Extremistische Rückkehrer in den Richterdienst II
Als Reaktion auf meinen Beitrag auf diesem Blog zum Rückkehrrecht extremistischer Abgeordneter in den öffentlichen Dienst haben mich eine Reihe an Fragen und Kommentaren von Presse sowie von Kolleginnen und Kollegen erreicht, die neben der Auslegung des Abgeordnetengesetzes (AbgG) vor allem das weitere Verfahren betreffen. Ich habe die Fragen jeweils individuell zu beantworten versucht, möchte aber meine Einschätzungen zu einigen wesentlichen Inhalts- und Verfahrensfragen hier noch einmal gebündelt für eine breitere Fachöffentlichkeit zusammenfassen.
Voraussetzungen des Rückkehrrechts nach Abgeordnetengesetz
Dass das unausgegorene Regelungskonzept der §§ 5, 6 AbgG keine deutungssicheren Auslegungen zulässt, ist inzwischen offensichtlich geworden. Oftmals fehlt es eben für Regelungen, die ungenutzt im Instrumentenkasten des Staates liegen, an Problemsensibilität und vorausschauenden Auslegungsangeboten durch das Schrifttum. Das ist für Juristinnen und Juristen sicher nicht ungewöhnlich. Vielleicht ist es sogar beruhigend, dass sich die gegenwärtig im Zusammenhang mit der Rückkehroption eines ehemaligen Abgeordneten in den Richterdienst stellenden Fragen vorher noch nicht aufgedrängt haben. Realistischerweise wird es aber wohl auch nicht der letzte Fall dieser Art sein, wenn man einen illusionslosen Blick auf die Zusammensetzung deutscher Parlamente wirft. Für eine gegenstandsadäquate Auslegung ist es jedenfalls nie zu spät.
Die bestehenden Unsicherheiten dürften im Wesentlichen darauf zurückzuführen sein, dass der Gesetzgeber kaum krasse Fälle wie den Konflikt vor Augen gehabt hatte, der gegenwärtig hohe Wogen schlägt. Den Materialien lässt sich zwar entnehmen, dass man einen Konflikt des Abgeordnetenmandats mit dem politischen Mäßigungsgebot vermeiden wollte (BT-Drs. 7/5531, S. 15). Das dürfte sich aber vor allem auf die inhärent notwendige Politizität des Mandats bezogen haben. Man kann nicht einerseits aktives Mitglied des Deutschen Bundestags und andererseits zurückhaltend sowie neutral sein. Auf Extremismusabwehr ist § 6 Abs. 1 AbgG aber offenkundig nicht austariert. Eine funktionsadäquate und kontextbezogene Auslegung bleibt daher unentbehrlich.
Solange die politische Betätigung von Abgeordneten, die zuvor im öffentlichen Dienst tätig waren, den Funktionen des parlamentarischen Mandates entspricht, stellen sich keine besonderen Probleme. Man darf erwarten, dass Betroffene die grundlegend verschiedenen Rollenfunktionen unterscheiden können. Ein Abgeordneter, der z. B. im Parlament eine gesetzliche Regelung harsch kritisiert, kann diese gleichwohl als Richter lege artis auslegen und anwenden. Was die Motive des Gesetzes nicht thematisieren, ist die hier relevante Sondersituation, dass ein Abgeordneter durch sein Verhalten (außerhalb des parlamentarischen Verfahrens) die Funktionsbedingungen des Amtes untergräbt, in das er später zurückkehren könnte. Soweit in den Materialien kursorisch auf ein Ruhen der politischen Treuepflicht Bezug genommen wird (BT-Drs. 7/5531, S. 15), dürfte sich das intentional kaum auf massive und gezielte Angriffe gegen fundamentale Verfassungsgrundsätze (Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat) bezogen haben, die eine Rückkehr ins ruhende Statusamt mit dessen Funktionsanforderungen praktisch unmöglich machen.
