Für ein ,Helsinki’ im deutschen Migrationsrechtsdiskurs
Es sind stürmische Zeiten, in denen nicht nur in Berlin und München sich Rhetorik und Emotionen bisweilen überschlagen. Der bedächtige Politikdiskurs der späten Bonner Republik ist heute ebenso wild wie manche Berliner Clubnacht. Dies gilt auch für wissenschaftliche Positionierungen mit gesellschaftlicher Breitenwirkung, die angestoßen zu haben ein Verdienst von Max Steinbeis und dem Verfassungsblog ist. Dennoch ließen mich einige jüngere Beiträge zum Migrationsrecht kopfschüttelnd zurück.
Dana Schmalz sah Asylbewerber durch den Kompromiss von CDU und CSU in vermeintlich grundrechtsfreien Transitzonen im juristischen Niemandsland stranden – und Maximilian Pichl wähnte die Bundesregierung auf dem Weg, „eine illiberale und anti-europäische Form des Rechtsstaats in Deutschland zu implementieren.“ Wenn dies zutrifft, verdient das Trio von Merkel, Seehofer und Nahles den Ehrentitel als die neuen Orbáns und Trumps, denn die drei zentralen Forderungen der CDU/CSU wurden vom Koalitionsausschuss rhetorisch abgeschwächt, in der Sache aber nahezu unverändert fortgeführt.
Nun habe ich kein Problem mit griffiger Rhetorik und benutze diese nachfolgend bewusst auch selbst. Allein einige jüngere Beiträge prägte ein ärgerlicher Kontrast zwischen rhetorischer Aufrüstung und argumentativer Entleerung. Rechtliche Argumente wurden durch floskelhafte Beschwörungen des Refoulementverbots oder des Anwendungsvorrangs ersetzt, ohne zu sagen, worin konkret der Verstoß liegen soll. Oder es wurde so einseitig argumentiert, dass der Eindruck zurückbleibt, EuGH und EGMR entschieden immer für Migranten und Flüchtlinge.
Dies ist gefährlich. Wenn von linker Seite der regierungsamtliche Versuch, „Ordnung und Steuerung“ zu etablieren, pauschal als menschenrechts- oder rechtsstaatswidrig präsentiert wird, passiert in der Sache nichts anderes, als wenn deutschnationale und rechtspopulistische Kreise den Mythos eines fortwährenden Rechtsbruchs pflegen. Auch eine undifferenzierte Berufung auf EU-Recht und EMRK kann den Sachdiskurs unterminieren. Es ist wie im Kalten Krieg: Ohne Abrüstung droht dem Diskurs ein nuklearer Winter. Doch dazu später mehr.
Die eingebildete Fiktion der Rechtlosigkeit
Es ist kein Zufall, dass die CDU/CSU-Verständigung rhetorische Überreaktionen hervorrief, denn die knappen 15 Zeilen setzten in Twitter-Manier auf drei kurze Meldungen voller Schlagwörter wie „neues Grenzregime“, „Transitzentren“ und „Fiktion der Nichteinreise“. Deren operativer Gehalt wurde nicht erklärt, aber sie weckten Assoziationen (und sollten das wohl auch). Entsprechend groß war die Entrüstung neben Schmalz auch bei Joachim Wieland und, deutlich abgeschwächt, Mathias Hong. Eindeutig grundgesetz- und europarechtswidrig lautete der Befund.
Gerade von Dana Schmalz, die offiziell als „Associate Editor” des Verfassungsblogs für Asyl, Migration und Sozialstaat verantwortlich zeichnet, hätte man sich gewünscht, dass sie die Floskeln hinterfragt, was eine „Fiktion der Nichteinreise“ migrationsrechtlich bedeutet. Der verbreitete Verweis auf das Flughafenverfahren hätte sie auf die Spur bringen können, dass es nicht darum geht, die Grundrechtsgeltung dogmatisch auszuhebeln, sondern um eine verwaltungsrechtliche Fiktion. Die Bundeskanzlerin und der Innenminister verstanden dies besser, als sie im Bundestag und in Interviews erklärten, dass von Verfassungs wegen eine 48 Stunden-Frist einzuhalten sei. Das überzeugt zwar in der Sache nicht, geht aber richtigerweise davon aus, dass selbstverständlich die Grundrechte gelten.
Geregelt wird eine solche Fiktion heutzutage für das Flughafenverfahren in § 18a AsylG sowie für eventuelle Binnengrenzkontrollen in § 13 Abs. 2 S. 2 AufenthG. Florian von Alemann machte dankenswerterweise in einem Kommentar darauf aufmerksam, dass das positive Recht anders aussieht als der erste Beitrag hierzu auf dem Verfassungsblog suggerierte.
Auch Schmalz relativierte schließlich ihre Kritik am Morgen des 6. Juli, also nach dem Kompromiss der Großen Koalition: „Wenn wir es am Ende mit viel Gelärme um wenig Veränderungen zu tun haben, ist das ärgerlich… Ich spreche mich mit so viel Nachdruck gegen … eine fingierte Nichteinreise aus, weil sie statt Gründe zu diskutieren die Tatsachen umdeute(t), auf die wir uns beziehen.“ Selbstkritik sieht anders aus, denn in der Sache war sie es, die sich nicht weiter um migrationsrechtliche Regelungsinhalte kümmerte und rhetorisch dennoch viel Gelärme machte.
Ein Grund für den Schnellschuss mag gewesen sein, dass Dana Schmalz interdisziplinär bewandert ist. Ihre Beiträge hierzu kann ich empfehlen. Aus dieser Perspektive hätte sie sehr gut auf die diskurstheoretischen Gefahren und politiktheoretischen Fallstricke einer Semantik der Transitzonen hinweisen können. Auch kann man praxisbezogen argumentieren, dass Transitverfahren die Rechtsberatung faktisch erschweren. Dies klang auch bei Schmalz an, aber letztlich präsentierte sie eine rechtsdogmatische Kritik, obgleich diese von Anfang an unhaltbar war, wenn man mit den bestehenden deutschen und europäischen Regeln zu Einreisefiktionen, Grenzverfahren und Transitzonen halbwegs vertraut ist.
Es ist dies durchaus eine allgemeine Lehre. In einem hochkomplexen Rechtsgebiet wie dem Migrationsrecht ersetzen interdisziplinäre Fertigkeiten nicht die Auseinandersetzung mit dem positiven Recht auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Diese dogmatische Kärrnerarbeit ist mühsam, kostet auch mich viel Zeit und ist nicht so sexy wie kritische Theorie, aber sie ist unentbehrlich, wenn man im öffentlichen Diskurs konkrete Maßnahmen rechtswissenschaftlich bewerten will.
Transitverfahren im Einklang mit den Menschenrechten
Maximilian Pichl zeigt eine größere Begeisterung für migrationsrechtliche Details, ist dafür aber umso einseitiger. Ich habe wohlgemerkt kein Problem damit, dass er eine politische Agenda verfolgt und sprachlich zuspitzt, aber ein öffentlicher Diskursbeitrag sollte kein Anwaltsschriftsatz sein, der argumentative Schwächen bewusst kaschiert. Zutreffend führt er aus, dass der EGMR in erster Instanz die ungarischen Transitzonen als menschenrechtswidrig einstufte, wobei die Berufung derzeit verhandelt wird. Doch was möchte er uns damit kurz nach dem CDU/CSU-Kompromiss sagen? Dass in Passau und Rosenheim bald ungarische Verhältnisse herrschen?
