23 September 2013

Einige Gedanken am Tag nach der Bundestagswahl

1. Fast hätte die CDU/CSU eine absolute Mehrheit bekommen. Das war der Moment, als mir der Kiefer runtergefallen ist gestern abend, als diese Möglichkeit plötzlich im Raum stand.

Absolute Mehrheit, das klingt ungeheuer wuchtig, das klingt nach Adenauer auf dem Zenith seiner Laufbahn, das klingt nach einem kompakten, fugenlosen Monolithen der Macht.

Tatsächlich aber scheint mir die Große Koalition, die wir jetzt wohl bekommen werden, eher ein solcher Behemoth zu sein als eine Kanzlerin, die außer Horst Seehofer niemanden mehr hätte, mit dem sie die Schuld an allem, was schiefläuft, teilen könnte.

Eine von Union und SPD getragene Regierung könnte sich auf 503 von 630 Sitze stützen – fast eine Vierfünftelmehrheit.

Die Opposition aus Grünen und Linken könnte nicht einmal mehr einen Untersuchungsausschuss einsetzen. Sie könnte auch kein Normenkontrollverfahren in Karlsruhe anstrengen. Dazu sind jeweils 25 Prozent der Stimmen im Bundestag nötig, und die bekommen sie selbst dann nicht auf die Waage, wenn sie sich zu einem solchen Schritt zusammenraufen.

Die parallele Situation hatten nach 2005 im Prinzip auch: Da war zwar die Mehrheit weniger erdrückend, aber dafür lag das Quorum für eine Normenkontrollklage damals bei einem Drittel. 2009 wurde es dann auf 25 Prozent gesenkt.

Und jetzt? Nochmal senken, auf 20 Prozent? Ein Parlament ohne Opposition ist kein Parlament. Norbert Lammert sollte sich das durch den Kopf gehen lassen.

Wenn ich wählen müsste, würde ich dabei lieber auf die Untersuchungsausschüsse verzichten als auf das Normenkontrollklagerecht. Dass die Opposition verfassungswidrige Entscheidungen der Regierungsmehrheit nicht mehr nach Karlsruhe bringen kann, wäre mir eine ganz besonders unerträgliche Vorstellung.

2. In mir will keine rechte Trauer über das Schicksal der FDP aufkommen, das gebe ich unumwunden zu. Aber ich bekomme Second Thoughts, wenn ich an die zukünftige Besetzung des Justizressorts denke.

Dessen Inhaber hat vor allem eine Aufgabe: nach Kräften zu verhindern, dass der Innenminister Land und Verfassung schilyfiziert. Weshalb normalerweise der Innenminister vom größeren und der Justizminister vom kleineren Koalitionspartner gestellt wird.

Diese Aufgabe hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Verhältnis zu Hans-Peter Friedrich nicht schlecht erledigt. Bei der Vorratsdatenspeicherung jedenfalls hat sie durchgehalten, trotz Vertragsverletzungsverfahren und allem. Ob das ein Justizminister namens Günther Krings oder Thomas Oppermann auch tun würde?

3. Was ist eigentlich aus der Befürchtung geworden, der Bundestag werde durch die Ausgleichsmandate auf über 700 Sitze anschwellen? “Größer als Nordkorea” hatte sich SpON vor einem Jahr gegruselt und sich schon mal nach provisorischen Ausweichquartiere für all die vielen zusätzlichen Abgeordneten umgesehen, die Berlin überschwemmen, wenn die Überhangmandate künftig ausgeglichen werden.

Und jetzt? 630 sind es geworden, ein paar mehr als 2009 (622) und 2005 (614), aber nicht um Größenordnungen.

Was ist da passiert? Habe ich eine gesetzgeberische Entschärfungsmaßnahme übersehen? Hat uns die Wählerlaune davor bewahrt, in der Abgeordnetenflut zu ersaufen? Oder waren die Kollegen von SpON damals einfach nur ein bisschen leicht erregbar?

4. Dass die Piraten alles Informatiker und damit Mathe-Genies und damit wahlrechtsaffin sind, kann man am amtlichen Endergebnis ablesen.