Die Verfassungstreue ist unmittelbare Konsequenz der allgemeinen Grundsätze des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG),((BVerfGE 39, 334 (346 ff.).)) die wiederum tragende Säulen des Richterdienstrechts als hergebrachtes besonderes Funktions-Laufbahnrecht einschließen.((Vgl. BVerfGE 12, 81 (88); 55, 372 (392); 107, 218 (238); 139, 64 (111); BVerfGK 14, 169 (173).)) An die Verfassungstreue sind hier sogar qualifizierte Anforderungen zu stellen, was § 9 DRiG hervorhebt und auch die Rechtsprechung voraussetzt.((Vgl. BVerfG-K, Beschluss vom 6.5.2008 – 2 BvR 337/08, NJW 2008, 2568 (2569).)) Eine einfach-gesetzliche Regelung, die dazu verpflichten würde, auch einem verfassungsfeindlichen Extremisten ein Amt zu übertragen, dessen minimale Funktionsanforderungen aufgrund seiner Agitation nicht erfüllt werden können, wäre mit Art. 33 Abs. 5 GG unvereinbar. Das gilt in Sonderheit für rechtsextremistische Angriffe, die sich strukturell gegen die elementare Rechtsgleichheit aller Menschen und damit gegen die Menschenwürde richten.((Vgl. BVerfGE 144, 20 (207).)) Ein solcher Beamter ist im übertragenen Sinne „dienstunfähig“. Insoweit ist vorrangig nach der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung zu suchen. Ein Interpretationsangebot hierfür hatte ich gemacht.
Wenn man die rigide Gegenauffassung vertritt, sollte man zudem auch die Gesamtfolgen im Blick behalten. Wenn es wirklich keine Dienstpflichtverletzungen während des Mandats geben könnte, müsste Gleiches konsequenterweise für Verfehlungen gelten, die z. B. zum Entfallen der Laufbahnvoraussetzungen führen. Sogar Straftaten wären gegen Reaktionen immunisiert. Ein fiktiver Beispielsfall, der allgemein bekannten Fällen aus dem kunterbunten Parlamentsleben nachempfunden ist, mag das verdeutlichen: Ein in den Deutschen Bundestag gewählter Berufsrichter wird dabei erwischt, unter den extremen Belastungen des Mandats die eigene Leistungsfähigkeit mit MDMA und Cocain zu steigern, was nach § 29 BtMG strafbar ist. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens werden bei einer Hausdurchsuchung nicht nur weitere Mengen der Suchtstoffe gefunden, sondern auch hunderte Dateien mit Jugendpornografie (§ 184c StGB). Der Abgeordnete wird dafür rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt (kein automatischer Amtsverlust nach § 24 Abs. 1 BeamtStG). Folgte man der restriktiven Interpretation, die auch die sächsische Justizverwaltung zu bevorzugen scheint, hätte dieser Abgeordnete ein Recht darauf, in ein Richteramt zurückzukehren, weil er keine Dienstpflichten verletzt hat. Kann das richtig sein? Das sollte sich die Justizverwaltung gut überlegen. Der nächste Fall kommt bestimmt.
Rechtsfolge: Gleichwertiges Amt
Das zu übertragende Amt muss nach § 6 Abs. 1 Satz 3 AbgG derselben oder einer gleichwertigen Laufbahn angehören wie das zuletzt bekleidete Amt und mit mindestens demselben Endgrundgehalt ausgestattet sein. Da mit der Rückkehr keine Beurlaubung endet (explizit BT-Drs. 7/5531, S. 15), sondern ein neues konkret-funktionelles Amt übertragen wird, kann es also zu Verschiebungen in der übertragenen Funktion kommen. Die Wertigkeit des Amtes wird hierbei – wie allgemein im Dienstrecht – am Endgrundgehalt bemessen. Im vorliegenden Fall müsste also ein Amt der Besoldungsstufe R 1 übertragen werden (Endgrundgehalt nach Anlage 5 zum Sächsischen Besoldungsgesetz [SächsBG]: 7301,37 Euro). Andere Ämter stehen nicht zur Verfügung. Ämter der Besoldung B 1 und A 15 haben ein zu niedriges Endgrundgehalt, A 16 hätte ein höheres, aber eine Beförderung wird hoffentlich nicht ernstlich diskutabel sein.
