Evident daneben: eine Antwort auf Holm Putzke
Wenn Juristen überhaupt auf die empirischen Wissenschaften zurückgreifen, tun sie das meistens, um ihre Rechtsansicht zu untermauern. Häufig nutzen sie empirische Erkenntnisse daher – bewusst oder unbewusst – nur selektiv; die Auswahl der Quellen wird hingegen nicht thematisiert. Lawyers, könnte man angelehnt an Andrew Lang sagen, „use statistics in the same way that a drunk uses lamp-posts – for support rather than illumination.“ Da macht auch die Beschneidungsdebatte keine Ausnahme. Eine Ausnahme muss aber bleiben, wie nun manche Beschneidungsgegner einen Autor angreifen, der diesen Umgang mit Empirie zum Thema macht.
Was ist passiert?
Hendrik Pekárek hat Ende des vergangenen Jahres in der Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik einen „evidenzbasierte[n] Blick auf die Beschneidungsdebatte“ geworfen. Pekárek ist Research Fellow und Doktorand bei den Berliner Studien zum Jüdischen Recht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er geht den medizinischen Argumenten nach, die in der juristischen Diskussion für oder wider die medizinisch nicht indizierte Knabenbeschneidung ins Feld geführt worden sind. Der Versuch: die verwendeten medizinischen Studien auf ihre Beweiskraft zu untersuchen und ihnen widersprechende Studien gegenüberzustellen. Die evidenzbasierte Medizin liefert ihm dafür Kriterien wie das Studiendesign, das Publikationsmedium und das Vorliegen von Interessenkonflikten. Das Ergebnis: Die Auswahl vieler von den Beschneidungsgegnern in Bezug genommener Quellen in dieser Debatte ist angreifbar. Damit geht eine inhaltliche Pointe einher: Während die Beschneidungsgegner die gesundheitlichen Gefahren der Zirkumzision überschätzten, unterschätzten sie ihre Vorteile. Nur die Forderung nach effektiver Schmerzbehandlung lasse sich empirisch überzeugend untermauern. Allein aufgrund der Risiken und Auswirkungen der Beschneidung könne den Eltern die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung schwerlich verweigert werden.
Holm Putzke, Strafrechtsprofessor und 2012 als Beschneidungsgegner über die Rechtswissenschaften hinaus bekannt geworden, antwortete Ende Januar. Der Eintrag auf seiner Homepage verweist auf einen Blogbeitrag von Harald Stücker zu Pekáreks Artikel, der präzise auf den Punkt brächte,
„warum der Beitrag wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt, mit anderen Worten: wissenschaftlich wertlos ist.“
Und:
„Erneut zeigt sich, was passieren kann, wenn der klare Blick auf Fakten und grundlegende ethische Wertungen durch persönliche Betroffenheit verstellt ist. Doch selbst dieser Aspekt vermag nicht zu erklären, warum Pekárek einen derart evident tendenziösen Text verfasst hat und auch dadurch seine mangelnde wissenschaftliche Befähigung dokumentiert.“
Ende Februar ergänzte Putzke diesen Eintrag um einen Hinweis auf die inzwischen erschienene Erwiderung Rolf Dietrich Herzbergs in der ZIS und dessen Vorwurf, Pekárek verfälsche die Aussagen anderer Personen.
Putzke vergreift sich (erstens) im Ton, verdreht (zweitens) das Anliegen Pekáreks und konstruiert (drittens) dessen Befangenheit, um ihn von der Debatte auszuschließen.
Erstens: der Tonfall
Warum provoziert gerade der evidenzbasierte Ansatz Pekáreks eine solche Reaktion? Vermutlich, weil Putzke selbst die Fakten und den intellektuell aufrichtigen Umgang mit ihnen gerade für sich in Anspruch nimmt. Da wird Widersachern schon mal „Ahnungslosigkeit oder Täuschungsabsicht“ vorgeworfen, wenn sie von anderen Tatsachen ausgehen. Und Pekáreks Text ist eben „evident tendenziös“. Dass Pekárek sich auf objektive Kriterien beruft, scheint das ganze für Putzke nur noch perfider zu machen. Es muss ein Wolf im Schafspelz am Werk sein. So argumentiert auch Harald Stücker in dem Blogeintrag, den Putzke so präzise findet, wenn er Pekárek die „Fassade der unvoreingenommenen Neutralität“ zum Vorwurf macht. Eine solche Fassade – das muss man ihm lassen – vermeidet Putzke jedenfalls gewissenhaft. Leider vermeidet er auch jede Auseinandersetzung in der Sache – und ersetzt sie durch Angriffe auf die Person.
Zweitens: die Beweisführung
Die Irritation wird auch nicht geringer, wenn man Putzke als inhaltliche Auseinandersetzung die Verweise auf Herzberg und Stücker zugesteht. Deren Kernvorwurf ist, dass Pekárek empirisch beantworten wolle, was nur Ethik (Stücker) oder Juristerei (Herzberg) beantworten könnten. Dass Pekárek das normative Problem gar nicht in Zahlen aufgehen lassen will – „[d]ie Frage nach der Zulässigkeit der medizinisch nicht indizierten Zirkumzision ist und bleibt eine komplexe normative Wertung“ –, wird zur Nebensache. Um den Pekárek’schen Argumenten die inhaltliche Auseinandersetzung zu verweigern, wird der Text von dessen Kritikern einfach umgeschrieben.
So wirft Herzberg Pekárek vor, er überschütte den Leser mit „Einzelheiten aus ‚aktuellen internationalen Studien’, in deutlicher Voreingenommenheit zugunsten der Arbeiten, die ‚keine Unterschiede im generellen sexuellen Empfinden, sexuellen Wünschen, vorzeitiger Ejakulation und erektiler Dysfunktion zwischen beschnittenen und unbeschnittenen Männern’ herausgefunden zu haben behaupten.“ An der in Bezug genommenen Stelle sagt Pekárek allerdings ganz anderes. Er weist darauf hin, dass eine Studie – von Putzke zum Nachweis von Sensibilitätsverlusten angeführt und in Zusammenhang mit Erektionsstörungen gestellt – die von Herzberg zitierten Nachteile nicht feststellen konnte. Auch wenn Putzke die Gefahr der Erektionsstörungen nicht unmittelbar mit der Studie belegt, sondern aus (und in Widerspruch zu) ihren Ergebnissen folgert, ist doch Pekáreks Aussage eine vollkommen andere, als Herzberg ihm unterstellen will.