Dies ist bei allem Respekt ebenso absurd wie manch erbärmliche Merkel-Metapher der AfD. Schließlich waren es die bayerischen Behörden, die mit großem Engagement die administrative Basis der Willkommenskultur bildeten. Das berüchtigte LAGESO lag im damals großkoalitionären Berlin, nicht im schwarzen Bayern. Transitzentren sind auch in Deutschland kein angenehmer Raum, aber ungarische oder griechische Verhältnisse bei Unterbringung und Verfahren wird es nicht geben. Dies merkt auch Pichl, wenn er eine mögliche „humanitäre“ deutsche Variante erwägt, nur um den Gedanken sogleich mit der Orbán-Keule niederzumachen.
Es ist dies nicht nur eine diskursive Schwäche. Rechtlich betrifft die EGMR-Kritik nämlich vorrangig das Wie der Ausgestaltung und nicht das Ob der Einrichtung. Man muss nur die Pressemitteilungen gründlich lesen, um festzustellen, dass die Urteile nicht so eindeutig sind wie Pichl suggeriert. Die Lebensbedingungen in Ungarn waren für den EGMR noch in Ordnung (Rn. 84-90) und dasselbe gilt – entgegen der ausführlich rezipierten NGO-Kritik – auch für den griechischen Hotspot auf Chios (Rn. 136-147). Vor allem jedoch verschweigt Pichl, dass der EGMR den Freiheitsentzug als solchen nicht als rechtswidrig einstufte, sondern sich „nur“ an der unklaren Rechtsgrundlage und Behördenpraxis rieb (Rn. 86-88), in Bezug auf Malta ebenso wie für die griechischen Inseln (Rn. 108-124).
Diese verfahrensbezogene Kritik ist kein Zufall, denn der EGMR ist im Einreisekontext großzügiger, seit die Große Kammer entgegen UNHCR befand, dass Asylbewerber prinzipiell in geschlossenen Transitbereichen untergebracht werden dürfen, freilich nicht zu lange. Dies wurde zuletzt mit Blick auf Malta ebenso bestätigt. Dies zeigt, dass man ein Transitverfahren also menschenrechtskonform ausgestalten kann – so wie es Artikel 43 der Asyl-Verfahrensrichtlinie vorsieht. Man kann darüber diskutieren, ob diese Bestimmung auch für die Binnengrenzkontrollen gilt und wie sich die Verfahrensrichtlinie zu den Haftregeln der Aufnahmerichtlinie verhält. Aber diese Mühe macht sich Herr Pichl nicht. Er verweist pauschal auf den EGMR, um ein Fazit zu rechtfertigen, das dessen Urteile nicht tragen.
Ganz ähnlich kann man darüber streiten, ob die von Markus Söder geforderte Einschränkung des Rechtsschutzes gegen Dublin-Überstellungen europarechtskonform ist oder nicht. Allein Pichls Behauptung, ein abgeschaffter Dublin-Rechtsschutz bewirke eine Orbánisierung, verkennt, dass es diesen in Deutschland bis zum Jahr 2013 nicht gab und auch der EuGH bis zum Sommer 2016 eine restriktive Linie verfolgte. Wer den Orbánisierungsvorwurf mit der Gießkanne streut, läuft Gefahr, dass die öffentliche Meinung dieser Fremdbeschreibung irgendwann folgt und diese dann auch umsetzt. Dazu gleich mehr.
Steuerung von Fluchtbewegungen durch Verwaltungsrecht
Als Associate Editor äußert sich Schmalz häufig als erste zu Themen. So auch zwei Tage nachdem Horst Seehofer am 18. Juni die sofortige Zurückweisung bei einer Einreisesperre angeordnet hatte. Das Fazit von Pauline Endres de Oliveira und Dana Schmalz war eindeutig: europarechtswidrig. Ganz ähnlich eine Woche zuvor die erste Reaktion zum plötzlich eskalierenden Streit zwischen CDU und CSU: generelle Zurückweisungen von Asylbewerbern verstoßen nicht nur gegen die Dublin-Vorschriften, was von vielen anderen zuvor ausführlich begründet worden war, sondern auch gegen das Refoulementverbot der Genfer Flüchtlingskonvention.
Ich kann gut nachvollziehen, wenn einige der seriösen Kommentatoren fehlende Rechtsnormen oder Verweise vermissten. Tatsächlich gehören zum EU-Recht auch die Rückführungsrichtlinie oder die Verordnung über das Schengener Informationssystem (SIS), die beide das Einreiseverbot regeln und normhierarchisch dieselbe Stellung wie die Dublin-Regeln besitzen. Leider sind auf EU-Ebene verschiedene Rechtsakte nicht immer aufeinander abgestimmt, sodass es Spannungslagen und Unklarheiten geben kann. Daher ist das genaue Verhältnis von Artikel 11 der Rückführungsrichtlinie sowie vor allem auch von Artikel 24 der SIS-Verordnung i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Buchst. d, Art. 14 des Schengener Grenzkodex zu den Dublin-Vorschriften ein rechtliches Dickicht, das meines Wissens bisher niemand zu durchqueren versucht hat.
Es wäre ein lohnenswertes Unterfangen gewesen, dies zu tun. Aber dies erfordert mehr als einen pauschalen Verweis auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Europarecht ist nicht Aladins Wunderlampe, die einem alle Wünsche erfüllt, die man gerade hat. Dies gilt für Schmalz und Endres de Oliveira ebenso wie für den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier, der kürzlich in einem Gutachten generelle Zurückweisungen nach den Dublin-Regeln zu rechtfertigen versuchte, ohne die detaillierten Normen zu Überstellungsverfahren und die einschlägige EuGH-Judikatur überhaupt zu diskutieren, die inzwischen sogar die Bundeskanzlerin in einer Regierungserklärung erwähnte.
Ebenso ist es mit dem Refoulementverbot der Genfer Flüchtlingskonvention, das in der Tat vor Kettenzurückweisungen schützt, hierbei freilich nur vor Verfolgung im Sinn der GFK. Der Vorwurf, dass eine Dublin-Rückführung bzw. eine einseitige Zurückweisung dazu führten, dass ein Syrer zwangsweise wieder in Syrien lande, bleibt spekulativ und wurde selbst vom wegweisenden M.S.S.-Urteil nicht angenommen. Stattdessen geht es bei innereuropäischen Überstellungen in erster Linie um die Lebensbedingungen in anderen EU-Ländern, die die jüngere EGMR-Judikatur gar nicht mehr so kritisch beurteilt (siehe oben zu griechischen Hotspots und ungarischen Transitzonen). Vielleicht meinte Dana Schmalz eben diese menschenrechtlichen Refoulementverbote, aber sie verwies nur auf die GFK.
Es ist dies nicht nur ein dogmatischer Unterschied. Der andere Prüfungsmaßstab macht deutlich, dass es innerhalb des Dublin-Systems zum Glück nicht um Verfolgung oder gar Leben und Tod geht, sondern um angemessene Lebensbedingungen. Dies betrifft wichtige Güter, aber man kann und muss im Lichte der Rechtsprechung darüber diskutieren, welche Standards man hier anlegen sollte – und es ist legitim, wenn jemand hierbei einen flüchtlingsfreundlichen Ansatz verfolgt. Eine formelhafte Beschwörung von GFK und EMRK ersetzt dies jedoch nicht.
