Gemeinsames und Trennendes von Taxifahrer und Rechtsanwalt
Bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt steht das Thema „Cum ex“ hoch im Kurs: Die hessischen Strafverfolgungsbehörden führen unter anderem ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung gegen zwei Rechtsanwälte, die steuerrechtliche Gutachten zur Zulässigkeit von Cum-ex-Geschäften verfasst hatten. Einer von ihnen sitzt seit Ende November in Untersuchungshaft, was sowohl in der Finanz– als auch in der juristischen Welt große Aufmerksamkeit hervorgerufen hat. Das Vorgehen der Justiz in diesem Fall scheint von Aktionismus getrieben zu sein, aber dennoch offenbaren die Anschuldigungen gegen die Rechtsberater systematische Fehlentwicklungen in Teilen des Anwaltsberufs.
Cum was?
Es ist ungewöhnlich, dass das gemeinhin als eher trocken geltende Steuerrecht die Allgemeinheit in Aufregung versetzt und zu anhaltender öffentlicher Berichterstattung führt, so geschehen im Fall der sogenannten Cum-ex-Geschäfte. Bei diesen Geschäften geht es, aufs Stärkste verkürzt, darum, dass der Staat im Kontext eines Leerverkaufs von Aktien vor und nach einem Dividendenstichtag die Kapitalertragssteuer, die nur von einem Investor gezahlt worden ist, unter Berufung auf eine wirtschaftliche Eigentümerstellung eines zweiten Investors, ein weiteres Mal ausgezahlt haben soll (instruktiv dazu Knauer/Schomburg, NStZ 2019, 305). Zahlreiche Bankhäuser hatten in der Vergangenheit finanzkräftigen und renditeorientierten Anlegern diese Form des Investments angeboten und sich zum Nachweis der steuerrechtlichen Zulässigkeit auf Gutachten berufen, die auf das Steuerrecht spezialisierte Rechtsanwälte erstellt hatten. Ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen ein solches Konstrukt steuerrechtlich zulässig bzw. andernfalls sogar steuerstrafrechtlich relevant sein kann, beschäftigt die Öffentlichkeit seit etwa zehn Jahren und wurde in der Vergangenheit unterschiedlich beurteilt. Das Finanzgericht Köln hat in diesem Jahr eine Klage eines Investors auf Auszahlung der Kapitalertragssteuer zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2017 in einem Nichtannahmebeschluss ohne nähere Begründung den Tatverdacht für eine Steuerhinterziehung bejaht; zwei Jahre zuvor hatte das Landgericht Köln eine Beschwerde gegen eine Durchsuchungsanordnung im Zusammenhang mit derartigen Geschäften als unbegründet verworfen.
Von Gutachten als Feigenblättern und Lücken als Geschäftsmodellen
Nunmehr werden Cum-ex-Geschäfte als „Steuerraub“ und „Der Coup des Jahrhunderts“ bezeichnet, führten zu einem Bundestagsuntersuchungsausschuss, zahlreichen zivilrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen den involvierten Banken, Kanzleien und Anlegern und schließlich zu steuerstrafrechtlichen Ermittlungen gegen die Beteiligten an den Geschäften. Vor dem Landgericht Bonn findet derzeit eine Hauptverhandlung gegen zwei Aktienhändler statt, denen Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall vorgeworfen wird. Einer der früheren Rechtsberater in diesem Fall hat sich zu einem Vorgehen entschlossen, das man eher aus Verfahren der Organisierten Kriminalität kennt: er fungiert als eine Art Kronzeuge. Im Rahmen seiner Aussage hat er ausweislich entsprechender Presseberichte unter anderem bekundet, dass die erstellten steuerrechtlichen Gutachten als „Feigenblätter“ gedient hätten und seine Kollegen und er nach dem Versuch der Bundesregierung, etwaige Lücken im Steuerrecht zu schließen, Änderungen mit Blick auf das Geschäftsmodell vorgeschlagen hätten, um die Doppelerstattung der nur einmal gezahlten Kapitalertragssteuer weiterhin sicherzustellen. Die Angeklagten, so liest man anderswo, hätten demgegenüber zu ihrer Verteidigung vorgebracht, sie hätten auf den Inhalt der Gutachten, die die steuerrechtliche Unbedenklichkeit der Geschäfte attestierten, vertraut. Diese Einlassung stellt den für eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung erforderlichen Vorsatz in Frage, und hierauf wird es in diesem Verfahren wohl entscheidend ankommen, nachdem der Vorsitzende Richter damit zitiert wird, die Kammer erachte die verfahrensgegenständlichen Geschäfte (objektiv) als strafbar. Der Gesichtspunkt wird nicht zuletzt auch maßgebend sein für die Frage, ob die Gewinne bei den als Einziehungsbeteiligten auftretenden Banken in dem Verfahren als Taterträge abgeschöpft werden können.