Dort steht, dass die Piraten im Vergleich zu 2009 zwar nur schlappe 100.000 Zweitstimmen, aber ganze 800.000 Erststimmen hinzugewonnen haben. Die Piraten-Wähler wissen offenbar wirklich allesamt Bescheid, dass das gute alte Stimmensplitting mit dem reformierten Wahlrecht nicht länger funktioniert


23 Comments

  1. Gerd Gosman Mon 23 Sep 2013 at 17:36 - Reply

    Punkt 2. scheint mir der wichtigste. Aus Bürgerrechtssicht ist eine große Koalition nach der CDU-Alleinregierung das Schlimmste, was passieren kann. Vor diesem Hintergrund muss man fast hoffen, dass es aufgrund verrückter Zufälle doch zu Schwarz-Grün kommt und die Grünen die Courage mitbringen, sich das Justizressort zu krallen, dass sie 1998 und 2002 noch verschmäht hatten.

  2. filtor Mon 23 Sep 2013 at 17:42 - Reply

    verfassungsrechtlich wirft das ergebnis doch vor allem ein schlechtes licht auf die 5%-klausel: knapp 16% der zweitstimmen bleiben ohne erfolgswert, die mitte-linke mehrheit im parlament entspricht überhaupt nicht der mitte-rechten bei den wählerinnen und wählern, mit nur 43% der stimmen wäre eine absolute mehrheit möglich gewesen. höchste zeit, die schwelle zumindest mal auf 2 oder 3% abzusenken, wenn man sie nicht lieber ganz abschafft.

  3. Noah Mon 23 Sep 2013 at 17:44 - Reply

    Na ja, wirklicher Schutz ist jawohl nur von den Gerichten in der Frage 2 zu erwarten. Die FDP konnte den großen Lauschangriff nicht verhindern (trotz Koalition, Rücktritt und Verfassungsbeschwerde) und die Grünen die VDS, den biometrischen Pass oder das Luftsicherheitsgesetz nicht (haben das Justizministerium ja noch nicht mal innegehabt). Der Schutz kam doch immer vom BVerfG und vielleicht demnächst vom EuGH. Und was hat denn die letzte große Koalition in der Frage auf die Beine gestellt außer den Netzsperren im letzten Atemzug? (deren Abschaffung man dann natürlich wieder der FDP gutschreiben kann) Die Online-Durchsuchung für das BKA wurde von den Jusos (!) des Juniorpartners in Sachsen (!) verhindert.

  4. Ignaz Wrobel Mon 23 Sep 2013 at 18:10 - Reply

    zu 3. Das liegt natürlich an dem sehr starken Zweitstimmenergebnis der CDU/CSU. Dadurch hat es nur wenige Überhangmandate und dementsprechend wenig Ausgleichsmandate gegeben. Eine Übersicht über die entstandenen Überhangmandate habe ich noch nicht gefunden, nicht einmal beim Wahlleiter (Hamburg mit 5 SPD-Direktkandidaten könnte ein Kandidat sein). Das hätte vor allem dann anders ausgesehen, wenn die CSU schlecht bei den Zweitstimmen abgeschnitten hätte. Ein so kleiner Bundestag scheint damit aber eher die Ausnahme nach dem neuen Wahlrecht zu sein.

  5. Ignaz Wrobel Mon 23 Sep 2013 at 18:15 - Reply

    doch nicht HH, sondern Bayern mit 3-CSU-Überhangmandaten. Siehe näher: http://www.wahlrecht.de/news/2013/bundestagswahl-2013.html#absolut

  6. Aufmerksamer Leser Mon 23 Sep 2013 at 18:44 - Reply

    @Max: (ad 2) MIr will noch immer nicht recht einleuchten, weshalb die unionsrechtswidrige Nichtumsetzung von Richtlinien trotz Vertragsverletzungsverfahrens eine besonders wertvolle Eigenschaft von Justizministern sein soll?! Ich denke tatsächlich, dass Krings (sogar Oppermann) sich da eher dem geltenden Recht verpflichtet sehen. Jedenfalls sollten wir diesen Punkt im FDP Nachruf eher mal verschweigen. De mortuis nil nisi bonum!