Es ist bezeichnend, dass Stefan Talmon in seiner Reaktion auf Schmalz nicht etwa die Rechtsfolgen auszudifferenzieren suchte, sondern den individualrechtlichen Charakter des Refoulementverbots nach der GFK bzw. Völkergewohnheitsrecht gänzlich hinterfragte. Dies mag historisch zutreffen, lässt sich aber für die Gegenwart kaum halten – und gilt jedenfalls nicht für die parallel anwendbaren Menschenrechte, auf die auch UNHCR sich heute häufig stützt. Es ist dies ein paradigmatisches Beispiel für meine letzte Überlegung: Wenn jegliche staatliche Migrationssteuerung als illegitim dargestellt wird, stärkt dies mittelbar diejenigen, die die Rechtsbindung zu relativieren oder aufzugeben suchen. Dies gilt für die Wissenschaft ebenso wie für den öffentlichen Diskurs. Anerkennen wir endlich, dass es nicht nur Schwarz und Weiss gibt, weil die Fluchtmigration im Einklang mit den Menschenrechten gesteuert werden kann und darf.
Für ein „Helsinki“ im deutschen Migrationsrechtsdiskurs
Für die deutsche Migrationspolitik mag der Streit um die Zurückweisungen in ungefähr dasselbe sein wie die Kubakrise für den Kalten Krieg: der mediale Höhepunkt eines schwelenden Konflikts, in dem sich die Feindbilder verfestigen. Im Kalten Krieg etablierte sich ein „Gleichgewicht des Schreckens“, als sich zwei Blöcke konfrontativ gegenüberstanden und der nukleare Winter jederzeit möglich schien. Die Entspannung begann erst, als man in Helsinki 1975 wieder miteinander zu reden begann. Es liegt an uns allen, ob dies im deutschen Migrationsrecht schneller geht.
Gegenwärtig stehen die Zeichen auf konfrontative Verhärtung. Dies zeigt sich beim Streit um die Zurückweisungen ebenso wie zuvor in den Wahlkampf-Kontroversen über die Obergrenze. Schon damals gab es nur Schwarz und Weiß. Gewiss lebt die politische Kommunikation von Vereinfachung und Symbolen, aber davon gab und gibt es derzeit zu viel. Im öffentlichen Diskurs konkurrieren geschlossene Grenzen immer häufiger mit einem unbedingten Einreiserecht.
Dies ist eine diskursive Sackgasse. Vereinfachte Lösungsalternativen geben Orientierung, verlangen jedoch zugleich ein Bekenntnis. Man muss sich scheinbar zwischen Menschenrechten und Migrationssteuerung entscheiden, wenn erstere Flüchtlingen nahezu immer die Einreise zu garantieren und letztere scheinbar einfache Grenzschließungen zu erlauben scheinen. Es gibt, wie ich im anstehenden Doppelheft Mai/Juni der Zeitschrift für Ausländerrecht darlege, keinen Raum für ein argumentatives und rechtliches Dazwischen und damit auch keinen Raum für eine gestaltende Politik, die die vielfältigen Interessen auszugleichen sucht.
Die verbreitete Berufung auf das Recht erscheint hierbei auch als eine argumentative Ausweichstrategie, die Sachargumente zu umgehen sucht. Dies gilt für pauschale Verweise auf das Refoulement-Verbot oder das Europarecht, die sich nicht die Mühe machen, verschiedene Konstellationen dogmatisch abzuschichten, ebenso wie für die noch viel simplere Erklärung 2018, die mit dem Verweis auf das neutrale Recht noch dazu rassistische Motive bei einzelnen Akteuren zu verdecken sucht.
Die Crux ist nun, dass sich beide Positionen auf eine diffuse und speziell von linken Akteuren keineswegs beabsichtigte Weise gegenseitig stabilisieren können. Unter einer solchen binären Konfrontation leidet nicht zuletzt das Recht selbst, wenn dieses aufgrund pauschaler Anrufungen als Ausdruck politisch motivierter Auslegungen erscheint. Dies gilt für den Gegenstand meiner Kritik ebenso wie für Hans-Jürgen Papier, der aufgrund seiner prominenten früheren Position eine besondere Verantwortung trägt.
Eine zunehmende Polarisierung der Rechtsdeutung stärkt diejenigen, die rechtliche Bindungen in einem Akt souveräner Selbstbehauptungen abzuschütteln wünschen, indem sie etwa das Unionsrecht offen missachten. Wer das überstaatliche Recht vor Erosionserscheinungen bewahren will, ist also gut beraten, gerade in Grenzsituationen differenziert zu argumentieren, um den Verdacht politisch motivierter Auslegungen vorzubeugen. Auch mag es helfen, das supranationale Recht nicht nur als fremdbestimmte Vorgaben zu präsentieren, sondern politische Handlungsspielräume zu betonen, die die innerstaatliche Umsetzung ebenso betreffen wie die anstehende Dublin-Reform und bilaterale Vereinbarungen.
Mein Plädoyer für eine gestaltende Migrationspolitik, die die widerstreitenden Interessen auszugleichen versucht, anstatt sich faktisch und normativ zwischen offenen und geschlossenen Grenzen entscheiden zu müssen, reagiert vor allem auf die verschärften Fronten in der aktuellen Situation. Man kann die jüngere deutsche Debatte ganz im Sinn eines konstitutionellen Moments als einen Wendepunkt des Migrationsrechts beschreiben, in dem konzeptuelle Grundannahmen herausgefordert und neu justiert werden. Die Sozialpsychologie spricht insofern von einer „kognitiven Dissonanz“, wenn mehrere kognitive Empfindungen, Wünsche und Absichten sich widersprechen. Der Mensch strebt danach, diese Spannung aufzulösen, indem er Handlungen und Überzeugungen neu justiert.
In einer solchen Situation ist es hilfreich, wenn von der öffentlichen Debatte keine binäre Entscheidung verlangt wird, ob sie nun für die Menschenrechte oder die Staatensouveränität in Form offener oder geschlossener Grenzen optiert. Dies setzt freilich eine rhetorische und argumentative Abrüstung voraus, die – ganz im Sinn des „Geists von Helsinki“ – die widerstreitenden Positionen argumentativ anerkennt. Am diesbezüglichen öffentlichen Diskurs als rechtswissenschaftliches Forum teilzuhaben, ist ein Verdienst des Verfassungsblogs, der auch darauf gründet, dass politische Bewertungen immer auf einer nüchternen Sachanalyse beruhen. Die Chancen, dass dies auch im Migrationsrecht so bleibt, stehen sicher gut, nun wo sich auch in Berlin und München die Wogen wieder zu glätten scheinen.
Endlich. Vielen Dank für diesen Beitrag.
Sehr geehrter Herr Thym,
eine kleine Korrektur zum Anfang: Dass ich durch den Koalitionskompromiss Asylsuchende im grundrechtsfreien Niemandsland stranden sah, gibt meinen Text etwas verfälscht wieder. Auf das Verhältnis von Rechtsgarantien und Territorialität einzugehen, bedeutet keine pauschale Behauptung, dass Grundrechtsgeltung ausgesetzt sei. Wie Sie selbst schreiben, ist bis heute nicht klar, wie die genaue Ausgestaltung aussehen soll, die Vorschläge waren und bleiben diffus und widersprüchlich. Ich halte es gerade in einer solchen Situation für erlaubt und sinnvoll, auf einem Medium wie dem Verfassungsblog eine rahmende (und ja, durchaus auch warnende) Einschätzung anzubieten.