Ein „kriminaltaktischer“ Haftbefehl?
Dass der Aufbau von „Druck“ aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden kriminaltaktisch geboten sein kann, um Kooperation im Strafverfahren zu fördern, ist kein Geheimnis. Und offenbar geht die Strategie der Ermittler, jedenfalls was einige der beteiligten Bankhäuser anbelangt, auch auf. Jedoch kann die Kriminaltaktik für sich genommen keine Legitimation für strafprozessuale Maßnahmen darstellen, auch wenn in der Praxis immer wieder nach dem Prinzip „U-Haft schafft Rechtskraft“ vorgegangen werden mag. Bei der Untersuchungshaft – nach der Formulierung von Hassemer (StV 1984, 38, 40) Freiheitsberaubung gegenüber einem Unschuldigen – handelt es sich um das schärfste Schwert des Staats im Ermittlungsverfahren, das nur unter engen Voraussetzungen zum Einsatz kommen darf. Es soll, anders als die Bevölkerung dies bisweilen meint, den Beschuldigten nicht „vorab“ bestrafen, sondern dient in erster Linie der Sicherung des Strafverfahrens. Deshalb setzt ein Haftbefehl einen Haftgrund voraus, der in dem Fall des verhafteten Steuerrechtlers in Form von Fluchtgefahr vorliegen soll. Auf diesen Haftgrund wird in der Praxis die große Mehrzahl der Untersuchungshaftbefehle gestützt. Ob es im vorliegenden Fall konkrete Anhaltspunkte dafür gab (und gibt), dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde, ist von außen schwer zu beurteilen; der in der Presse angeführte Umstand, der Beschuldigte habe in letzter Zeit innerhalb der Familie erhebliche Vermögenswerte übertragen, ist aus sich heraus jedenfalls zur Begründung der Fluchtgefahr schwer verständlich, zumal das Amtsgericht im Fall eines anderen Beschuldigten, der gar als anwaltlicher „Architekt des Aktiendeals“ gilt und sich bereits vor geraumer Zeit ins Ausland begeben hatte, den Erlass eines Haftbefehls abgelehnt haben soll.
Die Frage eines Haftgrundes könnte freilich dahinstehen, wenn es an einer zweiten Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls fehlen würde: Neben einem Haftgrund ist nach § 112 Abs. 1 S. 1 StPO ein dringender Tatverdacht erforderlich. Ein solcher setzt die hohe Wahrscheinlichkeit voraus, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer verfolgbaren Straftat ist und deswegen verurteilt wird. Da der Beschuldigte selbst keine Erklärungen gegenüber dem Fiskus mit Blick auf die verfahrensgegenständlichen Geschäfte abgegeben hat, kommt von vornherein keine Täterschaft, sondern lediglich eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall in Betracht. Eine Beihilfe setzt nach § 27 Abs. 1 StGB voraus, dass der Teilnehmer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener Tat Hilfe leistet. Die an den Geschäften beteiligten Vertragspartner im Sinne des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO müssten also vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen – hier: über die Erstattung der (nicht gezahlten) Kapitalertragssteuer – gemacht und dadurch Steuern verkürzt bzw. nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt haben. Auch insoweit wird, unter Zugrundelegung der eingangs geschilderten Auffassung des Landgerichts Bonn, dass die Geschäfte objektiv zu einer ungerechtfertigten Steuerverkürzung geführt haben, entscheidend sein, inwieweit die Gutachten bei den Investoren vorsatzausschließende Wirkung entfalten konnten und entfaltet haben. In Betracht kommt insoweit ein Irrtum über das Bestehen einer steuerlichen Erstattungsmöglichkeit i.S.d. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, der allerdings bereits von vornherein dann abzulehnen wäre, wenn der Investor die Verwirklichung einer Steuerhinterziehung für möglich gehalten und sich damit abgefunden hätte (BGH NStZ 2012, 160). Selbst wenn man einen Irrtum der Investoren unterstellt, würde sich dies nicht zwingend zu Gunsten der Investoren auswirken. Der BGH hat im Jahr 2017 in einer einen Verbotsirrtum betreffenden Konstellation ausgeführt:
