Folgenlose Verstöße
Fraktionsfinanzierung erneut am Pranger
Am 12. Januar 2021 hat der Bundesrechnungshof seinen Bericht zur Fraktionsfinanzierung veröffentlicht. Wenig überraschend hat er darin strukturelle Defizite bei der Verwendung und der Kontrolle der Mittel festgestellt. Die Probleme sind seit langem bekannt, was es endlich braucht, sind gesetzliche Regelungen.
Eine Angelegenheit von besonderer Bedeutung
In Angelegenheiten von besonderer Bedeutung (§ 99 BHO) kann der Bundesrechnungshof gegenüber den gesetzgebenden Verfassungsorganen berichten. Diese besondere Bedeutung hat der Bundesrechnungshof im Falle der Fraktionsfinanzierung jetzt erneut gesehen und Parlament und Regierung mit seinem „Bericht zu strukturellen Defiziten bei der Verwendung und Kontrolle der den Fraktionen nach dem Abgeordnetengesetz zur Verfügung gestellten Geld- und Sachleistungen“ darüber informiert, dass die staatlichen Mittel, die aus dem Bundeshaushalt an die Fraktionen im Deutschen Bundestag fließen, zweck- und damit rechtswidrig eingesetzt werden können, ohne Rückforderungen oder andere Sanktionen befürchten zu müssen.
Wie finanzieren sich die Parlamentsfraktionen?
Fraktionen sind rechtsfähige Vereinigungen von Abgeordneten des Bundestages (§ 46 Abs. 1 AbgG) und leiten als solche ihre Rechte von den Abgeordneten ab. Der Fraktionsstatus ist damit letztlich ein Bündel von Rechten, die im Abgeordnetenstatus wurzeln (Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG). Sie steuern und erleichtern die parlamentarische Arbeit und sind notwendige Einrichtungen des Verfassungslebens (BVerfGE 84, 304 (324); 140, 1 (26)).
Parlamentsfraktionen werden daher vollumfänglich (Vollalimentation) aus staatlichen Mitteln finanziert. Für die Bundesebene ist dies im Abgeordnetengesetz in den §§ 50 ff. geregelt. Die konkrete Höhe der staatlichen Fraktionsfinanzierung findet sich dort nicht. Dem Abgeordnetengesetz ist lediglich eine Aufteilung in monatlichen Grundbetrag, monatlichen Betrag pro Mitglied und Oppositionszuschlag zu entnehmen, § 50 Abs. 2 AbgG.
In 2020 betrugen die Geldleistungen aus dem Bundeshaushalt an die Fraktionen 119.369.000 €: ein monatlicher Grundbetrag von je 452.121 € pro Fraktion, pro Mitglied 9.438 € sowie pro Oppositionsfraktion ein Zuschlag von 15 % auf den Grundbetrag und 10 % auf den Betrag pro Mitglied. Ob die festgesetzten Summen wirklich benötigt werden, ist angesichts des Aufbaus erheblicher Rücklagen der Fraktionen durchaus bestreitbar (Hobusch, MIP 2019, 51 ff.). Hinzu kommen Sachleistungen, insbesondere Räume im Reichstagsgebäude und in anderen Liegenschaften des Deutschen Bundestages, einschließlich der Einrichtung und technischen Ausstattung.
Diese Vollalimentation dient ausschließlich dazu, Tätigkeiten zu finanzieren, welche die Fraktionen nach Verfassung, Abgeordnetengesetz und Geschäftsordnung zu erfüllen haben. Die Verwendung der Mittel unterliegt gemäß § 50 Abs. 4 AbgG dieser strikten Zweckbindung. Sie sollen eine sachgemäße, effektive Fraktionsarbeit ermöglichen und gewährleisten.
Die Fraktionen unterfallen einer öffentlichen Rechnungslegungspflicht (§ 52 AbgG) und einer Rechnungsprüfung (§ 53 AbgG). Die Rechnungslegungspflicht und damit auch die Prüfung erstrecken sich, anders als in einigen Bundesländern, lediglich auf die Mittel, die den Fraktionen aus dem Bundeshaushalt zugeflossen sind. Demzufolge müssen Einnahmen aus privaten Quellen, wie etwa die Fraktionsbeiträge ihrer Mitglieder und Zuwendungen von privaten Dritten, nicht im Rechenschaftsbericht ausgewiesen werden. Dies führt zu einem Mangel an Transparenz bei der Fraktionsfinanzierung auf Bundesebene, aber auch in einigen Bundesländern. Dass beispielsweise in NRW neben den staatlichen Zuwendungen auch „sonstige Einnahmen“ im Rechenschaftsbericht der Fraktionen auszuweisen sind, erhöht die Transparenz allerdings auch nicht, da diese lediglich in der Gesamtsumme ausgewiesen werden. So ist weder ersichtlich, woher die Mittel stammen, noch wofür sie verwendet werden (Merten, DÖV 2020, 918 ff.).
