17 September 2011

Finanzkrise und Gewaltenteilung

Irland, von der Finanzkrise böse gebeutelt, bereitet sich auf ein Verfassungsreferendum vor. Ende Oktober sollen die Iren parallel zu den Präsidentschaftswahlen darüber abstimmen, ob Art. 35.5 der irischen Verfassung geändert wird. Er garantiert allen irischen Richtern, dass ihre Besoldung während ihrer Amtszeit nicht reduziert werden darf.

Die Idee dahinter ist klar: Es geht um Gewaltenteilung. Die Regierung bezahlt die Richter und soll diese Kompetenz nicht als Hebel benutzen dürfen, die Judikative zu disziplinieren. Solche Verfassungsklauseln sind nichts ungewöhnliches. Die Verfassung der USA enthält eine ganz ähnliche Formulierung (Art. III 1).

Das Verbot, Richtern die Bezüge zu kürzen, macht in diesen Zeiten, wo die irische Regierung unter dem Zwang, ihre Ausgaben herunterzufahren, an allen Ecken und Enden sparen muss, Probleme: Alle müssen Abstriche hinnehmen, nur die Richter nicht.

Wenn alle bluten, dann auch die Justiz

Der Änderungsvorschlag sieht vor, Art. 35.5 wie folgt zu ergänzen:

Where, before or after the enactment into law of this section, reductions have been or are made by law to the remuneration of persons belonging to classes of persons whose remuneration is paid out of public money and such law states that those reductions are in the public interest, provision may also be made by law to make reductions to the remuneration of judges.

Mit anderen Worten: Wenn man anderen, die aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden, aus Gründen des öffentlichen Interesses die Bezüge kürzt, kann man das auch bei Richtern tun.

Das hört sich vernünftig an, und die übergroße Mehrheit der Iren scheint das auch vernünftig zu finden. Aber die gewählte Formulierung ist auf den zweiten Blick ziemlich eigenartig: Theoretisch könnte die irische Regierung damit jederzeit den Richtern die Bezüge kürzen, solange sie bei irgendeiner anderen, noch so winzigen Gruppe von anderen öffentlich Bediensteten das Gleiche tut. Öffentliches Interesse kriegt man immer irgendwie begründet.

Die irische Richterschaft wehrt sich gegen den Vorschlag obendrein mit dem Argument, dass ihr schließlich ebenfalls von Verfassungs wegen verboten ist, sich anderswo noch etwas dazuzuverdienen. Ausdrücklich weisen sie auf das deutsche Bundesverfassungsgericht hin, deren Mitglieder schließlich teilweise auch noch als Professoren weiterarbeiten dürfen. Oder auf Richter, die im Nebenjob in privaten Schiedsgerichten mitwirken.

Alimentation

In Deutschland gibt es, soweit ich sehen kann, keine besondere verfassungsrechtliche Absicherung des Besoldungsniveaus der Richter. Das liegt wahrscheinlich daran, dass generell eine massive Reduktion der Beamtenbezüge hierzulande ein derartiges No-No ist, dass es da gar keiner Differenzierung zwischen Exekutive und Judikative bedarf.

2005 hat der Zweite Senat festgestellt, dass Spardruck allein kein Grund sein kann, Beamten generell die Bezüge zusammenzustreichen – das aber aus Gründen, die mit Gewaltenteilung überhaupt nichts zu tun haben, sondern ganz unverbrämt beim Namen nennen, worum es geht: Das Alimentationsprinzip erlaubt es im Regelfall nicht, wegen etwas so profanem wie der Notwendigkeit, Ausgaben einzusparen, den Lebensstandard der Staatsdiener herunterzuschrauben:

Die vom Dienstherrn geschuldete Alimentierung ist keine dem Umfang nach beliebig variable Größe, die sich einfach nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten der öffentlichen Hand, nach politischen Dringlichkeitsbewertungen oder nach dem Umfang der Bemühungen um die Verwirklichung des allgemeinen Sozialstaatsprinzips bemessen lässt…

Parlament darf Tribunale veranstalten

Mit Gewaltenteilung hat auch ein zweites Verfassungsreferendum in Irland zu tun, das ebenfalls am 27. Oktober stattfinden soll: Dabei geht es um die Einführung eines Rechts des Parlaments, Untersuchungsausschüsse zu installieren und dafür Zeugen zu laden.

Anlass war ein Urteil des Obersten Gerichtshofs, der dem Parlament verboten hatte, Mitglieder einer Polizeielitetruppe vorzuladen und einen Vorfall aufzuklären, bei dem ein Mann mit bipolarer Persönlichkeitsstörung von der Polizei erschossen worden war, nachdem er sich bewaffnet in seinem Haus verrammelt hatte. Das Parlament, so der Gerichtshof, dürfe zwar Untersuchungen anstellen, aber nicht, soweit dies den Ruf individueller Personen beeinträchtigt (in diesem Fall des betroffenen Elitepolizisten).

Politisch brisant wird dieses Verfassungsreferendum dadurch, dass es dem Parlament ermöglichen würde, die Rolle der Regierung während der Finanzkrise zu untersuchen.

Auch hier liegt der Teufel im Detail. Wir sind sicher alle sehr dafür, dass der gute Ruf eines Elitepolizisten nicht schwerer wiegt als das Aufklärungsinteresse der Öffentlichkeit, wenn der Mann einen Persönlichkeitsgestörten über den Haufen geschossen hat. Aber generell kann das schon zum Problem werden, wenn ein politisches Gremium ungebremst Tribunale über jeden, der ihm gerade unbequem ist, abhalten kann.

Hier sind wir im Grunde wieder bei dem Thema meines vorangegangenen Posts: Wie verhält sich das Recht des demokratisch legitimierten Parlaments, den Willen des Souveräns durchzusetzen, zu den Menschenrechten der Individuen?

Foto: James Jordan, Flickr Creative Commons


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