Ein gleichwertiges Amt könnte nicht nur in einer anderen Gerichtsbarkeit (an einem Arbeits-, Verwaltungs- oder Sozialgericht((In der Finanzgerichtsbarkeit sind Richter-Eingangsämter (RiFG) bereits Beförderungsämter (R 2).))) zur Verfügung gestellt werden, sondern auch in einer Staatsanwaltschaft („Staatsanwalt“ als ebenfalls mit R 1 besoldetes Eingangsamt) oder in der Justizverwaltung. Alles sind justizbezogene Ämter im Höheren Dienst mit Laufbahnvoraussetzung eines Assessorexamens. Daher wäre es auch möglich, dem „Rückkehrer“ ein Amt (R 1) zu übertragen, welches innerhalb des Justizministeriums angesiedelt ist. Anlage 3 zum SächsBG regelt nur die Amtsbezeichnungen, richtigerweise aber nicht den Verwendungsort, sodass z. B. ein Richter am Amtsgericht auch ohne vorherige Abordnung in eine entsprechende Planstelle mit ausschließlichen Justizverwaltungsaufgaben eingewiesen werden könnte, die im Ministerium angesiedelt ist. Dieses Amt wäre dann zum einen „gleichwertig“ im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 3 AbgG. Zum anderen wäre dann die Dienstvorgesetzte, die die Dienstaufsicht (einschließlich der Disziplinargewalt) für den Dienstherrn (also den Freistaat Sachsen, vgl. § 2 BeamtStG) ausübt, unmittelbar die Justizministerin. Bei einer weisungsabhängigen Verwendung im Innendienst würde zudem vermieden, dass Beteiligte in Gerichtsverfahren permanent mit einem offenen Rechtsextremisten in Richterrobe konfrontiert werden, auf dessen Neutralität, Unparteilichkeit und Sachlichkeit kein hinreichender Verlass ist.
Zuständigkeit des Ministeriums
Wird dem Betroffenen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AbgG hingegen ein Amt an einem Gericht übertragen, greift die Dienstaufsicht nach Maßgabe des Sächsischen Justizgesetzes (SächsJG). Dieses hat einheitlich für alle Gerichtsbarkeiten die Dienstaufsicht den Präsidentinnen und Präsidenten bzw. Direktorinnen und Direktoren der Fachgerichte übertragen (für die ordentliche Gerichtsbarkeit § 15 SächsJG); die Ministerin ist hiernach nur oberste Dienstaufsichtsbehörde. Der BGH als Dienstgericht des Bundes (vgl. §§ 61, 63 DRiG) hat – hier in seiner Rolle als Revisionsgericht in Landesrichter-Disziplinarsachen (§ 81 DRiG i. V. mit § 44a SächsRiG) – die sächsische Zuständigkeitsregelung dahingehend ausgelegt, dass diese nach Sinn und Zweck zum Schutz der richterlichen Unabhängigkeit eine nur subsidiäre Zuständigkeit der obersten Dienstbehörde anordne.((BGH, Urteil vom 18.2.2016 – RiSt (R) 1/15, NVwZ-RR 2016, 586 ff.)) Diese Rechtsansicht wurde vom BGH-Senat denkbar oberflächlich begründet, muss aber – zur Vermeidung von Verfahrensfehlern – von der Justizverwaltung natürlich hingenommen werden. Folgt man dem, wäre für ein Disziplinarverfahren – bei einer Verwendung im Richterdienst – die Präsidentin/der Präsident bzw. die Direktorin/der Direktor des jeweiligen Gerichts (mit R1-Stellen) primär zuständig.
Ist damit die Justizministerin aus der „Affäre“ raus? Sicherlich nicht. Die Rechtsprechung des BGH als Dienstgericht des Bundes betrifft nämlich allein die disziplinarbehördliche Zuständigkeit, gegenüber dem Betroffenen als Behörde (im „Außenverhältnis“, hier besser: im personalen Statusverhältnis) unmittelbar tätig zu werden. Diese Entscheidungszuständigkeit ändert aber nichts daran, dass die Ministerin als oberste Dienstbehörde jedenfalls die Rechtsaufsicht über die Justizverwaltung (Verwaltungsaufgaben der Gerichte eingeschlossen) ausübt. Richtigerweise hat die Justizministerin mit Blick auf die demokratisch unverzichtbare Weisungskette, die die Legitimation der Verwaltung als Bestandteil der gesetzlichen Dienstaufsicht (z. B. § 15 Abs. 1 SächsJG) sichert, zudem sogar die Fachaufsicht über die Justizverwaltung. Der Aufsicht entzogen ist nur die Rechtsprechungstätigkeit, das Personalwesen bleibt aber originäre Verwaltungstätigkeit. Insoweit kann – und ggf. muss – sie jedenfalls im Hintergrund darauf achten, dass die/der für das Disziplinarverfahren zuständige Dienstvorgesetzte das geltende Recht einhält. Die Ministerin kann sich also z. B. vorab Bericht erstatten lassen, wie das Disziplinarverfahren geführt wird und wie entschieden werden soll. Sie kann zudem ggf. bei aus ihrer Sicht rechtsfehlerhaften Entscheidungsentwürfen durch Weisungen intervenieren.