  7. Pirat Mon 23 Sep 2013 at 20:24 - Reply

    zu 4: Der niedrige Erstimmenanteil von 2009 dürfte insbesondere daran gelegen haben, dass nur in wenigsten Wahlkreisen Direktkandidaten aufgestellt werden konnten. Bis Mitte 2009 hatten die Piraten nur knapp 1000 Mitglieder (bundesweit).

    Abgesehen davon ist die Erststimme in manchen Wahlkreisen (ich lebe in so einem) ohnehin völlig sinnlos, weil beide Kandidaten von CDU und SPD schon seit Jahren gute Listenplätze haben und damit ohnehin beide in BT vertreten sein werden. Da wäre es selbst ein theoretisch möglicher Splittingvorteil nicht wert zwischen Pest und Cholera zu unterscheiden.

  8. Dr. Hartmut Rensen Mon 23 Sep 2013 at 20:35 - Reply

    Nur einige Fragen:

    1. Welche wichtigen Fragen können nicht im Wege von Verfassungsbeschwerden vor das BVerfG gebracht werden, wenn man die kürzlich gezeigte Großzügigkeit des BVerfG berücksichtigt?

    2. Aus welcher Bestimmung des GG oder des Bundesrechts ergibt sich die Funktion der Bundesjustizministerin als Widerpart des Bundesinnenministers? Seit wann stehen sich etwa Polizeibehörden einerseits und Justizbehörden andererseits als Gegner gegenüber?

  9. Maximilian Steinbeis Mon 23 Sep 2013 at 20:42 - Reply

    @Rensen:
    1. stimmt natürlich, auch Normenkontrollklagen von Landesregierungen bleiben ja noch möglich. Und dass das BVerfG sich Zugang zu Themen zu verschaffen weiß, die es interessieren, ist gleichfalls wahr. Mich treibt auch weniger die Sorge um, dass verfassungswidrige Gesetze unsankttioniert bleiben könnten, als die um ein Parlament, dessen Opposition in solchem Maße wehrlos wäre.
    2. Aus mehreren Jahrzehnten bundesrepublikanischer Politikrealität, würde ich mal spontan antworten. Womit auch die zweite Frage beantwortet wäre. Es geht doch nicht um Behörden, sondern um Gesetzgebung.

  10. Aufmerksamer Leser Mon 23 Sep 2013 at 20:46 - Reply

    @Pirat: Das mit dem Wahlrecht scheint Dir nicht wirklich klar zu sein?! Die Erststimme ist nicht dazu gedacht, Kandidaten abzuwählen. Und ob “Listenkandidaten” in den Bundestag einziehen, hängt ua. davon ab, wieviele “Listenkandidaten” vor ihnen ihren Wahlkreis gewonnen haben.

  11. Matthias Mon 23 Sep 2013 at 20:55 - Reply

    1. Zu den Überhang- und Ausgleichsmandaten: Wenn man bedenkt, dass nicht einmal eine Handvoll Überhangmandate dazu führen, dass der BT um 32 Sitze erweitert wird, mag ich mir gar nicht ausrechnen, wie viele es wohl wären, hätte es jetzt die gleiche Anzahl von Überhangmandaten gegeben wie 2009 (und ehrlich gesagt, aufgrund der Regelung im BWahlG wäre ich dazu auch gar nicht in der Lage).

    2. @ Hartmut Rensen: Ich denke nicht, dass es der springende Punkt ist, ob jemand eine wichtige Frage nicht auch (irgendwann) in Form einer Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe bringen könnte, sondern, dass es die Opposition eben nicht mehr könnte. Und btw: Die derzeit anhängige Normenkontrolle zu den “überlangen LKW” wäre wohl so eine – ob das eine “wichtige Frage” ist, das will ich mal offen lassen. Fairerweise müsste man natürlich auch sagen, dass auch eine Landesregierung einen solchen Antrag stellen kann. Wenn im Bund eine große Koalition regiert, ist das allerdings auch nicht gerade wahrscheinlich (außer in BY natürlich)…

  12. Aufmerksamer Leser Mon 23 Sep 2013 at 20:55 - Reply

    @Max: Ich muss @Rensen wieder Recht geben. Die Gesetze, um die es Dir geht, verantwortet immer das Parlament, kein Minister. Der Minister muss sein Ministerium im Griff haben, also seine Behörde. Wenn sich Ministerien in einer Koalition “blockieren”, liegt das an der Koalition, dem Koalitionsvertrag oder Profilierungsbedürfnissen der Personen, aber nicht am Amt des Ministers. Das muss lediglich im Rahmen des geltenden Rechts wahrgenommen werden.

