vorgaben. Wenn Herr Lammert glaubt, dass er so clever ist, dann bitteschön.

Die Regierungskoalition will offenbar keine Verantwortung dafür übernehmen, dass die Beteiligung des Bundestags nach dem Geschmack des Verfassungsgerichts ausfällt. Diese Regelung soll allein der Bundestag verantworten, und zwar als Ganzes.

Ist das verfassungswidrig? Das Bundesverfassungsgericht fordert, die Eigenständigkeit des Bundestags als Gesetzgebungsorgan gegenüber der Regierung ernst zu nehmen. Tut die Regierung bzw. ihre Fraktionen nicht genau das, wenn sie sich bei der Regelung der Beteiligungsrechte vornehm zurückhält?


3 Comments

  1. Consent Thu 29 Mar 2012 at 15:12 - Reply

    Würde ich inhaltlich genauso sehen. Im übrigen ist schon beim Gesetzesentwurf zur Änderung des StabMechG im September 2011 (BT-Drs. 17/6916 v. 5.9.11) in gleicher Weise verfahren worden. Damals wollte man das bereits für den 7.9.11 angekündigte Urteil des BVerfG abwarten.

  2. thrillhouse Thu 29 Mar 2012 at 16:04 - Reply

    Im Falle des StabMechG gab es nach dem Urteil des BVerfG v. 7.9.2011 dann doch eine krachend verfassungswidrige Vorgabe der Regierungskoalition, für die Karlsruhe ja fast nur noch Spott übrig hatte – Stichwort Neunergremium (Urt. v. 28.2.2012). Ich befürchte, dies wird sich hier wiederholen. Wer ist denn außerdem “der Bundestag”, der da mal schön machen soll? Irgendeine Fraktion wird ja mal einen Vorschlag machen müssen und in “normalen” Zeiten einer regierungsfähigen Koalition wird die Regierungsmehrheit ihre Vorstellungen durchbringen. Wenn “der Bundestag” allein und insgesamt ein Gesetz verantworten soll, dann ist dies durchaus ein problematischer Ansatz, geht doch dadurch die Opposition als künftig wählbare Alternative verloren, da sie ja auch “mitverantwortlich” ist. Dies fördert eine Parlamentsverdrossenheit in der Öffentlichkeit, die der Realität dieser Institution in keinster Weise entspricht.

  3. schorsch Thu 29 Mar 2012 at 21:09 - Reply

    in anderen fällen würde doch auch niemand ein problem darin sehen, wenn ein vorschlag für ein verfassungswidriges gesetz im laufe des gesetzgebung verfassungskonform geändert – und eine verfassungskonforme version beschlossen würde. oder anders: sähe der entwurf gar keine leerstelle, aber auch keine beteiligung vor und käme das parlament auf den gedanken, da müsse man doch was tun: wir hätten kein problem damit.
    zum anderen ist es natürlich schon eine leistung des bverfg, dass sich die regierungskoalition nicht in der lage sieht, die verfassungsrechtlichen anforderungen an ein solches gesetz zu antizipieren.

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