Statusbezogene Interimskompetenz
Solang der Betroffene noch nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AbgG in eine neue Stelle (ein konkret-funktionales Amt) eingewiesen ist, bleibt er gleichwohl in seinem latent fortbestehenden Statusverhältnis Richter im Landesdienst. Mangels dienstvorgesetzter Stelle im Sinne des SächsJG, die an ein konkretes Richteramt anknüpft, steht bis dahin nur die oberste Dienstbehörde zur Verfügung, das abstrakte Statusamt als Hülse für ein konkret-funktionelles „Rückkehr-Amt“ zu verwalten. Zuständig für die Rückführung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AbgG ist daher das Justizministerium, in dessen Zuständigkeit die Verwaltung des entsprechenden Statusamtes fällt, das der „Rückkehrer“ vor dem Erwerb der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag innehatte. Die Ministerin ist also bis zu einer Übertragung eines neuen Amtes Dienstvorgesetzte und zugleich die für Disziplinarverfahren zuständige Dienstaufsichtsbehörde. Das vom BGH aufgeworfene Subsidiaritätsproblem stellt sich insoweit vor einer Amtsübertragung noch gar nicht. Die Ministerin kann daher auch schon jetzt ein Disziplinarverfahren einleiten.
Ein Disziplinarverfahren wird das Ministerium vielleicht nicht innerhalb der Frist des § 6 Abs. 1 Satz 2 AbgG abschließen können. Dann geht die Verfahrensherrschaft grundsätzlich auf die (neue) die Dienstaufsicht führende Stelle über, soweit der Betroffene nicht im Ministerium selbst eingesetzt wird. Wenn die Dienstaufsicht bei dem Gericht, dem die entsprechende Planstelle zugewiesen ist, das Verfahren nicht zügig fortführen und abschließen kann, entsteht wegen der gravierenden Beeinträchtigungen der Rechtspflege, die im Falle einer Rückkehr zu besorgen sind, Gefahr im Verzug, was auch nach dem BGH eine ungeschriebene Ausnahme von der angenommenen Subsidiarität und damit einen Selbsteintritt des Ministeriums rechtfertigt. Darauf hat auch mein Kollege Fischer-Lescano zutreffend abgestellt.
Richteranklage
Im Ministerium scheint man zu erwägen, lieber den Weg über die Richteranklage gehen zu wollen. Diese hängt nicht davon ab, dass ein Dienstvergehen begangen wurde. Es genügt vielmehr, dass (ggf. auch außerhalb des Amtes) gegen „Grundsätze des Grundgesetzes“ verstoßen wurde (Art. 98 Abs. 2 Satz 1 GG). Obgleich die Maßstäbe noch unerprobt sind, dürfte hier ein Evidenzfall vorliegen, der sich eignet, das Verfahren einmal durchzuspielen. Man wird auf die Vernunft des BVerfG vertrauen dürfen, zumal es auch für den vorliegenden Fall die letztlich entscheidenden Grundkoordinaten in seiner NPD-Entscheidung aus dem Jahr 2017 (BVerfGE 144, 20) bereits kohärent festgezurrt hat. Das Verfahren der Richteranklage wurde nach Art. 98 Abs. 5 Satz 1 GG vom Freistaat Sachsen auf Richter im Landesdienst erstreckt (Art. 80 Verfassung des Freistaats Sachsen). Wenn sich alle im Landtag vertretenen Fraktionen – realistischerweise: abgesehen von der AfD – koordinieren, wäre auch die Zweidrittelmehrheit im Landtagsplenum für eine Anklage erreichbar. Sobald eine Richteranklage erhoben wurde, kann das BVerfG auf Antrag nach § 58 Abs. 1 i. V. mit § 53 BVerfGG dem Betroffenen vorläufig die Ausübung der Dienstgeschäfte untersagen. Das ist ein Eilverfahren, über das das Gericht ggf. auch zeitnah und durch Hängebeschluss entscheiden kann.