  13. Maximilian Steinbeis Mon 23 Sep 2013 at 21:11 - Reply

    Natürlich schreiben die Ministerien die Gesetze und nicht die Parlamente, das weiß doch jeder. Und wenn es im Kabinett einen Innenminister gibt, der die Terroristen aufs Haupt haut und kräftig Law und Order fordert (und im Interesse des Profils seiner Partei auch fordern soll), dann sollte es im Kabinett auch einen Justizminister geben, der Bürgerrechte dagegenhält und es politisch auch im Kreuz hat, sich gegen das Innenressort durchzusetzen.

  14. Aufmerksamer Leser Mon 23 Sep 2013 at 21:30 - Reply

    Es geht bei Blockade ja nicht um das Problem, ein Gesetz zu schreiben. Denn da gibt es meist schon mindestens zwei Entwürfe. Die werden aber nicht vom Parlament beschlossen, weil Koalition, Koalitionsvertrag, Profilierung… Alles menschlich, hängt aber nicht am Amt.

  15. Bernd Paysan Mon 23 Sep 2013 at 22:06 - Reply

    Die wenigen Überhangmandate und entsprechend wenigen Ausgleichsmandate haben wir einfach dem guten Abschneiden der Union zu verdanken. Fast absolute Mehrheit, das bedeutet eben fast die Hälfte der Sitze. Und das sind die, die per Erststimme vergeben werden.

  16. Matthias Tue 24 Sep 2013 at 08:06 - Reply

    @ Bernd Paysan: Auch bei einer absoltuen Mehrheit kann es natürlich Überhangmandate geben (siehe § 6 BWahlG, “Wahl nach Landeslisten”), wenn auch nicht viele…

  17. Felix Arndt Tue 24 Sep 2013 at 09:54 - Reply

    Zur Frage der Bundestagsgröße: Bei Lichte besehen ist der Ausgleichsbedarf gar nicht auf Überhangmandate klassischer Art zurückzuführen. Die konnte die CSU nämlich bei ihrem Zweitstimmenergebnis gar nicht haben und hat sie auch nicht. Und die wenigen der CDU hätten auch nicht einen solchen Ausgleichsbedarf hervorgerufen.
    Ursache ist vielmehr die etwas künstliche Aufteilung der Sitze in Landeskontigente im ersten Schritt der Verteilung, auf die die CDU/CSU bei der letzten Reform des Wahlrechts beharrt hat (eine Analyse der Gründe würde hier zu weit führen). Und da in Bayern die Wahlbeteilung geringer und der Anteil der Stimmen für nicht zuteilungsberechtigte Parteien größer waren als im Bundesdurchschnitt, führt dies zu einem neuartigen Ausgleichsbedarf. Mit Blick auf die CSU ist der immer besonders “teuer”, da hier keine anderen Landeslisten zur Verfügung stehen, um den Ausgleichsbedarf auf Bundesebene zu begrenzen.
    Berechnungen von wahlrecht.de (die ich nicht nachgerechnet habe, aber plausibel finde) kommen wohl zu dem Ergebnis, dass ein Ausgleich nur der echten Überhangmandate eine Gesamtgröße von 607 Sitzen erfordert hätte.