Wie wird die Finanzierung geprüft?
Anders als bei der Parteienfinanzierung wird die Mittelverwendung nicht durch den Bundestagspräsidenten, sondern durch den Bundesrechnungshof (auf Landesebene durch die Landesrechnungshöfe) geprüft, und zwar auf ihre wirtschaftliche und ordnungsgemäße Verwendung. Dabei normiert § 53 Abs. 2 AbgG ausdrücklich, dass “die politische Erforderlichkeit einer Maßnahme der Fraktionen nicht Gegenstand der Prüfung” ist. Der Bundesrechnungshof hat also keine eigenen Zweckmäßigkeitserwägungen vorzunehmen. Prüfen muss er vielmehr nach Maßgabe von Ausführungsbestimmungen, die der Ältestenrat hätte erlassen müssen (§§ 53 Abs. 1, 51 Abs. 1 AbgG). Dazu ist es aber bis heute nicht gekommen, was der Bunderechnungshof in seinem Bericht erneut deutlich kritisiert und anmahnt.
Öffentlichkeitsarbeit von Fraktionen
Zu den Aufgaben der Fraktionen gehört gemäß § 47 Abs. 3 AbgG ausdrücklich, die Öffentlichkeit eigenständig über ihre Tätigkeit zu unterrichten. Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsmäßigkeit der Öffentlichkeitsarbeit in seiner Entscheidung zur Fraktionsfinanzierung zwar offengelassen, aber die weitere Ausgestaltung im Abgeordnetengesetz damit im Ergebnis unbeanstandet gelassen (BVerfG 140, 1 ff.). In der Literatur und in der vereinzelten Rechtsprechung jenseits des Bundesverfassungsgerichts (etwa StGH Bremen Urt. v. 23.12.1996 – St 5/96; VerfGH Rheinland-Pfalz Urt. v. 19.8.2002 – VGH O 3/02; OVG Schleswig Urt. v. 30.9.1997 – 2 K 9/97; VG Magdeburg Urt. v. 1.9.2017 – 9 A 51/16) wird die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen jedenfalls weitgehend für zulässig erachtet. Unproblematisch ist dies, wenn die Fraktionen dabei den engeren Raum des parlamentarischen Bereichs nicht verlassen und unzweifelhaft über ihre eigenen Tätigkeiten unterrichten. Da Fraktionstätigkeiten naturgemäß aber immer auch politisch geprägt sind, kann die Abgrenzung zwischen dem Handeln der Fraktion und dem Handeln der sie tragenden politischen Partei in einer parlamentarischen Parteiendemokratie schwierig sein. Wegen der absoluten Obergrenze der Parteienfinanzierung und des Spendenannahmeverbotes in § 25 Abs. 2 Nr. 1 PartG kann es deshalb schnell zu einer rechtswidrigen Querfinanzierung der politischen Parteien kommen.
Die Abgrenzung zur unzulässigen Parteiwerbung wird im Wesentlichen anhand derjenigen Kriterien vorgenommen, die insbesondere das Bundesverfassungsgericht für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung aufgestellt hat. Danach ist Öffentlichkeitsarbeit von Fraktionen nur dann zulässig, wenn die Urheberschaft eindeutig der Fraktion zuzuordnen, ein unmittelbarer Bezug zur Parlamentsarbeit gegeben ist und ein sachbestimmter und -bezogener Formulierungsstil eingehalten wurde, der nicht parteiwerbend wirkt. Gerade für die Vorwahlzeiten hat die Rechtsprechung richtigerweise ein Mäßigungsgebot ausgesprochen (VerfGH NRW, Beschluss vom 16.07.2013, Az. VerfGH NRW 17/12). Die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen darf daher weder Parteiwerbung noch Kandidatenwerbung (Merten, MIP 2020, 158 ff.) sein. Die von der Rechtsprechung aufgezeigten Grenzen bleiben dennoch relativ unpräzise und öffnen damit immer auch Interpretationsspielräume.
Darauf macht auch der Bericht des Bundesrechnungshofes nochmals aufmerksam. Seine Prüfungen haben ergeben, dass sowohl die Fraktionen als auch die Bundestagsverwaltung die Befugnisse sehr viel weiter auslegen und einen allgemeinpolitischen – also von der parlamentarischen Tätigkeit losgelösten – Bildungsauftrag annehmen. Sachlich entscheide jede Fraktion für sich, was sie als zulässige Unterrichtung erachte. Der Bundesrechnungshof legt die Befugnis der Fraktionen und ihrer Mitglieder hingegen deutlich enger aus (siehe Bericht, S. 7).
Eine Abgrenzung ist aber nicht nur hin zur unzulässigen Parteiwerbung vorzunehmen, sondern auch zu inhaltlich problematischer Werbung mit fremdenfeindlichen oder gar rassistischen Inhalten, die geeignet sein könnte, den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 StGB zu erfüllen, wie die Malbuchaktion der AfD-Landtagsfraktion NRW gezeigt hat. Wird strafrechtlich problematische Fraktionswerbung von einer Fraktion betrieben, dann stellt sich auch hier die Finanzierungsfrage (siehe dazu Merten, Ein Malbuch als Prüfstein der Fraktionsfinanzierung, DÖV 2020, 918 ff.).
