Die neue Finanzarchitektur im Bundesstaat: ein Gewinn für Deutschland
Der Länderfinanzausgleich wird in seiner jetzigen Form abgeschafft. Damit entfällt auch der Umsatzsteuervorwegausgleich.
Mit dreizehn Worten stellen Bund und Länder ihre Finanzbeziehungen auf eine ganz neue Grundlage. Bislang wird das Steueraufkommen in Deutschland gemäß At. 107 GG in fünf Schritten auf Bund und Länder aufgeteilt: in einem ersten Schritt wird das Steueraufkommen dem Bund, den Ländern oder beiden gemeinsam zugewiesen. Mit dem zweiten Schritt wird das Steueraufkommen der Länder auf die einzelnen Länder aufgeteilt. Wer dabei verhältnismäßig wenig Geld erhält, bekommt im dritten Schritt zusätzliche Mittel aus einem Viertel des Umsatzsteueranteils der Länder. Der vierte Schritt ist der Länderfinanzausgleich, der die unterschiedliche Finanzkraft der Länder nach den ersten drei Schritten angemessen ausgleicht. Im fünften und letzten Schritt gewährt der Bund den Ländern zusätzliche Gelder zur Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs.
Diese Finanzverteilung ist kompliziert und wenig transparent. Vor allem der Länderfinanzausgleich ist streitanfällig und hat schon zu mehreren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht geführt. Da das Gericht sich darauf beschränken muss, den verfassungsrechtlichen Rahmen für die gesetzliche Regelung aufzuzeigen, nicht jedoch selbst die bundesstaatliche Finanzordnung vorschreiben darf, ist jede Neuregelung wieder vor dem Bundesverfassungsgericht angreifbar: Nach dem Prozess ist vor dem Prozess. Vor allem das Geld, das den Ländern in den Schritten 1 bis 3 erst zugewiesenen und dann im vierten Schritt wieder genommen wird, schmerzt die Geber heftig. Die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der Länder hat zudem dazu geführt, dass immer weniger Länder immer höhere Beiträge zum Länderfinanzausgleich aufbringen müssen. Die Solidarität zwischen den Ländern ist so an ihre Grenzen gestoßen.
Die am 14. Oktober 2016 beschlossene Neuregelung verspricht eine Reduzierung von Komplexität, Solidaritätsanforderungen und Streitanfälligkeit. Der Preis dafür ist ein Erstarken der Rolle des Bundes. Er muss mehr bezahlen, darf aber auch mehr bestimmen. Finanzwirtschaftlich gesehen werden vor allem die finanzschwächeren Länder stärker als bislang zu Kostgängern des Bundes. Dafür sind sie nicht länger genötigt, Solidarität von den finanzstärkeren Ländern einzufordern, die mit steigenden Beiträgen auf immer weiter sinkende Zahlungsbereitschaft gestoßen ist. Verlässlichkeit gewinnt die neue Regelung dadurch, dass sie unbefristet ist und selbst bei der Forderung nach einer Neuregelung durch den Bund oder mindestens drei Länder zunächst einmal fünf Jahre fort gilt.
An die Stelle des bisherigen Länderfinanzausgleichs wird zukünftig die Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer treten. Sie wird nur noch grundsätzlich nach Maßgabe der Einwohnerzahl erfolgen, jedoch durch Zu- und Abschläge entsprechend der Finanzkraft jedes Landes modifiziert werden. Umsatzsteuerstarke Länder wie Nordrhein-Westfalen werden so von Nehmer- zu Geberländern. Umsatzsteuervorwegausgleich und Länderfinanzausgleich werden durch die Umsatzsteuerverteilung zwischen den Ländern ersetzt. Das macht die Finanzverteilung transparenter. Da auch die finanzstarken Länder zukünftig kein eigenes Geld mehr abgeben müssen, dürfte die neue Regelung auch weniger streitanfällig sein.
Wie bei jedem guten Kompromiss können alle Beteiligten auf für sie günstige Elemente der Neuregelung verweisen. Die Länder profitieren von der Stärkung ihrer Finanzkraft auf Kosten des Bundes. Als Folge der Gewährung zusätzlicher Bundesmittel in Höhe von etwa 9,5 Milliarden € steht zukünftig kein Land schlechter da als gegenwärtig. Anders wäre eine Einigung auch nicht vorstellbar gewesen. Der Bund wiederum kann Maßnahmen zur Verbesserung der Aufgabenerledigung im Bundesstaate durchsetzen, die seine Einflussmöglichkeiten stärken. Monetären Verbesserungen für die Länder stehen nichtmonetäre Stärkungen der Rechte des Bundes gegenüber. Beide Ebenen des Bundestaates erhalten so Vorteile, die ihnen viel wert sind.