„Das Vertrauen auf eingeholten rechtsanwaltlichen Rat vermag somit nicht in jedem Fall einen unvermeidbaren Verbotsirrtum des Täters zu begründen. Wendet sich dieser an einen auf dem betreffenden Rechtsgebiet versierten Anwalt, so hat er damit zwar vielfach das zunächst Gebotene getan. Jedoch ist weiter erforderlich, dass der Täter auf die Richtigkeit der Auskunft nach den für ihn erkennbaren Umständen vertrauen darf. Dies ist nicht der Fall, wenn die Unerlaubtheit des Tuns für ihn bei auch nur mäßiger Anspannung von Verstand und Gewissen leicht erkennbar ist oder er nicht mehr als eine Hoffnung haben kann, das ihm bekannte Strafgesetz greife hier noch nicht ein. Daher darf der Täter sich auf die Auffassung eines Rechtsanwalts etwa nicht allein deswegen verlassen, weil sie seinem Vorhaben günstig ist. Eher zur Absicherung als zur Klärung bestellte ‚Gefälligkeitsgutachten‘ scheiden als Grundlage unvermeidbarer Verbotsirrtümer aus. Auskünfte, die erkennbar vordergründig und mangelhaft sind oder nach dem Willen des Anfragenden lediglich eine ‚Feigenblattfunktion‘ erfüllen sollen, können den Täter ebenfalls nicht entlasten. Insbesondere bei komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen Rechtsfragen ist regelmäßig ein detailliertes, schriftliches Gutachten erforderlich, um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum zu begründen.“ (NJW 2017, 1487, 1489)
Ob es sich bei den Gutachten des beschuldigten Rechtsanwalts um detaillierte Ausarbeitungen in diesem Sinne oder um „Feigenblätter“ im Sinne der Aussage des erwähnten „Kronzeugen“ handelte, ist von außen nicht zu beurteilen.
Zwischen „berufsneutralem“ Verhalten und „Solidarisierung mit dem Täter“
Die Frage könnte im Hinblick auf den inhaftierten Rechtsanwalt allerdings dahinstehen, wenn seine Tätigkeit nicht als Hilfeleistung im Sinne des § 27 Abs. 1 StGB anzusehen wäre. Grundsätzlich ist die Rechtsprechung sehr weitgehend, wenn es um die Bejahung einer (objektiven) Hilfeleistung geht: es soll insbesondere nicht erforderlich sein, dass das Verhalten des Gehilfen im engeren Sinne kausal geworden ist; vielmehr soll eine Förderung der Begehung der Tat genügen (vgl. BGHSt 46, 107, 109).
Dass von dieser vagen Formulierung auch der Taxifahrer erfasst wäre, der (ohne dies zu ahnen) den zum Raub Entschlossenen zur Bank kutschiert, weiß jeder Jurastudierende. Und auch bezogen auf den Rechtsanwalt, der mit der Beratung von Mandanten und der Erstellung von Gutachten seinen Lebensunterhalt verdient, ist diese Lesart des § 27 Abs. 1 StGB anerkanntermaßen zu weitgehend. Rechtsanwälte, die ihre Mandanten in Rechtsangelegenheiten beraten und vertreten – also u.a. über die Rechtslage in Kenntnis setzen und (steuer-)rechtliche Ratschläge erteilen –, nehmen die ihnen kraft Gesetzes zugewiesenen Aufgaben wahr (vgl. § 3 Abs. 1 BRAO) und können sich im Grundsatz (wie der Taxifahrer auch) auf den Schutz der Berufsausübungsfreiheit berufen.
