17 December 2013

Garzweiler-Urteil: My Home is not my Castle

Es gibt im Grundgesetz keinen starken Schutz dagegen, aus seinem Heim vertrieben zu werden. Das scheint mir die Quintessenz des heutigen Garzweiler-Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu sein. Einen schwachen Schutz, vermittelt über das Eigentumsgrundrecht, gibt es – er schützt mich davor, dass die Behörden mich einfach so zum Spaß meine Sachen packen lassen. Aber solange sie dabei das Allgemeinwohl im Sinn haben, alles vernünftig abwägen und meine Belange ins Kalkül ziehen und ein nachdenkliches Gesicht machen, dürfen sie mich um bestimmter politischer Interessen willen tatsächlich, nun ja: zwangsumsiedeln.

Nennt mich libertär, aber bei dem Gedanken kriege ich schon ein bisschen einen trockenen Mund, ehrlich gesagt.

Es geht um den Braunkohletagebau, also das unvorstellbar brachiale Weglöffeln ganzer Landschaften mit Hof und Dorf und Kirche, um an die energie- und klimapolitisch höchst umstrittene Braunkohle darunter ranzukommen. Wer das Unglück hat, dort zu leben, wird enteignet und muss sich damit abfinden, dass der Ort, wo er lebt und herkommt, aufhört zu existieren.

Das Grundrecht, das einen vor staatlichem Zwang in Bezug auf den Ort schützt, an dem man leben möchte, ist Art. 11 GG, das Recht auf Freizügigkeit. Das ist ein ziemlich starkes Grundrecht, das nur unter relativ engen Voraussetzungen eingeschränkt werden kann. Dass man es energiepolitisch für nützlich hält, reicht jedenfalls nicht aus, um einen Eingriff in Art. 11 GG zu rechtfertigen.

Dieses Grundrecht hier ins Spiel zu bringen, wollte der Erste Senat um jeden Preis vermeiden. Er befürchtet, sonst das gesamte Planungs- und Bodennutzungsrecht ins Rutschen zu bringen. Schließlich könnte man sonst auch argumentieren, dass es ein Eingriff in mein Recht auf Freizügigkeit ist, wenn ich mir auf meinem Grund im Außenbereich kein Haus bauen darf. Da dies nicht sein kann, dürfe der Schutzbereich des Art. 11 nur Orte umfassen, wo “jeder Aufenthalt und Wohnsitz nehmen kann”. Ein Recht darauf, dass die “rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen” dieses Aufenthalts geschaffen werden bzw. erhalten bleiben, gewähre er nicht.

Ebenso wenig vermittle Art. 11 ein “Recht auf Heimat”, also auf Erhalt des “städtebaulichen und sozialen Umfelds”, in dem man lebt. (Richterin Susanne Baer hatte so etwas 1997 mal in einem NVwZ-Aufsatz angedacht.)

All dies wird stattdessen zu Abwägungsgesichtspunkten im Rahmen des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG: Dessen Schutzbereich baut der Senat entsprechend aus, indem er auch die “gewachsenen Bezüge in städtebaulicher und sozialer Hinsicht” zum geschützten Eigentum dazugehören lässt:

Dabei wiegt der Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG umso schwerer, je umfassender und für die Freiheitsentfaltung gravierender die mit dem Entzug von Wohneigentum verbundene Beeinträchtigung oder gar Vernichtung des Wohnumfelds ist.

 


18 Comments

  1. Rensen Wed 18 Dec 2013 at 09:47 - Reply

    “Dieses Grundrecht hier ins Spiel zu bringen, wollte der Erste Senat um jeden Preis vermeiden. Er befürchtet, sonst das gesamte Planungs- und Bodennutzungsrecht ins Rutschen zu bringen.” Leider Unterstellungen.

    Vielleicht ist der Erste Senat ja auch nur zu dem Schluss gelangt, dass Regelungen den Schutzbereich von Art. 11 Abs. 1 GG nicht berühren,
    wenn sie allgemein gelten und nicht gezielt die Freizügigkeit – verstanden als Freiheit der Bewegung, Wohnsitzwahl usw. – bestimmter Personen oder Personengruppen treffen sollen und Freizügigkeit danach nicht das Recht auf eine bestimmte Heimat bedeuten kann,. Man muss nur einmal die Folgen jeder anderen Betrachtung bedenken: Ich habe ein Grundstück in einem Naturschutzgebiet und beschließe, dort meinen Wohnsitz zu nehmen. Um von dieser Betrachtung aus zu einem juristischen Argument zu gelangen, muss man keineswegs bei Morgenstern – also schloss er messerscharf, dass nicht sein kann, was nicht sein darf – stehen bleiben, sondern kann sich sehr wohl fragen, ob der verfassungsgebende Gesetzgeber das mit Art. 11 GG beabsichtigt hat (Naturschutzgebiete gibt es wohl schon seit 1920!). Wohl kaum!