Ihr Vorwurf gegen meinen Text ist ansonsten, dass ich nicht ausreichend auf migrationsrechtliche Details eingegangen sei und beispielsweise das Flughafenverfahren nicht erwähnt habe. Es hat seine Wichtigkeit, derartige Vorschläge, sobald sie klar sind, dogmatisch auseinanderzunehmen. Und ebenso hat es seine Berechtigung, Konzepte wie die „Fiktion der Nichteinreise“ vor breiterem Horizont zu hinterfragen. Mir ist ein Rätsel, weshalb Sie das kritische Kontextualisieren im Widerspruch zur dogmatischen Analyse sehen.
Ich habe mich in meiner Arbeit mit Strukturen von Rechtsausschlüssen und Rechtverwehrung gegenüber Asylsuchenden und MigrantInnen beschäftigt. Und beziehe auch deshalb entschieden Stellung, wenn solche Konstrukte auftauchen, die Rechtsbeschneidung versprechen. Weshalb soll es der Debatte schaden, wenn ich diese diskutiere, und zwar ohne falsche Behauptungen?
Anders gefragt: Weshalb stehe ich Ihrer Meinung nach unter Rechtfertigungslast, mich geäußert zu haben, obwohl doch vielleicht alles nicht so schlimm wird? Steht nicht viel eher die Koalition unter Rechtfertigungslast, weshalb sie eine “Fiktion der Nichteinreise” braucht, wenn doch angeblich alles nicht so schlimm wird?
Mit Blick auf einen anderen Text nennen Sie meinen Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention eine „formelhafte Beschwörung“. Ich sage in diesem Beitrag zu Zurückweisungen (https://staging.verfassungsblog.de/weshalb-man-asylsuchende-nicht-an-der-grenze-abweisen-kann/), dass vom Refoulement-Prinzip „auch mitten in Europa ein wesentlicher Gehalt“ bleibt: „der Staat muss genau hinschauen.“ Es folgt ein Absatz, der diskutiert, weshalb die personelle Reichweite der GFK zwar beschränkt, der Effekt auf Grund der deklaratorischen Natur der Flüchtlingseigenschaft aber erheblich ist. Ich kann nicht sehen, was daran formelhaft sein soll. Wenn Sie in der Sache anderer Meinung sind, fände ich spannend, Ihre Position zu hören.
Letztlich finde ich Ihre Intervention interessant in zwei Punkten. Der erste ist das Verhältnis von Rechtsdogmatik und (kritischer) Rechtstheorie. Auch wenn ich das Attribut „sexy“ schätze, sehe ich die beiden nicht in Konkurrenz. Ich bewundere dogmatische Analysen und halte sie für unverzichtbar. Aber Ihr Beitrag ist nicht das erste Mal, dass ich den Eindruck bekomme, dass umgekehrt rechtstheoretische und interdisziplinäre Zugänge als Angriff oder Abwertung der Rechtsdogmatik wahrgenommen werden. Ich verstehe nicht weshalb.
Der zweite Punkt ist Ihr Aufruf zur Abrüstung. Die militärische Metaphorik entspricht weder meiner Wahrnehmung meines Schreibstils, noch meiner Wahrnehmung der Debatte, wie sie in den letzten Wochen geführt wurde. An verschiedenen Stellen, in der Rechtswissenschaft und der breiteren Öffentlichkeit gab es engagierte und kontroverse Auseinandersetzungen zu den wechselnden Plänen der Bundesregierung. Menschen aus einem breiten politischen Spektrum haben dabei sehr deutlich gegen nationale Alleingänge und vor allem gegen einen weitgehend anlasslosen migrationspolitischen Alarmismus protestiert.
Einen klaren Standpunkt zu vertreten bedeutet nicht, dass man nicht mehr zuhören und diskutieren kann. Ich diskutiere gerne, aber in diesem Beitrag haben Sie keine inhaltlichen Argumente angeboten, sondern lediglich in ziemlich pauschaler Weise meinen Zugang zu den Fragen kritisiert.
Was mir Sorgen bereitet in diesen Tagen, ist keine zu entschlossene Rhetorik auf dem Verfassungsblog. (Übrigens auch keine zu einseitige Ausrichtung, es kommen ganz unterschiedliche Positionen zu Wort, wie Sie wissen. Von Ihnen zählen wir 29 Beiträge, kudos.) Was mir Sorgen bereitet in diesen Tagen, ist, dass Errungenschaften des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und der Europäischen Union überhaupt auf dem Spiel stehen. Dagegen schreibe ich entschlossen an, mit Argumenten und mit meinem spezifischen wissenschaftlichen Blickwinkel. Über Widerspruch in der Sache freue ich mich jederzeit. Für die Tatsache, mich geäußert zu haben, sehe ich keinen Anlass, mich zu entschuldigen.
Mit besten Grüßen,
Dana Schmalz
PS: Ich fand Ihren Beitrag beim Deutschlandfunk super!
Das DLF-Interview war ebenfalls wirklich hilfreich, das stimmt.
Liebe Frau Schmalz,
wie gesagt: ich schätze Ihre interdisziplinäre Arbeit – und wenn Ihre Beiträge in erste Linie als Diskursanalyse und -Kritik gedacht sind, als die Sie sie im Kommentar darstellen, sollten Sie dies das nächste Mal vielleicht klarstellen, damit das vermeintliche Missverständnis erst gar nicht aufkommt, Sie fällten in einer hochsensiblen Debatte pauschale (Un-)Rechtmäßigkeitsurteile, denn davon gibt es derzeit gewiss genug.
Viele Grüße von Daniel Thym
Sehr geehrter Herr Thym,
Danke. Meine Beiträge sind als das gedacht, als das sie jeweils erscheinen. Manche detaillierte juristische Analysen, manche stärker theoretische Einlassungen. Ich sehe keinen Bedarf für Warnhinweise, da ich keine Thesen aufstelle, die ich nicht auch mit Argumenten belege. Und mit sich ergänzender Berechtigung von Dogmatik und Theorie meine ich selbstverständlich nicht, dass die beiden sich in den Ergebnissen gegenseitig ignorieren sollten. Anders formuliert: die Einordnung als „interdisziplinärer Zugang“ ersetzt kein argumentatives Widerlegen.
Ein klares Unrechtsmäßigkeitsurteil habe ich (gemeinsam mit Pauline Endres de Oliveira) gefällt, was die Anweisung der Bundespolizei betrifft, ungeachtet von Schutzersuchen zurückzuweisen. Es mangelte in dem Beitrag nicht an Rechtsnormen, wie sie uns das mit Verweis auf „seriöse Kommentatoren“ vorhalten. Mich wundert, dass diese Anordnung des Rechtsbruchs, mögen auch die Zahlen der Betroffenen gering sein, so weitgehend schweigend hingenommen wird.
Sie nennen die Debatte hochsensibel – was sehen Sie auf dem Spiel, was durch klare Positionen gefährdet wird? Ich sehe die Rechte von Asylsuchenden und den Stand europäischer Integration auf dem Spiel und gerade deshalb beziehe ich so klar Position.
Mit bestem Gruß,
Dana Schmalz
Sehr geehrte Frau Schmalz,
ich kann Ihnen nur ausdrücklich zustimmen.Dass mit dem “Warnhinweisen” finde ich auch etwas überheblich und ziemlich daneben. Vor allem argumentiert Herr Thym auch nicht streng am Gesetz orientiert. So beinhaltet § 13 Abs. 2 kein Berechtigung für einen Lagerbau an der Grenze. Und das Flughafenverfahren war letztlich auch als Einschränkung des Aslyrechts gedacht – zwar leider heute legal, aber warum Herr Thym dessen verfassungsrechtlich Fragwürdigkeit völlig außen vor lässt, klingt mir stark nach Rechtspositivismus. Ob das zum Frieden beiträgt? Vielleicht sollte Herr Thym sich mal die Zustände in den bayerischen Lagern anschauen – alles vom Gesetz her legal. Ich hoffe, Sie lassen sich nicht einschüchtern und wünsche alles Gute.