Eine mögliche Richteranklage sollte jedoch keine Ausflucht sein, auf ein gebotenes Disziplinarverfahren zu verzichten. Die Ministerin könnte ein Disziplinarverfahren parallel zu einer Richteranklage vorbereiten. Das Gesetz sieht ein Nebeneinander beider Verfahren ausdrücklich vor (§ 60 BVerfGG). Da die Justizverwaltung hier sachnäher, aktenkundig, professioneller und schneller als der politische Prozess im Landtag reagieren kann, läge es an der Ministerin, ihrerseits das Erforderliche zu veranlassen, zeitnah ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Dieses hätte im Übrigen gegenüber der Richteranklage eine eigenständige Signalwirkung, weil alle Richterinnen und Richter an ihre Pflicht zur Verfassungstreue erinnert werden, was auch diejenigen zur Vorsicht ermahnt, die als verantwortliche Vorgesetzte eigene Dienstpflichten erfüllen, gegen Verletzungen der politischen Treuepflicht angemessen einzuschreiten.
Einseitigkeiten
Inzwischen kursiert in der Presse eine (anonymisierte) Fassung des dreiseitigen „Gutachtens“ der Justizverwaltung, das durch eine deutliche Einseitigkeit auffällt und den Eindruck vermittelt, man wolle sich um jeden Preis aus der Verantwortung stehlen.((So wird etwa die Entscheidung OLG Stuttgart (DGH), Urteil vom 18.3.2021 – DGH 2/19, so zitiert, also ob dort ein Ruhen der Verfassungstreue festgestellt worden sei („die Pflichten aus dem Dienstverhältnis einschließlich der Pflicht zur Verfassungstreue“). Die Entscheidung gibt dazu aber nichts her, der Begriff taucht dort nicht auf. Dort geht es nur um das Mäßigungsgebot (Rn. 99), das aber von der grundsätzlichen Verfassungstreue zu unterscheiden ist. Auch wird nur auf punktuelle Zitate in Rechtsprechung und Schrifttum verwiesen, ohne eigenständige Argumente für die Rechtsansicht anzuführen. Eine Verletzung der Dienstpflicht aus § 35 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG, die Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen, wird zu prüfen sein.)) Bislang gibt die sächsische Justiz im Umgang mit dem offen rechtsextremistischen Richter ein denkbar schlechtes öffentliches Bild ab. So hat die Justizverwaltung offenbar frühere Äußerungen des fraglichen Richters, die inhaltlich als unverstellte Angriffe auf Demokratie und Menschenwürde gravierende Dienstvergehen darstellen und in vergleichbar schweren Fällen zur Entfernung aus dem Dienst geführt haben,((Vgl. OLG Stuttgart (DGH), Urteil vom 18.3.2021 – DGH 2/19.)) mit bloßen Rügen sanktioniert. Auch das mögen (ggf. nach § 15 SächsDG verjährte) eigenständige Dienstvergehen der Dienstvorgesetzten gewesen sein, was für das Ministerium jedenfalls politisch eine Verantwortung qua Ingerenz begründen sollte, es jetzt besser zu machen. Der vorliegende Fall bietet jedenfalls Anlass, grundlegende Korrekturen im Umgang mit Extremisten im öffentlichen Dienst vorzunehmen, die die Funktionstüchtigkeit, Verlässlichkeit und Sachlichkeit der staatlichen Institutionen als Einrichtungen, die allen Menschen zu dienen haben, erschüttern und den öffentlichen Dienst immer wieder als materiell geschützten Aktionsraum missbrauchen. Das weitere Vorgehen der sächsischen Landesregierung hat daher Bedeutung über den Fall hinaus.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Gärditz ausgerechnet dem sächsischen Justizministerium den Vorwurf der Einseitigkeit macht. Tatsächlich dürfte diese Kritik wohl eher auf seine eigenen Stellungnahmen zutreffen.
