07 September 2021

Fake-Strafrecht in Wahlkampfzeiten

Warum sich das Strafrecht nur bedingt zum Schutz vor Fake News und Deep Fakes eignet

Von einer Kandidatin kursieren angebliche Nacktbilder, ein anderer Kandidat soll Spenden für Flutopfer für seinen Wahlkampf verwenden. Der Bundeswahlleiter stellt auf seiner Website sicherheitshalber klar: „Es gibt keine Gewinnspielteilnahme bei der Stimmabgabe zur Bundestagswahl.“ In Wahlkampfzeiten verbreiten sich immer mehr Falschinformationen dieser Art. Genügen die Aufklärung durch Staat und Medien, um den Gefahren zu begegnen, die heute von Fakes ausgehen? Das Strafrecht erscheint jedenfalls kaum als geeignetes Instrument, um einer Beeinflussung des Wählerwillens entgegenzuwirken. Angepasst werden sollte allerdings der strafrechtliche Persönlichkeitsschutz.

Gute Fakes, böse Fakes

Spätestens seit der US-Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 gelten Fake News als ernsthafte Bedrohung der Demokratie. Hierunter werden bewusst als authentische Nachrichten inszenierte Falschmeldungen verstanden. Ein anderes Thema sind Deep Fakes – mit Hilfe von Methoden Künstlicher Intelligenz (KI) erstellte Bild- und Toninhalte, die den Eindruck erwecken sollen, dass sie echt seien.

In diesen Zusammenhängen hat der Begriff Fake einen negativen Klang. Es geht um Fälschungen und Imitationen, die Schäden verursachen können. Aber Fakes sind nicht immer böse. In der Kunst stellen sie Gewissheiten und Authentizität in Frage. Ein deutscher Satiriker gewann etwa im Jahr 2016 für die Falschbehauptung, er habe ein manipuliertes Video erstellt, den Grimme Preis für die „Beste Innovation“.

Kontextbezogener Wahrheitsschutz im Strafrecht

Ein differenziertes Bild ergibt sich auch bei der strafrechtlichen Betrachtung von Fakes. Wenn Schwindel und falsche Tatsachenbehauptungen Rechtsgüter schädigen, kann das geltende Strafrecht sie regelmäßig erfassen. Beispiele hierfür finden sich im gesamten Strafgesetzbuch. §§ 267 ff. StGB stellen die Fälschung und den Gebrauch von Urkunden im Rechtsverkehr unter Strafe, §§ 153 ff. StGB die Falschaussage vor Gericht – und so weiter.

Einen allgemeinen Straftatbestand der Lüge gibt es allerdings nicht. Er wäre mit unserem Verständnis des Strafrechts auch nicht vereinbar, die Wahrheit als moralischen Wert zu schützen, ohne dass weitere Interessen beeinträchtigt werden müssten. Elisa Hoven hat dies in der ZStW 2017 treffend beschrieben. Das Strafrecht schützt zusammengefasst nicht die Wahrheit an sich, sondern die Konstruktion von Wirklichkeit in bestimmten Kontexten.

Es stellt sich allerdings in mehreren Bereichen die Frage, ob dieser kontextbezogene strafrechtliche Schutz einer Ergänzung oder Konkretisierung bedarf. Ein solcher Bedarf kann aus sozio-technischen Dynamiken entstehen, die das Recht unter einen Anpassungsdruck setzen. Die Verbreitung von Fake News in sozialen Medien hat bereits zu einer Diskussion über die Anpassung des Strafrechts geführt. Für das Phänomen der Deep Fakes ist eine entsprechende breitere Diskussion noch zu erwarten.

Bekämpfung von Fake News in Sozialen Medien

Die sozialen Medien haben neuartige Möglichkeiten zur Verbreitung von Informationen geschaffen. Sie sind einem weltweiten Informationsaustausch förderlich. Zugleich rücken die technischen Funktionsweisen und die Kommunikationsdynamiken auf diesen Plattformen oftmals Inhalte in den Vordergrund, die stark polarisieren und inhaltlich nicht geprüft sind. Das ruft Falschmeldungen auf den Plan.