Bravo!! Bester Beitrag seit langer Zeit hier!
Lieber Herr Thym,
in meinem Beitrag ging es mir darum, zu betonen, dass eine „Fiktion der Nichteinreise“, wenn und soweit daraus Rechteverkürzungen abgeleitet werden sollen, als ein Grundrechtseingriff zu werten ist, für den die üblichen Rechtfertigungsanforderungen gelten, so dass damit jedenfalls keine Umgehung der grundrechtlichen Anforderungen zu bewerkstelligen wäre (https://staging.verfassungsblog.de/die-fiktion-der-nichteinreise-als-grundrechtseingriff-durch-normativen-tatsachenausschluss/).
Als „[e]indeutig grundgesetz- und europarechtswidrig“ habe ich dort, soweit ich sehe, nichts bezeichnet – sondern (zu der Verständigung zwischen CDU und CSU) Dana Schmalz darin beigepflichtet, dass der EGMR jedenfalls unbeschadet einer derartigen Fiktion „Rechtsverletzungen gegebenenfalls rügen“ würde und dadurch die aus der Menschenwürde folgenden Anforderungen nicht ausgehebelt werden können.
Das scheinen mir Punkte zu sein, auf die Sie dankenswerter Weise auch selbst in Ihrem LTO-Beitrag vom 6.7. sowie in einer der Antworten auf einen Kommentar dazu hingewiesen haben – und zwar gerade auch mit Blick auf den gebotenen einstweiligen Rechtsschutz (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/asyl-kompromiss-fluechtlinge-zurueckweisung-transitverfahren-dublin-schnellere-verfahren/: „Dennoch sollte man die fingierte Nichteinreise nicht überschätzen. Das Transitverfahren findet auf deutschem Boden statt und es gilt das Grundgesetz ebenso wie die Menschenrechte und die Dublin-Regeln. Die geplanten Transitverfahren sind kein rechtsfreier Raum und die grenzpolizeilichen Einrichtungen kein rechtliches Niemandsland.“; „[…] zumal für [] drohende Verletzungen der Menschenwürde bzw. des Art. 3 EMRK es immer einstweiligen Rechtsschutz gegeben muss“).
Mein Beitrag sollte (ebenso wie der vorangehende zum Refoulementverbot aus Art. 1 I GG, https://staging.verfassungsblog.de/warum-auch-das-grundgesetz-bestimmten-zurueckweisungen-an-der-grenze-entgegensteht/) – unter Rückgriff auf Thesen aus meiner Dissertation – auf grundrechtliche Rahmenbedingungen der Debatte hinweisen.
Mit besten Grüßen
Mathias Hong
Unabhängig vom juristischen Gehalt des wohl als “Deeskalation” zu verstehenden Beitrages von Herrn Thym – den ich als juristischer Laie nicht ausreichend beurteilen kann – hat die seit Jahren geführte juristische Migrationsdebatte einen (unbeabsichtigten?) Nebeneffekt:
Mich als Laien hat es davon überzeugt, dass meine naive Vorstellung von Migrationssteuerung nicvht haltbar ist. Man kann (vor den deutschen Grenzen) weder nach Migranten und Flüchtlingen unterscheiden noch irgendjemanden abweisen, der das Wort “Asyl” aussprechen kann.
Vor dem Hintergrund einer als sicher anzunehmenden anschwellenden Zahl von Flüchtlingen UND Migranten aus Arabien und Afrika kann ich also meine bisherige migrationspolitische Haltung gar nicht aufrechterhalten (kurz skizziert als Flüchtlings- und Asylschutz innerhalb grosszügiger Limits, Abweisung von ungesteuerter Arbeitsmigration, geregeltes Einwanderungsrecht für Fachkräfte).
Ist mit dem geltenden Recht, ausschliesslich juristischen Beiträgen in liberalen Medien folgend, überhaupt nicht zu machen. Deutschland MUSS alle Menschen aufnehmen, die es bis zur deutschen Grenze schaffen.
Okay, verstanden. Damit habe ich den Schluss gezogen, dass die einzige Steuerungsmöglichkeit offenbar darin besteht, niemanden mehr in die Nähe der deutschen Grenze kommen zu lassen. Ist nicht meine Präferenz, aber die Alternative – unbegrenztes Aufnahmerecht für jedermann – ist es eben noch weniger.
Insoweit war die juristische Debatte (auch hier) für mich recht hilfreich.
Gruss,
Thorsten Haupts
Sehr geehrter Herr Tyhm,
ich wollte mit meinem Beitrag darauf hinweisen, dass es in Europa Kräfte gibt, die eine Orbánisierung des Rechtsstaats durchsetzen wollen; die ungarische Transitzone war ein Beispiel und die CSU ist ein Akteur, der die Politik von Orbán nach Deutschland transferieren will.
Ich finde es absurd, wenn ihr Beitrag “Für ein ‘Helsinki’ im Migrationsrechtsdiskurs” heißt, wenn zugleich das echte Helsinki-Kommittee in Ungarn einer massiven Kriminalisierungskampagne durch die Regierung ausgesetzt ist und die CSU diese Politik durch ihre Rhetorik von der “Abschiebeverhinderungsindustrie” kopiert.
Herzliche Grüße
Maximilian Pichl
@Dana Schmalz:
Mich freuen Ihre engagierten Kommentare, denn was Sie dort als Inhalt und Ziel Ihrer Texte beschreiben, kann ich nahezu vorbehaltlos unterstützen. Insofern freue ich mich auf die nächsten Kommentare, wenn das Ihr Programm ist!
Dass ich Ihre Aussagen zur “in Frage gestellt[en]” Grundrechtsgeltung auf dem Territorium, den “nicht geltend[en]” Dublin-Regeln vor der koordinierten Rückführung (nach der angeblich nichtgeltenden Dublin-VO) und den vorletzten Satz zu den “offensichtlich widerrechtlichen Konstrukten” als dogmatische Aussage interpretiert habe, war dann wohl tatsächlich ein Missverständnis.
@ alle:
Es ist und war nie mein Anliegen, den Verfassungsblog zu einem Kommentarersatz oder Fußnotengrab verkommen zu lassen, aber ich würde gleichwohl Aussagen wie “Transitzonen … sind also schon an der EU-Außengrenze rechtlich nicht möglich” (Pichl) nur zu tätigen, wenn die Belege diese Aussage wenigstens halbwegs tragen. Man kann und soll dem Ganzen dann ein interdisziplinäres oder auch “bloß” journalistisches Framing geben, das die Lektüre spannend macht und ein Beitrag an sich ist. Aber wenn das Migrationsrecht in aktuell als politisch beliebig erscheint, schwächt das letztlich den Rechtsstaat und daran leiden neben dem öffentlichen Diskurs vor allem auch, wie Dana Schmalz zu Recht anmerkt, die Migranten und Flüchtlinge überall in Europa.
Das Problem ist, dass sich Polarisierung und Spaltung nicht auf die juristische Diskussion beschränken, sonder mittlerweile die gesamte deutsche Gesellschaft durchziehen.
In vergleichbaren Situationen hätte das Bundesverfassungsgericht früher ausgleichende Positionen vertreten und damit erfolgreich den Rechtsfrieden wiederhergestellt.