Drittens: das Betroffenheitsargument
Schließlich – und hier bekommt sein Kommentar noch einen besonderen Beigeschmack – spricht Putzke Pekárek wegen „persönliche[r] Betroffenheit“ die Fähigkeit ab, einen sachlichen Beitrag zur Beschneidungsdebatte zu leisten. Die Berliner Studien zum jüdischen Recht wie auch alle, die beschnitten sind oder Kinder haben beschneiden lassen, haben also zu schweigen.
Das Betroffenheitsargument krankt zweifach: Erstens fußt es auf dem Irrtum, eine Debatte profitiere davon, wenn man möglichst viele davon ausschließt, wahlweise weil sie betroffen sind oder eben nicht. Denn umgekehrt könnte das Argument ja auch funktionieren. Und zweitens suggeriert das Betroffenheitsargument, es gäbe so etwas wie Neutralität in dieser Frage und diese sei nur auf Seite der Beschneidungsgegner, der nicht Beschnittenen, der nicht Gläubigen zu finden. Das ist ebenso Unsinn, wie Frauen von der Gleichbehandlungsdebatte auszuschließen. Hier soll der juristische Diskurs abgeriegelt werden gegen vermeintlich fremde Einflüsse, gegen einen Brauch und seine Anhänger. Die Debatte soll nach dieser Logik eine Debatte über andere bleiben. Übrig bleiben Richter, die über das Fremde richten.
Pekárek mag auch zum normativen Problem eine Position haben. Das machte seinen Aufsatz aber nicht unwissenschaftlich oder seine sachliche Auseinandersetzung verwerflich. Im Gegenteil: Der sorgfältige Umgang mit empirischen Argumenten ist Voraussetzung für gute Wissenschaft. Wer Pekárek Unsachlichkeit nachweisen will, muss schon an seinen Methoden ansetzen. Er hat sie offengelegt. So bleibt Putzkes Beitrag nur ein Angriff auf die Debattenkultur in der Rechtswissenschaft.
Was für ein Kindergarten!
Gelungener Beitrag. Hat mir gut gefallen. Es entbehrt ja nicht einer gewisser Ironie, dass gerade Prof. Putzke anderen vorwirft sich im Ton zu vergreifen.
Die Debatte über die anatomischen Folgen von Genitalbeschneidungen wird ja schon seit längerem in der Medizin geführt, insbesondere zwischen Ärzten aus den USA aus Europa. In diesen Zusammenhang muss man auch den Aufsatz von Herrn Pekárek einordnen.
Natürlich wäre es grundfalsch, Betroffene von dieser Diskussion ausschließen zu wollen. Ganz im Gegenteil ist es sogar sehr wichtig, dass sich auch Betroffene dazu äußern. Das betont übrigens auch Herr Stücker im vorletzten Absatz seines Beitrags. (Ich persönlich bin z.B. selbst beschnitten.)
Allerdings sollte man natürlich auf mögliche Voreingenommenheiten und Interessenkonfltikte achten. Solche Voreingenommen *können* bestehen; teilweise sind sie auch deutlich erkennbar. Es gibt diverse psychologische und soziologische Gründe, um sich Genitalbeschneidungen schön- bzw. schlechtzureden, insbesondere, wenn man selbst betroffen ist. Diese Abläufe kann man gut verdeutlichen an der Paralleldiskussion um FGM. Dabei treten ganz ähnliche psychologische und soziologische Effekte auf.
Nehmen wir als Beispiel eine Frau aus dem Sudan, deren Klitoris amputiert wurde. Sie sieht das als wichtige Tradition Ihres Stammes an und ließ auch selbst die Klitoris ihrer Tochter amputieren. Nun hält diese Frau eine Amputation der Klitoris für völlig harmlos oder sogar für nützlich. Solche Menschen *gibt* es in diesen Kulturen, und zwar weit häufiger, als viele Leute im Westen glauben. Bei dieser Frau wird nun jeder, der halbwegs unvoreingenommen an die Diskussion herangeht, bemerken, dass sie ein ganz offensichtliches Interesse daran hat, diesen Eingriff schönzureden. Vielleicht verteidigt sie ihn, weil sie eine wichtige Praxis ihrer eigenen Kultur nicht kritisieren möchte. Vielleicht kann sie sich auch einfach nicht eingestehen, dass ihre eigenen Genitalien schwer geschädigt wurden, und dass sie ihrer Tochter den gleichen Schaden zugefügt hat. Solche Voreingenommenheiten sind natürlich nicht zwingend vorhanden, aber sie sind sehr naheliegend. Und wenn man Zuhörer aus der westlichen Welt darauf hinweist, werden die weitaus meisten das auch ganz offensichtlich finden.
Derartige psychologische und soziologische Abläufe finden sich ganz ähnlich auch bei der Diskussion um männliche Genitalbeschneidungen. Ich habe b.Z. mehrfach mit US-Amerikanern diskutiert, die offensichtich nicht in der Lage waren, diese Praxis auch nur im geringsten zu hinterfragen. Selbst die psychologischen Effekte und die Notwendigkeit einer Schmerzbehandlung werden dort oft heute noch geleugnet. Teilweise kamen dabei Rechtfertigungsversuche, die identisch waren mit solchen, die auch aus Pro-FGM-Kulturen kommen. Es gibt natürlich auch US-Amerikaner, die diese Praxis hinterfragen *können*, aber vielen fällt das sehr, sehr schwer. Das dürfte bei Moslems und Juden ähnlich sein, wobei dort noch die die religiösen Hintergründe hinzukommen. Die machen es noch schwerer.
Ich kann diese Schwierigkeiten, diesen Eingriff zu hinterfragen, nachvollziehen. Ich habe selbst Jahre gebraucht, um mich zumindest ergebnisoffen möglichen Schäden durch meine eigene Beschneidung zu beschäftigen. Vorher konnte ich die Argumente von Kritikern nicht einmal ernsthaft zur Kenntnis nehmen. Ich kann mir zwar nur vorstellen, wie schwer das sein muss, wenn es auch um die eigenen Kinder und/oder um Grundlagen der eigenen Kultur bzw. Religion geht.