Gesetzgeber haben die Pflichten sozialer Netzwerke unter anderem aufgrund der dort zu beobachtenden Verbreitung von Fake News und hetzerischen Inhalten näher geregelt. In Deutschland geschah dies etwa durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das erst in diesem Frühjahr erweitert wurde. Weitere Regelungen sind zu erwarten – etwa auf EU-Ebene durch den Digital Services Act. In Italien und Frankreich kam es sogar zu Anpassungen des Strafrechts. Solche schlug das Schrifttum auch für Deutschland vor (Überblick bei Kusche).

Ein Gedanke ging dahin, die Tatbestände zum Schutz der Willensbildung bei Wahlen in den §§ 108 ff. StGB um eine Regelung zum Schutz vor Beeinflussung des Wählerwillens durch Desinformation zu ergänzen. Der Tatbestand der Wählertäuschung in § 108a StGB greift nicht, wenn ein*e Wähler*in durch Desinformation bei der Willensbildung getäuscht wird. Dadurch entsteht lediglich ein unbeachtlicher Motivirrtum. In Österreich gibt es hingegen seit 1975 eine Regelung, die die Verbreitung falscher Nachrichten bei einer Wahl oder Volksabstimmung unter Strafe stellt (§ 264 öStGB). Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift ist relativ eng. Er ist auf den Zeitraum unmittelbar vor einer Wahl begrenzt.

Ein weiterer konkreter Vorschlag zur strafrechtlichen Bekämpfung von Fake News will den Straftatbestand der Volksverhetzung in § 130 StGB anpassen. Hier könnte die Verbreitung von Desinformationen in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, unter Strafe gestellt werden. Welche Art von Fake News und welche Art ihrer Verbreitung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, ist allerdings schwer zu beurteilen. Um in das Konzept von § 130 StGB zu passen, müsste die Verbreitung wohl auch Bezug zur Diffamierung einer Gruppe haben.

Probleme der strafrechtlichen Erfassung

Die Handhabe der in sozialen Netzwerken verbreiteten Fake News mit Hilfe des Strafrechts erweist sich als kompliziertes Unterfangen. Zunächst ist ein potentiell tatbestandliches Verhalten nur schwer einzugrenzen. Oft sind über Social Media geteilte Inhalte nicht eindeutig falsch, sondern verzerren reale Umstände. Sie spielen bewusst mit Interpretationsmöglichkeiten und der Wahrnehmung polarisierender Themen.

Das kann es erschweren, die Verbreitung falscher Tatsachen zum Anknüpfungspunkt strafbarer Hetze oder Manipulation zu machen. Behauptungen ließen sich als Vermutungen oder Spekulationen formulieren, um eine Strafbarkeit zu umgehen. Auch der Vorsatz zur Verbreitung einer Falschinformation wird praktisch nicht immer leicht nachzuweisen sein. Zu niedrige Anforderungen könnten auch legitime Berichterstattung beeinträchtigen.

Dazu sind die Grenzen zwischen Fake News, Kunst und Satire fließend. Dies zeigt etwa der Fall eines frei erfundenen Terroranschlags in Mannheim. In einem auf der Website einer Lokalzeitung veröffentlichten Artikel hieß es unter anderem, dass in der ganzen Stadt Leichen liegen würden und Angreifer noch unterwegs seien. Dass es sich um ein fiktives Ereignis handelte, war nur aus einem kostenpflichtig zugänglichen Teil des Beitrags klar erkennbar.

Das Amtsgericht Mannheim sah § 126 Abs. 2 StGB – also die Störung des öffentlichen Friedens durch Vortäuschen bevorstehender Straftaten – als erfüllt an und verurteilte den Autor des Artikels im Januar 2019 zu einer Geldstrafe. Der Journalist berief sich darauf, dass es sich um einen Text des Gonzo-Journalismus handele. Er verglich ihn mit Orson Welles Hörspiel „Der Krieg der Welten“ und gab an, er habe Bewusstsein für fehlende Medienkompetenz schaffen wollen. Das überzeugte das Amtsgericht Mannheim nicht. Die Berufung ist beim Landgericht Mannheim anhängig.

Neue Gefahren durch Deep Fakes

Neben der Verbreitung von Fake News wird das Phänomen der Deep Fakes immer interessanter. Mit Hilfe von KI lassen sich audiovisuelle Inhalte erstellen, die den Eindruck erwecken, authentisch zu sein. Die Methoden verbreiten sich auch unter technischen Laien. Das frei verfügbare Programm Avatarify ermöglicht es etwa, mit einem fremden Gesicht einer Zoom-Sitzung beizutreten. Hierfür bedarf es nur eines leistungsstarken Rechners, leicht überdurchschnittlicher technischer Kenntnisse und eines Portraitfotos der zu imitierenden Person.