In der gegenwärtigen Debatte hingegen, disqualifiziert sich der Vorsitzende Verfassungsrichter mit einem kaum verbrämten AfD-Bashing, das sich auf den inhaltsleeren Kampfbegriff “Populismus” abstützt.
Begleitet wird das Ganze von einer qua Verfassung eigentlich ausgeschlossenen Zensur bzw. zensurähnlichen Vorgehen, an dem sich auch Herr Steinbeis rege beteiligt.
Auf gefährlich Weise werden damit die in einer funktionierenden Demokratie dringend benötigten Mechanismen zur Selbststabilisierung von zentralen Funktionsträgern in verantwortungsloser Weise blockiert.
Das lässt nur den Schluss zu, dass die Destabilisierung gewollt ist.
Da ist – leider – etwas dran.
Herzlichen Dank für diesen Beitrag!
Ihr Plädoyer für eine Versachlichung der Migrationsdebatte in allen Ehren – aber, Herr Prof. Thym – vielleicht unterschätzen Sie die Wirkung des von Ihnen so beklagten “alarmistischen Tons” der von Ihnen erwähnten engagierter Verfassungsjuristinnen und -juristen. Es ist gut möglich, dass u.a. auch die “verfrühten” Analysen und Kritiken aus der Rechtswissenschaft zur Revidierung radikaler Regierungsvorschläge führen und dem ein oder anderen in der Beamtenstube ins Gewissen reden. Was ist daran verwerflich?
Ist es nicht so, dass wir uns schleichend an eine immer stärker freiheitsfeindliche, autoritäre, repressive und entmenschlichende Sicherheitspolitik (auch und gerade im Bereich Asyl) gewöhnen und gerade deshalb nicht oft genug und nicht laut genug die verfassungsrechtlichen Grenzen markiert werden können?
Ist es nicht so, dass der Gesetzgeber unserer Zeit zunehmend diese Grenzen sehenden Augens überschreitet, in der Hoffnung, es werde schon keiner merken (zB im Schatten der Fußball-WM) oder es werde schon hingenommen werden, wenn man es oft genug versucht (sog. experimentelle Gesetzgebung).
Ist es nicht so, dass Verfassungsgerichte mehr denn je und öfter denn je gesetzgeberische Überschreitungen feststellen und Gesetze für nichtig erklären müssen?
Nein, nicht der vermeintliche “unseriöse Moralismus” einer verantwortungsbewussten Rechtswissenschaft, und damit meine ich eine Frau Schmalz, einen Herrn Pichl oder auch Herrn Hong, sind das Problem. Sondern ein zunehmend ignoranter exekutiver Aktionismus, der sich gerade in Wahlkampfzeiten stärker rechtspopulistische Parolen, denn grundgesetzlichen Wertungen verpflichtet fühlt. Ich kann mir nur wünschen, dass die engagierte Wissenschaft weiterhin den Mut behält, das kritisch auszusprechen, was ist und so früh zu kritisieren, wie es nur möglich ist. Dafür danke ich dem Verfassungsblog und allen Kommentatoren.
Ich stimme im Übrigen mit @DanaSchmalz damit überein, dass sich kritische Rechtswissenschaft und Dogmatik nicht ausschließen – sondern im Gegenteil nur gemeinsam gedacht werden können. Ihren Seitenhieb auf die vermeintlich nicht so sexy “dogmatische Kärrnerarbeit” erschließt sich mir deshalb nicht. Oder verwechseln Sie, Herr Prof. Thym, vielleicht wissenschaftliche Dogmatik mit politischem Pragmatismus?
“Es ist gut möglich, dass u.a. auch die “verfrühten” Analysen und Kritiken aus der Rechtswissenschaft zur Revidierung radikaler Regierungsvorschläge führen und dem ein oder anderen in der Beamtenstube ins Gewissen reden. Was ist daran verwerflich?”
Das glaube ich kaum. Es dürfte sowohl der Regierung als auch dem Gesetzgeber herzlich egal sein, was auf dem Verfassungsblog diskutiert wird.
Und selbst wenn, ist es weder der “Sache” noch der Diskussion zuträglich, auf Maximalforderungen zu beharren und sich Gegenargumenten zu verschließen.
Danke, lieber Herr Prof. Thym, für diesen ausgezeichneten Beitrag, der ganz auf meiner Linie liegt!
Ich selbst bin zwar ursprünglich keine Migrationsrechtlerin, habe mich aber in Teilbereiche eingearbeitet und bemühe mich – auch hier auf dem Verfassungsblog – immer um eine juristisch sauber hergeleitete Lösung, eine sachliche Diskussion und einen grundlegenden Ausgleich der scheinbaren Gegensätze beim Flüchtlings- und Grenzschutz (zuletzt: http://einspruch.faz.net/einspruch-magazin/2018-06-27/365ce9e5afed366bfe6926230facf26b/?GEPC=s5).
Schon Konrad Adenauer wusste, dass man die Dinge tief sehen muss, damit sie einfach werden. Die im Erkenntnisgewinn liegende Tragfähigkeit der Lösung sowie Transparenz und Einfachheit sind jedoch der Lohn der Mühe. Ohne juristisch exakte, mühsame Kleinarbeit wird sich aber auch die dringend nötige, grundlegende Reform und Vereinfachung des deutschen und europäischen Asylrechts nicht machen lassen.
PS.: Sie haben bei Ihrem berechtigten “Aufwasch” Constantin Hruschka vergessen, der ebenso wie Dana Schmalz auf einem Auge blind zu sein scheint: https://staging.verfassungsblog.de/dublin-ist-kein-5-minuten-verfahren-zu-zurueckweisungen-an-der-grenze/
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/migration-zurueckweisungen-eu-gipfelbeschluesse-masterplan-rechtliche-wuerdigung/
Ein Punkt in Ihren Ausführungen irritiert mich fundamental. Sie schreiben: „Vereinfachte Lösungsalternativen geben Orientierung, verlangen jedoch zugleich ein Bekenntnis. Man muss sich scheinbar zwischen Menschenrechten und Migrationssteuerung entscheiden, wenn erstere Flüchtlingen nahezu immer die Einreise zu garantieren und letztere scheinbar einfache Grenzschließungen zu erlauben scheinen. Es gibt, wie ich im anstehenden Doppelheft Mai/Juni der Zeitschrift für Ausländerrecht darlege, keinen Raum für ein argumentatives und rechtliches Dazwischen und damit auch keinen Raum für eine gestaltende Politik, die die vielfältigen Interessen auszugleichen sucht.“
Was denn nun: Muss man sich tatsächlich oder nur „scheinbar“ entscheiden? Kann es wirklich um ein „Bekenntnis“, also eine bestimmte Gesinnung gehen? Ich bin gespannt auf den angekündigten Beitrag in der ZAR, jedoch widersprechen Sie Ihrem eigenen Grundanliegen nach Lösungen jenseits binärer Schwarz-Weiß-Malerei und nehmen uns alle Hoffnung, wenn Sie sagen, dass es „keinen Raum für ein argumentatives und rechtliches Dazwischen und damit auch keinen Raum für eine gestaltende Politik, die die vielfältigen Interessen auszugleichen sucht“ gebe.