Man kann und darf Leute, die selbst beschnitten sind, selbst beschnitten haben und/oder aus Pro-Bescheindungs-Kulturen stammen, nicht von der Diskussion ausschließen. Deren Standpunkt ist im Gegenteil sogar sehr wichtig. Aber soweit es um anatomische Folgen und mögliche Folgeschäden geht, muss man eine mögliche Voreingenommenheiten zumindest berücksichtigen.
Ich stimme Ihnen darin zu, dass Herr Stücker und Herr Putzke sich im Ton vergriffen haben. Das ist allerdings im Rahmen dieser Diskussion leider häufiger passiert und war/ist auf beiden “Seiten” leider fast schon eher die Regel als die Ausnahme.
Inhaltlich stimme ich Herrn Pekárek völlig zu, dass eine fundierte Bewertung von Genitalbeschneidungen nur auf Grundlage der Erkenntnisse evidenzbasierter Wissenschaft erfolgen kann. Ob Herr Pekárek selbst wissenschaftlich fundiert argumentiert oder aus einer voreingenommenen Sichtweise heraus, ist eine andere Frage. Das mögen Mediziner beurteilen.
Dieser Artikel ist evident Zeitverschwendung. Hatte gehofft, hier einige wissenschaftliche Fakten zu lesen eingebettet in juristische Argumente. Oder ebendiese untermauert mit ebensolchen. Wurde enttäuscht. Buh!
Soweit die Replik darauf abziehlt, dass der Autor ohne weitere Begründung angegriffen wird, haben sie hier natürlich recht.
Allerdings ist in der Arbeit von Pekárek was die Berufung auf Zahlen etc. angeht schon eine gewisse Tendenz zu erkennen:
2 Bsp. dazu:
Auf Seite 518 werden für Säuglinge in Israel und den USA 0,19% 0,2% 0,34% und für Erwachsene in Afrika 1,7-8,8% als einfache Komplikationsrate angegeben.
Die Schlussfolgerung auf Seite 519, dass das Risiko mit dem Alter zunimmt lässt sich aus diesem Zahlenmaterial nicht signifikant feststellen, da hier zwei vollkommen unterschiedliche Gruppen (Afrika-Israel,USA;…) verglichen wurden.
Auf Seite 519:
“Des Weiteren halten…. bis zu 32% … einer evidenzbasierten Überprüfung nicht stand”
…”…finden sich stattedssen Angaben von 0,01%, 0,55%, 0,9% 2,78-7,29%” “Bei der Studie …handelt es sich somit um eine klassische “Ausreißerstudie”.
Hier wird vom Author das Ergebnis einer Studie als Ausreiser bezeichnet. Denn lässt man die 2 Extremwerte oben und unten weg, so kommt man auf einen Mittelwert von ca. 2,88%. Der kritisierte Wert von 32% liegt hier um das 11,1 fache höher. Umgekehrt ist aber der Wert von 0,01% um das 288 fache geringer als der Mittelwert und auch um das 55 fache kleiner als der nächst höhere Wert.
Dass der Author diese Studie nicht als Ausreiser kennzeichnet hinterlässt den Eindruck, dass die Studie nicht unbdingt neutral abgefasst wurde sondern geringe Werte tedentiell bevorzugt werden.
Für eine evidenzbasierte Studie und insbesondere, da in der Studie selbst öfters das geringe Datenmaterial erwähnt wird, wäre ein umfangreiche Recherche in medizinischen Datenbanken notwenig gewesen, die lt. der Studie aber nur anhand von Metasuchmaschinen und 2 (kostenlosen) Datenbanken gemacht wurde.
Das große Problem bei der medizinischen Debatte:
Die Auswirkungen von Genitalbeschneidungen kann man nicht mit Doppelblindversuchen untersuchen. Und man kann sie erst dann auf die zuverlässigste Art untersuchen, nämlich indem man bei einer Gruppe von Probanden zufällig die einen beschneidet und die anderen nicht, wenn man sich *vorher* festgelegt hat, dass solche Experimente ethisch vertretbar sind. Das schließt sehr viele Forscher von vorne herein aus.
Am viel extremeren Beispiel der sog. pharaonischen Beschneidung sieht man sehr deutlich, wohin das führt. Einen Arzt, der damit solche Versuche machen würde, würde man zu Recht als offensichtlich kriminellen Gesinnungstäter nicht ernst nehmen. Seine mögliches Ergebnis, dass die pharaonische Beschneidung bei ‘richtiger’ Durchführung harmlos und weitgehend schmerzfrei ist und außerdem die Gefahr, sich in der Folge mit AIDS zu infizieren, um 2% reduziert, würde zu Recht niemand glauben.
Zurück zur Genitalbeschneidungen bei Jungen und Männern. In den medizinischen Metastudien gelten die afrikanischen Studien, die bei ihren zahlreichen Probanden zufällig eine Beschneidung ausführen oder nicht als besonders zuverlässig, da methodisch sauber. Diejenigen Studien, die nur Männer untersuchen, die von anderen unabhängig von der Studie sowieso auf eigenen Wunsch beschnitten werden/wurden, gelten dagegen als weniger aussagekräftig.
Außer Acht bleibt dabei der Einfluss des Ausführenden der Untersuchung. Selbst im eigentlich methodisch viel weniger problematischen vorklinischen Bereich der medizinischen Forschung ist Betrug leider offensichtlich nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Von 53 in einer berühmten Arbeit untersuchten wegweisenden Arbeiten aus der Krebsforschung waren nur 6 reproduzierbar! Bei den anderen gaben die Autoren z.T. auf Nachfrage unter vier Augen freimütig ihre Manipulationen zu. http://www.nature.com/nature/journal/v483/n7391/full/483531a.html
In der klinischen Forschung gibt es ähnlich schlimme Skandale wie z.B. den Fall des Ludwigshafener Arztes, der über Jahre die Fachwelt mit frei erfundenen Studien zum Narren hielt und veranlasste, wirkungslose Mittel einzusetzen. Das flog schließlich auf, weil jemand auffiel, dass diese Studien nicht durch die Ethik-Kommission gingen.
Den Schmerz, den wenn schon nicht alle, dann zumindest viele Säuglinge bei einer Beschneidung empfinden, kann man erahnen, wenn man sich einige der vielen Youtube-Videos von medizinischen Beschneidungen in den USA anschaut. Da wird teils minutenlang an der nicht oder unzureichend betäubten Vorhaut herumgeschnitten, aus guten Gründen immer ohne Vollnarkose. Man kann diesen Schmerz dann verleugnen, indem man behauptet, bei Säuglingen sei das Schmerzempfindungen noch nicht so ausgeprägt. (Allerdings gibt es da auch eine genau entgegengesetzte Meinung.) Oder, und das liegt bei einem solchen Thema ja auf der Hand, man kann den Schmerz messen, um sich sicher zu sein.