Selbstredend gewährleistet der grundgesetzliche Schutz erlaubter beruflicher Tätigkeit keine Immunität vor Strafverfolgung. Wie der Bundesgerichtshof zu Recht ausführt, ist der Begriff der „neutralen“ Handlung für sich genommen nicht zielführend, weil es „die“ neutrale Handlung nicht gibt und der Begriff nichts zur Klärung der Frage beiträgt, in welchen Fällen eine Handlung sozial adäquat anzusehen ist (vgl. BGHSt 46, 107, 113).
Die spannende Frage lautet: Wo endet die zulässige Berufsausübung und beginnt die strafbare Förderung fremder Straftaten? Die Grenzziehung ist, wen wird es überraschen, umstritten; zum Teil wird bereits im objektiven Tatbestand eine Differenzierung vorgenommen, zum Teil im subjektiven Tatbestand differenziert, teils Kombinationsversuche unternommen (vgl. hierzu den Überblick bei Rönnau/Wegner, JuS 2019, 527).
Bei der steuerrechtlichen Beratung handelt es sich um ein Verhalten, das naturgemäß darauf ausgerichtet ist, durch entsprechenden Rat die steuerliche Belastung des Beratenen und zugleich die Einnahmen des Fiskus zu reduzieren. Diese Beratung ist für sich genommen sozialadäquat. Sie gerät erst dann ins Fadenkreuz der Strafverfolgungsbehörden, wenn die Verkürzung der steuerlichen Belastung dadurch bewirkt wird, dass der Steuerpflichtige den zuständigen Behörden gegenüber über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Bezogen auf die Cum-ex-Geschäfte kommt eine solche falsche Erklärung in Betracht, wenn der Erklärende die (von einem anderen gezahlte und diesem bereits zurückerstattete) Kapitalertragssteuer in seiner Steuererklärung steuermindernd in Ansatz bringt, obwohl er sie nicht abgeführt hat.
Der Bundesgerichtshof in Strafsachen differenziert zur Abgrenzung von „berufsneutralem Verhalten“ und strafrechtlich relevanter Hilfeleistung zwischen der Konstellation, in der das Handeln des Haupttäters ausschließlich darauf abzielt, eine strafbare Handlung zu begehen und der Hilfeleistende hiervon positive Kenntnis hat und derjenigen, in der der Hilfeleistende ein solches Vorgehen des Vordermanns lediglich für möglich erachtet. Im erstgenannten Fall, so der BGH unter Berufung auf Roxin, verliere das Verhalten des professionell Handelnden seinen „Alltagscharakter“ und stelle sich als „Solidarisierung mit dem Täter“ dar. In der zweiten Konstellation scheide eine Strafbarkeit hingegen grundsätzlich aus, sofern nicht das Risiko strafbaren Verhaltens als so groß anzusehen sei, dass in der Hilfeleistung „die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters“ zu sehen sei (so z.B. BGHSt 46, 107, 112 m.w.N.).
Diese Grenzziehung mag für die Strafverfolgungsbehörden bereits im Fall des Taxifahrers praktisch schwer umzusetzen sein, sofern weder Taxifahrer noch Fahrgast etwas zu etwaigen Gesprächen berichten und der Fahrgast nicht bereits mit Maske und Pistole ausgestattet auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. Hieraus zieht Schneider (NStZ 2004, 312, 317) die Konsequenz, dass es sich bei der Frage der Neutralität von Handlungen tatsächlich um ein im Strafprozessrecht zu verortendes Thema handelt.
Cum Risiko oder ex?