Alle Länder profitieren von einem zusätzlichen Festbetrag in Höhe von 2,6 Milliarden € sowie zusätzlichen Umsatzsteuerpunkten im Gegenwert von 1,42 Milliarden €. Auch kommt ihnen die Fortführung des Bundesprogramms zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs zugute. Die finanzschwächeren Länder ziehen Vorteile aus einer Erhöhung der allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen sowie aus einer neuen Bundesergänzungszuweisungen für Forschungsförderung. Erfreulich für die finanzstarken Flächenländer ist die auf 75 Prozent begrenzte Einbeziehung der kommunalen Finanzkraft in die Berechnungen. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hätte möglicherweise zu einer vollständigen Einbeziehung geführt. Zukünftig wird der Bund zudem Finanzkraftunterschiede auf Gemeindeebene mit etwa 1,5 Milliarden € jährlich ausgleichen.
Für die Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg sowie für die einwohnerschwachen ostdeutschen Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt bringt das Festhalten an der Einwohnerwertung fühlbare Vorteile. Die ostdeutschen Länder können den Wegfall für sie bestimmter Bundesergänzungszuweisungen deshalb hinnehmen, weil es zukünftig Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich regionaler Ungleichgewichte unter den Ländern geben wird, die insbesondere an strukturelle Arbeitslosigkeit anknüpfen werden. Für die Haushaltsnotlagenländer Bremen und Saarland werden weiterhin Sanierungshilfen in Höhe von 800 Millionen € gewährt.
Dem Bund waren die Zustimmung zu einer privatrechtlich organisierten Infrastrukturgesellschaft, die im Ergebnis die Schuldenbremse lockert, und die Reformen der Bundesauftragsverwaltung in Art. 90 GG besonders wichtig. Kaum weniger bedeutend ist die vereinbarte Errichtung eines zentralen Bürgerportals durch den Bund, über das auch die Länder ihre online Dienstleistungen bereitzustellen haben. Die Pflicht zum Erlass von Open Data Gesetzen in den Ländern in Anlehnung an die Bundesregelung kommt hinzu. Weiter erhält der Bund mehr Steuerungsrechte bei seinen Finanzhilfen an Länder und Kommunen zur Förderung von Investitionen. Die Erhebungsrechte des Bundesrechnungshofs bei den Mischfinanzierungstatbeständen werden gestärkt. Auch die von den Ländern lange verwehrte Stärkung der Rechte des Bundes in der Steuerverwaltung ist nunmehr vereinbart.
Betrachtet man den Kompromiss insgesamt, so begründet er eine neue Finanzarchitektur des Bundesstaates, der auf beiden Ebenen stärker werden: Die Eigenständigkeit der Länder wird durch die Stärkung ihrer Finanzkraft gefestigt. Wenn sie die neu zufließenden Gelder sinnvoll einsetzen, können Sie dem Bund zukünftig besser als bislang gleichberechtigt gegenübertreten. Der Bund hat zwar bei der Einigung einer Mehrbelastung zugestimmt, die etwas höher ist als von ihm ursprünglich geplant. Angesichts seiner Steuereinnahmen kann er sich diese Großzügigkeit jedoch leisten. Auch er hat ein genuines Interesse an Ländern, die auf einer gesicherten finanziellen Grundlage agieren und ihre politische Kraft nicht auf die Bekämpfung von Haushaltsnotlagen konzentrieren müssen. Es muss allerdings bezweifelt werden, ob die Sanierungshilfen für Bremen und das Saarland in der vorgesehenen Höhe ausreichen werden, um beiden Ländern den Weg zurück zu einer nachhaltigen Haushaltswirtschaft zu ebnen.
Der Preis, den der Bund für die finanzielle Stärkung der Länder erhält, liegt in der Erweiterung seiner Handlungsmöglichkeiten in den Bereichen Digitalisierung, Investitionen und Steuerverwaltung. Die Länder konnten dem Bund auf diesen Feldern entgegenkommen, weil sie durch die Stärkung ihrer Finanzkraft ihre Handlungsfähigkeit auf anderen Feldern verbessern können. Schon die Tatsache, dass Bund und Länder die politische Kraft für diesen umfassenden Kompromiss gefunden haben, spricht für den Bundesstaat. Dass beide Ebenen ihn nutzen können, um ihre Aufgaben zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger besser zu erfüllen, ist ein Gewinn für Deutschland.