Das geht allerdings nur, wenn man solche Versuche überhaupt für ethisch vertretbar hält. Dadurch hat man aber bereits eine Entscheidung über das Ergebnis getroffen. Sollte es sich bspw. herausstellen, dass 5% der Säuglinge Schmerzen haben, die schwerster Folter entsprechen, hat man sich (so unfair das ist) nachträglich auf übelste Weise als Kinderquäler selbst disqualifiziert. Da erfordert es wahre Größe und Selbstverleugnung, die betreffende Studie zu publizieren und nicht einfach unter den Tisch fallen zu lassen.
Meines Wissens wurden keine solchen Studien publiziert. Offenbar wollen die dafür in Frage kommenden Forscher es also dann doch lieber nicht so genau wissen. Oder, noch schlimmer, es gab solche Studien und sie wurden alle nicht publiziert, woraus man dann auf das Ergebnis schließen kann.
Sehr schöner Artikel. Schön zu sehen, dass mittlerweile wenigstens der “Nachwuchs” stabilere wissenschaftstheoretische Fundamente hat. Weiter so.
Wenn zwei Mitarbeiter der Humboldt-Uni eine Verteidigungsschrift für einen anderen von der gleichen Uni verfassen, dann hat das mehr als nur ein Geschmäckle…
@ Mendelssohn: Och, es lässt doch immerhin vermuten, dass der Autor Pekárek privat ein netter Kerl ist, und das ist doch schonmal was.
Und dass der Chef der beiden Autoren Bethge und Frau Zwiffelhoffer, also Herr Möller, einerseits als Mitdirektor im dortigen Institut “Berliner Studien zum Jüdischen Recht” firmiert (dem der Autor Pekárek als Mitarbeiter angehört), andererseits als Leiter des Forschungsprojekts “Verfassungsblog: Perspektiven der Wissenschaftskommunikation in der Rechtswissenschaft” engagiert ist (aus dem der “Verfassungsblog” viel Geld bekommt), wird sich sicher in Gestalt qualifizierter Zusatzinformationen auch nur im besten wissenschaftlichen Sinne positiv auf den vorliegenden Artikel ausgewirkt haben.
Ich verstehe nicht ganz, was Ihr Problem ist. Wo Autoren und Betroffener arbeiten, haben wir offengelegt. Ob beide sich aus der Uni kennen, weiß ich nicht, aber selbst wenn – na und? Hat es auch ein Geschmäckle, dass Putzke ein Schüler von Herzberg ist? Christoph Möllers (so schreibt sich der, @Gast) hatte mit der Entscheidung, diesen Artikel zu bringen, überhaupt nichts zu tun, und schon gar nicht die HU selbst.
Mathias Voss schrieb in seinem an sich sehr ausgewogenen Kommentar dann ein Fazit, dem ich widersprechen muss: “Inhaltlich stimme ich Herrn Pekárek völlig zu, dass eine fundierte Bewertung von Genitalbeschneidungen nur auf Grundlage der Erkenntnisse evidenzbasierter Wissenschaft erfolgen kann.”
Er sagt damit, genau wie Pekárek, nur, wer die Untersuchungen der seriösen Wissenschaft zum Thema “medizinisch nicht indizierte Genitalbeschneidung” auswertet, darf bewerten, ob diese medizinisch nicht indizierte Genitalbeschneidung rechtens sein darf.
Das ist – mit Verlaub – grober Unfug und ein unbeholfener Rechtfertigungsversuch. Denn die Menschenrechte greifen weit vor einer medizinisch-wissenschaftlichen Untersuchung darüber, ob medizinisch nicht indizierte Eingriffe einem Menschen nun körperlich oder psychisch mehr schaden als nutzen. Sie haben zu unterbleiben, da auch Kinder ein Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf genitale Selbstbestimmung und eine eigene Würde haben.
Pekáreks Versuch, jenseits aller Scheinargumente, die wir in der Debatte oft genug von Seiten der Beschneidungsbefürworter gehört zu haben, mit angeblich evidenzbasierter Empirik zu punkten, scheitert daran, dass seine Untersuchungen erstens nicht umfassend sind und zweitens versuchen, Menschenrechte durch wissenschaftliche Untersuchungen zu beugen. Das kann und darf nicht funktionieren. Sonst brauchen wir keine Menschenrechte mehr.
Wie arrogant dieser “Debattenbeitrag” ist, belegt schon dieses Zitat:
“und diese sei nur auf Seite der Beschneidungsgegner, der nicht Beschnittenen, der nicht Gläubigen” , suggeriert es doch, dass “Beschneidungsgegner” nur unter “Ungläubigen” und “nicht Beschnittenen” zu finden seien. Wie niederträchtig!
Wie sieht die Situation in Wahrheit aus?
Tatsache ist, dass die “Beschneidungsgegner” mehrheitlich in Wirklichkeit nicht die Vorhautamputation an sich kritisieren und abschaffen wollen. Es geht vielmehr darum, Kindergenitalien vor den Übergriffen Erwachsener zu schützen. Die Entscheidungsbefugnis Erwachsener über ihre eigenen Genitalien dagegen steht überhaupt nicht zur Debatte. Doch mit geschickter Wortwahl lässt sich ein “Gegner” leicht diffamieren.
Wichtiger jedoch ist, dass hier der Eindruck erweckt werden soll, der Status des “Beschnittenseins” sei gleichbedeutend mit “zufrieden” und dieser Praxis kritisch gegenüber zu stehen, sei ausschließlich unbeschnitten und damit unwissenden und, ungläubigen Menschen vorbehalten. Das Recht, als “Betroffener” an der Debatte Teil haben zu wollen, wird damit vehement gefordert. Aber doch bitte NUR den betroffenen Männern, die diese Praktik verteidigen. Negativ betroffene Männer gebe es nicht.