So hat Gärditz in seinem ersten Beitrag mehrfach die Gesetzesmaterialien zitiert, um seinen Standpunkt zu untermauern. Dass in der Gesetzesbegründung jedoch auch ausdrücklich vom Ruhen der politischen Treuepflicht ausgegangen wird (BT-Drs. 7/5531, S. 15), hat er bezeichnenderweise mit keinem Wort erwähnt – so viel zum Thema Einseitigkeit . Dieses Defizit versucht er nun zu beheben, behauptet aber zugleich, die Stelle in der Gesetzesbegründung dürfte sich “intentional kaum auf massive und gezielte Angriffe gegen fundamentale Verfassungsgrundsätze […] bezogen haben […]”. Wie er zu dieser apodiktischen Einschätzung gelangt, bleibt ebenso schleierhaft wie seine Antwort auf die sich dann aufdrängende Frage, was mit der “politischen Treuepflicht” denn eigentlich sonst gemeint sollte.
Unzutreffend ist auch sein in Fn 7 geäußerter Vorwurf einer angeblich falschen Deutung des Urteils des DGH Stuttgart durch das sächsische Justizministerium. Mitnichten geht es dort nur um das Mäßigungsgebot; in Rn 90 (juris) des Urteils heißt es vielmehr: “Für das hier zugrundeliegende Disziplinarrecht bedeutet das, dass aufgrund des grundsätzlichen Ruhens der beamtenrechtlichen Pflichten die Begehung eines erneuten Dienstvergehens nach § 47 BeamtStG während der Zeit der Mandatsausübung nur wegen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit oder gegen das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken in Betracht kommt. ” Das Gericht nennt hier ausdrücklich jene Pflichten, deren Verletzung nach seiner Auffassung geahndet werden kann; die Pflicht zur Verfassungstreue gehört ersichtlich nicht dazu. Mithin ist die Interpretation des Urteils durch das sächsische Justizministerium richtig; jene von Gärditz ist falsch. Ebenfalls unzutreffend ist die Behauptung, der Begriff “Verfassungstreue” tauche in dem Urteil nicht auf; tatsächlich findet sich der Begriff dort mehrfach. Dass Gärditz gleichwohl eine mögliche Dienstpflichtverletzung des zuständigen Beamten im Ministerium wegen des vermeintlichen Falschzitats suggeriert, macht sprachlos.
Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass Gärditz – ebenso wie Fischer-Lescano – versucht, einer rein ergebnisorientierten Argumentation das Wort zu reden. Die von Gärditz präsentierte Ansicht mag man für politisch wünschenswert halten; mit herkömmlichen juristischen Methoden ist sie hingegen nicht nachvollziehbar. Der Wortlaut der §§ 5, 6 AbgG und die Gesetzesmaterialien sprechen eine klare Sprache, die für eine uferlose Auslegung keinen Raum lässt. Wobei es sich bei der Auffassung von Gärditz ohnehin kaum mehr um eine Auslegung im klassischen Sinne handelt; im Grunde ersetzt er das Regelungsregime des Gesetzgebers durch eine ihm sinnvoll erscheinende völlig neue Konzeption (vgl zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung: BVerfGE 149, 126, Ls 3). Man kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen in Sachsen und anderswo standhaft bleiben und diesen Irrweg nicht beschreiten.
Wenn es schon in den Bereich des Zitatvorwurfs geht, sollte dieser Vorwurf dann wenigstens komplett sein. In der entsprechenden Passage heißt es: “So ruhen BESONDERS die Pflicht zur Unparteilichkeit und die politische Treuepflicht […]” Das “besonders” sollte dabei nicht unterschlagen werden. Zudem ist auch der Begriff “politische Treuepflicht” erörtungsbedürftig. Denn dass die Verfassungstreue eine “politische” Treue wäre, halte ich für eine eher gewagte These. Das Grundgesetz entzieht die Verfassungstreue gerade dem politische Bereich. Mir scheint es naheliegender, dass die “politische Treuepflicht” eher auf die Pflicht in § 33 II BeamtStG (i.V.m. mit den entsprechenden Verweisungen) Bezug nimmt.
Zudem heißt es in dieser Passage auch: “Der Beamte unterliegt während des Ruhens der Rechte und Pflichten nur BESCHRÄNKT der Dienstgewalt”. Wenn es also die Auffassung sein soll, dass das Ruhen auch die Pflicht zur Verfassungstreue – die Kardinalpflicht jedes Beamten – suspendiert, müsste einmal erklärt werden, was dieses “beschränkt” bedeuten soll. Denn dort steht nicht, dass der Beamte KEINER Dienstgewalt unterliegt. Auf was genau soll sich aber die Dienstgewalt beziehen, wenn nicht auf die Verfassungstreue?