Die Bestimmung des strafbaren Bereichs wird mit Blick auf den Rechtsanwalt, der im Zusammenhang mit Cum-ex-Geschäften Begutachtungs- und Beratungsleistungen erbracht hat, nicht leichter. Wessing hat in einem Beitrag zu den strafrechtlichen Risiken von Beratern im Zusammenhang mit Steuerberatern ausgeführt: „Steuerberatung ist vor allen Dingen im Lichte der Erkenntnis der latenten Steuerhinterziehungseigenschaft aller Beratungsmandanten strafrechtlich sicher problematisch“ (NJW 2003, 2265, 2267). Das mag auf ein Gutachten zu steuerrechtlichen Konsequenzen eines Geschäftsmodells sicher nicht übertragbar sein; indes ist der Wunsch der Auftraggeber der Gutachten, die Investitionsbereitschaft der potentiellen Investoren durch eine zur Steuervermeidung führenden Rechtsauffassung zu fördern, offenbar, sodass die Förderung des „erkennbar tatgeneigten Täters“ auf den ersten Blick in Betracht kommt. Dass diese Lesart mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts im Falle der reinen Erteilung eines Rechtsrats kollidiert, zeigt, worauf Kudlich (NStZ 2017, 339) zu Recht hinweist, bereits ein Blick in § 3 Abs. 1 BRAO, dem zufolge Rechtsanwälte die berufenen unabhängigen Berater in Rechtsangelegenheiten darstellen. Und selbst für den Fall, dass dieser Rechtsrat irrtümlich falsch ergeht, folgt hieraus nicht zwingend eine strafbare Beihilfe, wie das Reichsgericht im Jahr 1904 in einer Entscheidung über die Revision eines Rechtsanwalts herausgestellt hat, der wegen Beihilfe (zur Beihilfe) zur Selbstbefreiung eines Gefangenen verurteilt worden war, weil er der Familie des später geflohenen Inhaftierten einen (unzutreffenden) Rechtsrat erteilt hatte. Das Gericht führte in der Entscheidung, mit der die Verurteilung aufgehoben wurde, aus:
„Gehört es nun, wie es unzweifelhaft ist, zu den Berufshandlungen und Berufspflichten eines Rechtsanwaltes, denjenigen die seinen Rat erfordern, nach bestem Wissen diesen Rat zu erteilen, so wird man von vornherein und präsumtiv davon ausgehen müssen, daß das Bewußtsein und der Wille des Anwaltes in solchen Fällen lediglich darauf gerichtet ist, pflichtmäßig Rat zu erteilen, insbesondere nicht darauf, auf das, was der Klient infolge der rechtsgutachtlichen Äußerung seines Rechtsbeistandes tut, einzuwirken. (…) Will der Anwalt (…) nichts weiter tun, als seinen berufs- und pflichtgemäßen Rat (d.i. Belehrung) erteilen, ist ihm dabei bekannt, daß sein Gutachten zur Begehung eines Delikts führt, … hat jedoch sein Wille mit dieser Folge seiner rechtlichen Begutachtung oder Ratserteilung nichts zu schaffen, so kann von einer wissentlichen Beihülfe nicht die Rede sein. Geht aber seine Geistes- und Willenstätigkeit nicht nur darauf hin, in der Ratserteilung seinen Beruf zu erfüllen, sondern auch durch die berufsmäßige Ratserteilung die Ausführung einer Straftat zu fördern, dann – und nur dann – liegt Beihülfe im Sinne des Strafgesetzes vor.“ (RGSt 37, 321, 323 f.)
Nun kommt bei den in Rede stehenden Begutachtungen der Cum-ex-Geschäfte hinzu, dass die anwaltlichen Berater mit den späteren Kunden mutmaßlich keinen direkten Kontakt hatten, so dass sich interessante Fragen der objektiven Zurechenbarkeit der später womöglich falschen Erklärungen ergeben. Offenbar hat der Ermittlungsrichter im Fall des verhafteten Rechtsanwalts allerdings weder diesbezüglich, noch mit Blick auf die Motivation zur Förderung fremder Straftaten im Sinne des Reichsgerichts ein Hindernis erblickt.