Tatsächlich erleben wir in den letzten Jahren eine zunehmende Bereitschaft von beschnittenen Männern, ihre als Einschränkung der eigenen Sexualität und Verletzung der körperlichen Unversehrtheit empfundenen Genitalbeschneidung zumindest in der Anonymität des Internet offen aus- und anzusprechen. Doch werden diese Protagonisten zur Teilnahme an der Diskussion gebeten? Nein, ihre Erlebnisse, Probleme und Ängste werden als bestenfalls als Einzelfälle abgetan, als Kollateralschaden abgehakt, größtenteils jedoch – so geschehen während der Gesetzgebungsphase 2012 – konsequent ausgeklammert und von Gesprächen aus- bzw. gar nicht erst eingeladen.
Wer sich auf Internetplattformen wie z.B. dem http://www.beschneidungsforum.de, http://www.mogis-verein.de, oder den zahlreichen Medizinforen umsieht, auf denen beschnittene Männer über ihre Probleme klagen, sich austauschen und über Möglichkeiten der Vorhautwiederherstellung sprechen, mag zu einem differenzierten Bild kommen. Die “evidenzbasierte Wissenschaft”, die ausschließlich die kalten Daten und Fakten zusammenträgt und auswertet, welche schön in das zu zementierende Weltbild passen, disqualifiziert sich selbst, wenn über Menschenschicksale hinweg gegangen wird, sofern sie sich nur irgendwie als “Einzelschicksale” und “Kopfgeburten” abqualifizieren lassen. Ich, als einer dieser Betroffenen, empfinde diese Haltung als zynisch und menschenverachtend.
Selbstevident.
“Dass Pekárek das normative Problem gar nicht in Zahlen aufgehen lassen will – „[d]ie Frage nach der Zulässigkeit der medizinisch nicht indizierten Zirkumzision ist und bleibt eine komplexe normative Wertung“ –, wird zur Nebensache. ”
Ja, das wird zur Nebensache, weil Pekárek diese Wertung ja eben anhand seiner evidenzbasierten Wertung vornimmt:
“Vor dem Hintergrund der aktuellen medizinischen
und psychologischen Forschungslage erscheint es nicht
überzeugend, den Eltern bzw. Sorgeberechtigen eines Knaben
die rechtfertigende Einwilligung in den Eingriff allein
aufgrund dessen vermeintlicher Risiken und Auswirkungen
zu versagen. Der Gesetzgeber hat dies erkannt und mit der
Einführung des § 1631d BGB angemessen darauf reagiert.”
Andere Kriterien nennt er nicht und bezieht sie auch nicht ein und kommt doch zu diesem Schlusss. Da noch zu behaupten, dass die Kritiker seinen Text umgeschrieben hätten, ist schon ein wenig dreist. Pekárek übernimmt die Wertung des Gesetzgebers und als Argumente führt er keinerlei normativen Aspekte an. Das lässt keinen Spielraum für über die zahlenbasierte Wertung hinausgehende Aspekte. Sein evidenzbasierter Blick reicht ihm aus, um die Richtigkeit der Entscheidung des Gesetzgebers zu erkennen. Wenn die im Artikel gemachte Unterstellung, dass man Pekárek etwas untergeschoben hätte, zutreffen würde, dann hätte seine Ausführung nach dem eingangs zitierten Satz zu Ende sein müssen oder er hätte sich seines Fazit enthalten müssen. So erscheint es als ob Bethge und Zwiffelhofer hier ein ungerechtfertigtes Draufschlagen praktizieren und somit ihren eigenen Anspruch, die “Debattenkultur in der Rechtswissenschaft” zu wahren, ad absurdum führen.
Wiewohl ich mit Holm Putzke der Beschneidung von Neugeborenen und Kindern aus Gründen, die nicht einer medizinischen Indikation entsprechen, sehr kritisch gegenüber stehe, ist sein Vorwurf, der Kollege Pekárek habe sich im Ton vergriffen, für mich wenig nachvollziehbar. Dass für die Teilnahmefähigkeit an der Debatte eine eigene (religiöse) Motivation ein Defizitkriterium sein soll, ist natürlich auch unzutreffend, wird aber von Putzke auch nicht behauptet. Richtig ist vielmehr wohl: Es gibt auf beiden Seiten der Diskussion “Agenden”, die für sich legitim sind und auf Übersetzung in Begriffe und Argumente des Rechts angewiesen sind, das gilt für Holm Putzke und mutmaßlich auch für Hendrik Pekárek gleichermaßen.
Entscheidender als Putzkes Kritik am Beitrag von Hendrik Pekárek, scheint mir, und das kommt im obigen Beitrag leider nicht angemessen vor, was Herzberg auf Pekárek erwidert hat und was selten so deutlich geworden ist, wie in Pekáreks Beitrag: Ist es nicht eher so, dass nicht die Beschneidungs k r i t i k e r auf medizinische Expertise angewiesen sind, um ihre Auffassung zu plausibilisieren, sondern die Beschneidungs b e f ü r w o r t e r? M.E. völlig richtig weist Herzberg darauf hin, dass die Beschneidung Körperverletzung ist – und nur wer sie entgegen der gängigen Strafrechtsdogmatik zulassen will, ist auf eine Kombination medizinisch-tatsächlicher (“halb so wild”) und normativer (Art. 4, Art. 6 der Eltern) Argumente angewiesen. Die medizinische Marginalisierung des Eingriffs ist Voraussetzung dafür, seine Anordnung überhaupt als von den Grundrechten der Eltern erfasst anzusehen. Und in Ansehung dessen finde ich das Überspielen einiger der evidenzbasierten Ergebnisse der von Hendrik Pekárek selbst zitierten Studien wiederum erstaunlich. Wenn nach der von ihm zitierten Studie (van Howes,Clinical Pediatrics 2006, 49 (50)) in etwa 2,8-7,3 % der Fälle eine Meatusstenose vorkommt, dann mag man über 2,8% noch irgendwie wegkommen, über 7,3% aber sicher nicht mehr ohne größere Anstrengungen, die im Beitrag aber fehlen. Wie unbefriedigend und natürlich uneindeutig das rechtliche Wägen solcher Prozentwerte ist, verdeutlicht nur umso mehr, dass Herzberg zurecht die Entscheidung über die Beschneidungszulassung vorrangig als
R e c h t s frage bewertet. Für deren Beantwortung haben die Studien indizielle Funktion, sie substituieren das rechtliche Argument aber nicht. Die fein ziselierte Strafrechtsdogmatik und die nicht minder fein differenzierte Grundrechtslehren geben uns m.E. hinreichend Instrumente, die R e c h t s frage zu beantworten.
.