Das verstehe ich nicht. Das gesamte Verfassungsrecht, unsere liberale Grundordnung ist doch geprägt vom Bemühen nach einem Ausgleich scheinbar entgegengesetzter Positionen (vgl. auch Macron: „en même temps“). Und dieser Ausgleich ist auch im Asylrecht möglich. Als Harmonisierung eines vordergründig unvereinbaren Grenz- und Flüchtlingsschutzes kann es nur darum gehen, die derzeit fast vollständig ausgesetzte formale Einreisekontrolle (in die EU und ihre Mitgliedstaaten) einigermaßen wiederherzustellen und den im Rechtssinne Schutzbedürftigen Vorrang vor anderen illegalen Migranten zu verschaffen. Dafür hat das (Verfahrens-) Recht zu sorgen. Dreh- und Angelpunkt ist also eine intelligente Verknüpfung von Einreise- und Asylverfahren – sei es über Transitzentren, Anker-Zentren, besondere Aufnahmeeinrichtungen oder sonstige Formen der Einreise- bzw. Identitäts- und Aufenthaltskontrolle.
Im Kern geht es hier überall um eine besondere Einreiseerlaubnis zur Durchführung eines nicht von vornherein aussichtslosen Asylverfahrens. Es geht also um ein europäisches Asylvisum, das vorzugsweise vorab elektronisch oder vor Ort als Ad-hoc-Visum zu erteile wäre (vgl. ZRP 2017, 69). Oder um vergleichbare Lösungen, die die scheinbar widerstreitenden Interessen auszugleichen suchen.
Ganz starker Beitrag! Einer der besten auf dem Verfassungsblog seit Langem.
Sehr geehrter Herr Thym, ich finde Ihren Beitrag äußerst ärgerlich. Sicher haben Sie recht, es wäre zu begrüßen, wenn in der Migrationsdebatte rhetorisch abgerüstet würde um zu einer sachlichen Debatte – zurückzukehren? Wann wurde in der BRD öffentlichkeitswirksam Asylrecht sachlich diskutiert? Völlig verloren geht in Ihrem Beitrag auch, warum Sie sich eine Versachlichung der Debatte wünschen: Als Selbstzweck? Oder vielleicht doch, weil die Gesetze des zu regelnden Sachverhalts zigtausende, wenn nicht gar Millionen Schicksale bestimmen werden?
Sie suggerieren, es gäbe zwei Extrempositionen und jetzt müssten sich die Diskutanten aber mal zusammenreißen und sich geordnet, demokratisch an den Tisch setzen, wie es damals noch in der Bonner Republik usus war. Sie greifen damit das in Deutschland so beliebte Hufeisenmodell auf, nach dem es an beiden Seiten der Gesellschaft politische Extremisten gibt, die die FDGO bedrohen. In der Mitte, so die Erzählung, herrscht hingegen Sitte und Anstand, der gepflegte parlamentarische Diskurs, der wohl bedachte und ausgewogene Konsens, der die Gesellschaft im Ganzen mit nimmt. Sie übersehen dabei, dass die Gesellschaft über die hier diskutiert wird, auch in der Mitte extrem ist: Aus der Mitte der Gesellschaft wurde die NSDAP gewählt, aus der Mitte der Gesellschaft wird die AfD gewählt. AfD und ihre Hauspostille, die Junge Freiheit, geben regelmäßig damit an, dass Ihre Wählerschaft bzw. ihre Abonnentinnen sich zu großen Teilen aus dem bürgerlichen Milieu rekrutieren.
Sicher kann Migrationsrecht unter verschiedenen Blickwinkeln diskutiert werden, nicht zuletzt auf eine sehr positivistische Art, die Sie scheinbar bevorzugen. Sie sind sicher zu recht stolz darauf, dass Asylrecht in seiner Tiefe durchdrungen zu haben. Dabei begehen Sie m.E. den Fehler zu glauben, mit einer sachlich-nüchternen Analyse des geltenden Rechts und einer vorsichtigen Weiterentwicklung und Harmonisierung der verschiedenen Rechtsordnungen sei eine dem Sachverhalt angemessene Politik zu machen, abgeleitet davon auch den Anforderungen des Art. 20 III GG genügende Verwaltungsverfahren und Rechtsprechung. Das ist schon deswegen nicht der Fall, da Asylrecht immer Spielball von Populisten war und maßgeblich durch diese Geprägt wird.
Sie müssen, nachdem Sie das positive Recht durchdrungen haben, wertend Stellung nehmen, dass passiert immer und überall, seit es Recht gibt. Ihre Vorwürfe an Ihre Kolleginnen und Kollegen auf dem Verfassungsblog finde ich daher größtenteils nicht nachvollziehbar. Sie werten mit Ihrem Beitrag die Argumente derjenigen auf, die eine menschenverachtende Politik zulasten der Flüchtlinge betreiben. Anstatt Ihre Kolleginnen zu belehren und zu sagen: Ja, man kann das schon alles machen, Zurückweisung direkt an der Grenze, Sammellager, Fiktion der Nichteinreise etc. sollten Sie m.E. die geltende Gesetzeslage und Rechtsprechung kritisieren, die genau das evtl. zulassen.
Recht ist keine Gerechtigkeit. Für die Fluchtursachen tragen wir Europäer eine (historische) Mitverantwortung, dies muss sich im Migrationsrecht und dessen Auslegung widerspiegeln. Stellen Sie doch einmal den Regelungsgegenstand in den Mittelpunkt Ihrer Überlegungen und entwickeln Sie das Recht von dort aus. Art. 1 Abs. 1 GG anstatt des Volkes Wille und geltende Rechtslage.
Liebe(r) H.R, Sie sprechen mir aus der Seele. Gegen Herrn Thyms Versachlichungsforderung ist ja zunächst wenig zu sagen (im Gegenteil: sie ist im Prinzip zu begrüßen) – allerdings ist sie m.E. in dreierlei Hinsicht verfehlt. Erstens glaubt sie, dass eine rechtspositivistische Sichtweise ausreicht, um die rechtlichen und politischen Sachverhalte angemessen beurteilen zu können. Dass das nicht ausreicht, zeigt doch schon die “Fiktion der Nichteinreise”: dass diese geltende Rechtslage ist, sagt weder etwas über ihre Verfassungsmäßigkeit noch über ihre normative Angemessenheit (oder gar Rechtfetigbarkeit) aus (wie ja auch schon Florian von Alemann in seiner Anmerkung betonte). Zweitens glaubt Herr Thym offenbar (naiverweise, wie ich, mit Verluab, finde), dass die rechtspopulistischen Akteure aller Couleur an einer rechtswissenschaftlichen Debatte interessiert wären. Das sind sie offenkundig nicht, und insofern stellt sich wiederum die Frage, ob auch die Rechtswissenschaft nicht aus ihrem Rechtspositivistischen Denken herauskommen muss, bevor es (mal wieder) zu spät ist. Und drittens schließlich: Bei aller Kritik an den Beiträgen pro Flüchtlingsschutz hier auf dem Blog: Sollten diese Beiträge wirklich die Hauptadressaten von Kritik sein, wenn zugleich in Rechtswissenschaft und Politik Positionen bezogen werden, die mit grundrechtlichem Menschenschutz nur noch wenig zu tun haben? Da gäbe es doch ganz andere, die man auseinandernehmen könnte und sollte…
“Sie werten mit Ihrem Beitrag die Argumente derjenigen auf, die eine menschenverachtende Politik zulasten der Flüchtlinge betreiben.”
@H.R.: Sie machen genau den gleichen Fehler wie die Kolleginnen und Kollegen, die Prof. Thym hier zu Recht kritisiert. Sie “argumentieren” rein ideologisch, nicht rechtlich. Noch dazu mit unlauteren Mitteln, einem moralischen Totschlag-Argument: Menschenverachtung.