Mehr als unabhängige Berater
Ist das massive Vorgehen gegenüber dem Rechtsanwalt nun einem neuen Zeitgeist gegenüber dieser Berufsgruppe geschuldet – bedürfen Kanzleien womöglich ihrerseits eines Compliance Officers? Ich meine, dass eher das in Rede stehende „Produkt“ – die offenbar in Vielzahl und über einen langen Zeitraum produzierten Gutachten – bzw. gar die Schaffung neuer „Produkte“, verglichen mit der herkömmlichen Erteilung eines anwaltlichen Rats, den Unterschied macht. Das, was über die Gutachten berichtet wird, hat nur noch wenig mit dem „klassischen“ Verständnis der Rechtsanwaltschaft als freiem Beruf und unabhängigem Berater in allen Rechtsangelegenheiten im Sinne des § 3 Abs. 1 BRAO zu tun, sondern trägt, entgegen § 2 Abs. 2 BRAO, eine ausgesprochen gewerbliche Handschrift. Selbstredend gilt der Schutz der Berufsausübungsfreiheit sowohl für den Einzelanwalt als auch für die Boutique und die internationale Großkanzlei. Allerdings ist die Befürchtung, dass bei letzterer eine in besonderem Maße einnahmeorientierte Ausübung des Berufs zu systematischen Fehlentwicklungen geführt hat, nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Wessing hat in dem erwähnten Aufsatz bereits im Jahr 2003 in bestechender Klarheit formuliert, was Strafbarkeitsrisiken für Berater reduziert: es sind dies Gefahrbewusstsein, Distanz, Offenheit und Konsequenz (vgl. NJW 2003, 2265, 2271). Dieser Rat, man mag ihn als Urform von Compliance begreifen oder als Gebot der Klugheit, ist von unverminderter Aktualität.
„Sehr komplex“:
Cum/ex hat nicht nur eine steuerstrafrechtliche Seite, sondern auch eine steuerrechtliche Seite. Nachfolgend eine Zusammenfassung der Aussage von Herrn Dr. Wolfgang Schäuble vor dem Untersuchungsausschuss „Cum/ex“, die einen Einblick in die dynamische Arbeitsweise der Finanzverwaltung erlaubt. Quelle: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2017/kw07-pa-cumex-2-492608
Schäuble ist seit Herbst 2009 im Amt. Das Bundesfinanzministerium erhielt nach eigenen Angaben im Frühjahr 2009 Kenntnis von der Existenz eines Cum/Ex-Geschäftsmodells, durch das dem Fiskus Schätzungen von Experten zufolge Steuern in Milliardenhöhe entgangen sein sollen.
Schäuble sagte, das Problem sei sehr komplex und daher nicht einfach zu lösen gewesen. Die Erarbeitung des neuen Gesetzes habe daher seine Zeit gebraucht, und zudem hätten die Betroffenen für die Systemumstellung auch eine Vorlaufzeit benötigt. Gegen Ende 2012 habe er sich vergewissert, ob mit der Neuregelung das Problem für die Zukunft gelöst sei, und es habe keine gegenteiligen Informationen gegeben. Der missbräuchlichen Gestaltung sei damit ein Ende gesetzt worden. Gegen eine Anhörung der Branchenverbände im Rahmen der Gesetzgebung sei nichts einzuwenden.
Wie der Minister betonte, sei die Finanzverwaltung immer davon ausgegangen, dass die Cum/Ex-Transaktionen rechtswidrig waren. Es sei immer wieder versucht worden, im Gespräch mit den Bundesländern den nicht bezifferbaren Steuerausfall einzugrenzen. Verzögert worden sei die Aufarbeitung unter anderem durch einen Rechtsstreit mit der Finanzgerichtsbarkeit. Sein Ministerium habe alles unternommen, solche Geschäfte für die Zukunft zu unterbinden. Eine Schätzung des möglichen Schadens wäre spekulativ und könne nicht seriös vorgenommen werden. Im Nachhinein sei er zudem der Meinung, dass der Cum/Ex-Gesetzgebungsprozess angesichts der schwierigen Materie und des üblichen Prozederes “ungewöhnlich schnell” verlaufen sei.