Man sollte sich einfach einmal dieses Interview mit Holm Putzke durchlesen, um sich ein Urteil über dessen wissenschaftliche Redlichkeit machen.
http://hpd.de/node/14709
Dass Politiker und Minister alle zu dumm sind, die Problematik zu erkennen – geschenkt.
Dass ihm nicht genehme Stellungnahmen “keinen Pfifferling” wert sind, schon überraschend.
Dass ein Strafrechtler einem Ordinarius des Öffentlichen Rechts vorwirft, er würde die verfassungsrechtlichen Probleme “nicht ansatzweise erfassen” höchst befremdlich.
Dass aber die wissenschaftliche Validität von Untersuchungen mit dem Argument in Zweifel gezogen wird, die Projektgruppe bestehe aus Menschen, die “teilweise sogar ihre eigenen Kinder hatten beschneiden lassen.”, verlässt den ernstzunehmenden Diskurs. Die den Ritus praktizierende Juden haben sich also gefälligst als befangen zu erklären und zu schweigen.
So etwas hat man von einem deutschen Rechtswissenschaftler lange nicht mehr gehört!
Mit “die teilweise sogar ihre eigenen Kinder hatten beschneiden lassen” meinte Holm Putzke sicherlich unter anderem Andrew Freedman, der freimütig bekannte:
“Yes, I do. I circumcised him myself on my parents’ kitchen table on the eighth day of his life.”
Und wer sich dergestalt über grundlegende ärztliche Prinzipien hinwegsetzt, muss glaube ich nicht damit rechnen, dass ihm Unbefangenheit attestiert wird. Wer dergleichen in Deutschland täte, stünde auch mit §1631d klar in der Illegalität.
Dass und warum der geänderte AAP Report einen nicht neutralen Standpunkt hat, können Sie hier nachlesen (werden Sie sicher bereits kennen):
http://pediatrics.aappublications.org/content/early/2013/03/12/peds.2012-2896.full.pdf
Dass Holm Putzke sich dahingehend geäußert habe, dass “Die den Ritus praktizierende Juden […] sich also gefälligst als befangen zu erklären und zu schweigen” haben, ist auch eher eine böswillige Unterstellung als eine durch Fakten belegte Aussage. Einen derart offensichtlichen Interessenskonflikt muss man benennen dürfen. Davon, dass sich Juden nicht zu dem Thema äussern dürften, kann ich bei Herrn Putzke nichts lesen.
Putzke ist ein Meister der Provokation (was auch in der Wissenschaft legitim ist) und freut sich sicher wie ein Schneekönig, wenn er liest, wie sich die beiden Möllers-Lehrstuhlmitarbeiter und einige Diskutanten (z.B. querdenker) da über ihn beklagen. Im Tonfall vergriffen? Ja heult doch! Pekáreks Beitrag ist auch im Tonfall maßlos gegenüber zahlreichen Beschneidungskritikern und inhaltlich anscheinend mangelhaft. Ja und? Deswegen fängt doch auch niemand gleich an herumzujammern. Kritik daran zu üben, ist absolut legitim. Wer deftige Kritik nicht aushält, sollte am besten früh das Bett nicht verlassen (oder keinen Anlass für Kritik liefern). Putzkes Beweisführung taugt nichts? Als ob er nicht nachlegen könnte. Darauf hat er doch nur gewartet. Danke, Johannes Bethge und Lara Zwiffelhoffer, dass ihr ihm diesen Gefallen getan habt. Putzkes Betroffenheitsargument hat einen „besonderen Beigeschmack“? Danke, Johannes Bethge und Lara Zwiffelhoffer, dass ihr ihm nun auch noch die Gelegenheit gebt, Werbung für das Buch von Matthias Franz zu machen (was er bei Facebook auch sogleich getan hat).
Und es ist naiv zu glauben, als sei Möllers vollkommen unbeteiligt. Als ob Mitarbeiter so einen Beitrag verfassen, ohne dass ihr Chef Bescheid weiß oder es billigt. Das alles riecht nach einer durchsichtigen Revanche von Leuten mit einer Nähe zu den „Berliner Studien zum Jüdischen Recht“. Man mag ja über Putzke denken, was man will, aber ihm eine derartige Vorlage zu liefern, ist dilettantisch.
Man könnte glatt sagen: evident dilettantisch…
Womit im Übrigen der ziemlich alberne Beitrag meines Vorredners gemeint war.
Wenn man für sich in Anspruch nimmt die Methodik einer anderen Wissenschaft anzuwenden, dann sollte man dies auch tun und deren Konventionen beachten. Pekárek versteht sich prächtig darauf in der Methodik-Sektion eine Nebelkerze nach der anderen zu zünden und die entscheidenden Punkte zu übergehen.
Als Beispiel: Der Impact-Factor eines Journals, dieser ist zudem klassischerweise der des ISI, sagt nichts über die Qualität der dort erschienenen Artikel aus, sondern ist schlicht ein Maß dafür wie oft Paper dieser Journals zitiert werden und das ist direkt davon abhängig, ob die “scientific community” das Thema als sexy beurteilt oder nicht.
Wird in der bimedizinischen Wissenschaft eine Literaturauswertung durchgeführt sind die Suchkriterien exakt anzugeben. Das heißt: Der Zeitraum in welchem Paper berücksichtigt werden ist anzugeben, die exakten Suchstichworte, die Kombination von Operatoren wie OR, AND, NOT etc. sowie die benutzte(n) Datenbank(en). Dann ist die exakte Trefferanzahl, soweit mehrere Datenbanken genutzt wurden jeweils für diese getrennt, anzugeben. Hat man diese Zahl muss offen gelegt werden wie die Suchergebnisse gesichtet wurden und von wem und wieviele Paper nach Sichten von Abstract und Volltext letztlich übrig blieben. Dann ist anzugeben, ob Snowballing(das Durchsuchen der References nach weiteren in Frage kommenden Papern) praktiziert wurde und schlußendlich ist die Zahl aller eingeschlossenen Paper anzugeben.
Alle diese Kriterien werden von Pekárek nicht mitgeteilt, somit hat man als Leser keine Möglichkeit die Validität der Daten zu überprüfen. Das Ziel von Pekárek soll eine evidenzbasierte Betrachtung sein. Berücksichtigt man aber nicht einmal die basalsten Regeln muss man sich als Leser schon fragen, ob hier nicht eigentlich das Gegenteil versucht werden soll. Sich in der Methodik darauf zu beschränken nur die Datenbanken anzugeben hat in etwa das wissenschaftliche Niveau eines Mittelstufenschülers der auf “Google” als Quelle seines Referates verweist.