Was ist eigentlich mit der Menschenverachtung derer, die sich darin gefallen, “alle Welt” in das gelobte Europa zu locken, wo entwurzelte und kulturfremde Menschen kaum bessere Perspektiven haben können als in ihrem Heimatländern, die derweil weiter ausbluten und zu Müllhalden europäischer – vor allem deutscher – Eitelkeiten verkommen?
Ach, Frau Kaufhold. Sie hingegen argumentieren natürlich streng rechtlich und nicht vom Ergebnis her. Sie laufen bestimmt mit verbundenen Augen zur Kanzlei, so sehr verkörpern Sie die Justitia. Wenn es so einfach wäre, wie Sie suggerieren.
Die Jurisprudenz wird an der Universität gelehrt, weil sie, und das wird beim deutschen Begriff Rechtswissenschaft deutlich, das Wort Wissenschaft in sich trägt. Wenn wie hier über Migrationsrecht diskutiert wird, dann geben sich manche mit der Herrschenden Meinung und der Auslegung streng am Wortlaut zufrieden. Andere hingegen – Störenfriede!- wagen es, die Rechtswissenschaft als Sozial-Wissenschaft mit historischen Bezügen zu sehen. Recht nicht als das Ergebnis eines Prozesses zu sehen, der Gesetze hervorbringt die wie die zehn Gebote mit göttlicher Unfehlbarkeit ausgestattet wurden.
Gesetze sind von Menschen gemacht, sie sind wenn man so will, geronnene Ideologie. Recht unterliegt einem ständigen Prozess der Nachjustierung und muss es aushalten, kontinuierlich kritisiert und hinterfragt zu werden. Dieses Kritisieren und hinterfragen erfolgt immer von einem bestimmten Standpunkt aus.
Es ist eine geradezu infantile Ideologie, zu glauben, man könne recht mechanisch anwenden und dann werde ein gerechtes, der Sache angemessenes Ergebnis dabei herauskommen.
Und wer lockt bitte alle Welt nach Europa? Der geflüchtete Schuster aus Syrien hat mit dem Schuster in Marzahn viel mehr gemeinsam, als der Schuster aus Marzahn mit Ihnen. „Kulturfremde Menschen“. Was Sie als Kulturkonflikt wahrnehmen ist, und auch das kann nicht oft genug wiederholt werden, in Wirklichkeit ein Verteilungskonflikt. Anstatt sich hier und anderswo über eine „Flüchtlingswelle“ aufzuregen, sollten Sie sich lieber für faire Handelsbeziehungen weltweit einsetzen. Das ist Ihnen zu abstrakt? Aus Platzgründen will ich es mal dabei belassen.
Ich stimme Ihnen in fast allem vollkommen zu! Recht ist ein von Menschen gemachter, sich ständig verändernder Versuch, Ordnung in das Lebenschaos zu bringen. Dieser Versuch ist beim Thema Migration und den hier derzeit diskutierten Justierungen besonders komplex. Darum geht es ja gerade.
Nur wie kommen Sie darauf, ich wolle Recht in infantiler Weise “mechanisch” anwenden, wenn ich jene gegen den Vorwurf der Menschenverachtung (!) verteidige, die in ihrem Fachbereich (hier also juristisch) nach vertretbaren und praktikablen Möglichkeiten suchen, unter den vielen illegal nach Europa strebenden Menschen denjenigen Vorrang zu verschaffen, die einen nach geltendem Recht anerkannten Fluchtgrund haben und dabei auch noch eine gewisse Identitäts- und Einreisekontrolle zu gewährleisten? Denn ausschließlich darum geht es. Nicht um totale Abschottung. Aber eben auch nicht um totale Öffnung. Es geht um beides, ein “Dazwischen”, einen vernünftigen Ausgleich zwischen Grenz- und Flüchtlingsschutz. Was haben Sie dagegen einzuwenden? Wollen Sie statt dessen wirklich eine letztlich unkontrollierbare Öffnung Europas zu “Selbstverteilungszwecken”?
Ist Recht nun nur von Menschen gemacht oder für Menschen gemacht?
>Und wer lockt bitte alle Welt nach Europa?
Offenbar jene, die behaupten, Deutschland müsste jeden aufnehmen, weil es eine Alimentierungsverpflichtung ad infinitum gäbe.
Das führt unweigerlich zu einem Verteilungskonflikt allerdings in Kombination mit einem Kulturkonflikt, was die Sache noch unterhaltsamer machen dürfte.
Ich wünsche den Schiedstrichtern viel Glück und eine gute Bewaffnung. Friedlich wird das jedenfalls aller Voraussicht nicht bleiben.
Habe versucht, hier ein paar Gedanken beizutragen: https://staging.verfassungsblog.de/wieso-wir-mit-staaten-nicht-verstecken-spielen-sollten/
Sehr geehrte Frau Schmalz,
ich schätze Sie als Mensch sehr wegen Ihrer hohen moralischen und ethischen Ansichten. Aber völlig unabhängig von der Frage von Moral und Ethik und rein praktisch: wenn es nicht gelingt das Asylrecht in der Europäischen Union deutlich einzuschränken (und eventuell ist dies rechtskonform / rechtlich möglich) dann wird rein praktisch dies:
1 das Ende der Europäischen Union sein
2 das Ende des Rechtsstaat in weiten Teilen der Union sein, den die Menschen werden mehrheitlich das von Ihnen (und mir ebenso) so hoch geschätzte System nicht mehr mitragen
und 3 schlußendlich auch das Ende jedweden Asylrechts sei.
Was aber ist besser: gar kein Asylrecht oder wenigstens ein eingeschränktes? Was ist besser? Eine bestehende Europäische Union mit Abstrichen beim Asylrecht oder von Rechtsextremisten gelenkte Nationalstaaten. Was ist rein praktisch real besser? Das Weiterbestehen des Rechtsstaat oder das Ende desselben in Europa?
Rein theoretisch und moralisch/ethisch kann ich Ihnen nur zustimmen. Aber Ihre theoretischen Ansichten führen rein praktisch nun genau zum Gegenteil dessen was Sie (und ich) für absolut Erhaltenswert halten.
Meiner Meinung nach ist Ihr ganzes Denken viel zu sehr rein theoretischen Erwägungen und Ihren eigenen (wünschenswerten) Vorstellunge und moralischen Überzeugungen untergeordnet.
Sie verkennen damit die Fernwirkungen Ihrer Ansichten und wie sehr ein solch starres Festhalten an bestimmten Theorien mehr als alles andere genau das nachhaltig beschädigt was Sie eigentlich anstreben.
Hochachtungsvoll
Sehr geehrter Herr Professor Thym,
ich habe große Achtung vor Ihrer Arbeit im Ausländer und Asylrecht.
Ich erkenne gerade erneut, wie mühevoll die Detailarbeit gerade in diesem Rechtsgebiet sein kann.
Aber die Fiktion der Nichteinreise Paragraph 13 Abs. 2 Satz 2 Aufenthaltsgesetzr, die eine äußerst kompliziert formulierte privilegierte Vorschrift für Ausnahmen von der ordnungsgemäßen Einreise, z. B. zum Krankenhausaufenthalt, enthält, und vorallem vor der strafrechtlichen Verfolgung schützen soll, so zweckzuentfremden?
Denken Sie wirklich, es reicht solche politischen Seifenblasen als solche zu entlarven, damit die Diskussion wieder sachlich wird?