Eine neue Dimension erreicht die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen durch die stark zunehmende Nutzung der sozialen Medien und neuer Formate, wie moderierte Podcasts, Talkshows, Filme etc. Mit ihrer unglaublichen Dynamik führt sie vielfach zu einer Zuspitzung, Emotionalisierung und Personalisierung, die zwangsläufig zu weiteren Abgrenzungsproblemen führen wird, gerade in Wahlkampfzeiten.
Darauf weist auch der Bundesrechnungshof in seinem Bericht (S. 7) ausdrücklich hin. Über die sozialen Medien kommunizieren die Fraktionen praktisch ununterbrochen zu allen möglichen Themen schnell mit einer sehr großen Anzahl von Nutzern. Die Öffentlichkeitsarbeit erreicht so eine erstaunliche Reichweite, besonders unter jungen Menschen. Viele Beiträge der Fraktionen lassen schon jetzt den erforderlichen „eindeutigen Bezug“ zur Tätigkeit der Fraktion, über die unterrichtet werden soll, nicht wirklich zweifelsfrei erkennen.
Keine Sanktionsmöglichkeit
Die Fraktionen benötigen eine rechtssichere Orientierung bei der Verwendung der Geld- und Sachleistungen, die ihnen für ihre innerparlamentarische Tätigkeit und die Unterrichtung der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Der Bundesrechnungshof verlangt, entweder die gesetzliche Grundlage selbst konkretisierend zu ergänzen oder zumindest die längst überfälligen Ausführungsbestimmungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung zu erlassen.
Die Verstöße, die der Bundesrechnungshof bei der Fraktionsfinanzierung festgestellt hat, bleiben zudem folgenlos, weil es im AbgG – anders als in einigen Landesgesetzen (z.B. § 5 Abs. 1 FraktG NRW) – für Rückforderungen an einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage fehlt. Die Bundestagsverwaltung als mittelverwaltende Stelle belässt es nach wie vor dabei, die Fraktionen auf die rechtswidrige Verwendung hinzuweisen, ohne die entsprechenden Mittel zurückzufordern. Wenn Fraktionen die ihnen zugewiesenen Mittel zweckwidrig verwenden, bleibt dies mangels Sanktionsmöglichkeit gänzlich folgenlos. Auch fehlt es an einer Pflicht, Beiträge in den sozialen Medien zu löschen, die die Fraktionen über die Grenzen von § 47 Abs. 3 AbgG hinaus unzulässiger Weise unter Verwendung der ihnen zugewendeten Geld- und Sachleistungen produziert und verbreitet haben.
Der Bundesrechnungshof stellt sehr deutlich heraus, dass das Fehlen von zusätzlichen finanziellen Strafen gerade im Bereich der sozialen Medien, „wo mit geringen finanziellen Mitteln eine hohe Wirkung erzielt werden kann“, Anreize setzt, die Mittel in unzulässiger Weise – etwa zur Parteiwerbung – zu verwenden (Bericht, S. 10). Diese Anmerkung des Rechnungshofes könnte im Hinblick auf die derzeit in Karlsruhe anhängigen Verfahren zur Anhebung der absoluten Obergrenze der Parteienfinanzierung (BVerfG Az. 2 BvF 2/18; 2 BvE 5/18) noch für Aufmerksamkeit sorgen. Wurde der erhebliche finanzielle Mehrbedarf bei der Parteienfinanzierung von den Koalitionsparteien doch mit dem hohen Kostenaufwand für die Digitalisierung und die Bedienung der sozialen Medien begründet.
Legitimation für das System der Fraktionsfinanzierung sicherstellen
Überraschend ist das Ergebnis der Prüfung des Bundesrechnungshofs nicht. Die Problemlage bei der Fraktionsfinanzierung ist schon lange gut bekannt und benannt, aber nach wie vor ungelöst. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Rechtsprechung (BVerfGE 140, 1 ff.) auch einiges dazu beigetragen, dass eine effektive Kontrolle im Grunde immer noch nicht stattfindet. Umso wichtiger ist der erneute Versuch des Bundesrechnungshofes eine gesetzliche Regelung zu bewirken: Laut Präsident des Bundesrechnungshofes könnte das strukturelle Vollzugsdefizit „die Legitimation für das System der Fraktionsfinanzierung in Frage stellen“. Die gesetzgebenden Verfassungsorgane sollen das Regelwerk noch vor den im September anstehenden Bundestagswahlen verbessern und damit die längst überfällige Rechtssicherheit schaffen. Umsetzungsdruck in einem politisch „brisanten“ Bereich erzeugt man in einem Wahljahr wohl immer noch am effektivsten.