Fußball, Kartelle und Recht
Eine kurze Einordnung des „Super League“-Intermezzos
Die „Super League“ hat der Fußballwelt für einen Moment den Atem geraubt. Eine kleine Gruppe von besonders prominenten europäischen Fußballvereinen wollte sich im Rahmen einer „Super League“ von den etablierten Fußballverbänden lösen und damit noch sicherere und größere Finanzquellen auftun. Fernseh- und Vermarktungsgelder sollten im Rahmen dieser feststehenden Liga nicht mehr ansatzweise mit den gewöhnlichen Vereinen geteilt und Unsicherheiten – wie die Frage der erneuten Qualifikation – beseitigt werden. Während der Plan zumindest vorerst gescheitert ist, waren sich die juristischen Kommentatoren schnell einig, dass der Plan zwar moralisch zweifelhaft, juristisch aber wohl kaum zu verhindern gewesen wäre. So einfach scheint die Sache jedoch nicht. Der Profisport ist dem Kartellrecht zwar grundsätzlich unterworfen, dies verbietet den Verbänden jedoch nicht, den Bestand ihrer Ligen zu schützen. Soweit sich hier die Verbände einem elitären Kartell der Spitzenvereine ausgesetzt sehen, scheint ein entschlossenes Eingreifen zur Wiederherstellung des Binnenwettbewerbs alternativlos, will man nicht nur auf den nächsten Versuch einer „Super League“ warten. Die Konstitutionalisierung des Profisports, wie sie mit Blick auf Grundrechte schon teilweise erfolgt, kann die Folgen einer zentralen Wettbewerbsorganisation abfedern. Zukünftig sollte hier die demokratische Willensbildung eine größere Rolle spielen – einerseits bei der Regulierung des Profisports durch den EU-Gesetzgeber und andererseits durch die Verbände selbst.
Gescheitert trotz Kartellrecht?
Wer einen Blick in die sozialen Medien wirft, dem wird recht schnell klar, dass die Schnittmenge von Fußballinteressierten und Jurist:innen nicht zuletzt auf dem Gebiet des Kartellrechts groß ist. Dementsprechend waren erste Einschätzungen zu den kartellrechtlichen Implikationen der „Super League“ auch schnell zur Hand (vgl. hier und hier). Besonders kritisch wird dabei die angekündigte Sperre von an der „Super League“ teilnehmenden Vereinen und ihren Spielern für die konventionellen Turniere und Ligen gesehen. Aus kartellrechtlicher Sicht hätten die nationalen Ligen, UEFA und FIFA keine wirksame Sanktionsmöglichkeit gegen die Abtrünnigen, da sie selbst bereits ein Kartell bildeten und in diesem Fall daher ihrerseits schadenersatzrechtlichen Ansprüchen der „Super League“-Vereine und ihrer Spieler wegen Verletzungen des europäischen Kartellrechts ausgesetzt seien.
Wie schon erwähnt, steht es derzeit dennoch schlecht um den Plan der „Super League“, da bereits einige der vorgesehenen Gründungsmitglieder reumütig ihren Sinneswandel verkündeten. Dies mag zum Teil auf den öffentlichen Widerspruch in Fanlager, Politik und Medien zurückzuführen sein (vgl. hierzu die Nacherzählung hier). Es deutet aber darauf hin, dass es mit der rechtlichen Eindeutigkeit doch nicht so ganz weit her war.
Spitzensport – (k)ein Privatvergnügen?
Aus rechtlicher Perspektive beginnt das Problem bereits bei der Einordnung des Profisports entlang der für die Rechtsordnung bedeutenden public/private-distinction. Die von dieser Dichotomie mitbestimmten Fragen, ob Sportverbände an Grundrechte, rechtsstaatliche Verfahrensrechte oder an das Kartellrecht gebunden sind, haben schon viele Gerichte beschäftigt, ohne dass diese Fragen stets eindeutig beantwortet werden konnten. Für diese Irritationen gibt es Gründe. Denn Großsportereignisse haben eine – wenn auch im Einzelfall unterschiedliche – politische Komponente und werden nicht zuletzt vom politischen Betrieb genutzt, gefürchtet oder gefördert. Diese politische Dimension, die bei den römischen Gladiatorenkämpfen oder den von Nazideutschland inszenierten, olympischen Spielen noch ganz im Vordergrund stand, wurde auch nicht durch die in den frühen 1990ern perfektionierte Kommerzialisierung ersetzt. In Deutschland haben wir das 2006 gemerkt, als die Deutschlandfahne wieder schick wurde. Kommerz und Heldentum schließen sich nicht aus. Ganz im Gegenteil bringt die Kommerzialisierung des Sports zusammen, was sich ohnehin gerne zusammenfindet – (politische) Macht und Geld. Für das Recht bedeutet dies aber, dass es einen adäquaten Zugang zu einer Materie finden muss, die einerseits quasi-religiöse Erzählungen schafft (so die Beobachtung von GA Sharpston), zugleich aber knallhartes Business ist.