    Schließlich muss man die vom Ersten Senat geforderte Erhöhung der Hürden beachten. Ob es danach wirklich noch viele weitere erfolgreiche Vorghaben geben wird, steht überhaupt nicht fest, und das gilt auch für neue Vorhaben in der Lausitz!

  2. Aufmerksamer Leser Wed 18 Dec 2013 at 09:56 - Reply

    Man nennt es deswegen Enteignungsrecht, nicht: “Enteignungsverhinderungsrecht”.

  3. Therese Tauten Wed 18 Dec 2013 at 10:13 - Reply

    Danke für die Infos aus der Verfassung – wird “man/frau” vielleicht noch brauchen können.
    Der Hinweis auf die “Weiterleitung an die Politik” ist interessant. Dann müßten ja alle Umweltschützer ja wissen, was zu tun ist – Auf zu neuen Taten, auf nach Berlin! Massenhaft!

  4. Trino Wed 18 Dec 2013 at 15:50 - Reply

    @TT da würden sich die Umweltschützer aber einen Bärendienst erweisen, wenn sie die Politik so beeinflussten das Freizügigkeitsrecht auszuweiten!

    Es gibt genügend Leute die nur darauf warten um endlich in der Natur bauen zu können !

  5. Rechtsanwalt Grehsin Wed 18 Dec 2013 at 21:20 - Reply

    Der Beschwerdeführer hatte den Wegfall seiner Heimat, seines Heims, seiner Wohnung beklagt.

    Eine Prüfung von Art. 13 Abs. 1, Abs. 7 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG war aber offenbar nicht veranlasst.

    Obwohl das Wort bzw. der Wortteil “Wohnung” insgesamt neunmal in der Entscheidung enthalten ist.

  6. Aufmerksamer Leser Wed 18 Dec 2013 at 22:15 - Reply

    @Grehsin: Sie haben in Ihrer Kanzlei doch bestimmt ein Repetitorenskript “Staatsrecht II”. Schauen Sie mal, was da zu Art. 13 steht.

  7. Rensen Thu 19 Dec 2013 at 10:07 - Reply

    @Grehsin: Und welches Grundrecht schützt “Heimat”? Wo kann ich im Grundgesetz etwa über “Heimat” lesen? Warum soll die Menschenwürde einschlägig sein? Soll “Heimat” im Kern unverletztlich sein? Wie erklären Sie sich dann, dass Art. 14 Abs. 3 GG die Möglichkeit der Enteignung nicht nur für Rechte, bewegliche Sachen und unbewegliche, aber nicht mit Wohnungen bebaute Sachen vorsieht, sondern ohne Einschränkung für jeden Gegenstand, also auch für selbst bewohnte Immobilien eines Eigentümers? Müssen wir uns nichtvielleicht doch damit abfinden, dass nicht all das verfassungsrechtlich geschützt ist, was uns selbst sinnvoll erscheint, sondern dass es Raum für Politik auch dort gibt, wo wir uns das als Betroffene nicht vorstellen mögen?

  8. Matthias Thu 19 Dec 2013 at 11:03 - Reply

    Ja, das ist schon irgendwie blöd. Niemand will neben einem Kraftwerk, einer Windkraftanlage oder unter einer Starkstromleitung wohnen oder sein Grundstück weggebaggert haben. Aber es finden trotzdem alle sehr angenehm, früh das Licht anzumachen, zu heizen und warm zu duschen. Wer also bitte schön konnte hier ernsthaft eine grundlegend andere Entscheidung erwarten?

  9. Rechtsanwalt Grehsin Thu 19 Dec 2013 at 11:12 - Reply

    Eine Prüfung ist eine Prüfung und noch kein Ergebnis.

  10. Aufmerksamer Leser Thu 19 Dec 2013 at 11:42 - Reply

    @Grehsin: Achso. Jetzt weiß ich, was Sie sagen wollen. Das Gericht soll zu allem etwas sagen, was die Beschwerdeführer sagen!
    So ist es im deutschen Prozessrecht allerdings nicht vorgesehen. Oder in den Worten des BVerfG: “Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags (!) einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so läßt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern (!) er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich (!) oder aber offensichtlich umsubstantiiert (!) war.”

  11. Matthias Thu 19 Dec 2013 at 11:43 - Reply

    @Grehsin: Die Prüfung von Fernliegendem sollten Sie in Entscheidungen nicht finden. Art. 13 GG schützt die Privatheit in einer Wohnung, das Abgeschiedensein. Das hat mit dem Fall hier nichts zu tun.

  12. Rechtsanwalt Grehsin Thu 19 Dec 2013 at 12:17 - Reply

    Welcher Sinn kommt dann dem “im übrigen” in Art. 13 Abs. 7 GG zu?

  13. Johann Thu 19 Dec 2013 at 12:38 - Reply

    Hmmmm….es bezieht sich vielleicht auf … Eingriffe “im übrigen”

  14. Aufmerksamer Leser Thu 19 Dec 2013 at 12:47 - Reply

    @Grehsin: Sie sind köstlich. Ihre letzte Frage gefällt mir bislang am besten. Die Frage des Anwalts, für den das BVerfG dann die Missbrauchsgebühr rechtsfortbildend erfunden hat, war weiland nicht besser!