  18. Dr. Hartmut Rensen Tue 24 Sep 2013 at 10:27 - Reply

    @Max: Ich will voranschicken, dass es selbstverständlich weder die Aufgabe des Innenministers ist, mit Rücksicht auf die jüngste Rspr. des BVerfG allzu weitreichende Ermächtigungsgrundlagen für Ermittlungsmaßnahmen vorzuschlagen, noch Aufgabe der Bundesjustizministerin ist, unionsrechtswidrig eine Ausschöpfung der vom BVerfG eröffneten Spielräume für Ermittlungsmaßnahmen zu verhindern. Die derzeitige Bundesjustizministerin ist aber sogar noch einen Schritt darüber hinausgegangen und hat nicht nur die Umsetzung des noch maßgebenden Unionsrechts abgelehnt, sondern insofern nicht zügig die Klärung der Rechtslage betrieben, sondern auf Zeit gespielt. Ungeachtet der jeweiligen Auffasssung zur Vorratsdatenspeicherung als solche lässt sich doch wohl nicht in Abrede stellen, dass sie hiermit den Anforderungen an eine Bundesjustizministerin nicht gerecht geworden ist. Kurz zu den Folgen in der Praxis der Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften und Ermittlungsrichter (nach Umfrage bei Kollegen): Aufgrund der wechselseitigen Blockaden der beiden Bundesminister stehen den Kollegen kaum passende Ermächtigungsgrundlagen zur Verfügung. Da sich die Kollegen zu Recht oder zu Unrecht scheuen, Tatverdächtige etwa bei Tötungsdelikten nicht ermitteln zu lassen, wenden sie kaum passende Ermächtigungsgrundlagen analog (!!!) an. Folgen: 1. Schwerwiegende Eingriffe finden z.T. materiell rechtswidrig statt. 2. Tatverdächtige können entweder wegen allzu kurzer Speicherzeit (z.T. wenige Tage) nicht ermittelt werden oder werden zwar ermittelt, können aber u.U. wegen Verwertungsverbots nicht abgeurteilt werden. Fazit: Wie auch immer man die Sache betrachtet, kann es so kaum weitergehen.

  19. filtor Tue 24 Sep 2013 at 11:36 - Reply

    @ max steinbeis: über das nach diesem wahlausgang wichtigste verfassungsrechtliche thema wird hier nicht debattiert: das wahlrecht. diese wahl zeigt die erfolgswertungleichheit des systems mit sperrklausel in einzigartiger deutlichkeit. man muss den parteien- und parlamentarismus-skeptiker von arnim nicht mögen, aber sein vorschlag (http://www.spiegel.de/politik/deutschland/parlament-ohne-kleinparteien-von-arnim-fordert-neue-wahlzettel-a-923993.html) macht klar, was jetzt diskutiert werden sollte. gerade dafür eignet sich doch das blog-format.

  20. Dietmar Hipp Tue 24 Sep 2013 at 16:20 - Reply

    @ Größe des Bundestages
    Die Zahl von 700 oder mehr war ein “worst case-Szenario”. Und diese Szenarien haben es nun mal in der Regel so an sich, dass es nicht ganz so schlimm kommt, wenn ein anderes Szenario eintritt. Also kein Grund zur Häme – beim nächsten Mal einfach gründlich lesen, dann tritt auch keine falsche Erwartungshaltung ein.
    Wenn man sich indes die Zahlen genauer anschaut, sieht man zweierlei:
    – Es ist bezüglich der Überhangmandate sogar (fast) das “best-case-Szenario” eingetreten, mit nur 4 Überhangmandaten (der CDU).
    – TROTZDEM haben wir 28 Ausgleichsmandate!
    Falls der Widerspruch nicht sofort auffällt: zum Ausgleich der 4 Überhangmandate hätten 5 Ausgleichsmandate genügt – warum also 28??
    Weil sich an anderer Stelle ein Konstruktionsfehler des neuen Wahlrechts ausgewirkt hat (den die Parteien, insb. die Union, billigend in Kauf genommen hatten, weil sie nur so das sogenannte negative Stimmgewicht ausschalten konnten, ohne das Entstehen von Überhangmandaten verhindern zu müssen).
    Wer Genaueres wissen will: Nachzulesen u.a. im Link von
    @Ignaz Wrobel (es handelt sich aber nicht um Überhangmandate der CSU, jedenfalls nicht im klassischen Sinne – der bessere Begriff wäre “Überrepräsentanz”) oder morgen im neuen SPIEGEL.
    Wenn es wieder mehr Überhangmandate gibt, dürfte der Bundestag leicht auch noch größer werden.
    (Nochmals zum Vergleich: nach altem Wahlrecht hatten wir – zunächst – 24 Überhangmandate, und entsprechend – ohne Ausgleich – 622 Sitze).