Kartell oder level-playing field?
Aus kartellrechtlicher Sicht ist es unproblematisch, wenn sich die Vereine einem einzigen Regime unterwerfen, um dadurch sicherzustellen, dass es für die Zuschauer am Ende auch einen Liga-Meister oder einen europäischen Champions-League-Sieger oder Europameister gibt. Denn anders als bei konkurrierenden Unterhaltungsshows, besteht bei Sportligen und großen Turnieren weitgehend Konsens darüber, dass es der Attraktivität der Sportart abträglich ist, wenn die Turniere und Ligen einer Sportart miteinander konkurrieren. Als abschreckendes Beispiel gilt hier etwa das „Gürtelsammeln“ im Profiboxen. Im Rahmen eines gemeinsamen Ligasystems kommt der Wettbewerb erst richtig zur Geltung. Darüber hinaus besteht ein Wettbewerb eher mit anderen Sportarten, die ein ähnliches Publikum ansprechen. Für die Sportler ist dieser Ansatz grundsätzlich vorteilhaft, da die Attraktivität der Liga auch ihnen zugutekommt. Für in Ligen organisierte Sportarten, deren Wettbewerbe sich im Saisontakt über das Jahr erstrecken, besteht darüber folglich eine andere Ausgangslage als bei eher eventorientierten Leichtathletiksportarten, die punktuelle Großereignisse und viel Gestaltungsspielraum in der Zwischenzeit kennen.
Unbeschadet dieser Erwägungen hielten es viele für ausgemacht, dass es den bestehenden Verbänden nach dem europäischen Wettbewerbsrecht verboten sei, die drohende Konkurrenz der „Super League“ mit entsprechenden Sanktionen für Vereine und ihre Spieler zu bekämpfen. Die aktuelle ISU-Entscheidung des EuG wurde dafür ohne weiteres auf den Fall der „Super League“ übertragen. Teilweise schwang die Überzeugung mit, dass dieses Urteil die bisher geheimen Pläne der „Super League“ beförderte.
Der ISU-Entscheidung lag ein Beschluss der Europäischen Kommission zugrunde, der bestimmte Regeln der Internationalen Eislaufunion (ISU) als unzulässige Wettbewerbsbeschränkung i.S.v. Art. 101 Abs. 1 AEUV bezeichnete. Zuvor hatten sich zwei Eisschnellläufer beschwert, die bei einem neuartigen Wettbewerb in Dubai teilnehmen wollten, der aber aufgrund eben dieser Bestimmungen keine Zulassung der ISU erhielt. Hätten die Läufer dennoch teilgenommen, drohten ihnen Strafen.
Das EuG machte es sich alles andere als einfach mit der kartellrechtlichen Bewertung des Falles. Wann regulatorische Vorgaben eines Zentralverbands und damit verbundene Sanktionen einen Wettbewerbsverstoß darstellen, sei nicht abstrakt zu beurteilen. Vielmehr wiederholte das Gericht mehrfach die Wichtigkeit des Gesamtkontexts, wie in Rn. 67:
„Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist bei der Prüfung der Frage, ob ein Beschluss einer Unternehmensvereinigung eine hinreichende Beeinträchtigung des Wettbewerbs erkennen lässt, um als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgefasst zu werden, auf den Inhalt seiner Bestimmungen und die mit ihm verfolgten Ziele sowie auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in dem er steht, abzustellen“.