Die durch Deep Fakes eröffneten kriminellen Einsatzfelder sind weit. Kriminelle können sich mit falschen Stimmen und Gesichtern als Geschäftsführer ausgeben und gutgläubige Angestellte zu Überweisungen veranlassen. Ein prominenter Fake wie Elon Musk könnte sogar Börsenkurse manipulieren. Foto- und Videomontagen pornografischer Inhalte können eingesetzt werden, um das Ansehen von Personen zu beschädigen oder diese zu erpressen. Ein relevantes Einsatzfeld von Deep Fakes ist auch die Manipulation von Wahlen.

Deep Fakes nach geltendem Recht

Die Erstellung und Verbreitung von Foto- und Videomontagen mittels KI ist vom geltenden strafrechtlichen Persönlichkeitsschutz nur punktuell umfasst. Die Verbreitung ehrenrühriger Fakes kann eine Beleidigung im Sinne von § 185 StGB sein. Auch eine Anwendung von § 201a StGB ist zumindest diskutabel. Nach dessen Abs. 2 macht sich strafbar, „wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten Person erheblich zu schaden, einer dritten Person zugänglich macht.“ Hierunter können auch Fotomontagen fallen.

Die Verbreitung von Deep Fakes kann dazu den Straftatbestand von § 33 Kunsturhebergesetz (KUG) erfüllen. Es ist anzunehmen, dass auch ein Fake ein Bildnis im Sinne der Vorschrift sein kann, wenn eine real existierende Person darin erkennbar ist. Den spezifischen Unrechtsgehalt der Dekontextualisierung von Bildern erfasst die Regelung aber nicht. Als weitere nebenstrafrechtliche Vorschrift kann für die Erstellung und Verbreitung von Deep Fakes § 42 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) einschlägig sein. Dieser stellt die unbefugte Verarbeitung personenbezogener Daten mit Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht unter Strafe. Darunter fallen auch Fotos von erkennbaren Personen. Die Regelung greift allerdings nicht, wenn allgemein zugängliche Daten verarbeitet werden – also etwa frei online abrufbare Portraits.

Anpassung des strafrechtlichen Persönlichkeitsschutzes

Der strafrechtliche Persönlichkeitsschutz bietet durchaus Antworten auf die Erstellung und Verbreitung von Deep Fakes. Diese fallen allerdings nicht sonderlich passgenau aus. Die Übernahme einer fremden Identität oder Fehlrepräsentationen von Personen setzen in der Regel die Verbreitung von Bildnissen und Verarbeitung personenbezogener Daten voraus. Diese Schritte haben aber eher Vorbereitungscharakter für eine tiefergehende Persönlichkeitsverletzung, die später folgt. Ohnehin sind die nebenstrafrechtlichen Regelungen in BDSG und KUG reformbedürftig. Sie sind nicht nur schwer zu finden, sondern auch unbestimmt. Es ist nicht überraschend, dass sie kaum angewandt werden.

Ein genauer auf die spezifische Gefahr der Dekontextualisierung zugeschnittener strafrechtlicher Schutz der Selbstdarstellung und informationellen Selbstbestimmung im Strafgesetzbuch wäre wünschenswert. Er müsste aber mit Augenmaß erfolgen, ein Straftatbestand hierfür also verständlich und konkret gefasst werden. Die Imitation des Erscheinungsbildes einer Person kann nicht nur in Form von Kunst oder Satire ein legitimes Verhalten sein. Die Annahme fremder Identitäten gehört auch zur Verwirklichung und Selbstdarstellung im virtuellen Raum. Was hier noch sozialadäquat und was schon strafwürdig ist, hängt stark vom konkreten Kontext ab.

Warnung vor einem Fake-Strafrecht

Der Umgang mit Fakes ist in der digitalisierten Gesellschaft eine große Herausforderung – nicht nur in Wahlkampfzeiten. Das Strafrecht kann punktuell eingesetzt werden, um besonders gefährliche Täuschungen und Manipulationen zu sanktionieren. Sein Einsatz erweist sich vor allem dann als angebracht, wenn Fakes Persönlichkeitsrechte schwerwiegend beeinträchtigen oder ein besonders schutzwürdiges Vertrauen in eine Kommunikation verletzen.