  15. Rechtsanwalt Grehsin Thu 19 Dec 2013 at 13:18 - Reply

    @Aufmerksamer Leser: Könnten Sie mir dazu näheres mitteilen, zumindest Hinweise geben, damit ich die Frage bzw. den “weilandigen” Fall selbst nachvollziehen kann? Ich wäre Ihnen sehr dankbar.

  16. Aufmerksamer Leser Thu 19 Dec 2013 at 13:42 - Reply

    @Grehsin: Falls Sie mal in der Kanzlei sind: Juris ;-)

  17. Rechtsanwalt Grehsin Thu 19 Dec 2013 at 14:01 - Reply

    @Aufmerksamer Leser: Schade, es hätte mich interessiert.

  18. Aufmerksamer Leser Thu 19 Dec 2013 at 14:12 - Reply

    @Grehsin: Geben Sie sich nicht auf!

  19. Rensen Thu 19 Dec 2013 at 14:31 - Reply

    @Grehsin: Art. 13 Abs. 7 GG lautet “Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur zur Abwehr …”, und Sie meinen, das sei als Erweiterung des Schutzbereichs zu verstehen?
    Endlich weiß ich, wie es dem Prozessbevollmächtigten im Falle einer Überraschungsentscheidung geht! Das ist eine wirklich sehr interessante Interpretation! Habe Sie denn auch – abgesehen vom entgegenstehenden Wortlaut – irgendwelche Gründe für Ihre Interpretation?

  20. schorsch Thu 19 Dec 2013 at 16:34 - Reply

    @rensen, aufmerksamer leser: echt geil, wie ihre gang den schulhof unter kontrolle gebracht hat.
    @grehsin: art. 13 gg schützt die räumliche privatsphäre. den schutz IN meiner wohnung (als lex spec. zum allg. persönlichkeitsrecht), nicht den ort, an dem sie sich befindet. auch die sonstigen eingriffe des abs. 7 müssen daher in diesem sinne die privatsphäre beeinträchtigen.

  21. Rechtsanwalt Grehsin Thu 19 Dec 2013 at 18:05 - Reply

    Meine Gründe liegen allein in Wortlaut und Systematik des Artikels 13

    Abs. 1 statuiert die Wohnung als unverletzlich. Mögliche Verletzungen sind in Abs. 2-7 angesprochen.

    Die schwerste denkbare Verletzung ist der Entzug auf Zeit, auch durch die Zerstörung. Erst recht also auf Dauer.

    Der Wortlaut von Abs. 7 zeigt, dass auch an den möglichen Entzug der Wohnung gedacht ist (gemeine Gefahr, Lebensgefahr, Raumnot, Seuchengefahr etc.).

    Weshalb hier also offenbar ein Denkverbot schon für die Prüfung der Eröffnung des Schutzbereiches besteht, ist mir nicht klar.

  22. Aufmerksamer Leser Thu 19 Dec 2013 at 18:13 - Reply

    @Grehsin: Hier gibt es keine DenkVERBOTE. Im Gegenteil. Sie wurden ermuntert zum Mitdenken! Prüfen Sie doch einfach einmal die Eröffnung des Schutzbereiches!

  23. Rechtsanwalt Grehsin Thu 19 Dec 2013 at 18:33 - Reply

    Lieber “Aufmerksamer Leser”,

    halten Sie mich bitte nicht für unhöflich, aber ich möchte mich nicht wiederholen.

    Für ein – hier in der Kommentarfunktion unpassendes – längeres Traktat sehe ich schon mangels stichhaltiger Widerworte keinen Anlass.

  24. Rensen Fri 20 Dec 2013 at 09:48 - Reply

    @Schorsch: “… wie ihre gang den schulhof unter kontrolle gebracht hat. …” Ich habe Argumente angesprochen und Fragen gestellt. Sollten sich hier Übereinstimmungen ergeben, geht es weder darum mit mir nicht bekannten Kommentatoren zusammenzuwirken, noch geht es um Kontrolle, für die ich auch nicht über Maßnahmen verfügte. Also leider ganz daneben und Rückkehr zu Argumente – um die sich RA Grehsin übrigens offenbar sehr wohl bemüht – dringend angezeigt!

    @Grehsin: Danke für die Antwort. Sie sollte den Kommentar von Schorsch lesen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

  25. Aufmerksamer Leser Fri 20 Dec 2013 at 11:31 - Reply

    @schorsch, @Rensen: IMHO handelt es sich bei Grehsin um einen echten Troll. Er gibt hier nur den ahnungslosen. Nicht erstmalig.

  26. Rensen Fri 20 Dec 2013 at 11:51 - Reply

    @Aufmerksamer Leser: Darüber kann sich jeder selbst eine Meinung bilden ebenso wie über die ausgetauschten Argumente. Der Rest ist Schweigen.

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