Ein nur oberflächlicher Vergleich lässt aber erkennen, warum eine Übertragbarkeit auf die „Super League“ zweifelhaft erscheint. In der ISU-Entscheidung stand keine Sportliga zur Disposition, sondern einzelne Wettkämpfe mit Preisgeldern, die auch nicht bestehende Turniere ersetzen sollten. Die zweifelhaften ISU-Maßstäbe für die Zulassung von Events und die angedrohten und kaum absehbaren Strafen für teilnehmende Athleten waren leicht als unverhältnismäßig zu bezeichnen. Darüber hinaus unterscheidet sich die Ausgangslage von Eisschnellläufern im Vergleich zu Profifußballern erheblich, zumal zu denjenigen, die bei „Super League“-Anwärtern unter Vertrag stehen. Im ISU-Urteil wurde auf die von der Kommission festgestellten „sehr eingeschränkten Verdienstchancen“ von Eisläufern hingewiesen (Rn. 74). Die Vorstellung, dass ein Spieler eines „Super League“-Anwärters arbeitsrechtlich den Eskapaden seines Arbeitgebers schutzlos ausgeliefert sei und deswegen kein Adressat von Sanktionen sein könnte, scheint zudem begründungsbedürftig. Dem Arbeitsverhältnis eines regelmäßigen Champions-League-Teilnehmers dürfte die Erwartung zu entnehmen sein, dass der Verein diesen Wettbewerb nicht aus eigener Entscheidung verlässt und die Karriere seiner Spieler aufs Spiel setzt. Die Länderspielkarriere dürfte zudem bei vielen Spielern hoch im Kurs stehen, und zwar unabhängig vom damit unmittelbar verbundenen Verdienst. Statt damit zu rechnen, dass die UEFA im Falle eines Boykotts gegen die „Super League“ das Ziel von Schadenersatzforderungen der Spieler würde, könnten sich gerade auch die „Super League“-Anwärter auf Widerstand aus ihren Teams einstellen. Der Zerfall der „Super League“ Pläne wurde nicht zufällig durch kritische Stellungnahmen von betroffenen Spielern beschleunigt (vgl. hier).
Kampf der Kartelle?
Wie gesehen, haben einige der Kommentare zur „Super League“ betont, dass die Sanktionierung durch die bestehenden Verbände schon allein deswegen kartellrechtswidrig sei, da sich dann ein Kartell gegen ausscherende Mitglieder zur Wehr setzen würde. Dass dies auch aus der ISU-Entscheidung (s.o.) nicht ohne weiteres ableitbar ist, ist eine Sache. Dies ist aber aus einem weiteren Grund fraglich.
Im europäischen Spitzenfußball hat sich schon seit längerem eine eigene Klasse der Spitzenvereine gebildet, die sich – wie der jetzige Vorstoß zeigt – nicht mehr um die Belange der anderen Vereine zu scheren scheint und deren Interessen sich nur noch teilweise mit denen der existierenden Verbände decken. Man kann vielleicht schon von einem Kartell der Spitzenvereine sprechen, die einen eigenen, zunehmend globalen Markt beherrschen und sich immer mehr von ihren (früheren) Wettbewerbern abgrenzen und lossagen. Nationale Meisterschaften werden verächtlich gemacht, da man sie ohnehin jedes Jahr gewinnt. Der kleine Verein aus der eigenen Liga ist nunmehr der lästige Bittsteller, gegen den man ohnehin nur mit der B-Elf antritt. Jede Umverteilung von gemeinsam erwirtschafteten Einnahmen wird entsprechend kritisch gesehen. Fernsehgelder teilt man allenfalls unter seinesgleichen. Die „Super League“ war – so könnte man sagen – der Versuch dieses informelle Kartell zu institutionalisieren und die Kartellrendite gegen Unwägbarkeiten abzusichern – etwa durch Verhinderung der Nicht-Qualifikation, wie sie in der Champions-League droht.