Mit der “politischen Treuepflicht” ist unzweifelhaft die Pflicht zur Verfassungstreue gemeint (vgl Werres, in: BeckOK BeamtenR Bund, § 33 BeamtStG Rn 11: “die politische Treuepflicht des Beamten, die auch als Verfassungstreuepflicht bezeichnet wird”; vgl auch die Rspr zu § 8 SG: BVerwG NVwZ-RR 2020, 694, Rn 24 f).
Im Übrigen unterliegt der Beamte jedenfalls hinsichtlich der in § 5 I 1 AbgG genannten Pflichten der Disziplinargewalt, sodass ich hier keinen Widerspruch sehe.
Sehr geehrter Herr Prof. Gärditz,
ich will nicht behaupten, dass mir das gefundene Auslegungsergebnis vorbehaltlos gefällt – darauf kommt es, wie so immer bei der Rechtsanwendung, nicht an -; § 5 Abs. 1 Satz 1 AbgG scheint mir an Eindeutigkeit aber nicht zu überbieten zu sein. Wo sehen Sie hier Auslegungsspielräume, die die Wortlautgrenze auch nur im Ansatz einhalten könnten? Dass es sich z.B. bei dem hier ausdrücklich genannten Verbot der Annahme von Geschenken um eine lediglich “amtsbezogene” – und nicht statusbezogene – Dienstpflicht in dem von ihnen vertretenen Sinne handeln könnte, scheint mir jedenfalls eher fernzuliegen. Gleiches dürfte für die Verschwiegenheitspflicht gelten, die das aktive Dienstverhältnis wohl unstreitig überdauert.
Ich kann solche nicht erkennen, so dass die Gesetzesbindung der Verwaltung eingreifen müsste – es bliebe also, wenn man ihr Verdikt der Verfassungswidrigkeit des Auslegungsergebnisses akzeptiert(e), nur die Einleitung einer Normenkontrolle auf Antrag der Landesregierung oder eine inzidente Normenkontrolle im Rahmen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens, das m.E. aufgrund der Gesetzesbindung der Disziplinarbehörden gar nicht eingeleitet werden dürfte. In beiden Fällen wäre zudem zu erwägen, ob das Rückwirkungsverbot im zumindest strafähnlich ausgestalteten Disziplinarverfahren eine Sanktionierung vergangenen Verhaltens, dessen Sanktionierung eine später als (möglicherweise) verfassungswidrig erkannte Norm entgegenstand, ermöglicht.
Ist es das wirklich wert – oder verwirklicht man auf diesem Wege nicht den materiellen Rechtsstaat zulasten des formellen Rechtsstaats? Als Richter vertrete ich beides – und ich sehe es ungern, wenn in Ansehung vermeintlicher oder – wie wohl hier – tatsächlicher Missstände das eine gegen das andere ausgespielt wird. Dass §§ 5 ff. AbG möglicherweise für die Zukunft der Reform durch den Gesetzgeber bedürfen – näher als eine Änderung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AbgG liegt m.E. eine erneute “Verfassungstreueprüfung” vor Zurückführung in das Dienstverhältnis -, steht dabei auf einem anderen Blatt.
Der Artikel enthält viele diskussionswürdige Thesen, aber die Idee, man könnte einen RiLG einfach auf eine Planstelle im Ministerium einweisen, ist, mit Verlaub, Quatsch. Der Mann war Richter, nicht Beamter, und in dieses Dienstverhältnis – das Richter-, nicht das Beamtenverhältnis – ist er
nach § 6 AbgG zurückzuführen. Damit ist ihm nach § 27 DRiG ein Richteramt “bei einem bestimmten Gericht” zu übertragen. An ein Ministerium kann man einen Richter abordnen (mit seinem Einverständnis, § 37 DRiG!), aber nicht fest und dauerhaft zuweisen. Man muss sich einmal vorstellen, was es bedeuten würde, wenn das anders wäre…
Das gleiche Missverständnis setzt sich bei den Besoldungsgruppen fort: Natürlich kann man den Mann weder in A14 noch A15 oder A16 oder B1 (Ämter in B1 gibt es, soweit ich weiß, überhaupt nicht) einsetzen, weil das Besoldungsgruppen für Beamte sind. Diese Punkte hinterlassen bei mir einen etwas merkwürdigen Eindruck bzgl des Artikels.