15 November 2012

EuGH korrigiert strikte Linie der ersten Instanz zu Anti-Terrorlisten

Der EuGH hat heute zwei Entscheidungen veröffentlicht, an denen Eric Posner und andere Apologeten einer entfesselten Exekutive ihre Freude haben dürften.

Es geht um das Einfrieren des Vermögens potenzieller Terror-Unterstützer und anderer Leute, die man aus mehr oder weniger guten Gründen für Schurken hält. Das ist ein Freiheitseingriff, wie man ihn unterhalb der Schwelle körperlicher Züchtigung sich kaum drastischer vorstellen kann. Man verliert jede wirtschaftliche Bewegungsfreiheit. Man wird quasi selber bei lebendigem Leib ökonomisch eingefroren. Und dafür reicht schon ein bloßer Verdacht. Bis vor einigen Jahren erfuhr man womöglich noch nicht einmal, aus welchen Gründen man auf die schwarze Liste gesetzt worden war, geschweige denn bekam man gerichtlichen Rechtsschutz dagegen.

Das änderte sich 2008, als der EuGH in seinem epochalen Urteil Kadi und Al-Barakaat für ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit bei der europäischen Umsetzung von Antiterror-Vorgaben des UN-Sicherheitsrats sorgte. Dieses Urteil war, wenngleich wegen seines angeblichen anti-völkerrechtlichen Zungenschlags nicht unumstritten, ein großer Moment in der Geschichte des europäischen Grundrechtsschutzes.

In den beiden heutigen Urteilen Al-Aqsa und Bamba scheint mir indessen ein anderer Geist zu wehen. Statt im Sinne des Grundrechtsschutzes auf strikter Rechtsauslegung zu bestehen, lässt der EuGH gegenüber der Exekutive pragmatische Milde walten.

Sanktion ohne nationalen Unterleib

Die niederländische Stiftung Al-Aqsa, angeblich eine Charity für arme Palästinenser, kam 2003 aufgrund eines Beschlusses der niederländischen Regierung auf die Anti-Terror-Liste. Dieser Beschluss wurde allerdings wieder aufgehoben, als die EU Al-Aqsa ihrerseits auf ihre schwarze Liste setzte.

Nun kann dies nach dem maßgeblichen EU-Recht die EU nur tun, wenn es einen Beschluss eines nationalen Gerichts oder einer Behörde gibt, die die Voraussetzungen  geprüft haben. Und dieser Beschluss war ja aufgehoben worden. Aus diesem Grunde waren das EuG in erster Instanz ebenso wie Generalanwältin Verica Trstenjak im Berufungsverfahren in strikt formaler Gesetzessubsumtion zu dem Ergebnis gekommen, dass der Ratsbeschluss gegen Al-Aqsa keinen Bestand haben kann. Es fehle dafür das “Substrat” in Gestalt eines nationalen Beschlusses.

Das ist kein bloßer Formalkram: Dieses Erfordernis, dass die EU jemand nur aufgrund eines solchen nationalen Beschlusses auf die Liste setzen darf, hat rechtsstaatliche Gründe. Es soll sicherstellen, dass man nur auf die Liste gerät, wenn und solange die nationale Justiz oder Polizei tatsächlich gegen einen ermittelt. Es soll auch sicherstellen, dass man von der Liste wieder herunterkommt, wenn diese Ermittlungen eingestellt werden, nirgends hinführen oder im Sande verlaufen. Es soll verhindern, dass man auf EU-Ebene wie in Kafkas Schloss immer weiter als Terrorverdächtiger herumgereicht wird, obwohl auf nationaler Ebene schon längst nichts mehr gegen einen vorliegt.

Alles schön und gut, sagt der EuGH, aber so eng darf man das nicht sehen: Der niederländische Regierungsbeschluss sei ja bloß aufgehoben worden, damit er sich nicht mit dem entsprechenden EU-Beschluss überschneidet, und das sei auch ganz gut und richtig so, von wegen Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Es habe doch einen nationalen Beschluss gegeben, im Rahmen dessen die Einfrierwürdigkeit der Al-Aqsa geprüft worden sei, und ob der nun formal weiterbesteht oder nicht, findet der EuGH offenbar nicht so entscheidend.