Betrachtet man die Ergebnisse so gibt es auch hier Auffälligkeiten. Ein Beispiel: Die Ergebnisse der unterschiedlichen Arbeiten werden durcheinandergeworfen und gegeneinander verglichen ohne eine Gewichtung nach Studientyp vorzunehmen. Insbesondere fällt dies bei der vielfach bemühten Metaanalyse von Weiss et al. aus dem BMC Urol auf. Eine Metaanalyse mit Primärergebnissen zu vergleichen ohne die erstere zu bewerten. Konsequent wäre es natürlich gewesen die Primärergebnisse der Metaanalyse heranzuziehen. Auffällig ist auch, dass immer nur eine Zahl mitgeteilt wird, mutmaßlich der Mittelwert. Dieser ist jedoch ohne Konfidenzintervall in einer vergleichenden Auswertung nicht vernünftig zu bewerten. Eine Bewertung der jeweiligen Arbeit findet aber sehr wohl statt, wenn die Ergebnisse nicht der (erwünschten?) Zielrichtung entsprechen(als Beispiel nur Fußnote 90 und 96).
Dies ließe sich noch beliebig fortsetzen, jedoch wäre es im Ergebnis sinnlos. Bereits die nicht eingehaltenen methodischen Voraussetzungen sprechen Bände.
@Ununubium: Sehr nette Meta-Kritik von Ihnen. Aber sehen Sie es nicht als Fortschritt an, dass der von Ihnen so kritisierte junge Mann wenigstens einmal den Anlauf unternimmt, überhaupt Standards einzuhalten? Dass er da noch Verbesserungspotential aufweist, ist richtig. Aber ist Ihnen das total freihändige Fabulieren über Tatsachen wirklich lieber?
Während Pekárek zu Recht davon ausgeht, dass man bei der Entscheidung dieser Frage an den durch Naturwissenschaften gelieferten Anknüpfungstatsachen nicht vorbeikommt, wird der Fokus mE zu Unrecht zu sehr auf die gesundheitlichen _Nachteile_ gerichtet.
Es reicht aber vollkommen aus, dass für einen beschnittenen Mann bestimmte Dinge _anders_ sind bzw. sich anfühlen. Nicht schlechter, sondern anders.
Genauso verwerflich wäre es, wenn zB in Zukunft ein Wachstumshormon ohne Nebenwirkungen entwickelt würde, dieses den Kindern ungefragt zu verabreichen. Zwar ist es nicht “schlechter”, 2 m 20 groß zu sein; es ist aber anders. Das körperliche Selbstbestimmungsrecht verbietet eine solch radikale Einmischung.
@Aufmerksamer Leser: Sie wissen so gut wie ich, dass die Antwort auf die Fragen grundsätzlich ja ist. Nur gibt es ein paar Fragen die man sich dazu stellen sollte: Wie weit möchte man die Standards senken, nur weil überhaupt jemand versucht Standards einzuhalten und dabei bereits beim Verlassen des Startblocks scheitert. Meine wissenschaftliche Ausbildung in den biomedizinischen Wissenschaften beschränkt sich auf die in Juristenkreisen so gerne belächelte (strukturierte) medizinische Doktorarbeit. Soll dies das Niveau sein das man in den wissenschaftlichen Diskurs einbringt? Zwar mag der Einäugige der König unter den Blinden sein, doch hier spricht ein Blinder von den Farben und wieviele der Adressaten können die Qualität beurteilen?
Nach dem bisschen Einblick den man über juristisches Publizieren bis zur Zwischenprüfung gewinnt kann ich mir keine Meinung darüber bilden, ob das Konvention ist Artikel in derart starken Worten zu verfassen, dass man als Leser den Eindruck gewinnt nur diese Meinung sei die allein selig machende. Das ist so gegensätzlich zu dem was ich als Standard kennen gelernt habe; für den Watson und Cricks Artikel zur DNA-Struktur stellvertretend stehen kann. Zudem halte ich es für vermessen so zu schreiben, wenn man sich “auf fremdes Terrain” begibt. Und dabei grandios scheitert.
@ununubium: Den Tonfall zu verfehlen ist sicher unclever, der junge Mann macht sich unnötig Gegner. Aber Sie werden ja aus Ihrem Fachgebiet wissen, dass die gänzlich unpersönlich verfassten naturwissenschaftlichen Beiträge nicht unbedingt die Lesefreude erhöhen. Wie dem auch sei: der Ton macht wissenschaftlich eben nicht die Musik. Denn eine arrogant vorgetragene nette Idee bleibt eine nette Idee, auch wenn sie arrogant vorgetragen wird. Umgekehrt ist demütige Unterwürfigkeit keine Garantie dafür, dass etwas relevantes gesagt wird. Ich bin vielleicht dickfellig, aber ich pflege über den Ton generell zu abstrahieren. Was die evidenz-basierten Ideen angeht, muss man inhaltlich jedenfalls sagen, dass in den juristischen Diskursen davon noch nahezu nichts angekommen ist. Seien Sie doch einfach froh über einen der ersten “Blinden”, der sich überhaupt in den “Startblock” begibt – auch wenn er dabei Ihrer Auffassung nach grandios scheitert: ein kleiner Schritt für den Naturwissenschaftler ist in diesem Fall ein großer Schritt für die “Menschheit” der Juristen.
Pekárek begründe seinen „Blick auf die Beschneidungsdebatte“ mit dem Verweis auf das von ihm Gelesene, und sein Blick entspräche deshalb wissenschaftlichen Standard, weil das Gelesene selbst wissenschaftliche Belege seien.
Die Beurteilung, sein Blick sei deshalb „evident daneben“, ist unwissenschaftlich.
Aber auch Pekàreks Blick wird nicht dadurch wissenschaftlich, weil oder wenn dieser Blick als „evidenzbasiert“ bezeichnet wird.