Die Institutionalisierung eines Spitzenkartells zu verhindern, kann hier das geringere Übel sein, da die (mäßige) Umverteilung im bestehenden System noch besser ist, als kappte man die letzte Solidarität. Letztlich ist das aber eine Frage, die kein Gericht beantworten kann. Denn wer das Projekt der „Super League“ aufhalten will, dem reicht kein Festhalten am status quo. Auf Dauer wird man den europäischen Spitzenfußball nicht mit Gewalt oder moderaten Zugeständnissen zusammenhalten. Auf Demut der „Super League“-Anwärter zu hoffen, wäre angesichts der lukrativen Verlockungen einer europäischen Spitzenliga ebenfalls vergebens. Das rücksichtslose Streben nach Gewinnen ist gerade den Teams inhärent, die sich als Kapitalgesellschaft organisieren. Vielleicht sollte sich die EU ihr Motto „In Vielfalt geeint“ in diesem Fall besonders zu Herzen nehmen und regulative Schritte unternehmen, um echte Vielfalt auch in den europäischen Ligen (wieder)herzustellen. Wie die „Super League“ gezeigt hat, handelt es sich um kein nationales Thema, sondern um die Frage, welche Art von Spitzenfußball wir in Europa sehen möchten. Das ist eine Frage des Binnenmarkts, der sich nicht nur um freien Warenverkehr sorgt, sondern auch dazu da ist, die Spielregeln der jeweiligen Märkte so zu gestalten, wie es die demokratisch gewählte Mehrheit für richtig hält. Sieht man bloß zu, wie sich die Eliteclubs absondern, so dass sie komplett auf die kleinen Vereine verzichten und die kleinen Vereine auch nicht mehr eine theoretische Möglichkeit sehen, den Abstand zur Elite aufzuholen; dann scheint es fast zu spät dafür.
Konstitutionalisierung
Nachdem die Vorteile einer gemeinsamen Liga betont wurden, darf aber nicht vergessen werden, dass das bestehende Ein-Liga-System für die „Rule of Law“ prekär ist. Folgt daraus doch eine enorme Machtkonzentration in den jeweiligen Verbänden bzw. Ligen. Das Machtgefälle in Bezug auf einzelne Sportler, kleinere Vereine und ihre Interessen wird vom Kartellrecht dann kaum geschützt, da sich gerade diese Spieler und Vereine weder dem System entziehen können und ihnen kaum Gestaltungsmacht in Bezug auf die Spielregeln zukommt. Mehr als Exzesse, wie bei der ISU, kann das Kartellrecht dann kaum verhindern.
Statt hier das Kartellrecht einzusetzen, wurde deswegen in der Europäischen Union und in Deutschland häufig der Weg der partiellen Konstitutionalisierung gewählt. So wurden die großen Sportverbände zunehmend als staatsähnliche Akteure begriffen, die in ihrer Funktion als Regulator an Grundfreiheiten und (zumindest) Verfahrensgrundrechten gemessen wurden. Auch in Zukunft kann dies ein Weg sein, die Macht der Verbände in Schach zu halten, ohne die Ligen an sich in Frage zu stellen. Eine solche, in ihrem Ausmaß auch eher sanfte Konstitutionalisierung kann und soll zwar keine demokratische Willensbildung ersetzen und damit die Verbände zu Ersatzstaaten befördern. Sie stellt aber einen Minderheitenschutz sicher, der angesichts der sich verlierenden Entscheidungsstrukturen solch großer Verbände sonst aus dem Blick zu geraten scheint.
Und zuletzt mag eine Utopie erlaubt sein: Anders als in reinen Wirtschaftsunternehmen, wie etwa ebenfalls als Regulatoren agierenden Sozialen Netzwerken, gibt es bei Sportverbänden, die eine hierarchisch organisierte Mitgliederstruktur haben, tatsächlich Potenzial, um eine eigene demokratische Legitimation herzustellen bzw. diese zu stärken. Diese Legitimationskette könnte der europäische Gesetzgeber im Rahmen zukünftiger Regulierungen stärken, indem er etwa für grundlegende Satzungsentscheidungen der Verbände eine basisdemokratische Willensbildung vorschreibt oder jedenfalls privilegiert.
Schluss
Das „Super League“-Intermezzo hat den Finger in die Wunde des Spitzenfußballs gelegt. Die Rechtfertigung der bestehenden Strukturen leidet unter der zunehmenden Unfähigkeit, die Topteams in einem Wettbewerb zu halten, der diesen Namen auf nationaler Ebene und im Ligaalltag verdient. Das europäische Kartellrecht steht und stand den Verantwortlichen nicht im Wege, um Europa vor einer „Super League“ und bestehenden Oligopolen zu bewahren und dabei den breiten Wettbewerb zu fördern.