Kursorische Begründung reicht völlig aus

Im zweiten Fall Bamba geht es um eine Frau von der Elfenbeinküste, offenbar eine enge Verbündete des abgewählten Ex-Präsidenten und Bürgerkriegstreibers Laurent Gbagbo, deren Vermögen im Zuge von UN-Sanktionen eingefroren wurde. Die offizielle Begründung war, dass sie Direktorin eines Presseunternehmens gewesen sei, das zu Hass und Gewalt aufgestachelt und Desinformationskampagnen gefahren habe.

Diese Maßnahme focht Frau Bamba an, u.a. weil die Begründung nicht ausreichend sei, und bekam insoweit vor dem EuG in erster Instanz Recht: Direktorin eines Presseunternehmens gewesen zu sein, sei für sich genommen kein Grund für Sanktionen, und wie genau Frau Bamba selber zu Hass und Gewalt angestachelt und desinformiert habe, bleibe völlig offen. Die Begründung sei dazu da, damit man sich dagegen gerichtlich wehren kann, und mit dieser Begründung könne man das nicht.

Auch hier kann der EuGH die ganze Aufregung gar nicht verstehen. Wenn Frau Bamba Direktorin dieses Presseunternehmens war, dann hatte sie ja wohl selbst genügend Einblick in die ivoirianischen Verhältnisse 2010, um zu verstehen, worauf die UN-Sanktionen hinauswollten. Die Maßnahme gegen sie sei jedenfalls vollkommen okay begründet.

Executive Unbound

Eric Posner und Adrian Vermeule halten die Entfesselung der Exekutive deshalb für eine so tolle Sache, weil sie es einfach für albern halten, von der Legislative und der Judikative zu erwarten, sie könnten auch nur das Geringste dagegen ausrichten. Die Welt sei so kompliziert und schnell, dass Gesetzgeber und Richter einfach das dazu nötige Wissen fehle. Nicht durch Gesetze und Urteile werde die Exekutive daran gehindert, zur Tyrannei auszuarten, sondern dadurch, dass sie für ihre Handlungen politisch in Haftung genommen werden kann.

Die heutigen EuGH-Entscheidungen scheinen dieser Sicht der Dinge erst mal recht zu geben, jedenfalls was die Diagnose betrifft (wobei auf einem anderen Blatt steht, ob die EuGH bei eklatanteren Fällen auch so lax geurteilt hätte).

Was aber die Therapie betrifft, so zeigen diese beiden Fälle, wie schwach diese kraftmeiernde Position tatsächlich ist. Jedenfalls im internationalen Recht geht es um externe Wirkungen von Regierungshandeln, die gerade keine politische Haftung nach sich ziehen. Wenn ich das Vermögen irgendeines Afrikaners einziehe, dann hat dieser gerade keine Möglichkeit, gegen mich eine politische Mehrheit zu organisieren. Wenn ich einen Muslimverein drangsaliere, dann kostet mich das keineswegs das Vertrauen der politischen Öffentlichkeit, sondern es wächst womöglich sogar. Die Politik sorgt vielleicht dafür, dass die entfesselte Exekutive sich gegenüber ihren eigenen Leuten halbwegs zusammenreißt, gegenüber der Mehrheit jedenfalls. Aber für Minderheiten und Ausländer heißt entfesselt tatsächlich: entfesselt.

Natürlich kann man die beiden heutigen Urteile auch ganz harmlos lesen: Al-Aqsa und Frau Bamba werden da schon zu Recht auf diese Listen geraten sein, und die striktere Lesart der ersten Instanz war vielleicht im konkreten Einzelfall verzichtbar.

Aber mir wäre trotzdem wohler, wenn der EuGH die EuG-Urteile bestätigt hätte.


One Comment

  1. AX Fri 16 Nov 2012 at 08:53 - Reply

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