Professor Dr. Monika Jachmann-Michel (Vorsitzende Richterin des VIII. Senates des BFH) in Steuer und Wirtschaft 3/2017, Seite 216 zu Cum/ex:
“Erfolgt die Steuergestaltung im Sinne eines Ausnützens erkannter Fehler des Steuergesetzes beispielsweise zur Vermehrung des Ertrags eines Unternehmens, unterfällt auch sie der unternehmerischen Freiheit des Art. 12 bzw. 14 GG, den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens zu optimieren. Im Rechtsstaat ist die Freiheitsausübung primär nicht rechtfertigungsbedürftig, findet Grenzen in der Freiheit der anderen sowie (v.a. verfassungsrechtlich fundierten) Belangen der Allgemeinheit. Rechtfertigungsbedürftig ist der staatliche Eingriff. Dieser Eingriff ist- als Steuereingriff- aus der Mitverantwortung des Bürgers für die allgemeine staatliche Aufgabenerfüllung zu rechtfertigen und dabei im Sinne der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung engmaschig konkret im Steuergesetz vorzuzeichnen (Art. 20 Abs. 3 GG). Erlaubt das Steuergesetz für bestimmte Konstellationen – zumindest bei einer nachvollziehbaren Auslegung – eine mehrfache Erstattung eines nur einmal erhobenen Betrags – so beim unstreitig moralisch höchst fragwürdigen – Cum-Ex-Geschäft – bedarf es keiner Steuergestaltung, wenn der Steuerpflichtige diese Möglichkeit nutzt. Vielmehr wäre es Sache des Steuergesetzgebers auf derartige gesetzliche Fehler – anders als bei den Cum-Ex-Geschäften geschehen – sofort zu reagieren.”
Dießner geht zutreffend davon aus, dass der Rechtsirrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs kein Verbotsirrtum ist, sondern ein Tatbestandsirrtum, der den Vorsatz ausschließt. Auf die Vermeidbarkeit des Irrtums kommt es daher nicht an.
Die Vermeidbarkeit spielt nur indirekt eine Rolle. Zum einen bei der Beweiswürdigung, also dabei, ob das Gericht den behaupteten Irrtum glaubt; darum ging es in der von Dießner angeführten Entscheidung des BGH (NStZ 2012, 160). Zum anderen, weil eine leichtfertige, also fahrlässige Verkürzung eine Ordnungswidrigkeit ist.
Wenn der Berater den Mandanten falsch berät, dass ihm ein Erstattungsanspruch zusteht, und der Mandant ihm glaubt und den vermeintlichen Anspruch geltend macht, befindet sich der Mandant in einem Tatbestandsirrtum und handelt nicht vorsätzlich. Dann hat der Berater keine Beihilfe geleistet, weil es am Vorsatz des Täters fehlt (§ 27 Abs. 1 StGB). Das erstaunliche Ergebnis ist, dass ein Berater vorsätzlich falsch beraten kann, ohne dass er oder der gutgläubige Mandant bestraft werden kann.
Daher ist die wirklich entscheidende Frage, ob eine Strafbarkeitslücke deswegen nicht besteht, weil der Berater mittelbare Täter ist, weil er kraft seiner übergeordneten Wissensherrschaft den Mandanten als Tatmittler benutzt (§ 25 Abs. 1 Variante 2 StGB). Denn strafbar verkürzen oder Vorteile erlangen kann man nicht nur für sich selbst, sondern auch für einen anderen, hier als Berater für den Mandanten.
Inwiefern ist denn die Kanzlei, der die Autorin als Rechtsanwältin angehört mit „cum-ex“ befasst. Und inwiefern bietet das Verfassungsablog hier eine plattform für einen nicht gekennzeichneten eventuellen Parteivortrag?
Man kann es zwar unschwer durch Google (via “Juve”) herausfinden, doch aus hygienischen Gründen wäre ein ausdrücklicher Hinweis angebracht: Rechtsanwalt Krug aus der Kanzlei der Autorin verteidigt einen der Beschuldigten im “Maple-Bank”-Verfahren. Und dabei handelt es sich um genau das Verfahren, auf das die Autorin eingangs Bezug nimmt; bemerkenswert diskret übrigens, obwohl der volle Name des Rechtsanwalts, der in U-Haft sitzt bzw. saß, von nahezu allen sonstigen Medien genannt wird. M. E. ein ziemlich dreister Fall ungekennzeichneter Litigation-PR.