Oftmals sind Fakes aber auch kein Fall für das Strafrecht. Sie können eine legitime kommunikative oder sogar privilegierte künstlerische Ausdrucksform darstellen. Dazu entwickeln sich die außerstrafrechtlichen Mechanismen weiter, um beispielsweise der Verbreitung von Fake News in sozialen Medien Herr zu werden. Vor allem erfordern Fakes einen aufgeklärten und kreativen Umgang.

Kunst und moderne Kommunikation lassen viel Raum für Fakes, die zum Nachdenken anregen. Weniger erfreulich sind sie in einem anderen Bereich: Der Kriminalpolitik. Der Gesetzgeber sollte keine Strafgesetze schaffen, die vorspiegeln, etwas zur Bekämpfung reeller Probleme beizutragen, obwohl sie dies nicht leisten können.

Eine Regelung des Fake-Strafrechts im doppelten Sinne hat Österreich im Jahr 2015 abgeschafft: Den Straftatbestand der „Verbreitung falscher, beunruhigender Gerüchte“. Dieser hatte zuvor 20 Jahre lang zu keiner einzigen Verurteilung geführt.

Wenn neue Straftatbestände zur Bekämpfung von Fakes geschaffen werden, müssen diese Phänomene zuvor genau untersucht werden. Strafwürdige Bereiche sind mit Blick auf konkrete Risiken für Persönlichkeitsrechte einzugrenzen, damit es gerade im Bereich von Kunst und Satire nicht zu einer Überpönalisierung kommt. Dabei ist auch zu beachten, dass das Vertrauen in die Wahrheit von Äußerungen stark kontextabhängig ist.


2 Comments

  1. Hako Fri 10 Sep 2021 at 07:03 - Reply

    >>Einen allgemeinen Straftatbestand der Lüge gibt es allerdings nicht. Er wäre mit unserem Verständnis des Strafrechts auch nicht vereinbar, die Wahrheit als moralischen Wert zu schützen, ohne dass weitere Interessen beeinträchtigt werden müssten. <<

    Hier wird das Urteil des BVerfG vom 20.07.2021 (1 BvR 2756/20 u.a.) mißachtet.
    Darin wird den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auferlegt, DIE Wahrheit zu verbreiten (u.a. Rn.81).

    Es gibt also nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes DIE Wahrheit, die natürlich erst durch authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten, die Wirklichkeit nicht verzerrt darstellen und das Sensationelle nicht in den Vordergrund rücken, herauszufinden ist.
    Ebenso wie es nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes DIE Wahrheit geben muß, muß es folgerichtig dann auch DIE Lüge geben.

    Damit ist es zumindest seit dem 20.07.2021 mit "unserem" (nicht meinem) Verständnis des Strafrechtes vereinbar, DIE Wahrheit als moralischen Wert zu schützen, ohne daß weitere Interessen beeinträchtigt sein müssen.
    Daher kann seit dem 20.07.2021 folgerichtig auch DIE Lüge unter Strafe gestellt werden.

  2. Maria J Janta Wed 1 Dec 2021 at 17:19 - Reply

    This ist ein sehr interressanter und auch beunruhigender Beitrag. Der Gesetzgeber in Deutschland ist wahrscheinlich etwas fortschritlicher als in den USA oder in GB. Lebend in diesen beiden Laendern muss ich sagen, dass die Gesaetze, insbesondere in GB, etwas duerftig und weit entfent von idealen Zustand sind.

    Leider die Gesetzgebung in beiden oben genannten Laendern erinnert mich mehr and einem gummi band. Es passt sich der situation entsprechend an, aber das ist keine annehmbare Grundlage um die probleme “fake news” und “deep fakes” zu bekaempfen. Gerade UK nennt sich selbst die Wiege der Demokratie, jedoch ich sehe hier eine grosse Gefahr fuer die letztere. Ohne klaren Geseatze “fake news” koennen moeglicherweise auf der Gewinnerseite sein (siehe Trump etc.).

    So, hoffe ich, dass wenigstens in Deutschland das alles besser geregelt wird.

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