  21. Jan Schulz Tue 24 Sep 2013 at 16:43 - Reply

    Was wäre eigentlich mit den Überhang-/Ausgleichsmandaten pasiert, wenn die FDP knapp 5% der Stimmen bekommen hätte (z.B. auf Kosten der “Sonstigen”)? Oder noch extremer: AFD + FDP im Bundestag. Dann wäre das CDU Ergebnis ja nicht mehr so knapp an der absoluten Mehrheit gewesen und dementsprechend müsste es ja viel mehr Überhang-/Ausgleichsmandate geben?

  22. Dietmar Hipp Wed 25 Sep 2013 at 14:07 - Reply

    @ Jan Schulz
    Völlig richtig. In SPIEGEL Nr. 38/2013 wurde das bereits thematisiert (S.15), gestützt auf Berechnungen des Politologen Prof. Joachim Behnke aus Friedrichshafen: die (wahrscheinliche) Größe des Bundestages abhängig von der Zahl der Parteien, die über die 5%-Hürde kommen. Bei FDP und AfD im Bundesrat waren 17 Überhangmandate der CDU zu erwarten und 655 Sitze im Bundestag, bei nur FDP 10 Überhangmandate CDU und 626 Sitze. Der oben von @ignaz Wrobel und mir erwähnte CSU-Effekt (Überrepräsentanz) wäre im ersten Fall vermutlich komplett überlagert worden, im zweiten Fall wohl weitgehend (hätte sich also nicht mehr oder nur noch unwesentlich ausgewirkt). Prof. Behnke könnte das nun sogar exakt nachrechnen (ich kann es leider nicht).

  23. martin Wed 25 Sep 2013 at 23:57 - Reply

    Ein Nachtrag zur Diskussion um die Größe des Bundestages: Im Detail kenne ich die Berechnungen von Prof. Behnke nicht, aber dass ein Einzug von FDP und/oder AfD zu einer weiteren Vergrößerung des Bundestages geführt hätte, kann man nicht ohne weiteres sagen. Den Einfluss eines Bundestagseinzugs dieser Parteien auf die Sitzzahl zu bestimmen, ist nicht ganz einfach, weil dies im Detail von der genauen Verteilung der Stimmen auf die Landeslisten und den dadurch ggf. entstehenden Überhangmandaten abhängen würde. Eine rechnerische Berücksichtigung weiterer Parteien würde aber zunächst einmal ohnehin nur dazu führen, dass der Sitzanspruch der anderen entsprechend schrumpft.
    Dass der neue Bundestag um 32 Sitze über die reguläre Zahl von 598 Mandaten vergrößert werden muss, liegt, wie bereits erwähnt wurde, daran, dass der sich nach geltendem Recht ergebende rechnerische Sitzanspruch der CSU in Bayern unter Berücksichtigung ihres bundesweiten Stimmenanteils diese Größe des Bundestages notwendig macht. Dagegen fällt die sich aus dem Überhang der CDU ergebende Zahl notwendiger Ausgleichsmandate sehr viel geringer aus, was eben dem im Verhältnis zu den Erststmmen guten Zweitstimmenergebnis der Partei zu verdanken ist. (Die nach der CSU am stärksten “überhängende” Partei sind übrigens die Grünen.) An dieser Konstellation würde sich prinzipiell auch dann nicht viel ändern, wenn FDP und AfD noch zusätzlich in die Berechnung eingingen, selbst dann, wenn sie den gesamten Stimmanteil der “Sonstigen” auf sich vereinigen könnten. Extremfälle sind natürlich möglich, aber auch bei einem Einzug von FDP und/oder AfD wäre der Bundestag in kaum einem Fall über 635-640 Sitze hinaus gewachsen.
    Für den hypothetischen Fall, dass FDP und AfD mit ihren nun erreichten Wahlergebnissen (4,8 bzw. 4,7 Prozent) in den Bundestag gekommen wären (also quasi bei einer Vier-Prozent-Hürde) ergäbe sich übrigens folgende Sitzverteilung: Von insgesamt insgesamt 626 (!) Sitzen würden entfallen auf: CDU 228, CSU 50, SPD 172, Grüne 56, Linke 57, FDP 32 und AfD 31 (darunter “klassische Überhangmandate”: 8 für die CDU, 1 für die SPD). In diesem Fall also der Mehrbedarf an Sitzen (mehr als) vollständig durch Abzüge bei den anderen Parteien ausgeglichen worden.

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