Wissenschaft beginnt damit, “über den Ton generell zu abstrahieren” (Aufmerksamer Leser)
Man fragt sich bloß: Was hat der Artikel der Autoren im VERFASSUNGS-Blog zu suchen… Da dürfte “Gast” wohl richtig liegen, wenn er vermutet, dass eine Veröffentlichung eines solchen verfassungsblog-fremden Textes ohne eine Verbindung zum Leiter des Forschungsprojekts “Verfassungsblog: Perspektiven der Wissenschaftskommunikation in der Rechtswissenschaft” kaum zustandegekommen wäre, was die ganze Sache zu diskreditieren geeignet ist, weil sich da offenbar ein paar Leute mächtig über die Putzke’sche Kritik geärgert haben und nun “Strohmännern/-frauen” antanzen lassen.
@ Geneigter Leser: Ich würde ja eher annehmen, dass der Beitrag auf die hier im Blog breit geführte Diskussion zur Beschneidung (die nun sehr wohl auch ein Verfassungsproblem ist) Bezug nimmt…
@geneigter Leser: Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Herr Möllers schlaflose Nächte verbringt wegen eines strafrechtlichen One-Trick-Pony. Umgekehrt halte ich es aber für überaus wahrscheinlich, dass er keiner Strohmänner bedürfe, um seiner Kritik Ausdruck zu verleihen.
@Aufmerksamer Leser
Ist schon ungewöhnlich, dass sich zwei Mitarbeiter wegen ein paar kritischen Zeilen herausgefordert fühlen, die nicht in Form eines Aufsatzes o.Ä. veröffentlicht wurden, sondern auf einer privaten Homepage stehen, wo von der Kritik im Zweifel ohnehin niemand Kenntnis genommen hätte. Erst die beiden Mitarbeiter mit ihrem Beitrag haben zur Verbreitung der Kritik an dem Pekárek-Aufsatz beigetragen. Klingt alles sehr nach Auftragswerk.
@geneigter Leser: oh, Sie spielen auf den Streisand-Effekt an? Wenn ich Ihre Theorie richtig verstanden habe, will also Herr Möllers (der “Kopf”) den Strafrechtler (das “Opfer”) berühmt machen, indem er seine Assistenten (die “Autoren”) dazu benutzt, hier mächtig Wind zu machen? Ein verdammt cooler Plan! Möllers sitzt jetzt bestimmt Zigarre paffend in seinem Tennisplatz-großen Büro und sagt: “Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!”
Ich glaub nicht, dass da ein großer Plan dahintersteckt. Das alles ist ziemlich dilettantisch aufgezogen. Kein Mensch hätte Kenntnis erlangt von dem Putzke’schen Homepageeintrag. Erst die Möllers-Lehrstuhlmitarbeiter haben die Kritik von Putzke und Herzberg bekannt bemacht. Blöd gelaufen…
Der Verlauf der Beiträge lässt befürchten, dass sich der Diskurs stark vom Ausgangs-Thema und auch dem juristischen Rahmen dieses Blogs entfernt.
Meiner Meinung nach lassen sich hier jedoch beiden Trägern der Hauptdiskussion ähnliche Vorwürfe machen, Pekarek bestreitet die Objektivität von medizinischen Studienergebnissen welche bisher von Beschneidungs-Gegnern gefördert wurden, nicht ganz unähnlich Putzkes Kritik an Pekareks Objektivität als Mitglied der Berliner Studien zum jüdischen Recht. Das ist von beiden vielleicht etwas subjektiv.
Letztlich empfinde ich die Kritik Holm Putzkes jedoch in genau dieser Hinsicht als zu kurzsichtig, sollte er doch die BSJR (und damit auch deren Sympathisanten, mögen sie auch von der Humboldt selbst kommen) und besonders Pekarek nicht als pro-Beschneidungs Lobbyisten auffassen. Gerade Pekarek muss man in dieser Debatte zu schätzen wissen als (bestimmt einer der sehr wenigen) Juristen mit dem notwendigen Wissen im deutschen und jüdischen Recht, der die gesamte Beschneidungs-Debatte, soweit es möglich ist, auch zu einem weitgehend zufriedenstellenden Ergebnis führen kann.
Auch ungeachtet seiner Wortwahl scheint Holm Putzke dies außer Acht zu lassen.
Notwendigerweise hat Pekarek Putzkes bisherigen medizinischen Wahrheitsanspruch zurecht gestutzt. Doch so richtig dieses Anliegen war um Waffengleichheit der juristischen Argumente zu erlangen, befürchte ich dass Pekareks abschließendes Argument der medizinischen Vorteile der Beschneidung über sein Ziel hinaus geschossen ist und zu stark an den wenig juristischen Leitsatz erinnert ¨Was nicht tötet macht nur härter¨.
Was mich etwas traurig macht, ist dass diese Debatte zunehmend ihren juristischen Charakter verliert, sondern sich lediglich als Potpourri der uneindeutigen medizinischen Statistik präsentiert. Hier würde ich mir eigentlich eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der mir einleuchtenden Analyse von Herzberg wünschen, der sich noch Mühe gibt das Thema juristisch auseinander zu nehmen. Nungut, ich respektiere, dass dieses Forum auch kein Wunschkonzert ist.
@ Aufmerksamer Leser:
Möllers als Spin-Doctor (jur.)?
@Gast: Ich hätte den Ironie-tag wohl setzen müssen.
oh, ich glaube das Zeichen ist leider nicht in meinem UCS meines Browsers enthalten
@gemeinter Gast: Ich sagte “tag”, nicht Zeichenkodierung. Aber wir wollen es mal nicht zu (natur-) wissenschaftlich werden lassen…
Es sollte untersucht werden, warum sich Dr. Putzke so an dem Praeputium festgebissen hat.
@ Dr. Freud: Wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, warum er Genitalverstümmelungen bei Mädchen ablehnt.
Bei Beiträgen, die seine Person betreffen, muss man laufend zwischen Art. 5 I 1 GG und Art. 2 I GG abwägen. Nicht dass morgen die Staatsanwaltschaft meine Wohnung stürmt. Soll ja vorkommen.
Weibliche Beschneidungen interessieren Dr. Putzke eher nicht so. Bei diesem Thema würde ihn niemand zu Anne-Will einladen. Umso komfortabler kann man im Gewand der Gerechtigkeit Karriere machen, indem man Ressentiments im Volk schürt.
An seiner Stelle würde ich mich um andere wissenschaftliche Themen kümmern, sonst bleibt er für immer ein großer Penisforscher. Man denke nur an Fest- bzw. Gedächtnisschrifttitel wie “Sanctum Praeputium – das mänliche Glied im Leben und Werk von Dr. Putzke”